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Selbst Schuld!

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13.05.2001
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Selbst Schuld!

Selbst Schuld!


„Ich fürchte, dass kaum jemand den Antisemiten, die es in Deutschland gibt, leider, die wir bekämpfen müssen, mehr Zulauf verschafft hat als Herr Scharon und in Deutschland ein Herr Friedman mit seiner intoleranten und gehässigen Art.“

Wieder ein Aufstand! Natürlich ist Möllemann ein Idiot, der versehentlich oder absichtlich die verborgenen antisemitischen Ansichten der Bevölkerung sichtbar macht. Es regt mich auf, dass ein Politiker mit immerhin großem Namen, seine Vorbildfunktion so schlecht erfüllt. Kein Wunder, dass Friedman diesen Fauxpas ausnutzt! Würde ich nicht anders machen... Würde ich nicht anders machen, da es tatsächlich notwendig ist. Zeigen die Reaktionen das nicht? Unglaublich, was sich selbst gebildete Bürger für Komments leisten! Aber man kann sich auch an Friedmans arroganter Art stören. Es ist zu leicht, die Art, wie jemand mit einem redet, als entscheidendes Kriterium für das Gesagte zu wählen. Und zu dumm. Besonders wenn sich hinter dem Gesagten Sinn anbietet. Wer greift aber schon gerne nach wirklichem Sinn?

Yasmina sieht mich und grüßt kurz. „Diese Rassisten! Haben uns aus dem Stupa geschmissen, nur weil wir Kopftücher tragen!“ Mir dreht sich alles im Magen um und ich lächle gezwungen. Aber dann: „ Ist es nicht so, dass ihr unter Verdacht steht einer islamischen Gemeinschaft anzugehören, die zu Radikalen Kontakt hat? Milligörüs?“ Sie sieht mich verärgert an und antwortet: „Alles Kinderkram! Irgendwas müssen die sich doch aus den Fingern saugen! Lächerlich!“ Wozu auch auf die Vorwürfe eingehen! Die Politik der anderen schlicht zu diskreditieren, ist natürlich viel bequemer. Ja, eine Gesellschaft, in der man miteinander redet! „Wie kommst du darauf, dass sie dich und deine Schwester unterdrücken?“, frage ich etwas schlichtender. „Die Linken stehen doch nicht gerade für Rassismus...“ „Haha, es ist doch immer das Gleiche. Wir sind denen ein Dorn im Auge! Diese antiislamische Haltung findest du doch überall...“ Genug von diesen Polemiken! Diese Abscheu in ihren Augen, so erschreckend. Ich verabschiede mich sichtlich genervt und fahre nach Hause.

Ich führe die traditionelle Waschung aus, um dann mein Mittagsgebet zu verrichten. Langsam verdränge ich meine Wut, die Frau Politisch in mir geweckt hat. Ganz ruhig. Und dann wende ich mich zu Gott und spreche selbst den Muezzinruf, da es hier keiner für die muslimische Gemeinde tut. Und bete, so wie es uns beigebracht wurde. Und bitte Ihn, mich nicht allein zu lassen.

