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- 04.03.2018
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- Anmerkungen zum Text
Nach umfangreicher Überarbeitung ist es jetzt eine wirkliche Geschichte
Silberfünkchen
Tief hinein in die Lichtungen zwischen den Birken des Auhölzchens erstreckten sich Felder mit saftigem Farn. Knapp über das Grün sirrte Silberfünkchen, ein feengleiches Wesen, nur wenig größer als ein Sperling. Statt mit einem dichten Federkleid gedeckt waren ihre Flügel durchsichtig und zart und deshalb war Silberfünkchens Flügelschlag kaum lauter als der einer Libelle. Elegant umkurvte sie die Stämme der Birken, flog abwechselnd links und rechts daran vorbei, umkreiste welche einmal und manche sogar zweimal. So lange war sie nicht geflogen, dass sie sich die Spielerei nicht verkneifen konnte. Wenn sie nah an den Stämmen vorbeisauste, roch sie die verkohlte Borke. Nicht dass der Geruch sie störte, wenn sie ihre Flügel zum Leuchten brachte, roch es ähnlich, doch er brachte mahnende Erinnerungen mit sich.
Denn letztes Jahr im späten Sommer hatte das Auhölzchen in Flammen gestanden. Sonnenlicht, das sich in einer weggeworfenen Weinflasche bündelte, hatte den trockenen Farn in Brand gesetzt. Schnell liefen die Flammen nach überall und nirgends, schneller als ein Maikäfer fliegen kann.
Sie leckten an den weißen Stämmen, bis diese am Fuß schwarz wurden, doch höher in die Kronen durften sie nicht, 'da das Feuer nicht um Erlaubnis gefragt hat'. So sagte jedenfalls Kupferpfennig, der es wissen musste, weil er immer alles wusste – wenigstens sagte er das. Und so blieb es ein Lauffeuer, das nicht wusste, wohin mit sich und dem vom Laufen nach überall und nirgends bald die Puste ausging. Auf seinem Weg nach nirgends hatte es jedoch die empfindlichen Nachtglöckchen nicht verschont. Der gesamte Bestand im Auhölzchen wurde vernichtet. Und das war für die Elflinge schlimm, denn ohne Nachtglöckchen konnten sie nicht fliegen. Schlimmer noch, nach einiger Zeit ohne Nachtglöckchen verlernten manche das Fliegen und wenn es zum Schlimmsten kam, so sagten die Alten, würden sogar die Flügel ausfallen. Und Elflinge ohne Flügel waren keine Elflinge mehr. So weit war es noch nicht gekommen. Die letzten getrockneten Blätter der Nachtglöckchen wurden im Elflingkobel sorgsam gehütet. Bis heute.
Heute nach dem Frühstück hatte Vater Prius Silberfünkchen beiseite genommen, er zog sie in die Kräuterkammer und schloss die Tür. Mit einem Ohr horchte er an der Türe, sie waren alleine. Er nahm einen Hocker, stellte ihn vor den flackernden Kamin und deutete auf den Sitz. Als Silberfünkchen Platz nahm, schnaufte er und räusperte sich.
»Du weißt, so vernünftig Elflinge auch sein mögen, sind sie nicht davor gefeit, etwas richtig Verrücktes zu tun, wenn sie in Not geraten. Und da die Not unter uns besonders groß ist, wäre das richtig Verrückte in diesem Fall, nach woanders zu gehen, um die Nachtglöckchen zu suchen, die wir alle so dringend brauchen. Und ich befürchte, genau das hat Kupferpfennig getan.« Bei dem Wort 'woanders' wurden seine Lippen schmal. 'Woanders' war Rabenland und das fing mit der Krähenheide hinter dem Auhölzchen an.
»Hm, stimmt, Vater Prius, jetzt wo du es sagst … Den Kupfe hab ich gestern gar nicht gesehen«, sagte Silberfünkchen.
»Kup-fer-pfen-nig, bitte, so viel Zeit muss sein.«
Vater Prius nahm die Brille ab und wischte sich über die Augen. Als er Silberfünkchen anschaute, sah sie die Ränder unter seinen Augen.
»Es gibt nur wenige, die gerne die Nähe des Elflingkobels verlassen und unter denen gibt es nur eine, die schon mal in die Krähenheide geflogen ist – zumindest hast du das erzählt.« Silberfünkchen wurde rot, Vater Prius tat so, als würde er es nicht bemerken.
»Und vor allem kannst du die Magie der Nachtglöckchen ausschöpfen, wie dein häufiges Glimmseln beim Fliegen beweist. Auch wenn ich das nicht gutheiße, weil es Verschwendung ist, aber dadurch bist du nicht ganz wehrlos«, sagte er und zündete mit einem Span aus dem Kamin seine Kräuterpfeife an. Aus geröteten Augen schaute er sie an. Eine Wolke scharfen Kräuterdufts füllte die Luft. Silberfünkchen hielt den Atem an, der Rauch brannte in den Augen.
»Wer weiß, wozu sie gut ist, die ganze Glimmselei, aber vielleicht steckt da noch mehr dahinter und das kommt dir im Woanders zugute.« Vater Prius schlurfte zum Kräuterschrank, zog eine Schublade auf und nahm ein kleines Säckchen heraus. Bevor er sie zurückschob, schaute er hinein, schüttelte den Kopf und seufzte. Er hielt das Säckchen in die Luft vor Silberfünkchens Nase und wartete, bis sie die Hand öffnete. Dann legte er es vorsichtig hinein und schloss ihre Finger darum.
»Pass gut darauf auf«, sagte er, » und benutze die Nachtglöckchen nur, wenn du musst. Versprichst du das?« – »Jaaha, Vater Prius.« Silberfünkchen zog eine Grimasse und rollte die Augen. Vater Prius ignorierte das. »Du musst Kupferpfennig zurückbringen. – Wenn ihn jemand finden kann, dann du, Silbchen«, sprach er.
»Sil-ber-fünk-chen, Vater Prius«, murmelte die Elfling, bevor sie zur Tür der Kammer ging. »Mit 'erfünk' in der Mitte, so viel Zeit muss sein.«
Bevor sie den Elflingkobel verließ, nahm sie ihren Stichel, steckte ihn seitlich in den Stiefel und zog das letzte Vorratssäckchen getrockneter Nachtglöckchen durch die Schlaufe in ihrem Gürtel. Ein Blättchen hatte sie schon unter die Zunge gelegt. Mit der Tür in der Hand drehte sie sich noch einmal um. Vater Prius schaute sie nur an, ohne etwas zu sagen, weil er wusste, wann es besser war, nichts zu sagen, doch sein grauer Bart wippte von den Lippen, die er zusammenkniff. Die Pfeife in seiner Hand war ausgegangen.
Dieses Jahr war der Farn wieder grün. Dort wo er Lücken ließ, spiegelten sich Birken und reichlich blauer Himmel in den sumpfigen Pfützen. Durch den Torf auf dem Grund glänzte das Wasser wie schwarzes Glas.
Silberfünkchen flog gezielt die Pfützen ab und genoss den Schimmer unter sich, der über das glatte Wasser sauste. Dabei brachte sie ihre Flügel zum Glimmseln, strahlend weiß glühten sie auf. Wie lange hatte sie das wegen des Mangels nicht mehr tun dürfen.
Wenn man Vater Prius reden hörte, war Glimmseln eine sinnlose Vergeudung von ach so wertvollen Nachtglöckchen. Vater Prius mochte von vielem Ahnung haben, zum Beispiel vom Kräutermischen und vom Bekritzeln der Tafel mit knirschender Kreide. Vom Fliegen hatte er keinen blassen Schimmer und auch nicht davon, was für viele Elflinge das Schönste am Fliegen war. Doch Silberfünkchen war sicher, wer glimmseln konnte, würde ihr recht geben: Fliegen war so viel schöner mit Beleuchtung.
Obwohl, eine Ausnahme gab es: Kupferpfennig, den sie Kupfe nannte, weil es ihn so herrlich ärgerte. Er war so furchtbar vernünftig, dass er dem Glimmseln und dem strahlenden Violett der Nachtglöckchen nichts abgewinnen konnte. Umso seltsamer war sein Verschwinden, bei dem es laut Vater Prius um Nachtglöckchen ging, doch bei genauem Hinsehen war es das auch nicht. Eigentlich war es sogar ganz einfach: Elflinge brauchten Nachtglöckchen. Im Auhölzchen gab es keine mehr, woanders aber schon. Und das Woanders fing mit der Krähenheide direkt hinter dem Auhölzchen an. Das Glimmseln der Flügel erlosch und beinahe streifte sie einen Stamm.
Tatsächlich war Silberfünkchen vorletztes Jahr beim Spiegelflug gegen einen Birkenstamm gekracht – zum Glück hatte es niemand gesehen. Für die Riesenbeule an ihrem Schädel und den abgeknickten Fühler dachte sie sich eine Geschichte aus. Eine richtige Flunkerei über einen Riesen, einen echten Großling, der durch die Heide stapfte und sie – ohne es zu merken – beim Gehen mit seinem dicken Stiefel wegkatapultierte. Vor langer Zeit war ein Großling auf den Elflingkobel getreten und hatte ihn beinahe zum Einsturz gebracht. Seitdem war allein die Erwähnung eines Großlings furchtbar genug, damit die Elflinge und vor allem Vater Prius den Finger vor den Mund legten und im Chor 'pssst' sagten.
Und so hatten ihr alle die Geschichte abgekauft, bis auf Kupferpfennig, was unschwer zu erkennen war, weil er bei 'wegkatapultierte' die Nase rümpfte. Natürlich lag er richtig, denn sie war noch nie in der Krähenheide gewesen und im übrigen Woanders erst recht nicht.
Manchmal schaute er noch auf ihren rechten Fühler, der einen leichten Knick davongetragen hatte, und schüttelte den Kopf.
