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Es klopfte.
„Mmmh“, war alles, was ich raus bekam.
Die Tür wurde geöffnet, jemand ging schnurstracks durch das Zimmer und zog mit einem Ratsch die Rollos hoch. Träge blinzelte ich in das grelle Sonnenlicht.
Herbert. Wer sonst. Grinsend präsentierte er mir seine Zahnlücken.
„Was soll das?“, fragte ich.
Ohne zu antworten ging er zu meiner Stereoanlage.
Ich wollte ihn noch warnen, doch es war zu spät. In voller Lautstärke kreischten AC/DC ihre Version von „River deep, mountain high“. Hätte ich geahnt, dass dies das Menetekel für den heutigen Tag sein sollte, ich hätte mich in meinem Bett vergraben und wäre nur aufgestanden, um Hamlet zu füttern.
„Raus aus den Federn“, quietschte Herbert vergnügt, nachdem er den Kängururockern den Saft abgedreht hatte.
Ich schaute auf meinen Wecker.
„Hast du eigentlich nichts Besseres zu tun, als mich immer wieder zu dieser unchristlichen Zeit zu wecken?“, grummelte ich.
„Schon vergessen? Du hast heute Abend ein Date. Ich werde dir beim Einkleiden beratend zur Seite stehen.“
Der Gedanke an die Verabredung mit Eva heiterte mich sofort auf. Ich wollte sie später vom ‚Extrablatt’ abholen. Dass Herbert sich in den Kopf gesetzt hatte, mich einzukleiden, drückte die Laune allerdings wieder.
„Dann schau dich schon mal in meinem Kleiderschrank um“, sagte ich und ging ins Bad.
Fünf Minuten und eine Katzenwäsche später stand ich einem schockierten Herbert gegenüber.
„Das soll ein Kleiderschrank sein?“, fragte er. „Da sieht mein Wäschekorb aufgeräumter aus. Wir müssen dich komplett neu einkleiden, sonst bekommst du von Eva keine Landeerlaubnis.“ Immer diese Anspielungen. Ich wusste, dass ich ihn von dieser Idee nicht mehr abbringen konnte und fügte mich in mein Schicksal.
„Okay, also ab in die Stadt“, sagte ich munter.
Ich mach’s kurz. Kein Geschäft war Herbert gut genug. „Alles Nepp“, sagte er, als wir den fünften Designerladen verließen.
„Was schlägst du vor?“
„Lass uns nach Wiesbaden fahren. Da kenn ich einige schnuckelige Läden.“
Der erste Laden gehörte Designer-Dieter, einem alten Freund von Herbert. Und hier wurde Herbert fündig. Ein Jeansrock mit einem Gürtel so breit wie der Grand Canyon, eine farblich passende Bluse (laut Herbert, ich kenn mich mit so was nicht aus), ein Seidentuch mit aufgedruckten Flugzeugen („Die werden Eva gefallen, vertrau mir“, sagte Herbert) und ein Hut in der Größe eines Wagenrades.
„Ich hatte nicht vor, Eva nach Ascot zu entführen“, sagte ich und schaute den Monsterhut zweifelnd an.
„Aufsetzen“, befahl Herbert.
Dieter stand die ganze Zeit daneben und ließ Herbert machen. Er hatte außer einem „Moin, Moin“ nichts mehr gesagt. Schien einer der maulfaulen Sorte zu sein. Muss es ja auch geben.
Der Hut stand mir besser, als ich gedacht hatte.
Ich wollte mir die Klamotten einpacken lassen, aber Herbert meinte, ich müsse reinwachsen, sonst würde ich mich heute Abend nicht wohl fühlen.
Also behielt ich Rock und Bluse an, schwang mir mit ungeübtem Schwung das Seidentüchlein um den Hals und warf den Hut auf den Rücksitz.
„Back to Mainz.“
“Genau. Mach mal das Radio an.“
‚Highway to hell’. Die schienen uns zu verfolgen.
Ich wollte gerade eine kluge Bemerkung dazu machen, da trat Herbert voll auf die Bremse.
Wir standen vor einer Barrikade und einem finster blickenden Menschen in grüner Uniform.