Talkshowstunde. Es verfolgt mich wohl. Bei Oliver Geißen diskutieren sie lautstark über den Islam. Unterdrückt er die Frau? Lässt sich eine muslimische Frau gerne unterdrücken? Die Gäste erschlagen mich. Erst die pro Islam Partei: Eine konvertierte Deutsche und ein prolliger Türke, die wortarm irgendwas von sich geben. Ein Kopftuch aus dem Publikum, das zufällig auch nicht so recht des Deutschen mächtig ist, setzt der intellektuellen Unterhaltung noch einen drauf. Und dann die Antis: Zwei Frauen mit ausländischem Blut und eine Blondine, die meint, die Wahrheit für sich gepachtet zu haben. Die Schlangen giften sich gegenseitig an, bis dann eine türkische, religiöse Schneiderin erscheint, um wenigstens der Sendung etwas Niveau zu schenken. Die Rede ist von Anpassung.
„Du lebst hier in Deutschland, also pass dich an! Du musst hier nicht einen Schritt zurückgehen und im Mittelalter leben!“
„Was heißt Anpassung?“
„Zieh Dein Kopftuch aus!“
„Ich soll mein Kopftuch ausziehen? Anpassung heißt, dass ich meine Religion aufgebe? Es gibt deutsche Buddhisten, deutsche Protestanten, deutsche Katholiken und deutsche Muslime!“
„Ja, aber zieh Dein Kopftuch aus. Du musst das hier nicht tragen. Lass dich nicht unterdrücken!“
„Wer unterdrückt mich denn? Die Deutschen hier! Kann ich mit meinem Kopftuch vernünftige Arbeit verrichten? Wenn hier alle den Amerikanern nacheifern, dann sollen sie denen in Sachen Toleranz nacheifern...“
Olli entsetzt: „Die Amis sind tolerant... die Amis tolerant?“
„Ich habe viele Freundinnen in Amerika, war oft selbst dort. Dort siehst du Frauen mit Kopftuch in Banken arbeiten, in Geschäften, überall! Und auch in England. Selbst in Flughäfen!“ Komischerweise verpasst das Publikum diese Pointe und lacht nicht...
„Dann wandere doch aus! Wenn du überall mit Kopftuch arbeiten kannst, dann geh doch!“ Bei diesen Worten drehe ich fast durch. Diese Ausländerin wird als angepasst angesehen, nur weil sie äußerlich angepasst ist. Doch hat sie demokratische Werte verinnerlicht?
Ein siebzehnjähriger gläubiger Türke erscheint und gibt zu Jungfrau zu sein und es auch vor der Ehe bleiben zu wollen. Das Publikum lacht ihn aus. Ja, man merkt, auch das Publikum ist zufriedenstellend angepasst.
Wütend schalte ich den Fernseher aus. Verschiedene Meinungen sind gut, aber jemanden aufgrund seiner Religion, seiner Kultur, aus dem Land werfen zu wollen, und nicht einmal zu merken, dass das Intoleranz in seiner reinsten Form ist, ist traurig. Traurig auch, dass der Moderator da nicht eingreift.

Währenddessen geht der Möllemann-Friedman-Streit weiter. Die Gemüter kochen und es geht um die Wurst. Ich bin auf dem Weg zur Uni und lese einen Spiegel-Artikel drüber. „Zurück in den Iran!“ Ein ärmlicher Posterverkäufer auf einer Decke auf dem Asphalt sitzend guckt mich voller Abscheu an. Ich ignoriere ihn. Was soll ich auch sonst tun? Darauf hinweisen, dass meine Wurzeln in Syrien liegen?
Möllemann mache die Juden selbst für antijüdische Ressentiments verantwortlich. Ein Jude schüre mit seinen charakterlichen Eigenschaften, die die antisemitische Partei als typisch jüdisch tituliert, den Antisemitismus. Das ist natürlich höchst antisemitisch und einfach zu verurteilen. So etwas Dummes darf man sich nicht einmal im Affekt erlauben. Ein Jude erzeuge selbst Antisemitismus, wie lächerlich!