»Blari nocheens, Kupfe, schüttle nicht zu doll«, sagte Silberfünkchen dann, »sonst klingt es bald nach hohlem Kupferkessel, in dem eine Erbse hin und her kullert.« Dazu klopfte sie mit dem Fingerknöchel an ihren Schädel, verdrehte die Augen und sagte 'Kling klong', bis Kupferpfennig kupferrot anlief.
Meistens sagte er dann sowas wie: »Wenn du nicht aufhörst mit deinem frechen Mundwerk und der Flucherei, wird es noch bös mit dir enden.«
Ihre Antwort lautete dann in etwa: »Kupfe, alter Kobel, wenn du nicht aufhörst, so furchtbar vernünftig zu sein, wirst du eines Tages ein Grausling sein und dich fragen, wie du das geworden bist.«
Grausling war ein Schimpfwort für jene Elflinge, die alles Elflinghafte verloren oder verlernt oder abgelegt hatten. Oder denen im schlimmsten Fall die Flügel abgefallen waren. Und jetzt wurde Kupferpfennig vermisst, bevor er ausreichend Gelegenheit gehabt hatte, zu einem Grausling zu werden.
Das Auhölzchen mit seinen Birken endete und ging über in die sandige Hügellandschaft der Krähenheide, das Land namens 'Woanders' begann. Silberfünkchen war schon oft bis an die Grenze geflogen, hatte sich unter den riesigen Farnwedeln versteckt und beobachtet, was in der Heide geschah. Erika- und Ginsterbüsche wurden beschattet von riesigen Kiefern. Mit einem Mal roch es nicht mehr nach Moor, es duftete nach den vielen Zapfen, die überall verstreut lagen. Und nach den Kötteln der Heidschnucken, die das wenige Gras und die Schösslinge fraßen. Und wo Heidschnucken waren, gab es auch immer wenigstens einen Großling, der schrecklich laut pfeifen konnte. Das hatte ihr schon heftig in den Ohren gebimmelt. Noch lauter und noch schrecklicher waren nur die Hütehunde, die laut kläfften, wenn sie auf die Heidschnucken aufpassten. Die Hunde waren sogar noch schrecklicher als die Rabenvögel, die oben in den Kiefern saßen, nur dass sie nicht fliegen konnten.
Zaghaft und zögerlich flog die kleine Elfling los. Zwischen den Kiefernzapfen, Erikabüschen und Heidemoos suchte sie nach irgendetwas, das Kupferpfennig verloren haben könnte. Und sie schaute nach kleinen Elflingspuren im Sand, denn ohne die Blätter der Nachtglöckchen konnte Kupfe nicht fliegen. Und ohne zu fragen hatte er die niemals genommen. Er war also zu Fuß unterwegs.
Es gab so elend viele Möglichkeiten, was Kupferpfennig im 'Woanders' widerfahren sein könnte, dass Silberfünkchen ganz schlecht wurde. Sie war schon schätzungsweise eine dreiviertel Ewigkeit unterwegs. Jedenfalls fühlte es sich deutlich länger an als die halbe Ewigkeit, von der Vater Prius immer redete.
»Silberfünkchen, das dauert ja wieder eine halbe Ewigkeit«, sagte er oft.
»Silbchen tu dies, Silbchen tu das, Silbchen, die Nachtglöckchensuppe, es wird Zaaa…heit.« Sie konnte es nicht mehr hören, vor allem den Tonfall von Vater Prius' Stimme nicht.
Früher feixte Kupferpfennig hinter seinem Rücken und flüsterte das typische 'Zaaa…heit', worauf sie alle losprusteten. Das war bevor seine Glieder schossen wie junge Triebe, seine Stimme dunkelte und er so schrecklich vernünftig wurde.
Ein Schatten vor ihr flackerte über die Büsche und der war schwärzer als der Schatten der Bäume ringsum. Silberfünkchen schlug das Herz bis zum Hals. Sie drehte sich auf den Rücken und sah einen Raben, der schon die Krallen nach ihr ausgestreckt hatte. Schnell tauchte sie ab und flog in die Lücke zwischen zwei hohen Erikabüschen, wo sie sich unter Zweige duckte. Der große Rabe streifte mit seinen Flügeln die obersten Blättchen – absichtlich vielleicht – und sauste wieder in die Luft. Nach einer langgezogenen Kurve landete er auf hoppelnden Beinen vor den Büschen und krächzte: »Na, wen haben wir denn da?«
Als er die Flügel ausbreitete, um sich kurz zu schütteln, wurde es düster unter den Büschen, was wohl der Zweck des Ganzen war.
»Raus mit dir, kleiner Elfling, Kaskatabra hat Hunger, zack«, krächzte der Rabe. Dabei pickte er mit dem Schnabel ein wenig zwischen die Zweige, als wäre ein Wurm darin versteckt.
»Blari nocheens, komm nur her, du fliegendes Kopfkissen«, knurrte Silberfünkchen zurück. »Wenn du scharf drauf bist, dass ich dir deine Federn anflämme …«
Es folgte ein Rabenlachen, das sich anhörte wie ein gestottertes Keck-Keck-Keck.
»Du weißt es, ich weiß es, alle wissen es: Das kannst du nicht.« Dazu scharrte der Rabe mit seinen Krallen im Boden und warf eine Wolke aus Staub und Sand hinter sich in die Luft.
»Lass es drauf ankommen, du grässlicher Staubfeudel …, wirst schon sehen.« Silberfünkchen bemühte sich, nicht zu husten. Elflinge sind zarte Wesen und so war die Staubwolke für die kleine Elfling ein Sandsturm und in einem Sandsturm konnte sie weder richtig atmen, noch fliegen, was der Rabe natürlich wusste.
»Herrje, Kaskatabra mag es, wenn sie frech sind, zack«, schnäbelte der Rabe. Er schien das Spiel zu genießen. »Du bist ein Junges, noch nicht ausgewachsen. Du weißt es, ich weiß es, alle wissen es: Du hast die Gabe noch nicht.«
»Na, da laust mich doch der Baldrian. Was du alles weißt, 'hast die Gabe noch nicht', verdammich, du bist ja beinahe so schlau wie Kupfe. Der glaubt auch immer, alles zu wissen.« Silberfünkchen zog den Stichel aus dem Stiefel. Der Rabe scharrte weiter, als würde er Anlauf nehmen. Sein Kopf zuckte um die Zweige herum, als versuche er, sie zu sehen.
»Es gibt einen großen Unterschied im Wissen zwischen mir und ihm«, sagte er.
»So, woher willst du das wissen, kennst du ihn?« Silberfünkchen schaute sich um und wich langsam hinter den Strunk der einen Erika zurück.
»Abgesehen davon kann ich mir das gar nicht vorstellen, du schaust nämlich genauso dämlich aus der Wäsche wie er«, sagte sie. Hinter dem Strunk der anderen Erika war ein Mauseloch.
»Raah, ich bezweifle zum Beispiel, dass dein Kupfe weiß, wie lecker Elflinge schmecken, zack«, sagte der Rabe. Dazu klapperte er mit dem Schnabel, als würde er einen Wurm zerteilen. Auf und ab ruckte der Kopf, durch die Zweige linste ein dunkles Auge, kalt wie eine Murmel. Um das Auge waren weiße Narben verteilt.
Silberfünkchen glimmselte mit aller Kraft, so hell, dass der Rabe zurückzuckte. Dann rannte sie los und ließ sich in das Mauseloch fallen. Im gleichen Moment schoss der Schnabel des Raben dahin, wo sie nur einen Augenblick zuvor gestanden hatte.
Elflinge mögen es nicht, unter der Erde zu sein, genauer gesagt, gibt es für sie nichts Fürchterlicheres. Kein Wasser und kein Lauffeuer waren so furchtbar und deshalb erlitt sie dort, wo sie hingeplumpst war, eine Erschreckung. Eine Erschreckung war wie die Versteinerung beim Fangenspielen, wenn man erwischt wurde. Obwohl sie wusste, dass sie in großer Gefahr war, saß sie dort stocksteif und konnte sich nicht rühren. Auch dass von oben Erdkrümel herabregneten, half ihr nicht. Es war, als würden die Glieder ihr nicht gehorchen, als wäre sie auf der Stelle festgefroren. Erst als der Rabenschnabel unsanft gegen ihren Kopf schlug, schrie sie ein lautes »Auatsch«, wodurch die Starre sich löste und sie loskrabbeln konnte. Gerade rechtzeitig, denn hinter sich hörte sie noch, wie der Rabe nach ihr schnappte und mit dem Schnabel anfing, in dem Mauseloch zu wühlen.
»Niemals wirst du mich kriegen, du verkappte Bettdecke, hörst du, niemals«, schrie Silberfünkchen in den Gang. Sie schrie lauter als es nötig gewesen wäre, weil sie so froh war, die Erschreckung los zu sein. Nach einem lauten Keck-keck-keck höhnte der Rabe: »Wart's ab, kleine freche Elfling, wart's ab, wir sehen uns wieder.«
Auf und ab führte der Weg, vorbei an durchgeknabberten Wurzeln, vermodernden Knochen, einem alten Goldstück und der prall gefüllten Vorratskammer eines Maulwurfs. Das alles konnte sie nur sehen, weil sie so verschwenderisch glimmselte, was jedoch notwendig war, weil sie es anders gar nicht aushielt. Mittlerweile war sie bei Blättchen Nummer drei.
Aus der dreiviertel Ewigkeit war sicherlich schon eine ganze Ewigkeit geworden, bevor endlich wieder Tageslicht in den Gang hineindämmerte. Und tatsächlich führte der Schacht senkrecht nach oben.
