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Shape
Guten Morgen.
Ok, eigentlich ist es früher Nachmittag. Aber wenn man etwas beginnt, dann sollte es mindestens so aussehen, als ob da ein Anfang wäre. Und außerdem bin ich gerade aufgewacht. Ein bisschen komisch ist das schon, beim Duschen einfach so ins Headset zu erzählen, ohne dass einem jemand direkt zuhört. Aber ich stell mir einfach vor, ich hätte Peach oder Nikita oder eine von den Mädels angerufen, um mal wieder ausgiebig zu schwatzen. Die letzten drei Wochen mussten ja unter strengster Geheimhaltung ablaufen. Uuuuh, wie ätzend! Aber dafür werd’ ich es ihnen heute Abend zeigen. Das war es wert. Wie sagt Popshee immer? „Kein Erfolg ohne Opfer!“ Fast einen Monat in der Versenkung zu verschwinden ist heutzutage schon ein ganz schönes Risiko. Ruckzuck wird einem im Webvision irgendeine fiese Sache angedichtet und wenn man es nicht sofort wieder grade richten kann, kriegt die ganze Performance Schlagseite.
Aber egal. In drei Stunden ist das Versteckspiel vorbei und ich bin wieder voll da. Dieser nette Ghostwriter mit den braunen Plüschaugen … oh … ähm … na, egal ... der wird meine Story durchs Web jagen und mein Foto wird die Berichte über die letzten drei langweiligen Katastrophen von allen Startseiten verdrängen. Webvision lässt ordentlich Asche springen. Ich kann das Doktorchen bezahlen und wenn noch was übrig bleibt, leiste ich mir einen schicken, offenen Hoverjet. Popshee soll schön still sein mit seiner Moral und den weisen Sprüchen und sich stattdessen lieber um die wichtigen Finanzmärkte kümmern. Jedem das seine. Und außerdem bin ich jetzt 16 und kann meine eigenen Entscheidungen treffen.
Beinah hätten er und seine Ethikwächter mir den schönen Plan kaputtgemacht. Aber das Doktorchen ist halt noch ein Bit cleverer. Hat sich einfach diese Plattform ins Meer gebaut. So was ähnliches, wie diese Teile, die man früher benutzt hat, als es sich noch lohnte, im Meer nach irgendwelchen Bodenschätzen zu buddeln. Natürlich ist seine viel schicker. Die Klinik hat jeden Komfort und wenn man grad kein Unwetter erwischt, kann man glatt vergessen, dass man nur ein winziger Punkt auf dem Ozean ist. Dort, wo das Wasser keinem gehört. Da ist er König und kann machen was er will.
Anders könnte er seine Arbeit ja auch gar nicht realisieren. Ach was, Arbeit. Kunst ist das. Und die Gesetze hier auf dem Festland wollen seine künstlerische Freiheit einschränken. Ständig dieses Gerede von wegen Gott ins Handwerk pfuschen und so. Wenn's nach diesen Ehtikfritzen geht, sind wir bald wieder im Mittelalter, wo man nicht mal seine eigenen Föten versteigern lassen darf.
Eigentlich hatte ich mich ja auf die Plattform fliegen lassen, in der Hoffnung, der Doktor könnte was mit meinen Stimmbändern tun. Popshee hatte mir ins Gewissen geredet, dass ich mir mal langsam Gedanken machen soll, wo mein Leben hinführt. Und irgendwie hat er ja Recht, auch wenn ich das ungern sage. Eine Weile lang kann man für Webvision schon interessant bleiben, wenn man sich als reiches Töchterchen ab und an was einfallen lässt. Aber schön sein alleine reicht halt nicht mehr. Das kannst du heute bei jedem Hausarzt haben. Und Skandale sind ja auch so was von anstrengend. Also dachte ich mir, ich steig mal in der Musikbranche ein. Glücklicherweise hat das Doktorchen mich schnell überzeugt, dass Stimmbandshapes bald viel zu verbreitet sind und niemanden mehr vom Hocker reißen. Der Retro-Style ist wieder im Kommen. Sieht man ja schon, dass jeder wieder die naturidentischen Farben will. Voll boof übrigens, dieser nachtschwarze Ton für meine Haare, nachdem ich sie so lange türkis hatte. Oh, wenn wir schon beim Thema sind – es wird Zeit, die blasse Antje raufzurufen, damit sie mir das Kleid richtet und die Frisur aufsteckt. Mein Rücken soll ja gut zu sehen sein, wenn ich nachher über den roten Teppich laufe.
Am Anfang fiel es mir ziemlich schwer, nach der Operation immer nur auf dem Bauch zu liegen. Gut, dass ich mir nicht gleichzeitig noch den T&A-Shape hab machen lassen, sonst hätte man mich zum Schlafen an den Füßen aufhängen müssen. Wie eine kleine Fledermaus. Sicher werden auch Peach und Nikita und die ganzen anderen Zicken mit frischgestylten Rundungen zur Party erscheinen. Aber bei dem, was ich zu bieten habe, dürfen die anderen Stellen ruhig ein bisschen naturbelassen sein. Wegen dem Kontrast, sagt der Doktor. Sicher wird er über Webvision alles genau verfolgen. Er kann ja nicht weg von seiner Plattform, weil sie ihn sofort einkassieren würden. Ist auch besser so, sonst würde womöglich er im Rampenlicht stehen und nicht ich.
So, ich muss mich jetzt drum kümmern, dass Antje das Öl richtig aufträgt, damit das Metallizé-Kleid auch überall ordentlich haftet. Das ist eine hochkomplizierte Angelegenheit. Ich will ja nicht, dass Webvision auf der ganzen Welt Bilder von mir zeigt und ich hab dann Luftblasen am Hintern. Und bevor ich abgeholt werde, muss Antje unbedingt noch diese reflektierende Creme auf die Flügel auftragen, damit das durchscheinende Gewebe im Kameralicht später gut zu erkennen ist. Nur schade, dass sie zum Fliegen zu klein sind. Aber der Doktor hat versprochen, dass er das bis in zwei Jahren auch auf der Reihe hat. Und dann macht er mir ein neues Paar.