Im U-Café treffe ich Mariam und wir haben eine Auseinandersetzung über die Bulut-Affäre.
„Nadia, genau dieselbe Auseinandersetzung gab es schon letztes Jahr! Man beschuldigt irgendwelche Muslime, Kontakte zu Extremisten zu pflegen, wenn man sie schon selbst nicht als Extremisten bezeichnen will, weil das den Vorwurf der Intoleranz wecken könnte und...“
„Ach, darum geht’s nicht! Wenn die Lili (Linke Liste) wirklich falsch liegt, dann ist’s doch kein Problem das nachzuweisen. Wieso machen die das nicht? Wieso diese Arroganz?“
„Nein, keine Frage der Arroganz! Mehr eine Frage von Resignation! Wenn ich immer wieder versuche, das klarzustellen, mir aber keiner zuhört, mit mir nicht einmal geredet wird... also, stell Dir das doch vor! Nicht einmal eine Aussprache...“
„Hm...“
„...dann habe ich irgendwann keine Lust mehr. Und sage mir, wieso soll ich denn immer auf andere zugehen, wenn die mich doch anklagen! Wieso fragen die mich nicht?“
„Und was bedeutet diese Falschinformation... also, doch linke Intoleranz!“
„Nicht so einfach, weil wir von einzelnen reden. Gerade hier an der Uni! Es sind einzelne Linke, die ja mit ihrer Antireligiosität natürlich auch antiislamisch eingestellt sind. Aber nicht eine linke Gruppe...“
„Ja, verstehe. Wir werden als Muslime schon als Gruppe verurteilt, also sollte ich nicht den gleichen Fehler machen...“

„Dieser dumme Kerl! Siehst du den da vorne?“ In spöttischem Ton: „ Man müsse doch die Politik Israels kritisieren dürfen! Als ob es darum ginge! Nichts hat der verstanden und stellt sich auf die Seite Möllemanns. Und so machen es alle.“ Und packen ihre Polemiken aus, die sich bei näherer Betrachtung als tief verwurzelte Tabus entpuppen.
Ina ist förmlich angeekelt von dem Antisemitismus, der durch Möllemann wieder salonfähig wird. Sie schreibt in meinen Spiegel:
„Liebe Nadia. Wenn man das liest (den Artikel), weiß man, dass Nationalsozialismus und Hitlers Verbrechen, einschließlich moderner Antisemitismus in Deutschland völlig hoffähig sind. Und unter einer politisch korrekten Decke gerade von der Regierungsclique bemäntelt wird...“
Von dem Vorfall vorhin erzähle ich ihr nichts, so etwas passiert zu oft.

Es ist dunkel. Anders kann ich aber auch nicht einschlafen. Nur manchmal – ich weiß, es ist dumm – habe ich diese Bilder im Kopf. Wie unser Haus angezündet wird. Ich versuche es sofort zu verdrängen. Manchmal nimmt es mich aber gefangen, und ich kann mich nicht wehren. Helle Flammen. Die Rufe meiner Eltern. Dieser Schrecken, den ich beim Träumen schon in den Augen spüre. Aber ich fasse mich und verdränge es. Es ist ja lächerlich. So schlimm ist der Rassismus hier nicht. Das sind Hirngespinste einer Paranoiden. Sehen wir uns doch einmal die Muslime hier an. Wie viele ihre Töchter, ja ihre Kinder vor Angst in ihrem eigen geschaffenen Gefängnis halten. Ihre Traditionen hochhalten, anstatt sich von den rückständischen Dingen zu lösen und endlich nur ihre Religion zu praktizieren. Nichts von dem Land verstehen, in dem sie heute leben. Wie ignorant sie sich in ihren Häusern versperren. Die sind doch selbst Schuld!

„Ich fürchte, dass kaum jemand den Antisemiten, die es in Deutschland gibt, leider, die wir bekämpfen müssen, mehr Zulauf verschafft hat als Herr Scharon und in Deutschland ein Herr Friedman mit seiner intoleranten und gehässigen Art.“

 

Hm... Hm... Hm...

Ich habe diesen Text bereits zweimal gelesen, mit einem Zeitabstand von vier Stunden.
Ich muss gestehen, er lässt mich etwas zwiespältig zurück. Auf Anhieb fallen mir bestimmte Begriffe dazu ein, wie
- Verständnis bzw. Toleranz
- Akzeptanz
- Fundamentalismus
- Adaptation

Denkt man jedoch etwas gründlicher darüber nach, so läßt sich der ganze Text schon in zwei Worten zusammenfassen, die die vorangegangenen Begriffe entbehrlich zu machen imstande wären:
* Geduld
* Ironie

Ein Konkurrenzverhalten zwischen diesen gesamten Begriffen ist deutlich zu erkennen, wobei eine Balance nur schwer bzw. kaum auffällt.