Die kleine Elfling stieg aus dem Boden in einen Hohlraum, in dem es nach Kiefernharz duftete. Als sich ihre Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, sah sie, dass es das Innere eines ausgehöhlten Baumes war. Durch ein ehemaliges Astloch fiel Licht hinein, rundes Licht, das einen Kreis purer Sonne auf den Boden malte. An den Wänden wuchs Moos, eine Spinne hatte ein Netz gewoben und auf halber Höhe hing ein winziges Vogelnest. Vom Wind hereingewehte Blätter sammelten sich auf dem rauen Holz und in den Ritzen.
Durch das viele Glimmseln hatte sie wieder Nachtglöckchen-Hunger. Doch gerade als sie das Säckchen vom Gürtel nahm und ein Blatt in den Mund stecken wollte, hörte sie ein Knarzen. Nirgends war eine Türe, das konnte es also nicht sein, dennoch spürte sie, sie war nicht alleine. So sehr sie auch den Blick schärfte, niemand war zu sehen. Vielleicht gab es hier Tiere, die nur auf Beute lauerten. Tiere, die viel schrecklicher waren als ein Rabe. 'Wie weit Kupfe wohl gekommen sein mag?', fragte sie sich und verdrängte den Gedanken sogleich aus ihrem Kopf.
»Da tut sich was.« – »Tut es da was?« – »Was tut es da?«
Silberfünkchen fuhr zusammen. Stimmen wie raschelndes Laub schienen aus den Wänden zu kommen, als würde der Baum mit drei Stimmen reden.
»Wer ist da? Wer seid ihr?«, rief sie und schaute auf die hohle Wand. Obwohl kein Windhauch hineinkam, bewegten sich die Blätter.
»Oje, gleich zwei Fragen.« – »Hat es nicht nötig, sich vorzustellen.« – »Was es alles wissen will ...«
Es folgte ein ausgiebiges Knarzen und Knurzeln, wie bei einer alten ausgetretenen Treppe, wenn man klatschdich vorne auf die Stufen latscht. Silberfünkchen meinte, Bewegungen in den Wänden auszumachen, Teile der Wand lösten sich ab und wurden wieder eins mit dem Baum. Sie nahm allen Mut zusammen.
»Eine geborene Elfling bin ich, die auf der Suche ist nach einem Freund und jetzt tretet hervor, wenn ihr die Traute habt oder gehabt euch wohl.« Elflinge redeten oft so altertümlich, wenn es ernst wurde. Das lag daran, dass es sie und die alten Worte einfach schon so verflucht lange gab und beides zusammen schwer Eindruck machte. Zumindest hofften sie das und oft genug war das auch so – hier nicht.
»Elflinge, kleine unnütze Elflinge mit Knick im Fühler.« – »Fliegen schnell, reden schnell, leben schnell.« – »Alles schnell, immer schnell, und alles zu nichts nütze.«
Aus den Wänden schälten sich drei kleine Gestalten mit Blätterhäuptern. Vielleicht waren sie ein Teil des Baumes oder eines anderen, lange vergangenen. Ihre Körper schienen ganz aus faserigem Holz zu bestehen. Deswegen hatte die Elfling an ihnen vorbeigeschaut, ohne sie zu sehen. Bei genauerer Betrachtung waren sie sich ähnlich, aber nicht so sehr, dass man sie nicht hätte unterscheiden können. Einer hatte Moos auf der Nase, der zweite ein kleines Vogelnest auf dem Kopf und der dritte eine Spinnenwebe auf dem Bein.
'Da laust mich doch der Baldrian', wisperte Silberfünkchen. Lauter sagte sie: »Silberfünkchen, mein Name, mit 'erfünk' in der Mitte, ähh, Tochter der werten Funkelchen und des Silberlings. Und wie heißt ihr, wenn ich mal fragen darf?« Aus Gründen der Höflichkeit deutete sie eine Verbeugung mitsamt Kreuzen der Flügel an, wie unter Elflingen üblich.
Nichts regte sich. Silberfünkchen wartete. Nach einigem Geknabbere, das sich anhörte, als würden Holzwürmer und Käfer an dem Baum nagen, kamen die nächsten verständlichen Antworten.
»Silberfünkchen, solch ein schöner Name.« – »Wer ist Baldrian?« – »Ja, wenn noch wüssten, wie unsere Namen einst lauteten.«
Silberfünkchen sagte sowas wie »Öhhämm«, weil sie richtig überrascht war und die Überraschung irgendwie an die Luft musste.
»Das gibt's doch nicht, soll das heißen, ihr habt eure Namen vergessen?«, schob sie hinterher und noch etwas lag ihr auf der Zunge: 'Wie verholzt muss man sein, um zu vergessen, wie man heißt?', doch sie konnte es gerade noch zurückhalten.
Die Gestalten schauten einander an und schüttelten die Köpfe, dass die Blätter nur so raschelten. Dazu schnauften sie im Chor etwas, das wie 'vorlaut' klang und schnalzten mit den hölzernen Zungen, was sich wie das Brechen kleiner Zweige anhörte.
»Sagt mal, ihr drei Holzlinge, fehlt euch nicht was? Ich meine, so ganz ohne Namen?«, fragte Silberfünkchen und schüttelte den Kopf. Es dauerte auch diesmal, bevor sie eine Antwort bekam. »Holzlinge, knack, nicht schlecht. Holzlinge, he he«, meinte Silberfünkchen zu verstehen. Aus dem beißenden Knabbern wurde ein Süßholzraspeln.
»So ein Name, das wäre was Feines.« – »Müsste aber ein richtig schöner Name sein.« – »Wenn ich mir den nur merken könnte.«
»Hmm, eigentlich nichts leichter als das, lasst uns mal schauen«, sprach die Elfling.
Unter Elflingen ist Namenerfinden ein beliebtes Spiel und Silberfünkchen war eine der Besten. Dass dabei heimlich Nachtglöckchen-Blätter gekaut wurden, war ein offenes Geheimnis, wie auch, dass das alle so machten. Auch jetzt tat sie so, als müsse sie gähnen und schmuggelte ein Blättchen in ihren Mund. Nach kurzem Kauen schaute sie nach links zu dem Kleinen mit dem Moos auf der Nase.
»Äh, ja, du, du bist ein …«, sagte sie und rülpste ein violettes Wölkchen, sie war etwas aus der Übung. Die Holzlinge fingen an zu glucksen, machten merkwürdige Geräusche und hielten sich die Bäuche. Es musste ein Lachen sein und das Lachen klang, als würde Vater Prius ohne Pause auf sein Lehrerpult klopfen, was selten genug vorkam. Vater Prius. Verdammich!
Silberfünkchen glimmselte auf. Kupferpfennig! Siedend heiß fiel ihr wieder ein, weshalb sie unterwegs war. Da dämmerte ihr eine Idee. Sie brauchte jede Hilfe, die sie kriegen konnte. Vielleicht war das jetzt die Gelegenheit.
»Leute, äh, Holzlinge, ich hab einen Vorschlag«, sagte sie. Augenblicklich verebbte das Geklopfe. »Ich bin auf der Suche nach einem Freund, einem Elfling namens Kupferpfennig. Er ist seit vorgestern Abend verschwunden. Könnt ihr mir helfen, ihn zu finden?«
Die drei Holzlinge sahen sich an und blinzelten einmal mit den Holzaugen.
»Dann gebe ich euch die holzigsten Namen, die mir einfallen, versprochen«, sagte Silberfünkchen.
Die Holzlinge machten mit den Holzfingern Zeitlupen-Schnick-schnack-schnuck, zumindest sah es so aus. Zwischendurch sagte immer mal einer »knack« und als sie fertig waren, sagten sie im Chor: »Ja, wir machen das.«
Langsam stelzten sie zu den hölzernen Wänden und faserten sich ein. So sehr sich Silberfünkchen auch anstrengte, sie sah nur einen Moosfleck, eine Spinnwebe und ein winziges Vogelnest. Der Boden unter ihren Füßen vibrierte ganz sachte. Dann erfüllte ein tiefes Brummen die Luft, das eine ganze Weile anhielt.
Als es erstarb, lösten sich die Holzgestalten erneut aus den Fasern des Baumes. Das Knurzeln und Knarzeln begann.
»Dein Kupferpfennig, der ist ein ganz Mutiger«, kam es von links. »Der hockt unter einem Stein auf dem Rabenhügel«, sprach die Mitte. »Dort, wo die Nachtglöckchen wachsen und wartet auf die Nacht«, sagte der Dritte.
Silberfünkchens Herz machte einen Satz. Ausgerechnet der Rabenhügel. Der Rabenhügel war die größte Erhebung am Ende der Krähenheide. Sie hatte ihn bisher nur aus der Ferne gesehen. Auf ihm standen mehrere Eichen, die hoch in den Himmel aufragten. Und die Äste der Eichen waren übersäht von Nestern. So viel hatte sie gesehen. Dort war also Kupferpfennig und dort wuchsen Nachtglöckchen. Das waren schlechte Neuigkeiten.
Es war wohl so gut wie unmöglich, sich dem Hügel zu nähern, ohne von Aberdutzenden Rabenvögeln, die in den Bäumen nisteten, gesehen zu werden.
Logisch, dass Kupferpfennig es vernünftig fand, dort Nachtglöckchen zu ernten, wenn er dort welche gefunden hatte. Ebenso logisch, dass das wegen der Rabenvögel keinem Elfling in den letzten Millionen Ewigkeiten gelungen war. Sonst wüssten die Elflinge das. Silberfünkchen begann zu zittern.
»Und jetzt, kleine Elfling, knack, unsere Namen bitte.« Die Holzlinge waren nicht unfreundlich, nur deutlich, denn versprochen ist versprochen.
