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Silvester
Es war das Jahr, das man nicht richtig genießen konnte. Der Grandprix war dieses Mal schon wieder nichts neues, George Bush wurde gewählter Präsident der Vereinigten Staaten und hundertausende Menschen starben in Asien durch eine einzige Flutwelle.
Das blaue Licht im Keller ließ alle Umrisse verschwimmen. Ich erinnerte mich zurück an damals, als ich noch jünger war und wir, das heißt mein Bruder und ich, mit der Großfamilie feiern mussten. Dort gab es jedes Mal entweder Fondue oder Raclette, man unterhielt sich andauernd über die selben Dinge und irgendwann hatte ich es satt. Aber damals hat man sich noch wirklich darauf gefreut.
Dieses Jahr war alles ganz anders. Überschattet von leichtem Ohrensausen saß ich auf der Bank, aß Bockwurst mit Nudelsalat und unterhielt mich mit den anderen.
"Was wünschst du dir fürs neue Jahr?", fragte mich ein Mädchen neugierig. Wünsche, dachte ich mir. Jetzt sind es auch noch Wünsche. Früher waren es nur Vorsätze, da war man selber Schuld, wenn man sie nicht eingehalten hat. Seien wir mal ehrlich; geändert hat sich doch nie etwas.
"Och, darüber mache ich mir ungern Gedanken", antwortete ich gleichgültig.
"Männer", schallte es nur noch zurück.
Das Feuerwerk war atemberaubend gewesen. Das kam vom vielen Schwarzpulver. Husten brachte nichts. Mit Schaumwein spülte ich den Geschmack herunter. Vielleicht hätte ich besser spenden sollen. Von den Raketen bekam ich dann so gut wie gar nichts mehr mit. Das Ohrensausen wurde stärker, die Ohrstöpsel halfen da schon nicht mehr und machten es eher schlimmer.
Ich sah mich um: Überall wankende Gestalten, von denen ich viele gar nicht kannte. Die eine Hälfte hielt sich noch halbwegs auf den Beinen, während die andere nicht wusste was sie tun sollte.
Manche werden lustig, wenn sie trinken, manche werden aggressiv. Manche aber werden traurig und dann kommen die ganzen Beziehungskrisen zutage.
Die Umarmungswelle kommt auf und natürlich werde ich mitgerissen. Es knallt und pafft und überall poppen Sektkorken.
Morgen wird hier jemand gewaltig aufräumen müssen, denke ich, während ich den Unbekannten ein "frohes Neu's" zurufe.
Meine Vorsätze für's neue Jahr? Dieses Mal feiere ich woanders!