Im Grunde kann man die Geschichte schlicht zusammenfassen, indem man auf den Punkt bringt, dass die Protagonistin, die selbst (ihre) Religion (für sich) praktiziert, banalen (intoleranten, vorwurfsvollen, etc.) Ansichten von innen und außen, also den aus dem Personenkreis ihrer eigenen Glaubensgemeinschaft und den der "Andersgläubigen", standhalten muss.
Eben hier kommen die Begrifflichkeiten wieder ins Spiel, die diesen ständigen und unhaltbaren Kampf begleiten, untermauern und sogar begründen.
Natürlich ist die Aussage, die Gesellschaft warte nur auf Provokation, um eben durch solcherlei "Unbill" ihre konservativsten und geheimsten, im Unterbewusstsein untergrabenen Ideologien zum Vorschein treten zu lassen, nicht von minder wichtiger Bedeutung.


Anfürsich ist es immer wieder interessant zu sehen, dass, in einem Land, wo Säkularismus herrscht, bei bestimmten Themen stets versucht wird, sich laizistisch zu verhalten und dabei allzu gerne leicht übersieht, dass dadurch die Glaubhaftigkeit der eigenen Ideologie und Regeln in Frage gestellt wird.

 
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Hm, da habe ich doch tatsächlich vergessen, einen weiteren Gedanken, der komplementär ist zu den oben genannten - mittlerweile aber das Hauptanliegen der Geschichte zu sein scheint - anzuführen; und zwar habe ich das einleitende und abschließende Zitat kaum berücksichtigt.
Die Öffentlichkeit bzw. "Gesellschaft" regt sich über die Aussage eines Politikers auf, dessen Gehalt sie selbst täglich und überall praktiziert. Es wird quasi in jeder Gesellschaftsschicht "Antisemitismus" verdeckt (gewollt oder ungewollt) geschürt und gefördert, eben durch aggressives und defensives bzw. intolerantes und gehässiges Verhalten, während man tadelnd einerseits auf diejenigen zurückblickt, die genau das Gegenteil zu erreichen versuchen und dennoch seitens bestimmter Personenkreise als Sündenböcke hingestellt werden; andererseits diejenigen mißbilligt, die geradewegs zu solchen Äußerungen fähig sind.
Somit wird die Einstellung der Gesellschaft allgemein der Lächerlichkeit preisgegeben, welche zu ändern ziemlich schwer bis unmöglich sein dürfte.

 

Mit Deinem ersten Kommentar war ich unzufrieden, aber der Zweite trifft es. Beruhigend, dass es verständlich ist.

Nur schade, dass sich nicht andere zum Text melden. Die Problematik ist wichtig genug, um sich mit ihr zu beschäftigen.
Und dann interessiert es mich, wie ich sie umgesetzt habe!

Vielleicht kommt noch was...

Danke, Hendek!

 

Die Sache ist eben die, dass ich die erste Antwort unmittelbar nach dem zweiten Mal Lesen gepostet hatte, die zweite hingegen nach einer ruhigeren und längeren Gedenkphase.

Zugegeben, ich war selbst mit meiner ersten Antwort nicht so ganz glücklich, hatte sogar überlegt, sie nach dem Posten der Anschlussantwort löschen zu lassen.
Vielleicht liegt es daran, dass ich viel zu kompliziert gedacht (muss man in der Regel bei deinen Texten ;) )und deshalb zuerst so unverständlich geantwortet habe.

 
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Hallo Zaza,

auch wenn das Thema zumindest in der Presse schon lange nicht mehr aktuell ist, möchte ich noch einen Kommentar dazu abgeben.

