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Selbstzweifel

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12.01.2007
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Selbstzweifel

Sie ließ die vergilbte Postkarte aus ihrem Blickfeld sinken. Dies war der Ort, von dem sie immer geträumt hatte, der ihre Gedanken beherrscht hatte, seit jenem Tag. Es war der Ort an dem sie ihren letzten Mord begehen würde. Den Mord an sich selbst.
Vor zwei Monaten war sie zurückgekehrt. Als anderer Mensch, der den Vergleich zu vorher nur im Äußeren zu bestehen vermochte. Der Schein des Todes verfolgte sie, küsste sie jeden morgen mit seinem bitteren Mund wach und vernebelte ihre Gedanken.
Sie hatte getötet. Oder war es Mord? Wer wusste das schon? Ihre Vorgesetzten sagten, es wäre ihr Job gewesen, und sie hätte richtig gehandelt. Aber ihr Kopf wusste, sie hatte gemordet.
Und nun wurde sie selbst getötet, jeden Tag aufs Neue wurde ihre Seele erstickt.
Natürlich, es war Notwehr gewesen. Aber was machte das schon?
Das Auto hätte mit Sprengstoff bestückt, hätte sie alle in Stücke reißen können. Sie hatte nur das Scheinwerferlicht gesehen und hatte blind gefeuert. Kurz vor ihr war der Wagen stehen geblieben. Sie hatte aufgeatmet und mit ihrer Taschenlampe das Auto durchleuchtet.
Dort, auf der Hinterbank. Ein Kind von vielleicht zehn Jahren. Regungslos. Auf seine toten Eltern starrend.
An diesem Abend hatte sie zwei Menschen mit ihren Kugeln getötet. Aber der Blick dieses Kindes war tödlicher gewesen als jedes Gewehr. Er fügte ihr keine Gewalt zu, sondern ließ sie sich selbst töten, an Zweifeln.
Kurz nach jenem Tage hatte sie die Postkarte erhalten und nun blickte sie auf den erhabenen Berg, schneebedeckt und verhüllt von sanften Wolken. Unerschütterlich.
Sie stand am Rande eines kleinen Sees, dessen Ufer sanft gegen den Berg hin anstieg und gesprenkelt war mit weichen Tautröpfchen.
Dies war der richtige Ort zum Sterben.
Sie legte ihre Kleider sorgfältig neben das Ufer und steckte die Postkarte dazwischen. Der Wind ließ die mächtigen Pinien vor ihr sich biegen, doch er vermochte nicht sie zu brechen. Sie richtete ihren Blick auf den Berg und setzte einen Fuß ins Wasser.
Es war eisig; Genau richtig.
Es würde ihre Gedanken verstummen lassen.
Sie schloss die Augen.
Das Kind war dort, durchbohrte sie, ließ sie zittern.
Sie ließ los und fiel ins Wasser. Ihr Herz setzte einen Schlag aus und das Kind verschwamm vor ihren Augen, bis es bald darauf völliger Schwärze gewichen war. Sie öffnete die Lider und sah hinauf. Der Berg wirkte klein und unscharf durch das Wasser. Sie fühlte sich, als könne sie alles schaffen. Jeden Berg erklimmen.
Sie atmete aus und ließ den Druck von sich.
Sie schloss die Augen wieder und sog Wasser in ihre Lungen. Tausende Eisnadeln durchdrangen ihren Körper. Die Kälte wich einer Wärme, das tote Leben dem Tod.
Außerhalb des Wassers hob der Wind ihre Kleider empor und verstreute sie ins Tal.
Nun war sie frei.

 

Hm. Hat was. Gut geschrieben ist es auf jeden Fall und du weißt, wie du mit Worten spielen kannst.

Ich würde gerne mehr über die Motive erfahren.

Es war der Ort an dem sie ihren letzten Mord begehen würde.
Da hat sie den Mord doch aber begangen? Nur, wieso? (fragt sich der Leser)

Ansonsten würde ich Absätze irgendwie gut finden... Sie sorgen für die nötigen Pausen.

Sprachlich okay. Aber da fragen wir lieber Tserk ;) der kennt sich damit besser aus *g*

Lg,
Mag

 

Hallo Magnolia,

vielen Dank für die Kritik erst mal.
Bei den Absätzen hatte ich auch überlegt, hab dann aber gedacht, dass es vielleicht zu viele Pausen würden. Aber stimmt da könnt man noch mal drüber nachdenken.