Mit seinem Helm mit Plastikvisier, seiner Schutzweste, dem an der Seite baumelnden Schlagstock und der demonstrativ vor der Brust hängenden Maschinenpistole sah er kampferprobt aus. Er gab uns mit Handzeichen zu verstehen, dass wir umdrehen sollen.
Herbert kurbelte das Fenster runter.
„Was ist denn los?“, fragte er.
Der grün Uniformierte gestikulierte weiter. Noch so ein Maulheld, dachte ich. Dann fiel mir ein, dass auch die Theodor-Heuss-Brücke gesperrt war.
„Wir müssen hier rüber, die andere Brücke ist auch gesperrt“, sagte ich zu Herbert und knuffte ihn in die Seite.
„Wie denn, wenn Robocop uns nicht durchlässt.“
Ich überlegte.
„Kehr um“, sagte ich.
„Was?“
„Dreh um, dann runter zu den Rheinwiesen. Den Weg kennst du.“
Herbert fragte nicht weiter.
An den Rheinwiesen angekommen, lotste ich ihn zu einer versteckten Anlegestelle. Wir hielten an und stiegen aus.
Ich zeigte auf ein Ruderboot.
„Du spinnst ja“, war alles, was Herbert dazu einfiel.
„Ich habe ein Date. Meine erste Verabredung mit Eva. Die lasse ich doch nicht sausen, nur weil alle Brücken zwischen Mainz und Wiesbaden gesperrt sind. Pack an.“
Er schüttelte zwar seinen Kopf, doch er packte mit an. Auf Herbert konnte ich mich verlassen.
Wir zogen das Boot zum Ufer.
„Kannst du überhaupt rudern?“, fragte Herbert keuchend.
„Mein Großvater war Rheinschiffer, da wird seine Enkelin wohl noch rudern können“, antwortete ich und spuckte in die Hände.
Bis zur Mitte des Stroms ging es relativ einfach. Dann kam uns ein holländischer Kohlekutter in die Quere. Wir konnten einen Zusammenstoß zwar vermeiden, aber der Wellengang brachte uns von unserem Kurs ab. Ich versuchte gegenzusteuern, aber allmählich ließen meine Kräfte nach. Langsam zog das Panorama von Mainz an uns vorbei. Ich hatte vorgehabt, vor dem Hilton an Land zu gehen. Von dort bis zum ‚Extrablatt’ ist es nur ein Katzensprung. Doch jetzt musste ich von Glück sagen, wenn wir nicht in Weisenau landeten. Ich kämpfte gegen die Strömung und die immer noch über den Bootsrand schwappenden Wellen. Herbert kämpfte ebenfalls, allerdings mit dem Inhalt seines Magens. Dass Männer immer so empfindlich sind.
Schließlich landeten wir in der Nähe des Mainzer Bootshafens. Wie passend, dachte ich.
Ich versuchte das Boot seitlich ans Ufer zu steuern.
„Du musst rüberspringen und das Tau festbinden“, sagte ich, während ich mit den Paddeln hantierte.
„Ich?“, fragte Herbert, ganz grün im Gesicht.
„Ja, du. Ich hab genug damit zu tun, das Boot einigermaßen auf der Stelle zu halten.“
Herbert schaute mich noch mal an, stand dann auf und wollte springen. Dabei rutschte er aus und fiel ins Wasser. Nach kurzer Zeit tauchte er wieder auf.
„Ich kann nicht...“ Und schon war er wieder weg.
„schwimmen“, sprotzte er, nachdem er wieder aufgetaucht war.
Ohne zu überlegen, sprang ich ihm hinterher. Ich griff ihm unter die Arme und zog ihn rückwärtsschwimmend zum Ufer. Das Boot machte sich inzwischen auf den langen Weg nach Holland.
Ich legte Herbert auf die Wiese und mich daneben.
„Weißt du, was paradox ist?“, fragte ich, nachdem ich wieder einigermaßen normal atmen konnte.
„Was denn?“, fragte Herbert.
„Den ganzen Tag damit zu verbringen, Designerklamotten anzuprobieren und teuer Geld auszugeben, nur um zum Schluss doch die alten Jeans anziehen zu müssen“, sagte ich und fing an zu lachen.
„Wobei die ästhetisch immer noch nix hergeben“, sagte Herbert und fiel in mein Lachen ein.