Die von dir dargestellte Problematik ist in meinen Augen die, dass der Großteil der Menschen in unserer Gesellschaft äußerlich tolerant sind, weil es sich nach "Guten Sitten" so gehört - nicht aus eigener Überzeugung, Also sucht man sich beständig und ausdauernd Hintertürchen, durch die man seine innere Intoleranz weiterhin praktizieren kann.

„Ja, aber zieh Dein Kopftuch aus. Du musst das hier nicht tragen. Lass dich nicht unterdrücken!“

Ich vermute und hoffe hier mal ganz stark, dass der Kommentar (falls real) einfach nur entstanden ist, weil die gute Frau nicht richtig informiert war. Aus der Sicht, dass man das Kopftuch als ein Symbol der Unterdrückung sieht, welches der Frau vom großen männlichen Herrscher auferlegt wurde, kann ich diesen Kommentar durchaus nachvollziehen. Vielleicht ist es aber gerade das, was du offenlegen wolltest - den Unwillen, sich mit "Fremdem" auseinanderzusetzen. Es ist doch so viel einfacher (?), alles "Fremde" niederzuschlagen, als sich mal ernsthaft zu informieren und mit den "Fremden" zu sprechen.

Außerdem wird so getan, als wäre die im Allgemeinen imaginäre Unterdrückung beseitigt, sobald das im Allgemeinen imaginär aufgezwungene Kopftuch auf der Erde liegt. Daran, dass die Frau es aus eigenem Willen tragen könnte, wird nicht gedacht - und möchte, der Restaussage deiner Geschichte folgend, auch nicht gedacht werden. Denn im Großen und Ganzen bewegt man sich auf festgefahrenen Bahnen, beharrt in seiner Meinung, auch wenn man sich nach Außen hin den Schein der Diskussionsbereitschaft gibt: Man versteht das Verhalten der anderen nicht, hält es für falsch und will es auch nicht verstehen und weiterhin für falsch halten. In diesem Kontext ist auch der Kommentar von Herrn Möllemann zu verstehen: Die Juden sind doch eh alle selber schuld, wenn sie gehasst werden! Verhalten sich ja schließlich wie Juden! (Wobei an einem Beispiel "schlechten Verhaltens" impliziert wird, dass sich Juden so verhalten.)

Tut mir leid, wenn das alles zu trivial ist, aber tiefsinnigeres ist mir nicht eingefallen! Naja.

Gruß

MisterSeaman

 

Hallo Zaza,

Dies ist ein ungemein wichtiger Text, der sich mit einem sehr brisanten Thema befasst, auch wenn unsere Medien leider dazu neigen, die Diskussionen schnell wieder abzuwürgen. Deine Geschichte befasst sich mit der Frage, die für mich eine der entscheidenden für die politische und religiöse Zukunfts der Welt ist: der Frage nach Toleranz, der Trennung von Religion, Kultur und Machtansprüchen und der Frage nach Globalisierung. Die eigentliche Handlung ist den ganzen also untergeordnet, bleibt dem Leser nicht so im Gedächtnis wie die provozierenden Thesen und Situationen, die der Prot zustoßen. Und hier ist auch schon der einzige Kritikpunkt überhaupt: als Geschichte mit Handlung gibt der Text nicht so viel her, da bleibt kaum was im Gedächtnis...
ABER da ich es für dringend nötig befinde, dem Leser diese Themen nahe zu legen, stört mich das nicht sehr. Zumindest nicht so, wie es mich bei jeder anderen Geschichte stören würde. Vielleicht ist die mangelnde Handlung sogar gut, um nicht von der Brisanz abzulenken.
Stilistisch hab ich nichts zu meckern. Besonders gut fand ich die Dialoge, die waren schön lebendig.

lieben Gruß
Anea

 

Hallo ihr zwei, hab es irgendwie verpeilt euch früher zu antworten. Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren!