»Was hab ich vorhin gesagt? Noch gar nichts, ähem, dann mal los. Holzige Namen, okay, die holzigsten überhaupt, verdammich.« Silberfünkchen wusste, Namen müssen gut überlegt sein, bevor man sie sagt. Einmal rausgerutscht, ließen sie sich nicht mehr einfangen. Auch mit einem Blättchen unter der Zunge nicht.
Sie schaute hinüber zu dem linken Holzling mit dem Moosfleck: »Du bist ein …, ein Pirlebom.« Danach war der Bann gebrochen, sie spürte, wie die Namen kamen.
Als nächstem wandte sie sich zu dem mit dem kleinen Vogelnest in den Blättern. »Dich nenne ich Papleditch.« Papleditch verbeugte sich und dabei fielen ihm staubige Eierschalen aus dem Kopfschmuck, die auf den Boden patschten. Er hatte sich wohl einige Ewigkeiten nicht mehr verbeugt.
»Und dich taufe ich Pomledill«, sagte sie zu dem mit dem Spinnennetz auf dem Holzbein. In dem Moment sah sie die Spinne über sein Bein krabbeln. Sie konnte gerade noch ein 'Oh, wie süß' unterdrücken, es war ja nicht ihre Spinne, denn Elflinge halten Spinnen als Haustiere, mit denen sie hauchzart kuscheln.
Wenn Holz freudig glucksen könnte, würde sich das so anhören, wie die Laute, die Silberfünkchen vernahm. Laute, die sie nie zuvor gehört hatte. Möglicherweise, so dachte sie, hört sich so das erste Frühlingswasser an, dass durch die Rinde Richtung Himmel drückt und die Blüten zum Aufgehen verleitet. Einzeln traten die Holzgestalten vor und neigten ihre Blätter.
»Pirlebom, gestatten, knack …, Pirlebom. Wirklich, sehr blätterig, der Name, vielen Dank.« Dann kam der nächste.
»Küss die Hand, gnädiges Fünkchen …, Papleditch. Gut gewählt, sehr tiefwurzelig und zugleich zerbrechlich fein wie, knack …, wie Eierschalen.« Mit den Holzbeinen scharrte er die Überreste zusammen.
»Hochachtungsvoll …, Pomledill. Ein Name mit so vielen Ls, ich liebe es ellig und das ist ausgesprochen ellig, knack, elliger geht kaum, sozusagen.«
'Na, das klappt doch ganz hervorragend', dachte Silberfünkchen und machte einen Knicks. Doch sie hatte sich zu früh gefreut.
»Pomlebom …, Pirleditch …, Papledill ...«, schwurbelten die Holzgestalten wild durcheinander, »Knack, Ditchlepom …, Dillpirle …, Bomlepap …« Sie hielten sich wieder die Holzbäuche und klopften dazu.
»Eine Bitte habe ich noch«, sagte die Elfling. »Ihr wisst doch so viel. Wenn ich zu Kupferpfennig will, um ihn nach Hause zu bringen, wie soll ich an den Rabenvögeln vorbeikommen?«, fragte Silberfünkchen. Allein beim Gedanken an den Raben, der sie vorhin fressen wollte, dieser Kastabraka oder so, wurde ihr speiübel.
»Du weißt nicht viel über deinesgleichen, nicht wahr?« – »He he, ihr seid genauso vergesslich wie wir.« – »Ganz einfach: Nutze die Gabe der Elflinge.«
Jetzt wurde Silberfünkchen richtig ungeduldig.
»Blari nocheens, das ist doch alles nur hölzernes Geschwätz. 'Nutze die Gabe'. Verdammich, mit Glimmseln komme ich noch nicht mal in die Nähe des Rabenhügels. Warum sagt ihr mir nichts, was mir wirklich hilft?« Zu ihrem Talent zur Ungeduld kam noch das Talent, in kürzester Zeit so richtig aufzubrausen und Leuten, die eigentlich helfen wollten, mit harschen Worten vor den Kopf zu stoßen.
»Ungeduldige kleine Elfling mit Knack, äh Knick im Fühler.« Das Vogelnest auf dem Kopf wackelte und wurde rot von einem Sonnenstrahl beschienen, der sich durch das Astloch mogelte. Es dauerte, bevor die Spinnwebe sich bewegte und Pomledill sprach: »Sagen würden wir schon was, wenn ...« – »… ja, knack, wenn uns das silberne Elflein 'mit erfünk in der Mitte' auch Nachnamen schenkt«, kam es von rechts, wo das Moos in die Höhe gereckt wurde.
»Nachnamen? Euer Ernst? Wie wollt ihr euch denn die noch merken?«, sagte Silberfünkchen. Als Antwort kam nur ein leises Blätterrascheln und Schweigen.
Nachnamen waren keinen Deut schwieriger als Vornamen, besonders mit einem Nachtglöckchenblatt im Mund, aber das mussten die Holzlinge ja nicht wissen.
»Vorschlag Nummer zwei: Ihr sagt mir alles, was ich wissen muss, um Kupferpfennig zu retten und wenn das glückt, komme ich wieder und gebe euch die superknackigsten Nachnamen, die man sich nur denken kann. Großes Elflinger Ehrenwort.«
Wortlos faserten die Gestalten sich wieder ein. Silberfünkchen wartete, der Boden brummte. Sie wartete so lange, dass sie schon dachte, die Holzgestalten wären eingeschlafen, vertrocknet oder endlich ganz zu Baum geworden. Mit einem knorrigem Knarzeln lösten sich die Gestalten aus dem Baum und es kamen Antworten.
»Knack, mussten die Uralten fragen und die sind nicht mehr die Schnellsten.« – »In früheren Zeiten, kleiner Silberfunken, sind Elflinge auf Raben geritten.« – »Kann natürlich sein, dass du mit dem Knick in deinem Fühler … ähem.« – »Mit der Gabe kannst du mit den Flügeln Glimmseln.« – »… ist zwar schön anzusehen, knack, aber bis auf Licht im Dunklen eher nutzlos.« – »Aber du kannst die Gabe auch in deine Fühler lenken und mit ihnen glimmseln.« – »Und damit einen Rabenvogel beglimmseln, bis er dir gehorcht.« – » Wenn du erst in seinem Nacken sitzt …« – »Aber du musst sie loswerden, die Furcht, hinfort jagen und nicht mehr hereinlassen.« – »Du musst dich beeilen, es dunkelt schon.« – » Jetzt haben wir dir alles gesagt, kleine Elfling. Knack, knack und nochmals knack.«
Silberfünkchen flog hoch zu dem Astloch-Fenster, ließ sich auf der Kante nieder und schaute hinaus. Sie war verwirrt, Die Gabe in die Fühler lenken. Klang mehr nach spinnertem Quatsch als nach etwas, das funktioniert. Sie nahm das Säckchen mit den getrockneten Blättern der Nachtglöckchen und kaute gleich eine Handvoll davon, was vermutlich eine maßlose Vergeudung war, aber was zählte das jetzt noch?
Dabei zog sie den Lederriemen aus dem Säckchen, nahm den Stichel aus dem Stiefel und schiente mit beidem den abgeknickten Fühler, so dass sie ihn halbwegs begradigte. Vielleicht würde das helfen, hoffte sie.
Es waren vermutlich einige der Blättchen zu viel, denn sie fühlte sich mit einem Mal ein bisschen dusselig. Bei dem, was sie vorhatte, war jedoch eine leichte Dusseligkeit eher hilfreich, zum Beispiel, um sich nicht in die Hosen zu machen.
Die Sonne stand hinter den Wipfeln der Kiefern. Erika- und Ginsterbüsche lagen bereits im Halbschatten. Der helle Sand war schon dunkelgrau. In der Ferne ragte der Rabenhügel als dunkle Silhouette in den dämmernden Himmel. Über den Kronen der Eichen kreisten Schwärme von Rabenvögeln. Von hier aus waren sie nicht größer als winzige Mücken. 'Die Gabe in die Fühler lenken', eine dusselige Idee.
Noch einmal schaute sie zurück. Die Gestalten hielten sich wieder die Bäuche und schüttelten das Kopflaub. Ab und zu hörte sie ein » Papledilleditch« oder ein »Bompompirlepap« oder auch ein » Dillepirlepomlebom«, gefolgt von herzlichem Knacken und Geklopfe.
Ein Lächeln stahl sich in ihr Gesicht, sie musste wieder laut und violett aufstoßen, was ein heftiges Knarzelecho fand. Mit einem Mal fühlte sie sich leichter, als hätte sie außer violetter Luft mit dem Rülpser ein Sorgen-Wölkchen verlassen.
Der mit der Spinnenwebe schaute hoch zu ihr und sagte: »Auf Wiedersehen, Königin der Namen.« – »Gute Reise und gutes Gelingen«, kam es von links. – »Nicht vergessen: Die Furcht verlieren und nicht mehr wiederfinden«, sprach es aus der Mitte.
Silberfünkchen hob zum Abschied die Hand, legte die Flügel über Kreuz und verbeugte sich mit einem Nicken, wie unter Elflingen üblich. 'Die Furcht verlieren', als wenn das so einfach wäre. Sie drehte sich um und schaute über die Heide.
Das Konzert der Krächzer war selbst über die Entfernung zu hören. Sich dem Hügel ohne Einladung zu nähern, gehörte wohl zu den blödesten Ideen, die einem einfallen konnten.
