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10.07.2002
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Es klopfte.
„Mmmh“, war alles, was ich raus bekam.
Die Tür wurde geöffnet, jemand ging schnurstracks durch das Zimmer und zog mit einem Ratsch die Rollos hoch. Träge blinzelte ich in das grelle Sonnenlicht.
Herbert. Wer sonst. Grinsend präsentierte er mir seine Zahnlücken.
„Was soll das?“, fragte ich.
Ohne zu antworten ging er zu meiner Stereoanlage.
Ich wollte ihn noch warnen, doch es war zu spät. In voller Lautstärke kreischten AC/DC ihre Version von „River deep, mountain high“. Hätte ich geahnt, dass dies das Menetekel für den heutigen Tag sein sollte, ich hätte mich in meinem Bett vergraben und wäre nur aufgestanden, um Hamlet zu füttern.
„Raus aus den Federn“, quietschte Herbert vergnügt, nachdem er den Kängururockern den Saft abgedreht hatte.
Ich schaute auf meinen Wecker.
„Hast du eigentlich nichts Besseres zu tun, als mich immer wieder zu dieser unchristlichen Zeit zu wecken?“, grummelte ich.
„Schon vergessen? Du hast heute Abend ein Date. Ich werde dir beim Einkleiden beratend zur Seite stehen.“
Der Gedanke an die Verabredung mit Eva heiterte mich sofort auf. Ich wollte sie später vom ‚Extrablatt’ abholen. Dass Herbert sich in den Kopf gesetzt hatte, mich einzukleiden, drückte die Laune allerdings wieder.
„Dann schau dich schon mal in meinem Kleiderschrank um“, sagte ich und ging ins Bad.
Fünf Minuten und eine Katzenwäsche später stand ich einem schockierten Herbert gegenüber.
„Das soll ein Kleiderschrank sein?“, fragte er. „Da sieht mein Wäschekorb aufgeräumter aus. Wir müssen dich komplett neu einkleiden, sonst bekommst du von Eva keine Landeerlaubnis.“ Immer diese Anspielungen. Ich wusste, dass ich ihn von dieser Idee nicht mehr abbringen konnte und fügte mich in mein Schicksal.
„Okay, also ab in die Stadt“, sagte ich munter.

Ich mach’s kurz. Kein Geschäft war Herbert gut genug. „Alles Nepp“, sagte er, als wir den fünften Designerladen verließen.
„Was schlägst du vor?“
„Lass uns nach Wiesbaden fahren. Da kenn ich einige schnuckelige Läden.“
Der erste Laden gehörte Designer-Dieter, einem alten Freund von Herbert. Und hier wurde Herbert fündig. Ein Jeansrock mit einem Gürtel so breit wie der Grand Canyon, eine farblich passende Bluse (laut Herbert, ich kenn mich mit so was nicht aus), ein Seidentuch mit aufgedruckten Flugzeugen („Die werden Eva gefallen, vertrau mir“, sagte Herbert) und ein Hut in der Größe eines Wagenrades.
„Ich hatte nicht vor, Eva nach Ascot zu entführen“, sagte ich und schaute den Monsterhut zweifelnd an.
„Aufsetzen“, befahl Herbert.
Dieter stand die ganze Zeit daneben und ließ Herbert machen. Er hatte außer einem „Moin, Moin“ nichts mehr gesagt. Schien einer der maulfaulen Sorte zu sein. Muss es ja auch geben.
Der Hut stand mir besser, als ich gedacht hatte.
Ich wollte mir die Klamotten einpacken lassen, aber Herbert meinte, ich müsse reinwachsen, sonst würde ich mich heute Abend nicht wohl fühlen.
Also behielt ich Rock und Bluse an, schwang mir mit ungeübtem Schwung das Seidentüchlein um den Hals und warf den Hut auf den Rücksitz.
„Back to Mainz.“
“Genau. Mach mal das Radio an.“
‚Highway to hell’. Die schienen uns zu verfolgen.
Ich wollte gerade eine kluge Bemerkung dazu machen, da trat Herbert voll auf die Bremse.
Wir standen vor einer Barrikade und einem finster blickenden Menschen in grüner Uniform.
Mit seinem Helm mit Plastikvisier, seiner Schutzweste, dem an der Seite baumelnden Schlagstock und der demonstrativ vor der Brust hängenden Maschinenpistole sah er kampferprobt aus. Er gab uns mit Handzeichen zu verstehen, dass wir umdrehen sollen.
Herbert kurbelte das Fenster runter.
„Was ist denn los?“, fragte er.
Der grün Uniformierte gestikulierte weiter. Noch so ein Maulheld, dachte ich. Dann fiel mir ein, dass auch die Theodor-Heuss-Brücke gesperrt war.
„Wir müssen hier rüber, die andere Brücke ist auch gesperrt“, sagte ich zu Herbert und knuffte ihn in die Seite.
„Wie denn, wenn Robocop uns nicht durchlässt.“
Ich überlegte.
„Kehr um“, sagte ich.
„Was?“
„Dreh um, dann runter zu den Rheinwiesen. Den Weg kennst du.“
Herbert fragte nicht weiter.