Ja stimmt, Anea, ist kaum Handlung drin. Die Geschichte hat mehrere Bearbeitungsphasen durchlaufen. So weit ich mich erinnere, wurde sie besonders oft gekürzt. Aber nachdem ich sie gepostet hatte, habe ich nichts mehr an ihr gemacht. Wieso auch? Der Einzige, der auf sie reagiert hat, war jemand, der selbst gerne ähnliche Thematiken behandelt. Sonst war Totenstille und ich hab gedacht: Ok, interessiert sich wohl keiner für. Deswegen hab ich auch keinerlei solcher Geschichten mehr geschrieben. Fällt mir eh schwer. Ich merke mir aber den Punkt für künftige Texte.

Heute, Herr Seemann, sehe ich das so: Nicht aus guter Sitte heraus wird Toleranz dargestellt, sondern Toleranz gefühlt. D.h. Menschen halten sich für tolerant. Was mir auf den Senkel geht, ist dieses gelebte "Wir sind die Spitze der Evolution". Religiosität ist genauso wie das Standessystem passé, d.h. zurückgelassen und überwunden, der Mensch hat sich weiterentwickelt. Diese Sichtweise führt aber dazu, dass Menschen auf Andere herabsehen, die sich für eine unterschiedliche Lebensart entscheiden, besonders wenn sie Werte beinhaltet, die längst passé, überwunden und einfach unmodern sind.
Da setzen Arroganz und Rechthaberei ein. Auf beiden Seiten. Ob es nun darum geht zu untersuchen, was schief gelaufen ist, weil ja so viele, sagen wir türkische Jugendliche sich auf ihre Religion besinnen. Oder ob es nun darum geht, zu untersuchen, woher diese Kälte käme, weil doch so viele Senioren im Altersheim stecken. Schließlich geht es wiederum nur um Wahrheiten und wer sie gepachtet hat. Was sich verändert, sind die Feindbilder und das Verständnis vom modernen Leben. Der Mensch mit seiner Engstirnigkeit, Arroganz und Rechthaberei bleibt dabei immer gleich.

Naja, wäre genug Stoff für einen neuen Text.

 
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Diese Sichtweise führt aber dazu, dass Menschen auf Andere herabsehen, die sich für eine unterschiedliche Lebensart entscheiden, besonders wenn sie Werte beinhaltet, die längst passé, überwunden und einfach unmodern sind.

Guter Punkt! Ich sehe das allerdings auch so, dass es manchmal sehr leicht ist, sich hinter der Forderung nach Toleranz zu verstecken, d.h. abzublocken mit "Das ist nunmal meine Meinung, und dabei bleibe ich", anstatt sich Gedanken zu machen - d.h. jede (sachliche) Kritik wird gleich als Angriff verstanden und so im Keim mit der Forderung nach Toleranz erstickt.

Wobei es keine Rolle spielt, wie "schwachsinnig" oder "intelligent" die Kritik war - aber falls sie unbesehen (d.h. ohne ihre "Schwachsinnigkeit" oder "Intelligenz" herausgefunden zu haben) fortgeworfen wird ist das in meinen Augen ebenso Engstirnigkeit, Arroganz und Rechthaberei.

 

Genau der zitierte Satz ist mit in Zazas Antwort auch ins Auge gesprungen! Über Toleranz kann man ja unendlich lange diskutieren. Das Thema läßt sich gleichsam auf die Frage "Was ist Wahrheit?" zurückführen. Meines Wissens gibt es dafür schon einen eigenen Thread.

Was Zaza in ihrer Antwort meint und im Posting ein bißchen blaß rüberkommt, ist die Schwierigkeit, Toleranz zu praktizieren. Da kommt es auf die Balance an: Was kann/will man erlauben, was hingegen beschränken? Die Suche nach der Antwort verfolgt einen das ganze Leben lang. Hier ein paar Beispiele:

  • In der Politik ist es eine Gratwanderung zwischen Demokratie und Zentralgewalt;
  • in der Kindeserziehung: Kreativität oder Anpassungszwang;
  • in der Religion: Respekt oder Missionierung;
  • beim Posten von Meinungen hier auf KG: Kuschelkritiken oder Giftladung?
Ich glaube, da wird sich die Menschheit wohl niemals einig.

