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Selbst Schuld!
Selbst Schuld!
„Ich fürchte, dass kaum jemand den Antisemiten, die es in Deutschland gibt, leider, die wir bekämpfen müssen, mehr Zulauf verschafft hat als Herr Scharon und in Deutschland ein Herr Friedman mit seiner intoleranten und gehässigen Art.“
Wieder ein Aufstand! Natürlich ist Möllemann ein Idiot, der versehentlich oder absichtlich die verborgenen antisemitischen Ansichten der Bevölkerung sichtbar macht. Es regt mich auf, dass ein Politiker mit immerhin großem Namen, seine Vorbildfunktion so schlecht erfüllt. Kein Wunder, dass Friedman diesen Fauxpas ausnutzt! Würde ich nicht anders machen... Würde ich nicht anders machen, da es tatsächlich notwendig ist. Zeigen die Reaktionen das nicht? Unglaublich, was sich selbst gebildete Bürger für Komments leisten! Aber man kann sich auch an Friedmans arroganter Art stören. Es ist zu leicht, die Art, wie jemand mit einem redet, als entscheidendes Kriterium für das Gesagte zu wählen. Und zu dumm. Besonders wenn sich hinter dem Gesagten Sinn anbietet. Wer greift aber schon gerne nach wirklichem Sinn?
Yasmina sieht mich und grüßt kurz. „Diese Rassisten! Haben uns aus dem Stupa geschmissen, nur weil wir Kopftücher tragen!“ Mir dreht sich alles im Magen um und ich lächle gezwungen. Aber dann: „ Ist es nicht so, dass ihr unter Verdacht steht einer islamischen Gemeinschaft anzugehören, die zu Radikalen Kontakt hat? Milligörüs?“ Sie sieht mich verärgert an und antwortet: „Alles Kinderkram! Irgendwas müssen die sich doch aus den Fingern saugen! Lächerlich!“ Wozu auch auf die Vorwürfe eingehen! Die Politik der anderen schlicht zu diskreditieren, ist natürlich viel bequemer. Ja, eine Gesellschaft, in der man miteinander redet! „Wie kommst du darauf, dass sie dich und deine Schwester unterdrücken?“, frage ich etwas schlichtender. „Die Linken stehen doch nicht gerade für Rassismus...“ „Haha, es ist doch immer das Gleiche. Wir sind denen ein Dorn im Auge! Diese antiislamische Haltung findest du doch überall...“ Genug von diesen Polemiken! Diese Abscheu in ihren Augen, so erschreckend. Ich verabschiede mich sichtlich genervt und fahre nach Hause.
Ich führe die traditionelle Waschung aus, um dann mein Mittagsgebet zu verrichten. Langsam verdränge ich meine Wut, die Frau Politisch in mir geweckt hat. Ganz ruhig. Und dann wende ich mich zu Gott und spreche selbst den Muezzinruf, da es hier keiner für die muslimische Gemeinde tut. Und bete, so wie es uns beigebracht wurde. Und bitte Ihn, mich nicht allein zu lassen.
Talkshowstunde. Es verfolgt mich wohl. Bei Oliver Geißen diskutieren sie lautstark über den Islam. Unterdrückt er die Frau? Lässt sich eine muslimische Frau gerne unterdrücken? Die Gäste erschlagen mich. Erst die pro Islam Partei: Eine konvertierte Deutsche und ein prolliger Türke, die wortarm irgendwas von sich geben. Ein Kopftuch aus dem Publikum, das zufällig auch nicht so recht des Deutschen mächtig ist, setzt der intellektuellen Unterhaltung noch einen drauf. Und dann die Antis: Zwei Frauen mit ausländischem Blut und eine Blondine, die meint, die Wahrheit für sich gepachtet zu haben. Die Schlangen giften sich gegenseitig an, bis dann eine türkische, religiöse Schneiderin erscheint, um wenigstens der Sendung etwas Niveau zu schenken. Die Rede ist von Anpassung.
„Du lebst hier in Deutschland, also pass dich an! Du musst hier nicht einen Schritt zurückgehen und im Mittelalter leben!“
„Was heißt Anpassung?“
„Zieh Dein Kopftuch aus!“
„Ich soll mein Kopftuch ausziehen? Anpassung heißt, dass ich meine Religion aufgebe? Es gibt deutsche Buddhisten, deutsche Protestanten, deutsche Katholiken und deutsche Muslime!“
„Ja, aber zieh Dein Kopftuch aus. Du musst das hier nicht tragen. Lass dich nicht unterdrücken!“
„Wer unterdrückt mich denn? Die Deutschen hier! Kann ich mit meinem Kopftuch vernünftige Arbeit verrichten? Wenn hier alle den Amerikanern nacheifern, dann sollen sie denen in Sachen Toleranz nacheifern...“
Olli entsetzt: „Die Amis sind tolerant... die Amis tolerant?“
„Ich habe viele Freundinnen in Amerika, war oft selbst dort. Dort siehst du Frauen mit Kopftuch in Banken arbeiten, in Geschäften, überall! Und auch in England. Selbst in Flughäfen!“ Komischerweise verpasst das Publikum diese Pointe und lacht nicht...
„Dann wandere doch aus! Wenn du überall mit Kopftuch arbeiten kannst, dann geh doch!“ Bei diesen Worten drehe ich fast durch. Diese Ausländerin wird als angepasst angesehen, nur weil sie äußerlich angepasst ist. Doch hat sie demokratische Werte verinnerlicht?