An den Rheinwiesen angekommen, lotste ich ihn zu einer versteckten Anlegestelle. Wir hielten an und stiegen aus.
Ich zeigte auf ein Ruderboot.
„Du spinnst ja“, war alles, was Herbert dazu einfiel.
„Ich habe ein Date. Meine erste Verabredung mit Eva. Die lasse ich doch nicht sausen, nur weil alle Brücken zwischen Mainz und Wiesbaden gesperrt sind. Pack an.“
Er schüttelte zwar seinen Kopf, doch er packte mit an. Auf Herbert konnte ich mich verlassen.
Wir zogen das Boot zum Ufer.
„Kannst du überhaupt rudern?“, fragte Herbert keuchend.
„Mein Großvater war Rheinschiffer, da wird seine Enkelin wohl noch rudern können“, antwortete ich und spuckte in die Hände.
Bis zur Mitte des Stroms ging es relativ einfach. Dann kam uns ein holländischer Kohlekutter in die Quere. Wir konnten einen Zusammenstoß zwar vermeiden, aber der Wellengang brachte uns von unserem Kurs ab. Ich versuchte gegenzusteuern, aber allmählich ließen meine Kräfte nach. Langsam zog das Panorama von Mainz an uns vorbei. Ich hatte vorgehabt, vor dem Hilton an Land zu gehen. Von dort bis zum ‚Extrablatt’ ist es nur ein Katzensprung. Doch jetzt musste ich von Glück sagen, wenn wir nicht in Weisenau landeten. Ich kämpfte gegen die Strömung und die immer noch über den Bootsrand schwappenden Wellen. Herbert kämpfte ebenfalls, allerdings mit dem Inhalt seines Magens. Dass Männer immer so empfindlich sind.
Schließlich landeten wir in der Nähe des Mainzer Bootshafens. Wie passend, dachte ich.
Ich versuchte das Boot seitlich ans Ufer zu steuern.
„Du musst rüberspringen und das Tau festbinden“, sagte ich, während ich mit den Paddeln hantierte.
„Ich?“, fragte Herbert, ganz grün im Gesicht.
„Ja, du. Ich hab genug damit zu tun, das Boot einigermaßen auf der Stelle zu halten.“
Herbert schaute mich noch mal an, stand dann auf und wollte springen. Dabei rutschte er aus und fiel ins Wasser. Nach kurzer Zeit tauchte er wieder auf.
„Ich kann nicht...“ Und schon war er wieder weg.
„schwimmen“, sprotzte er, nachdem er wieder aufgetaucht war.
Ohne zu überlegen, sprang ich ihm hinterher. Ich griff ihm unter die Arme und zog ihn rückwärtsschwimmend zum Ufer. Das Boot machte sich inzwischen auf den langen Weg nach Holland.
Ich legte Herbert auf die Wiese und mich daneben.

„Weißt du, was paradox ist?“, fragte ich, nachdem ich wieder einigermaßen normal atmen konnte.
„Was denn?“, fragte Herbert.
„Den ganzen Tag damit zu verbringen, Designerklamotten anzuprobieren und teuer Geld auszugeben, nur um zum Schluss doch die alten Jeans anziehen zu müssen“, sagte ich und fing an zu lachen.
„Wobei die ästhetisch immer noch nix hergeben“, sagte Herbert und fiel in mein Lachen ein.

 

Hallo George!