Schöne Grüße,
Emil

 

Zaza schrieb:
Die Geschichte hat mehrere Bearbeitungsphasen durchlaufen. So weit ich mich erinnere, wurde sie besonders oft gekürzt. Aber nachdem ich sie gepostet hatte, habe ich nichts mehr an ihr gemacht. Wieso auch? Der Einzige, der auf sie reagiert hat, war jemand, der selbst gerne ähnliche Thematiken behandelt. Sonst war Totenstille und ich hab gedacht: Ok, interessiert sich wohl keiner für. Deswegen hab ich auch keinerlei solcher Geschichten mehr geschrieben. Fällt mir eh schwer. Ich merke mir aber den Punkt für künftige Texte.
Ich bin also keiner? Und derjenige, der die Geschichte empfohlen hat, auch nicht?
Entschuldige bitte, aber mir scheint, hier betreibst du zu tiefe Schwarzmalerei.
Nicht, dass der Text heute an Brisanz verloren hätte - sowas könnte sie gar nicht in Deutschland - aber jetzt und zum damaligen Zeitpunkt speziell hätte die Geschichte durchaus eine Überarbeitung verdient gehabt. Eine Überarbeitung - hinsichtlich Handlung möchte ich nicht unbedingt sagen, diese hatte ich kaum vermißt - aber hinsichtlich der Hintergründe. Und zwar nicht, warum man sich über die Passagen der Politiker aufregt, deren Inhalte man selbst tagtäglich praktiziert, sondern, an meine erste Antwort knüpfend, warum sich diese "Anderen" so aggressiv defensiv verhalten. Wieso dieses Verhalten auf Abscheu stößt und wie eben diese es dabei selbst verursacht.

Letztens hatte ich den Text erneut gelesen. Komplexes Verstehen bzw. Verständnis war kein Thema mehr. Im Gegenteil. Könnte daran gelegen haben, dass ich den Text schon kannte oder eben meine Aufnahme von Verständnis erfahrungsgemäß eine entwickelte ist. Mein Blickpunkt zu diesen Themen ist ja noch der gleiche, zumindest gehe ich davon aus.
Eher ein Defizit im Verständnis bezüglich oben genannter Aspekte, das las ich heraus.

Und ein Thema nicht zu behandeln, bloß, weil dieses nicht ausreichend Resonanz erhält - seit wann orientierst du dich nach der Masse der kurzgeschichten.de-Gemeinde?

 

Ach, das hast Du schon damals kritisiert? Ist mir wohl entgangen. Naja, ich richte mich eigentlich nicht nach der kg.de-Gemeinde. Es fällt mir aber sehr schwer solche Texte zu schreiben, und wenn man nicht einmal dazu motiviert wird, tja dann lässt man es halt bleiben. Klar ist das nicht besonders intelligent, aber wenn ich über solche Themen schreibe, dann weil ich nach dem Gespräch suche. Nicht nur, weil ich es für wichtig halte, sondern auch weil es für mich wichtig ist.

Und zu Deinem Kritikpunkt, der mir erst jetzt deutlich geworden ist: Mir scheint, das ist ein Thema für sich. Weiß nicht genau, wie ich den Text dahingehend überarbeiten kann, ohne dass er eben zu lang wird. Weiß nicht, ob sich das noch interessant genug lesen würde. Wenn Du Vorschläge hast, dann her damit. Ich bin ja froh über jede Denkanregung.