Ein siebzehnjähriger gläubiger Türke erscheint und gibt zu Jungfrau zu sein und es auch vor der Ehe bleiben zu wollen. Das Publikum lacht ihn aus. Ja, man merkt, auch das Publikum ist zufriedenstellend angepasst.
Wütend schalte ich den Fernseher aus. Verschiedene Meinungen sind gut, aber jemanden aufgrund seiner Religion, seiner Kultur, aus dem Land werfen zu wollen, und nicht einmal zu merken, dass das Intoleranz in seiner reinsten Form ist, ist traurig. Traurig auch, dass der Moderator da nicht eingreift.
Währenddessen geht der Möllemann-Friedman-Streit weiter. Die Gemüter kochen und es geht um die Wurst. Ich bin auf dem Weg zur Uni und lese einen Spiegel-Artikel drüber. „Zurück in den Iran!“ Ein ärmlicher Posterverkäufer auf einer Decke auf dem Asphalt sitzend guckt mich voller Abscheu an. Ich ignoriere ihn. Was soll ich auch sonst tun? Darauf hinweisen, dass meine Wurzeln in Syrien liegen?
Möllemann mache die Juden selbst für antijüdische Ressentiments verantwortlich. Ein Jude schüre mit seinen charakterlichen Eigenschaften, die die antisemitische Partei als typisch jüdisch tituliert, den Antisemitismus. Das ist natürlich höchst antisemitisch und einfach zu verurteilen. So etwas Dummes darf man sich nicht einmal im Affekt erlauben. Ein Jude erzeuge selbst Antisemitismus, wie lächerlich!
Im U-Café treffe ich Mariam und wir haben eine Auseinandersetzung über die Bulut-Affäre.
„Nadia, genau dieselbe Auseinandersetzung gab es schon letztes Jahr! Man beschuldigt irgendwelche Muslime, Kontakte zu Extremisten zu pflegen, wenn man sie schon selbst nicht als Extremisten bezeichnen will, weil das den Vorwurf der Intoleranz wecken könnte und...“
„Ach, darum geht’s nicht! Wenn die Lili (Linke Liste) wirklich falsch liegt, dann ist’s doch kein Problem das nachzuweisen. Wieso machen die das nicht? Wieso diese Arroganz?“
„Nein, keine Frage der Arroganz! Mehr eine Frage von Resignation! Wenn ich immer wieder versuche, das klarzustellen, mir aber keiner zuhört, mit mir nicht einmal geredet wird... also, stell Dir das doch vor! Nicht einmal eine Aussprache...“
„Hm...“
„...dann habe ich irgendwann keine Lust mehr. Und sage mir, wieso soll ich denn immer auf andere zugehen, wenn die mich doch anklagen! Wieso fragen die mich nicht?“
„Und was bedeutet diese Falschinformation... also, doch linke Intoleranz!“
„Nicht so einfach, weil wir von einzelnen reden. Gerade hier an der Uni! Es sind einzelne Linke, die ja mit ihrer Antireligiosität natürlich auch antiislamisch eingestellt sind. Aber nicht eine linke Gruppe...“
„Ja, verstehe. Wir werden als Muslime schon als Gruppe verurteilt, also sollte ich nicht den gleichen Fehler machen...“
„Dieser dumme Kerl! Siehst du den da vorne?“ In spöttischem Ton: „ Man müsse doch die Politik Israels kritisieren dürfen! Als ob es darum ginge! Nichts hat der verstanden und stellt sich auf die Seite Möllemanns. Und so machen es alle.“ Und packen ihre Polemiken aus, die sich bei näherer Betrachtung als tief verwurzelte Tabus entpuppen.
Ina ist förmlich angeekelt von dem Antisemitismus, der durch Möllemann wieder salonfähig wird. Sie schreibt in meinen Spiegel:
„Liebe Nadia. Wenn man das liest (den Artikel), weiß man, dass Nationalsozialismus und Hitlers Verbrechen, einschließlich moderner Antisemitismus in Deutschland völlig hoffähig sind. Und unter einer politisch korrekten Decke gerade von der Regierungsclique bemäntelt wird...“
Von dem Vorfall vorhin erzähle ich ihr nichts, so etwas passiert zu oft.
Es ist dunkel. Anders kann ich aber auch nicht einschlafen. Nur manchmal – ich weiß, es ist dumm – habe ich diese Bilder im Kopf. Wie unser Haus angezündet wird. Ich versuche es sofort zu verdrängen. Manchmal nimmt es mich aber gefangen, und ich kann mich nicht wehren. Helle Flammen. Die Rufe meiner Eltern. Dieser Schrecken, den ich beim Träumen schon in den Augen spüre. Aber ich fasse mich und verdränge es. Es ist ja lächerlich. So schlimm ist der Rassismus hier nicht. Das sind Hirngespinste einer Paranoiden. Sehen wir uns doch einmal die Muslime hier an. Wie viele ihre Töchter, ja ihre Kinder vor Angst in ihrem eigen geschaffenen Gefängnis halten. Ihre Traditionen hochhalten, anstatt sich von den rückständischen Dingen zu lösen und endlich nur ihre Religion zu praktizieren. Nichts von dem Land verstehen, in dem sie heute leben. Wie ignorant sie sich in ihren Häusern versperren. Die sind doch selbst Schuld!
„Ich fürchte, dass kaum jemand den Antisemiten, die es in Deutschland gibt, leider, die wir bekämpfen müssen, mehr Zulauf verschafft hat als Herr Scharon und in Deutschland ein Herr Friedman mit seiner intoleranten und gehässigen Art.“