Die Geschichte ist Dir in meinen Augen wirklich gelungen! :)
Sie ist flüssig erzählt und hat eine nette Handlung. Und sie gefällt mir um einiges besser als „Good day sunshine“, da ich sie viel spritziger finde und auch diese Bemerkungen (Landeplatz usw.), die mich in der anderen Geschichte gestört haben, nicht da sind. ;) Vielleicht liegt es aber auch daran, daß ich jetzt schon dran gewöhnt bin, daß die Protagonistin kein Mann, dafür aber lesbisch ist. :D

Da es sich hier um die selbe Protagonistin und, wie mir auch aufgefallen ist, sogar den ganz gleichen Geschichtenbeginn handelt, gehören die beiden (mehr gibts davon noch nicht, oder?) jetzt eigentlich zu den Serien. Überleg Dir doch mal einen gemeinsamen Titelbeginn, dann kann ich sie verschieben und Abraxas schreibt sie in den Genrethread. :)

Ein paar Kleinigkeiten noch:

»nachdem er den Kängururockern den Saft abgedreht hatte«
- Känguruh

»nichts besseres zu tun«
– nichts Besseres

»heiterte mich sofort auf. Ich wollte sie später vom ‚Extrablatt’ abholen. Das Herbert sich in den Kopf gesetzt hatte, mich einzukleiden, drückte die Laune aber sofort wieder.«
– zweimal „sofort“
– Dass Herbert …

»Fünf Minuten und eine Katzenwäsche später stand einem schockierten Herbert gegenüber.«
– da fehlt wohl ein „ich“ ;)

»Das Männer immer so empfindlich sind.«
– Dass

»„schwimmen“, sprotzte er«
– „sprotzte“? Zumindest ich kenn das Wort nicht…

Hab die Geschichte auf jeden Fall gern gelesen. :)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo George


der Kritik von Häferl, kann ich mich nur anschließen. Auch ich habe die Vorgeschichte gelesen, und einen deutlichen Anstieg in Witz und Spannung erkennen. Die Hauptfiguren hab ich dank deiner ausführlichen Beschreibung, deutlich vor meinem inneren Auge gesehen. Wäre schön in Zukunft noch mehr, von Herbert und Sara, lesen zu dürfen. Eine Idee von mir, las Sie doch mal ein Date haben, vielleicht mit Herbert im Schleptau? Bin gespannt was kommt.


In freudigen Erwartung

Morpheus:thumbsup:

 

Hallo ihr zwei,

vielen Dank für die Kommentare. Schön, dass euch die Geschichte gefallen hat. Die von Susi angeführten Vertipper sind inzwischen korrigiert. Ein Känguru ohne h sieht zwar doof aus, ist aber nach der NDR korrekt. Da ich sowieso ein Gemisch aus ADR und NDR habe, hätte ich das Känguru auch zum Känguruh ändern können, aber ich hab's dennoch gelassen. Warum auch immer. Nennt es Faulheit, nennt es Sturheit.

Es gibt schon eine dritte Geschichte, die mir allerdings noch nicht so richtig gefällt. Mal sehen, vielleicht komme ich diese Woche noch dazu, sie zu überarbeiten. Leider klappt das in der Geschichte immer noch nicht mit Saras und Evas Date. Irgendwie scheint immer etwas dazwischen zu kommen. Schon seltsam :rolleyes:

Ach ja, danke für das Angebot, die Geschichte nach Serien zu verschieben. Titel? Fällt mir grad keiner ein. Bis auf "Sara". Aber das ist ja selten einfaltslos. :susp:

Ich denk noch mal nach. Spätestens, wenn die dritte Geschichte in trockenen Tüchern ist, wird mir was einfallen.

Viele Grüße
George

 

hi george,

gekonnt erzählt. besonders leicht und lebendig.
das ende und die kritiken verraten mir, dass es noch eine fortsetzung geben wird.
vielleicht fehlt mir dann auch die vorgeschichte, denn ich muss kritisch angeben, dass ich erst in der mitte der geschichte erfahre, dass es sich um einen weiblichen hauptdarsteller handelt. der leser geht selbstverständlich immer erst vom normalen aus, so findet ein date mit eva natürlich mit einem mann statt. so bekam z.b. der wagenradgrosse hut für mich ein völlig anderes bild, als du deinem leser geben wolltest.
doof, wenn der leser in der mitte der geschichte dann anfangen muss, seine vorstellungen zu korrigieren.
dennoch - schönes schreibtalent!

bye

barde

 

Hi Barde,

Du hast natürlich Recht. Es wird viel zu spät deutlich, dass es sich bei meinem Prot um eine Frau handelt. Hab ich irgendwie verpeilt :rolleyes:
Bin wohl davon ausgegangen, dass jeder die Vorgeschichte kennt.

Wie ich Susi schon gesagt habe, werde ich die Geschichte(n) demnächst nach Serien verschieben lassen, dann dürfte es keine Irritationen mehr geben.