Seaman, da hast Du Recht! Dreitausend Mal am Tag begegne ich diesen Menschen, die sich hinter der Forderung nach Toleranz oder sogar hinter dem Vorwurf des Rassismus verstecken. Ums mal so zu sagen: Da kriech ich das Kotzen! Aber diese Haltung "Das ist eben meine Meinung..." tritt wiederum auf beiden Seiten vermehrt auf. Das ist dann immer der Schlusspunkt, wenn klar ist, dass beide oder zumindest eine Seite nicht zum Diskutieren fähig ist. Denn dass die beiden Seiten verschiedene Meinungen repräsentieren, na das ist ja doch eh klar und sagt eigentlich gar nichts.

 

Ich wollte eigentlich nur auf die Widersprüchlichkeit hinweisen, zwischen "nur einer hat sie kritisiert" + "jmd. hat sie empfohlen" contra "interessiert sich wohl keiner für". Aber egal. Hat wohl nicht gezündet.
Mir ist schon klar, dass du auf andere Meinungen, Rücksprache und ggf. Argumentationen aus bist und hier nicht die Seele wund schreibst, um dich davon zu lösen.

Ob der Text die vorhandene Dichte beibehhalten kann, wenn man sie durch die "Hintergründe" erweitert, ist für mich auch eher fraglich. Zugegeben, ich persönlich hätte diesen Kritikpunkt zwar angenommen, aber nicht unbedingt an diesem Text statuiert. Eben wegen der Befürchtung um die Atmosphäre. Und nicht zuletzt deswegen, weil deine Gedanken ja wohl übermäßig anzukommen scheinen, wenn man den Interpretationen hier so folgt.
Aber der Hauptaspekt ist ja eher, ob eine solche Erweiterung auch tatsächlich in deinem Sinne ist.
Ich helfe dir nicht unbedingt auf die Sprünge, wenn ich dir meine Wunschvorstellung von dem Text unterschiebe. Schließlich muss ich als Leser und Kritiker ja wissen, was dein fixierter Zielpunkt ist mit der Geschichte. Einfach was hineinzuinterpretieren und dann auf die Einarbeitung von Vorschlägen, ausgehend von dieser Interpretation, zu bestehen und bei Nichteinhaltung die Kritikfähigkeit in Frage zu stellen, darum kann es ja nicht gehen. Deshalb korrigiere ich mal den Vorschlag von der Überarbeitung zum Vorschlag einer erweiterten Variante.

Die Konfrantation der Erzählerin mit Yasmina. Die Erzählerin regt sich darüber auf, dass nicht auf die Vorwürfe eingegangen wird. Wieso trägt Yasmina ein Kopftuch? Ist es familärer Zwang? "Schutz und Zurückgezogenheit"? Oder wird sie durch demonstartive Religiösität materiell unterstützt? Das Stichwort von Milli Görüs fällt ja.
Woher kommt die starke Religiösität/Religiongebundenheit bzw. die Instrumentalisierung dessen bei den Angehörigen muslimischen Glaubens in Deutschland bzw. Europa? Woher die Abneigung der Erzählerin und der "Deutschen"?

Aber ich sehe schon, das würde zu tehmenübergreifend werden. Und den Rahmen der eigentlichen Aussage womöglich eindämmen.

 

Hey Zaza,
lass dich nicht von fehlender Resonanz entmutigen. Es genügt, wenn ein Text auch nur einen einzigen Menschen zum Nachdenken anregt und er darauf vielleicht etwas ändert... Ich halte deinen Text, wie schon gersagt, für sehr wichtig. Und nur weil vielen vielleicht nicht einfällt, wie er zu kritisieren ist, oder ihre Reaktion lieber für sich behalten und du daher weniger Antworten erhälst, heißt noch lange nicht, dass niemand ihn liest. Oder dass niemand ihn aufnimmt und sich damit beschäftigt. Ich hab mich bei meinem Kommentar auch schwer getan, schwerer als gewöhnlich. Vielleicht wars manchen zu schwer.
Gruß
Anea.

 

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