»Du weißt es, ich weiß es, alle wissen es: Elflinge reiten Rabenvögel … auf dem Rabenhügel, na klar. So eine herrlich beknackte Holzkopf-Idee, hicks«, säuselte Silberfünkchen und zog die Spitzen der Fühler vorsichtig durch die Hände, um sie zu säubern. »Also, nix wie hin.«
Zwei Taschen voller Nachtglöckchen hingen kreuzweise über Kupferpfennigs Schultern. Am Gürtel baumelte die kleine Erntesichel. Er hatte die hereinbrechende Dunkelheit genutzt, um schnell mit sicherer Hand Nachtglöckchen zu schneiden. In dem seidigen violetten Schimmer, den sie abstrahlten, sah er genug, um behutsam zu ernten. Er schnitt immer nur einen Blütenstängel von jeder Pflanze und ließ die übrigen weiter wachsen. Der Rabenhügel war bedeckt von Farnwedeln, unter denen die prächtigsten Nachtglöckchen gediehen. Mehr, als Kupferpfennig jemals im gesamten Auhölzchen gesehen hatte. Vielleicht wuchsen sie deshalb so gut, weil der Rabenkot, der von den Bäumen tropfte, sie ständig düngte, dachte Kupferpfennig. Und der Boden war durch die kleine Quelle, die viele Rinnsale speiste, immer leicht feucht. Bestmögliche Bedingungen für die Nachtglöckchen und ein tolles Feld zur Ernte – wären da nicht die Rabenvögel.
Es war so leicht gewesen, in kürzester Zeit hatte er so viele Glöckchen geerntet, wie er tragen konnte. Und als er fertig war, sah man kaum den Unterschied. Immer noch überzog ein zartes Violett den ganzen Hügel. Und genau dieser verräterische Schein hatte ihn aus der Heide hierhergelockt. Allein die kostbaren Nacktglöckchen, die er hier sah, würden für alle Elflinge auf Jahre ausreichen. Jetzt musste er es nur noch zum Elflingkobel schaffen und das würde alles andere als einfach.
Kurz vor der Morgendämmerung hatte er das Feld entdeckt. Den ganzen Tag hatte er sich dann unter einem Felsbrocken versteckt gehalten. Nur wenige Raben hatte er hier zu Gesicht bekommen und sich jedes Mal sofort in den Schatten geduckt. Doch er sah, wie sie abwechselnd Patrouille flogen und auch nachts würden wohl einige von ihnen in Bodennähe wachen.
Der Weg auf den Hügel war ohne Fliegen schon sehr schwer gewesen. Langsam war er auf dem Boden gekrochen und hatte sich mit Glück an den Wachen vorbeigeschmuggelt. Mit den zwei vollen Erntetaschen konnte er nicht mehr kriechen und er war doppelt so schwer. Er wusste, ein knackender Zweig reichte aus, um die Aufmerksamkeit der Wachen zu wecken. Aber er hatte Unmengen Nachtglöckchen dabei und er würde fliegen können, wenn er erst mal von dem Hügel herunter war. Vorsorglich steckte er sich ein Blättchen der Nachtglöckchen in den Mund und kaute. Der bittere Saft zog ihm den Hals zusammen und ließ ihn die Augen zusammendrücken.
Als Silberfünkchen losflog, ergoss die Sonne ihr dunkelrotes Feuer auf die Baumspitzen in der Ferne. Dazu leuchtete der Abendhimmel dunkelblau. Die Kronen der Kiefern standen davor wie schwarze Wolken mit einem goldenen Kranz, wo letzte Sonnenstrahlen sie erreichten.
Im Dämmerlicht oder gar im Dunkeln war sie nur selten geflogen. Ohne Glimmseln sah sie zu wenig und mit Glimmseln war sie selbst so deutlich zu sehen wie eine Laterne. In der Nähe des Elflingkobels war das nicht weiter schlimm, doch hier in der Krähenheide war das der pure Leichtsinn.
Sie flog also ohne Glimmseln langsam und knapp über den Büschen durch die zunehmende Dunkelheit, ohne wirklich etwas zu sehen. Es war Neumond, was aus Kupferpfennigs Sicht schlau war, mit dem wenigen Mondlicht konnte er sich besser verstecken. Und auch sie würde nicht so leicht gesehen, was von Vorteil war, solange sie nicht vor einen Baum flog.
Eigentlich hoffte sie darauf, Kupferpfennig schnell zu finden und sich an den schlafenden Raben vorbei aus dem Staub zu machen. Doch Silberfünkchen ahnte auch, dass es so leicht nicht werden würde.
Bald gab nur der Mond noch einen schwachen Schein von sich. Die Vögel wurden leiser, der Rabenhügel kam zur Ruhe. Dennoch blieb ein rätselhaftes Geschwirre und Geflatter in der Luft. Silberfünkchen konnte es mit ihren Fühlern deutlich wahrnehmen, erklären konnte sie es nicht.
Sie hatte den Rabenhügel fast erreicht, als das Geflatter zunahm. Etwas kam direkt auf sie zu. Sie tauchte ab und spürte einen Luftzug an ihrem Gesicht vorbeiziehen. Das war kein Rabe, die Flugmanöver waren viel zu flink für einen Raben. Wieder fitschte ein ledriger Flügel an ihr vorbei. Fledermäuse. Um den Elflingtobel gab es auch Fledermäuse, doch die waren friedlich. Sie waren Elflinge gewohnt und flogen ihnen aus dem Weg.
»Blari nocheens, was wollt ihr von mir?«, zischte Silberfünkchen.
»Fressen wollen wir dich, ecko, ecko«, chirpte es zur Antwort.
»Blöde Idee, ihr könnt mich nicht fressen, ich bin größer als ihr«, flüsterte Silberfünkchen.
»Wir können dich nicht fressen, ecko, soso. Aber anzapfen vielleicht, ecko.«
»Anzapfen, blari nocheens, ich bin kein Kräutersaftfass. Selten so einen Quatsch gehört.« Es war so dunkel, dass Silberfünkchen nichts mehr sah.
»Wirst schon sehen, ecko, wirst schon sehen.«
»Ihr werden sehen, wenn ihr nicht Leine zieht. Wisst ihr nicht, was Glimmseln ist?«
»Nie gehört, ecko, nie gehört.« Wieder streiften kalte Häute ihre Fühler.
Silberfünkchen ließ sich zu Boden sinken. Die Fledermäuse folgten und hängen sich kopfüber an Ginsterbüsche und Heidekraut. Sie kamen immer näher. Neben ihren Ohren hörte Silberfünkchen das Klappern kleiner Mäuler. Den Stichel hatte sie fest mit ihrem Fühler verknotet, so schnell bekam sie ihn nicht frei, sie musste hier weg. Die Fledermäuse rückten dichter auf und schlossen alle Lücken. Es gab keinen Ausweg.
»Zum letzten Mal: Verzieht euch, oder ich werde euch wegglimmseln.« Das konnte die Elfling natürlich nicht, aber sie sah keine andere Möglichkeit, die Plagegeister loszuwerden, als sie durch glimmseln mit den Flügeln zu blenden.
Das Schnappen kleiner Zähne kam immer näher. Die Fledermäuse chirpten im Chor. »Probieren wollen wir dich, ecko, schmeckst bestimmt süß, ecko, nur ein Tröpfchen für jeden, ecko.«
'Die Furcht verlieren und nicht mehr wiederfinden', leichter gesagt als getan. So sehr Silberfünkchen es auch versuchte, sie zuckte bei jeder Berührung zusammen. Bald hielt sie es nicht mehr aus. Sie sammelte sich, schloss die Augen und glimmselte, so fest sie konnte.
Ihre Flügel flackerten weiß, der Erikabusch neben ihr flammte knisternd auf, die Fledermäuse schossen in die Luft und waren weg.
Leben kam in den Rabenhügel. Ein wütendes »Raah, raah, raah« schallte durch die Nacht. Leuchtende Striche kamen angeflogen, senkten sich zu Boden und eine Handvoll Raben landete zwischen den Büschen. Sie trugen Stöcke in ihren Schnäbeln, auf denen dicht an dicht Glühwürmchen saßen. Das fahle Glühen reichte aus, einen grünen Schimmer auf die Büsche zu werfen.
»Raah, Halt still. Wir bringen dich zu Kaskatabra.« Ein Rabe packte sie mit einer Kralle und stieß sich mit der anderen vom Boden ab.
Kupferpfennig sah einen grünen Lichtschein am Fuß des Rabenhügels. Bald darauf erhoben sich eine Handvoll leuchtender Striche und stiegen auf Richtung Baumkronen. Begleitet wurden sie von einzelnen Krächzern und lautem Flügelschlag. Die Raben hatten also eine Möglichkeit, die Dunkelheit zu erhellen. Das machte es nicht einfacher.
Unter dem Farn, setzte er einen Fuß vor den anderen, immer bemüht, keine Farnwedel zum Wackeln zu bringen und keine Nachtglöckchen zu zertrampeln. Er folgte einem Rinnsal, das aus der Quelle zum Fuß des Hügels floss. Noch konnte er nicht fliegen, das üppige Grün war zu dicht. Vorsichtig nutzte er die Steine als Trittstufen, um von dem steilen Hügel herunterzukommen. Da leider niemand, absolut niemand auf diesem Hügel zu Fuß ging, war schließlich einer der Steine so locker, dass Kupferpfennig ihn lostrat und mit ihm eine Lawine aus kleinen Kieseln, einem unglücklichen Elfling und zweier Taschen voller Nachtglöckchen.
Aus den Baumkronen hörte er einen ziemlichen Rabatz, der Lautstärke nach waren alle Raben hellwach. Kupferpfennig sortierte sich, streckte aller Glieder, gebrochen war nichts. Er hängte die Taschen wieder richtig, sammelte die herausgefallenen Nachtglöckchen ein und wollte losfliegen. Die Flügel surrten dumpf, wenigstens einer hatte etwas abbekommen. Als er hochschaute, sah er einen glimmenden Strich aus den Bäumen auf ihn zu sinken. Er hatte gerade noch Zeit, die Erntesichel vom Gürtel zu nehmen, bevor der Rabe landete.