Zu den Motiven:
Ist schon etwas länger her, dass ich die Geschichte geschrieben hab, also weiß nich mehr alles so genau.
Ich hatte auf jeden Fall davor im Spiegel was über eine amerikanische Soldatin gelesen, die eben auf ein Zivilauto geschossen hatte und dann die Eltern von nem kleinen Kind tötete.
Ich hab dann ne Weile rumexperimentiert und bin dann zu dieser (geb ja zu eigenartigen) Variante mit der Postkarte gekommen.
Ich setz mich momentan viel mit Krieg und Terrorismus auseinander und frag mich dann immer wieder wie die Soldaten mit ihren Erlebnissen seelisch fertig werden.
Selbstmord ist da sicherlich die drastischste Möglichkeit, aber viele kommen mit ihren Taten bestimmt sehr schlecht klar.

Ich versteh deine Frage zu dem Zitat grade nicht ;) ..würd aber gerne drauf antworten.

Gruß
Marximus

 

Moin Marximus.

Ich habe mal gelesen, dass man sich nicht selbst ertränken kann, so ohne Hilfsmittel wie ein Betonklotz an den Füßen, weil der Überlebenswille immer stärker ist. Aber das kann ja auch falsch sein.

Dein Text war ganz nett, und wie Magnolia schon sagte, so kannst du mit Worten umgehen. Wirklich schön geschrieben; du erzeugst mit wenigen Worten durchaus Empfinden beim Leser. Kompliment.

Fazit: Hat mir gefallen.

Gruß! Salem

 

Moin Salem,

da hab ich ehrlich gesagt noch nie drüber nachgedacht, ob man sich selbst ertränken kann. War da einfach mal von ausgegangen.

Auf jeden Fall danke für die Kritik und den Hinweis.

Gruß
Marximus

 

Erstmal zum Text: Hat irgendwie eine ganz besondere Stimmung. Die Farben die ich beim lesen wahrgenommen habe haben mir sehr gut gefallen. Hat was außergewöhnliches und, so schließe ich mich an, ist sprachlich top. Die Motive waren mir allerdings zunächst auch nicht ganz klar.
mfg,
lateral-us

 

Hi Marximus,

ich weiß selbst nicht mehr, was ich damit meinte *schäm*

Zu dem Ertränken: Du schreibst, dass das Wasser eisig ist. Es könnte also durchaus funktionieren, wenn sie lange genug drin bleibt. Denn dann setzt die Durchblutung irgendwann aus und man wird bewusstlos. Und ertrinkt.

Ich setz mich momentan viel mit Krieg und Terrorismus auseinander und frag mich dann immer wieder wie die Soldaten mit ihren Erlebnissen seelisch fertig werden.
Selbstmord ist da sicherlich die drastischste Möglichkeit, aber viele kommen mit ihren Taten bestimmt sehr schlecht klar.
Da geb ich dir recht, und sicher lässt einen das nie wieder los, wenn man sowas erlebt hat. Auch, wenn man es jahrelang verdrängt hat. Ein sehr ernstes Thema.

Lg,
Mag

 

Hi,

schön geschriebene Geschichte. Mich stört nur die Stelle, in der sie sich fragt, ob sie getötet oder gemordet hat. Das erscheint mir ein wenig aufdringlich, zumal alles andere verschwommen bleibt. Warum also hier direkter werden?
Ansonsten wirklich Top, gerne gelesen.

Gruß
Isaak

 

Hallo alle,

@lateralus:
Danke für deine Kritik, freut mich, dass sie dir gefällt.

@mag

Zu dem Ertränken: Du schreibst, dass das Wasser eisig ist. Es könnte also durchaus funktionieren, wenn sie lange genug drin bleibt. Denn dann setzt die Durchblutung irgendwann aus und man wird bewusstlos. Und ertrinkt.
Das könnt durchaus sein. Aber würde da dann nicht auch der gleiche Selbsterhaltungstrieb sie aus dem Wasser treiben, so wie wenn man im Eis einbricht?

@Isaak
danke für deine Kritik.

Mich stört nur die Stelle, in der sie sich fragt, ob sie getötet oder gemordet hat. Das erscheint mir ein wenig aufdringlich, zumal alles andere verschwommen bleibt. Warum also hier direkter werden?
Wollte damit nur aussagen, dass es für sie eben mehr war, als für ihre Vorgesetzten, für die das Töten Notwehr gewesen war und zum Krieg dazu gehört.
Für die Frau ist das hingegen so, als hätte sie die Menschen mutwillig erschossen, so als hätte sie sich einen Mord vorgenommen.
Kann aber durchaus sein, dass das nicht so gut rüberkommt.

Gruß
Marximus

 

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