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Sein Gesicht
Sie, deren Namen ich keinesfalls nennen darf, kniet auf dem lehmigen Boden ihrer Hütte, und ihre vier größeren Kinder sitzen im Halbkreis vor ihr. Sie versucht, nach außen ruhig zu wirken, um den Kleinen keine zusätzliche Angst zu machen, vor der sie selbst jedoch innerlich überquillt.
Vor ihnen stehen Kartons, jeweils mit einer Schlaufe zum Umhängen.
»Hört mir jetzt bitte gut zu. Geht niemals ohne diesen Karton aus dem Haus, er ist für uns jetzt ganz wichtig. Vergeßt ihn bitte nie, denkt dran. Und jetzt macht ihn mal auf.«
Sie geht der Dreijährigen ein bisschen zur Hand. – Sie muß das noch üben, das muß schneller gehen. So ist sie viel zu langsam...
»Nehmt jetzt die Maske aus der Schachtel heraus und setzt sie euch mal auf.« Sie geht zu jedem einzelnen der vier Kinder und zieht die Bänder so fest, daß seitlich keine Luft hineinkommt. »Versuch mal, Luft zu holen«, fordert sie auf, während sie vorne zu hält. »Gut, die Maske ist dicht.«
So überprüft sie alle vier und auch ihre eigene. Bei der Dreijährigen muß sie die Feststellbänder auf die engste Position stellen. Danach legen alle ihre Masken wieder sorgsam in den Karton und markieren sie, damit sie nicht verwechselt werden können.
Die Mutter schaut besorgt auf ihr Kleines im Tragetuch und schickt die größeren Kinder nach draußen. »... und bleibt immer hier ums Haus, lauft niemals irgendwoanders hin. Wenn es Luftalarm gibt, seid ihr sonst nicht schnell genug wieder daheim.«
Als sie mit ihrem zwei Monate alten Sohn allein ist, nimmt sie ihn aus dem Tuch und legt ihn auf eine Decke. Dann öffnet sie den Karton, den sie für ihn bekommen hat. Entnimmt daraus seine Gasmaske und sieht sie an, sieht sein Gesicht an, wieder die Gasmaske und noch einmal sein kleines, unschuldiges Gesicht...
Er schreit, als sie kurz versucht, ihm dieses Ding aufzusetzen – sie nimmt es gleich wieder weg. Tränen rinnen aus ihren Augen, über ihre Wangen, tropfen von ihrem Kinn und versickern im Lehmboden.