Sie ließen Silberfünkchen in ein großes Nest plumpsen, auf dessen Rand ein zauseliger Rabe saß. Niemand machte sich die Mühe, sie festzuhalten oder zu fesseln. Sollte sie versuchen zu fliehen, wäre das ein willkommener Spaß für alle schwarzbefrackten Gesellen. Sie saßen in den umliegenden Nestern und hielten Glühwürmchen-Stöcke in den Schnäbeln.
»Raah, sieh an, sieh an, die freche, kleine Elfling. Kannst wohl nicht ohne den alten Kaskatabra, keck-keck, … oder warum bist du hier?«, fragte der Rabe. Sein Nest war das größte und auch er selbst war ein wenig größer als die anderen Raben. Dabei gab es in seinem Federkleid einige graue Federn und kahle Stellen, wo die Federn ausgefallen waren. Rund um Schnabel und Augen erkannte Silberfünkchen die weißen Narbenstriche.
»Blari nocheens, um dich zu beglimmseln, Kaskatabra«, sagte Silberfünkchen und stand auf. Ihre weichen Knie drohten unter ihr nachzugeben.
Empörtes Geschnatter brandete in den umliegenden Nestern auf. Doch obwohl die Furcht, die sie nicht zeigen wollte, Silberfünkchen frösteln ließ, war sie zum Letzten entschlossen.
»Hört, hört, um mich zu beglimmseln … keck keck keck. Das ist gut, das ist wirklich einmalig.« Der alte Rabe wackelte amüsiert mit dem Kopf. »Raah, und wie willst du das anstellen?«
»Also, wenn du dich dann herunterbeugst, damit ich besser auf deinen Nacken steigen kann …« Silberfünkchen wusste, wie anmaßend und unverschämt das war. 'Aber wenn, dann kann ich ihn nur überrumpeln', dachte sie.
Das Gekecker erstarb. Nie zuvor hatte jemand etwas so Dreistes zum Rabenkönig gesagt. 'Wie kann sie es wagen, raah!', zischte einer, 'Solch ein freches Ding' ein anderer, 'Raah, töte sie', zischte ein dritter. Kaskatabras Augen wurden schmal.
»Und was, wenn ich dich mit einem Schnabelschnapp zerteile, zack, oder meine Krallen in dich bohre wie in einen Wurm?« Er hob das Bein und spreizte die Krallen. Jede einzelne war so groß wie ein Unterarm der Elfling. »Raah, nenn mir einen guten Grund, weshalb ich das lassen sollte.«
»Weil du nie erfahren würdest, wie es ist, beglimmselt zu werden«, sagte Silberfünkchen.
Sie stand auf und versuchte es mit aller Kraft. 'Du kannst sie in die Fühler lenken', hörte sie Papleditch sagen. Ihre Flügel leuchteten violett auf, in ihren Fühlern kribbelte es, aber sie leuchteten nicht. Ein großer Klumpen Angst fiel in ihren Bauch und zog sie nach unten. Auch wenn sie die Furcht abschüttelte, sie fand sie immer wieder.
»Raah, wenn du jetzt fertig bist mit deinen Kunststückchen …«, schnarrte Kaskatabra, hob eine Kralle und pikste Silberfünkchen in den Bauch, dass sie auf dem Hosenboden landete. Er genoss es, mit der Elfling zu spielen. Aus den Nestern ringsum ertönte lautes Rabengelächter und Schnabelklappern. Keck … keck … keck. Klapp … klapp … klapp.
Silberfünkchen stand langsam auf und schaute Kaskatabra in die kalten Augen. Sie schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter, nahm all ihre Kraft zusammen und glimmselte erneut, doch nur ein violetter Flügelblitz wollte ihr gelingen. Diesmal fiel sie von selbst auf die Knie, weil ihre Beine sie nicht mehr trugen. Nicht die Furcht hatte sie verlassen, sondern der Mut und es war fraglich, ob sie den noch einmal wiederfinden konnte.
»Wirklich beeindruckend, das Feuerwerk, raah«, höhnte Kaskatabra. »Endlich haben wir etwas Unterhaltung für die Nacht, schaut her, schaut her.« Diesmal war das Rabenlachen noch lauter, einige warfen den Kopf in den Nacken und krähten voller Übermut. Andere Raben sprangen kurz aus ihren Nestern hoch und flogen einen Salto. Die Glühwürmchen auf den Stöcken in ihren Schnäbeln zeichneten hellgrüne Kringel in die Nacht.
Silberfünkchen versuchte aufzustehen und wurde mit einem Schnabelschlag zu Boden geworfen. Die Raben klapperten wie verrückt mit den Schnäbeln, ebenso bei jedem weiteren ihrer Versuche. Die Elfling kam nicht mehr auf die Füße. Dafür sorgte Kaskatabra, indem er sie mal mit dem Flügel, mal mit einer Kralle oder mit der Schnabelspitze umwarf. Jede neue Runde sorgte für große Heiterkeit unter den Raben, die darauf zu warten schienen, dass die Kräfte sie endgültig verließen. Der König der Raben beugte sich zu Silberfünkchen hinab und schnappte einmal kurz vor ihrer Nase mit dem Schnabel. »Raah, du weißt es, ich weiß es, alle wissen es: Du hast von der Gabe nicht genug.« Bevor die Elfling etwas sagen konnte, richtete er sich auf, stellte eine Kralle auf ihren Kopf und reckte die Flügel in die Höhe. Ein ohrenbetäubendes Getöse setzte ein. Kaskatabra ließ von Silberfünkchen ab, stakste auf dem Nestrand im Kreis und ließ sich feiern.
Weil es so laut und heiter war, bemerkten sie den Raben, der eilig geflattert kam, erst sehr spät. Und das Bündel, das er neben Silberfünkchen in Kaskatabras Nest fallenließ, sahen nur die wenigsten. Es war ein Elfling. Zerrrupft und geschunden lag er dort und rührte sich nicht. Silberfünkchen bekam kaum noch die Augen auf, nur ein kupferfarbenen Schimmer drang durch ihre Wimpern.
»Raah, der hier, der ist unter unseren Schwarm-Bäumen rumgekrabbelt«, meldete der Rabe.
»Raah, seit wann sind Elflinge so todesmutig?«, sagte Kaskatabra. »Hunderte Jahre trauen sie sich nicht in die Nähe des Rabenhügels, raah, und dann gleich zwei an einem Tag?«
»Raah, beiß ihnen die Köpfe ab, bevor noch mehr kommen«, krähte es von links. »Ja, lass sie für den Frevel bezahlen, raah«, schnatterte ein anderer.
Silberfünkchen öffnete die Augen. An seinen roten Haaren erkannte sie ihn, neben ihr lag Kupferpfennig. Mit letzten Kräften kniete sie sich neben Kupferpfennig. Über seinen Schultern hingen zwei prall gefüllte Taschen, aus denen geerntete Nachtglöckchen herausragten. Das Hemd war blutgetränkt, das Gesicht leuchtete fahl, die Augen waren geschlossen. Über dem rechten Ohr fehlte ein großes Büschel Haare. Sie hielt ihm die Hand vor den Mund, er atmete noch. Als sie ihm über die Wange strich, schlug er die Augen auf. Es dauerte einen Moment, bevor er sie erkannte. »Fünkchen, oh nein.« Kupferpfennig schüttelte den Kopf, eine Träne kullerte über seine Wange und hinterließ eine helle Spur. »Du solltest nicht hier sein.«
Als Silberfünkchen die Träne sah, spürte sie, wie die Furcht sie verließ und Platz machte für etwas anderes. Sie kniff die Augen zusammen und beugte sich über Kupferpfennig. »Du auch nicht«, sagte sie.
Kaskatabra höhnte weiter: »Nun denn, genug der Turtelei, wenn euch beiden nichts mehr einfällt, würde ich jetzt gerne zum Nachtmahl übergehen.« Langsam breitete er die Flügel aus und winkte zu den anderen Nestern. Kreischen und Krächzen erfüllte die Luft, so laut, dass die Elfling es im Bauch spürte. Doch der Klumpen Angst, der ihre Eingeweide zusammengezogen hatte, war fort und das Zittern war es auch. Beides war einem kalten Glühen gewichen, das sich neu anfühlte.
Silberfünkchen nahm eine ganze Hand voll der frischen Nachtglöckchen, steckte sie in den Mund und kaute schnell. Der bittere Geschmack betäubte ihre Zunge. Eines war sicher: Hier und jetzt würde es nicht enden. Nicht für sie und erst recht nicht für Kupferpfennig. Für einen kurzen Moment wurde ihr schwindelig, dann war auch das vorbei. Es war ihr, als würde nun das klare Licht der Sterne durch ihre Adern strömen wie kaltes Feuer. Mit einem Mal wusste sie, was zu tun war. Die Zeit war gekommen. Ihre Zeit.
Silberfünkchen sammelte sich, schloss die Augen und glimmselte. Ihre Flügel leuchteten violett auf. Mit einem Mal schlugen Funken über auf ihre Fühler, die sich streckten und aufbritzelten wie zwei Wunderkerzen. Mit einem Satz war sie auf Kaskatabras Schnabel, sah ihm in die Augen und schlug blitzschnell die Fühler zusammen.
Ein gleißender Lichtring schoss aus ihnen hervor, silbern wie die Sterne am Nachthimmel, und ließ blaurote Funken über dem gesamten Rabenhügel niederregnen. Noch ehe alle Funken verglüht waren, saß sie im Nacken des Rabenkönigs und krallte sich an seinen Halsfedern fest. Kaskatabras Augen glühten violett.