Danke für den Kommentar.

Viele Grüße
George

 

Hallo George,
bin gerne deinem Hinweis gefolgt und finde auch diese Geschichte recht ansprechend. Ich hatte, weil ich die Vorgeschichte ja schon kannte, keine Probleme mit deinen beiden Protagonisten, glaube aber, dass es anderen Lesern, die nicht die Vorgeschichte kennen, eventuell nicht so ergeht.

Dein Hinweis, Sarah sei hier klarer gezeichnet, ist zu relativieren. In dieser Geschichte begegnet sie keiner Frau, erscheint daher auch nicht besonders männlich, wie in der Vorgeschichte, so dass du hier keine Probleme in der Darstellung versus Vorstellung beim Leser produzierst.
Mein Wunsch Sarah in der Vorgeschichte klarer zu zeichnen, bleibt daher bestehen und für die Zukunft bist du ebenfalls nicht davon befreit, sie konturierter darzustellen.
Wenn du all deine Geschichten jedesmal mit dem Hochziehen der Rollos und dem morgendlichen Wecken beginnen willst, dann ist das ok, ansonsten fände ich es bereits bei dieser Geschichte passender, wenn du jeweils andere Einstiege findest.

Fazit: eine runde flotte Geschichte, ohne besonderen Tiefgang, aber mit einem fröhlichen Unterton, der mir gut gefiel.

Lieben Gruß
lakita

 

Hallo lakita,

danke auch für diesen Kommentar.

Wenn du all deine Geschichten jedesmal mit dem Hochziehen der Rollos und dem morgendlichen Wecken beginnen willst, dann ist das ok, ansonsten fände ich es bereits bei dieser Geschichte passender, wenn du jeweils andere Einstiege findest.
Ich weiß noch nicht. Ich kam noch nicht dazu, eine weitere Fortsetzung fertig zu stellen. Bin im Moment nicht in der Stimmung für Geschichten mit fröhlichem Unterton :(
Die nächste Sara-Geschichte, wenn auch noch nicht fertig gestellt, beginnt allerdings wieder mit dem hereinstürmenden Herbert. Ich hatte vor, dies als wiederkehrendes Merkmal zu verwenden, auch wenn es tatsächlich etwas albern ist und sich wahrscheinlich schnell abnutzt.
Mal sehen.

Gruß zurück
George

P.S. Jetzt wollte ich Dir Last great american whale empfehlen, weil ich der Meinung bin, das dies die einzige Story von mir ist, die es verdient hat, gelesen zu werden, aber zu meiner großen Schande musste ich feststellen, dass Du diese Geschichte schon kommentiert hast. Und ich Dir noch nicht einmal für Deinen Kommentar gedankt habe. Zu meiner "Rechtfertigung" kann ich nur anführen, dass ich kg.de bis vor ein paar Wochen nicht sehr ernsthaft betrieben habe. Mein Danke kommt nunmehr sehr spät, aber dennoch von Herzen.
So, und damit genug der Eigenwerbung. Wird ja sonst peinlich :rolleyes:

 

hi George!

Ich kannte die Vorgeshichte auch nicht, es ging mir wie Barde, bin von einem Mann ausgegangen, was mich dann auch etwas verwirrt hat. Aber davon abgesehen eine Geschichte, die mir gut gefallen aht. Flott und lebendig erzählt, mit einer gewissen Ironie. Kurzweilige Unterhaltung, gern gelesen. Keine Stolpersteine. :)

schöne Grüße
Anne

 

Hi Jynx,

von wegen Fledermotte - Wühlmaus wäre die passende Bezeichnung :D
Diese olle Kamellen auszugraben. Aber ich hab's ja nicht anders gewollt ;)

Den Anfang zu wiederholen finde ich eine tolle Idee. Das hätte wirklich Serienpotential.
Mmh, tja - vielleicht sollte ich mich einfach mal in der Wörterbörse umschauen und losschreiben. Hat ja damals auch funktioniert. Wenn, dann nehme ich selbstredend den gleichen Anfang.

Das mit den Brücken hast Du richtig verstanden - wobei ich eine Dritte ganz frech unterschlagen habe :Pfeif: Jetzt, wo Du mich darauf hingewiesen hast, sehe ich das Logikproblem. Warum sind die Brücken gesperrt bzw. wenn sie gesperrt sind, müsste doch ein Stau... Ich denk drüber nach. Sprachs und verpisste sich :D

Liebe Grüße zurück
George

 

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