»Un jetz, Ka…sa…tara, wirstu tun, wassich sage.« Ihre Zunge war noch ein wenig betäubt. Sie zog dolle an Kaskatabras Nackenfedern, dass es fürchterlich ziepen musste, doch der Rabe tat nichts. »Tu wirst uns nahause fliegen, unwehe 's geschiiieht Kuperpenning irjendwas.«
Kaskatabra sträubte sich innerlich und wollte die Elfling abschütteln und zerhacken, doch er spürte, wie er Kupferpfennig vorsichtig in seine rechte Kralle nahm und mit einem Hüpfer aus dem Nest flog. Er wollte die Kralle zudrücken, es ging nicht. Innerlich schrie er 'Nein, zack, nein', doch sein Schnabel sagte: »Raah, sehr wohl, werte Elfling, wie ihr befehlt.« Er wollte auf einem Ast landen, doch seine Flügel segelten hinaus in die Nacht. Die anderen Raben wichen entsetzt zurück und senkten die Köpfe, als Kaskatabra mit den beiden Elflingen an ihnen vorbeiflog. Bei vielen von ihnen rauchten die angesengten Federn noch.
Im Bruchteil einer Ewigkeit waren sie am Elflingkobel. Vorsichtig setzte der Rabenkönig Kupferpfennig auf dem Boden ab und neigte den Schnabel. Beim Hinabrutschen sagte Silberfünkchen zu Kaskatabra: »Tu wardst hier.« Seine violetten Augen leuchteten kalt wie Glasmurmeln, doch er konnte nicht anders als zu nicken.
Sie schlug die Glocke, die draußen neben dem Eingang hing, und bollerte mit dem Fuß gegen die Tür, bis von innen geöffnet wurde.
Ein verschlafener Vater Prius mit Schlafmütze und Brille stand in der Tür. Er schaute sie verständnislos an und erschrak bis ins Mark, als er den großen Raben mit den violetten Augen sah.
»Keene Angst, der gehört zu mir«, sagte Silberfünkchen. Sie spürte, das Gefühl kehrte in die Zunge zurück, die Worte fanden wieder den richtigen Weg durch die Zähne.
Silberfünkchen packte Vater Prius am Schlafittchen, zog ihn aus der Tür zu Kupferpfennig, damit er verstand. »Kupfe braucht alles, was ihr an Kräuterkunde aufbieten könnt und die Spinnen, sofort!« Sie schrie beinahe, dabei war Vater Prius mal ausnahmsweise nicht begriffsstutzig. Er lief durch die Tür in die Diele und bellte Kommandos. Wenige Augenblicke später glich der Elflingkobel einem Ameisenhaufen.
Viele sanfte Hände hoben Kupferpfennig hoch und trugen ihn zu Vater Prius großem Bett. Alles an weichen Wickeln, Kirschkernkissen und warmen Bettpfannen, was der Elflingkobel aufzubieten hatte, wurde herbeigebracht. In der Küche pfiff schon bald ein Kessel mit heißem Wasser, doch niemand traute sich, Kupferpfennig zu berühren und ihm die Kleider auszuziehen. Vater Prius stand vor den Regalen in seiner Kräuterkammer, holte Töpfe von den Borden und löffelte kleine Häufchen auf eine Waage.
»Darf ich mal!« Silberfünkchen drückte sich durch eine Traube gaffender Elflinge. Kupferpfennigs Hemd hing in Fetzen auf ihm. Streifenweise schnitt und riss sie den Stoff von seinem Leib, bis der Oberkörper frei lag. Die Rabenkralle hatte seinen Bauch bis hoch zur Schulter aufgeschlitzt.
Da die Furcht Silberfünkchen verlassen hatte und nicht mehr wiederkam, wusste sie, was zu tun war. Dennoch kullerte eine Träne aus ihrem Augenwinkel, weil die Wunde so verflucht tief war.
»Bringt das heiße Wasser und Spinnen, verdammich, holt endlich die Spinnen, ihr nutzlosen Lemminge.« Bewegung kam in die Elflinge, als wären sie froh darüber, dass ihnen jemand sagte, was zu tun sei. Mit aller Vorsicht reinigte Silberfünkchen die Wunde, sie war so groß, dass zwei Finger nebeneinander hineinpassten. Endlich kam auch Vater Prius mit einem Tiegel der angemischten Kräutertinktur. Als er die Bauchwunde sah, hielt er sich am Türstock fest.
»Erst die Radnetzspinnen«, sagte Silberfünkchen. Sie nahm fünf Spinnen in Empfang und verteilte sie gleichmäßig auf dem Oberkörper. Sie nahmen umgehend ihr Arbeit auf und spannen mit vorsichtig tippelnden Beinchen ihre Netze über der klaffenden Wunde. Nach einer kleinen Weile war schon nicht mehr viel von dem offenen Fleisch zu sehen.
»Jetzt die Baldachinspinnen«, sagte die Elfling, setzte die kleineren Spinnen geschickt auf die groben Netze und bat sie flüsternd, die Lücken zu schließen. Bald füllte emsiges Gewusel Kupferpfennigs Bauch. Er atmete flach und stöhnte. Von der Behandlung selbst schien er nicht viel zu spüren.
Als die Spinnen ihre Arbeit beendet hatten, trat Vater Prius vor, nahm einen Quast und tupfte die Kräuertinktur auf die Spinnenseide. Es dauerte einen kurzen Moment, dann wurden die Spinnenfäden weich und legten sich in die Wunde. Kupferpfennig bäumte sich auf und jammerte im Schlaf. Eine ältere Elfling aus der Kräuterkammer trat an das Bett und gab ihm einen Fingerhut voller Kräutersaft. Weitere Momente später begannen die Fäden, sich zu straffen und auszuhärten, doch diesmal blieb der Elfling still.
Vater Prius deckte die Wunde mit Wickeln ab, zog die Decke über Kupferpfennig und bat alle, die Kammer zu verlassen, bis auf Silberfünkchen, die er anwies zu bleiben.
Er schloss die Tür und schaute sie über die Brille hinweg an.
»Auf dem Rabenhügel?« Silberfünkchen nickte nur.
»Hm, und der Rabe?« – »Heißt Kaskatabra und ist der Rabenkönig.«
»So, gleich der Rabenkönig«, sagte Vater Prius. »Was tut er hier?«
»Er hat uns hierhin geflogen und jetzt wartet er hier, weil ich ihm das gesagt habe.« – »… weil du ihm das gesagt hast.«
»Blari nocheens, ich hab ihn beglimmselt!«
»Du hast was …?«
»Vater Prius, ich habe vor allem einen verdammich harten Tag und eine verdammich harte Nacht hinter mir. Kupferpfennig ist im Elflingkobel und nach allen Regeln der Elfling-Heilkünste versorgt. Morgen muss ich ein Versprechen einlösen und ich möchte jetzt wirklich schlafen«, sagte Silberfünkchen. »Also sei mir nicht böse, wenn wir morgen Abend reden, ja?«
»Und der Rabe vor dem Haus?«, fragte Vater Prius.
»Ist geparkt bis morgen früh und frisst kein Brot«, sagte Silberfünkchen.
Mit einem riesigen Gähnen rollte sie sich vor dem Bett zusammen, in dem Kupferpfennig schlief und war nach dem zweiten Blinzeln eingeschlafen.
Vater Prius holte eine gewebte Moosdecke, rollte sie zusammen und legte sie unter Silberfünkchens Kopf. Mit einer weiteren deckte er die Elfling zu, strich über ihre Haare und verließ die Kammer. Vorsichtig öffnete er die Kobeltüre und linste hinaus.
Draußen vor dem Elflingkobel stand der Rabe noch genauso, wie beim ersten Anblick. Nur die violetten Augen waren geschlossen. Vater Prius machte drei vorsichtige Schritte nach draußen und wedelte mit den Armen. Die Augen des Raben blieben geschlossen. Er tippelte auf Zehenspitzen dorthin, wo die Elflinge gelandet waren. Als er die beiden Taschen aufhob, zuckte das Lid des Rabenauges. Eine große violette Pupille starrte ihn an. Vater Prius spurtete zurück in den Kobel und verriegelte die Tür von innen. Als sein Herz wieder ruhiger schlug, schaute er aus dem winzigen Fensterchen. Der Rabe hatte sich nicht bewegt. Er ruhte dort wie ein Felsbrocken, der aus dem Himmel gefallen war. Nur die Augen waren immer noch geöffnet und zwei violette Kreise glommen durch die Nacht.
Vater Prius trug die frischen Nachtglöckchen in die Küche. Er rief nach der Köchin, deutete auf die Taschen und sagte: »Bitte koch zum Frühstück eine Nachtglöckchen-Suppe für alle, es wird Za…heit.«
Als die Sonne aufging, sprang Silberfünkchen wie mit der Schleuder geflitscht in die Höhe und stand senkrecht vor dem Bett. Kupferpfennig schnarchte tief und fest, die Wickel hoben und senkten sich gleichmäßig. Seine Nase war kupferrot und das war bei ihm ein sehr gutes Zeichen. Erleichtert schlurfte sie zur Küche und stibitzte einige Nachtglöckchen-Blätter. Durch die Kobeltüre trat sie nach draußen in die frische Morgenluft und schnippte laut mit den Fingern.
»Guten Morgen, Herr Rabenkönig, einmal Krähenheide, zack!« Kaskatabra neigte widerwillig den Schnabel und ließ die Elfling mit einem Würgen im Hals in seinen Nacken steigen. Dann hob er ab. Immerzu wollte er den Schnabel nach hinten drehen, doch eine starke Kraft hinderte ihn daran. Mit leichtem Druck der Unterschenkel lenkte die Elfling den Raben zu der Stelle, wo sie ihn zuerst getroffen hatte. Was er auch versuchte, er konnte sich nicht widersetzen. Silberfünkchen ließ ihn über der Stelle kreisen und schaute sich um, welche der größeren Kiefern in Frage kam, um einen Hohlraum entsprechender Größe zu beherbergen.
Eigentlich kam nur eine in Frage, die sich mit mächtigen Ästen in den Himmel zu schwingen schien und zu ihrem Glück auf der Rückseite genau das Astloch besaß, das sie suchte.
»Einmal Talfahrt bitte«, sagte sie zu Kaskatabra, der daraufhin am Fuß der Kiefer landete, den Schnabel neigte und sie absteigen ließ. Silberfünkchen nahm ein Nachtglöckchenblatt, steckte es in den Mund, kaute einmal und steckte den Rest unter die Zunge, damit sie nicht wieder dusselig wurde. Dann sirrte sie zum Eingang und setzte sich auf die Kante des Astlochs.
»Guten Morgen, liebe Holzlinge, aufwachen, die unnütze Elfling mit 'erfünk in der Mitte' ist wieder da, tara.« Langsam begann das knorrige Geknurzel und Geknarre. »… und sie hat was Nettes und echt Holziges im Gepäck für euch, eure frisch gebackenen Nachnamen …« Silberfünkchen war kaum zu bremsen. Wegen ihrer Ungeduld fiel es ihr extrem schwer zu warten, bis die drei Holzlinge einigermaßen ansprechbar waren. Aber als die hörten, dass Silberfünkchen erfolgreich gewesen war und nun ihr Versprechen einhalten wollte, wurden sie munter. Sie schälten sich aus der Baumwand, der Moosfleck wackelte, das Vogelnest kippelte, die Spinnenwebe zitterte, dass die Spinne sich schnell versteckte.
»Pirlebom, du heißt Sparklebatch«, sagte sie zu dem Männchen mit dem Moos auf der Nase. Sie wandte sich zur Mitte. Das Vogelnest wankte aufgeregt. »Lass mal überlegen, was passt denn zu Papleditch …, vielleicht Borklesnatch?« Entspanntes Blätterrascheln. »Und du Pomledill, mit der Spinnenwebe, du könntest ein Laskelbrom sein.«
»Pirlebom Sparklebatch«, sagte der Linke ehrfürchtig, als würde bei einer besonderen Gelegenheit etwas Edles ausgesprochen, etwas, das einem Ritterschlag ähnelte.
»Papleditch Borklesnatch«, sprach die Mitte, in der Stimme schwang ein Ton mit, der Stolz bedeuten könnte, aber auch die Erinnerung an das gute Gefühl, einen vollständigen Namen zu tragen.
»Pomledill Laskelbrom«, kam es vollmundig von rechts, »ich liebe das L und du hast mir so viele davon geschenkt, kleine Elfling. Du bist wirklich die Königin der Namen.«
Silberfünkchen lief rot an, weil sie so ergriffen war. Und dass eine Elfling rot anläuft, ist wirklich selten, außer man heißt Kupferpfennig und macht das alle naslang, aber wer heißt schon so?
»Ich habe noch eine Bitte an euch Holzlinge. Ich brauche Zeugen für einen mündlichen Vertrag zwischen Elflingen und Raben, einen Vertrag, der für alle Zeiten festgeschrieben wird. Wollt ihr die Zeugen sein?« Die Antworten kamen überraschend schnell.
»Aber sicher, bei solch holzigen Namen ...« – »… sind wir dir zu großem Dank verpflichtet.« – »Und bitte ganz viele Ls aufsagen.«
Silberfünkchen saß in dem Astloch, winkte den Rabenkönig zu sich und gebot ihm, auf dem nächsten Ast platz zu nehmen.
»Kaskatabra, wir werden einen Vertrag schließen zwischen Raben und Elflingen. Drei Holzlinge werden das bezeugen und somit alle Bäume im Woanders. Ihr Rabenvögel lasst uns auf dem Rabenhügel so viele Nachtglöckchen ernten, wie wir wollen, ohne uns zu behelligen. Weiter werdet ihr nichts tun, was den Nachtglöckchen schaden könnte und alles unterlassen, was die Elflinge auf ihrem Weg zum Rabenhügel behindern könnte. Kein Elfling wird von euch gejagt. Ebenso werdet ihr Sorge dafür tragen, dass die Fledermäuse einen großen Bogen um uns flattern. Soweit klar?« Kaskatabra sagte nichts, die drei Holzlinge brummten vernehmbar.
»Wir Elflinge werden euch nicht weiter beglimmseln. Auch dir werde ich deinen Willen zurückgeben, solange ihr Raben euch an die Vereinbarungen haltet. Leben und leben lassen, verstehst du?« Silberfünkchen schaute den Raben an und da sie die Furcht verloren hatte und nicht wiederfand, war in ihrem Blick nur die Kälte einer Murmel. Die Elfling nickte ihm zu. »Und?«
Kaskatabra spürte, wie er die Kontrolle über seine Zunge zurückerlangte. Er ließ sogleich eine Schimpfkanonade auf Silberfünkchen los. »Du junges Miststück, du dreiste, freche, unverschämte Elfling. Was erlaubst du dir! Wenn ich könnte, wie ich wollte, würde ich dich halbieren, in kleine Stücke schnetzeln und in der Sonne trocknen lassen.«
»Hej, klar, frech, dreist, unverschämt, stimmt alles. Das ist echt schön, Königlein, dass du deinen freien Willen zum Ausdruck bringst, alles andere wäre auch unfair den Raben gegenüber. Aber jetzt will ich von dir eine Entscheidung aus freien Stücken. Akzeptierst du den Vertrag und seine Bedingungen? Ja oder nein!«
Kaskatabra wollte schnell ein 'Nein' krächzen, sich in die Lüfte erheben und zum Rabenhügel fliegen. Er würde die Elflinge vergessen, die Nachtglöckchen unter den Farnblättern ebenso und würde seinen Schwarm unbehelligt regieren. Und irgendwann hatten auch die anderen vergessen, dass eine kleine, dreiste Elfling in seinem Nacken gesessen hatte, die ihm vorschrieb, was er zu tun und zu sagen hatte. Doch als er in Silberfünkchens Augen schaute, schluckte er das 'Nein' hinunter, denn er wusste, das würde sie niemals zulassen. Zu lebhaft war die Erinnerung an die vergangene Nacht.
»Ja« klapperte Kaskatabra aus einer schmalen Lücke in seinem Schnabel.
»Geht das auch lauter und in ganzen Sätzen? Die Zeugen haben das nicht verstanden«, sagte Silberfünkchen und schaute ernst.
»Raah, Ja, ich akzeptiere den Vertrag und all seine Bedingungen«, krächzte Kaskatabra.
»Holzlinge, meine Zeugen, ihr habt es gehört: Die Elflinge dürfen die Nachtglöckchen auf dem Rabenhügel ernten. Zwischen Raben und Elflingen herrscht ab jetzt Frieden.«
Als er wegflog, krähte Kaskatabra hasserfüllt: »Raah, hoffentlich sehen wir uns nie wieder, Elfling.«
»Na, dann musst du aber an mir vorbeischauen, wenn ich demnächst Nachtglöckchen pflücke«, rief ihm Silberfünkchen hinterher. Sie wartete, bis Kaskatabras Silhouette vor dem Rabenhügel nicht mehr größer war als eine winzige Mücke. Dann nahm sie das nächste Nachtglöckchenblatt und steckte es in den Mund.
Glücklich wandte sie sich an die Holzlinge: »Danke meine Freunde, ihr habt an einem Tag mehr für die Elflinge getan, als wir euch jemals vergelten könnten.«
»Danke auch dir, kleines Silberfünkchen, klopf.« – »Du hast uns die schönsten Namen geschenkt, die wir jemals hatten.« – »Und so ellig, dass es eine helle Fllleude ist.« Bei 'Fllleude' klopfte er kurz.
Silberfünkchen rülpste ein violettes Wölkchen und lachte glockenhell und auch ein wenig dusselig auf, wie nur Elflinge es können.
»Lebt wohl und bleibt recht holzig, meine Freunde und fllleut euch des Lebens«, rief sie und machte sich auf den Rückflug zum Elflingkobel. Bei 'fllleut' hatte sie Pomledill zugezwinkert.
Von den Holzlingen hörte sie ein »Paplebrom Sparkleditch« oder ein »Pomlebatch Pirlesnatch« oder auch ein »Borklebom Laskedill«, gefolgt von reichlich Geknurzel und Geklopfe. Bestimmt würden sie sich dabei die holzigen Bäuche halten.
Silberfünkchen schaute nicht zurück und auch nicht nach oben. Sie hatte die Furcht verloren und würde sie nie wiederfinden.
Als sie beim Elflingkobel eintraf, saßen die Elflinge gerade bei der Nachtglöckchensuppe, die es auf Vater Prius Anweisung hin zum Frühstück gab.
Die Elflinge wurden still, als sie eintrat und in der folgenden Ruhe fing jemand an, mit dem Löffel auf den Tisch zu klopfen. Alle stimmten ein und klopften im Takt, dass es sich beinahe anhörte, wie ein sehr lautes Lachen sehr vieler Holzlinge, bis Vater Prius schließlich unterbrach: »Pssst, hört bitte auf, das ist nett gemeint, aber Kupferpfennig braucht noch Bettruhe.«
Silberfünkchen hielt einen Finger vor den Mund und lächelte. »Ich muss zu Kupferpfennig, es wird Za…heit.« Die Elflinge konnten das Lachen kaum unterdrücken und selbst Vater Prius musste grinsen. Sie klopfte leise an die Tür zur Kammer und trat ein. Kupferpfennig öffnete die Augen.
»Hallo, Silberfünkchen«, stöhnte er, »wie kann man nur so verflucht unvernünftig sein?«
'Wenn du wüsstest …', dachte Silberfünkchen, nahm Kupferpfennigs Hand und sagte: »Tja, Kupfe, alter Kobel, das werde ich dir beibringen, wenn du wieder auf den Beinen stehst.« Dazu rülpste sie ein violettes Wölkchen, das ein ganz klein wenig bitter roch.
Kupferpfennig grinste und sagte: »Verdammich, da laust mich doch der Baldrian.«