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Sinnentleert, versteinert, ausgekotzt

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21.04.2004
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Sinnentleert, versteinert, ausgekotzt

Wie lange kann eine Uhr ticken? Und wenn sie nicht mehr tickt: geht die Bombe dann hoch? Der kleine Wecker auf Roberts Tisch tickte schon seit Tagen. Er hatte in der ganzen Zeit nicht geschlafen. Wie er so lange aufbleiben konnte, wusste er nicht. Vielleicht lag es an dem Whiskey, den er in sich hineinschüttete. Er wusste, dass Alkohol müde machte. Aber wer weiß? Wenn man ein Mensch wie Robert war, konnte Alkohol wie ein Aufputschmittel wirken, das tagelang anhielt.
Je länger er bewegungslos auf dem Sofa saß, desto mehr fühlte sich sein Körper wie Stein an. Eine Statue namens Robert. Früher ein lebender Mensch, dann erstarrt und schließlich als Kunstobjekt im Louvre ausgestellt. Der Denker – neokulturelle Interpretation eines sinnentleerten Künstlers.
Die Sonne machte Anstalten, zum dritten Mal unterzugehen, als Robert so etwas wie Müdigkeit spürte. Er schloss die Augen und verbannte jeden Gedanken aus seinem Kopf. Nach drei Tagen des Wachseins klappte das überraschend gut. Gedankenleer und erschöpft glaubte er, einschlafen zu können.
Als er seine Augen aufschlug, war es bereits sieben Uhr morgens. Draußen schien die Sonne durchs Fenster und blendete ihn. Sie war hell, heller als jemals zuvor. Sie löste richtige Schmerzen in seinen Augen aus; er hob die Hand, um die Schmerzen zu lindern. Seine gerade erst neu gestrichenen weißen Wände strahlten vom Licht, als wäre die gesamte Wohnung irgendwo ins Sonneninnere gefallen. Er hatte zwölf Stunden geschlafen, aber es fühlte sich an, als hätte er nur kurz gedöst nach einem dreihundert Kilometer langen Marathonlaufen. Jeder Knochen tat ihm weh, jeder Schritt wurde zum Kraftakt. Roberts Gleichgewichtssinn spielte nicht mehr mit. Der Boden, auf dem seine Füße standen, fing an sich zu drehen. Zuerst nur leicht, dann aber machte er Dreihundertsechzig – Grad – Wendungen, in immer schneller werdendem Tempo. Nach ein paar Sekunden musste er sich übergeben. Er kotzte auf das Blatt Papier, das die ganze Zeit, seitdem er sich auf das Sofa gesetzt hatte um etwas zu schreiben, bereit lag. Augenblicklich hörte der Boden auf, eine Waschmaschine zu sein. Robert schlug seine mit Tränen gefüllten Augen auf und sah auf den Tisch.
Seine Kotze tropfte auf den Boden, als wäre aus der Mitte des Tisches eine kleine Springquelle entstanden, aus der grünes, dickflüssiges Wasser heraus kam. „Wunderbar“, sagte er sich. „Das erste Zeichen des Schicksals, was es von meinen Geschichten hält.“
Robert stand auf und schleppte sich in die Küche. Er nahm sich eine Schüssel und füllte sie mit Cornflakes, schüttete dann Milch darüber und nahm sich einen kleinen Löffel aus einer Schublade. Mit der Schüssel in der Hand schwankte er wieder zum Sofa. Er setzte sich hin und begann zu essen. Nachdem die Schüssel nicht einmal ein kleines Tröpfchen Milch mehr enthielt, stellte er sie auf den Tisch, mitten in das grüne, dickflüssige Wasser der mysteriösen Springquelle hinein. Es machte ein leises, schmatzendes Geräusch, als würde sich die Schüssel über die ihm zukommende Behandlung beschweren.
Robert sah wieder zum vollgekotzten Blatt. Er nahm es in die Hand, knüllte es zusammen und sah dem Saft zu, wie er zwischen seinen Fingern hervorkam. Plötzlich überkam ihn Ekel. Er stand auf, schwankte ein paar Mal hin und her, und lief dann in die Küche. Nach zehn Minuten waren der Tisch, der Boden, seine Hand und die Cornflakesschüssel wieder sauber. Er legte ein neues Blatt Papier auf den Tisch und nahm seinen Lieblingsstift in die Hand.
„Ok“, sagte er dem Blatt. „Dann wollen wir dich mal bemalen.“
Die Feder des Stiftes schwebte über dem Papier, bereit, die Gedanken einer Statue aufzunehmen und festzuhalten. Es gab nur ein Problem: in Roberts Kopf hatte sich eine Wüste ausgebreitet, und gleichgültig, wie oft er den Sand mit einem riesigen Staubsauger entfernen wollte, es kam immer mehr nach. Sein Kopf wurde praktisch mit Sand überschwemmt. Der Stift fing plötzlich an zu schreiben.
Wenn der Sand in meinem Kopf aus den Ohren rieseln würde, wäre ich eine Sanduhr. Was passiert mit einer Sanduhr, wenn ihre Zeit abgelaufen ist? Geht die Bombe dann hoch? Oder wird sie einfach nur zu einem zwecklosen Gegenstand, dessen Daseinsberechtigung mit dem letzten Sandkorn in ein tiefes, dunkles Loch gefallen ist? Man könnte sie natürlich umdrehen, dann wäre sie wieder eine Sanduhr.
Ich weiß nicht, wie man einen alten Menschen umdreht, der kurz vor seinem Tod ist und drei Tage lang nicht schläft. Ich weiß nicht, wie man eine Statue wieder zum Leben erweckt. Vor allem weiß ich nicht, wie man verlorene Träume wiederfindet, die sich irgendwo im Sand vergraben haben; oder die im Sand vergraben wurden, um die Zeit nicht zu verschwenden, die man hat, bis das letzte Korn seinen Weg gefunden hat.

 

Hallo Dust,

Deine Geschichte hat mir gut gefallen. Sie ist kurz, prägnant und kann mit überzeugenden Formulierungen aufwarten. Du lässt uns eine Zeitlang das langweilige Leben Roberts miterleben. Robert charakterisierst du als einen betrübten, alten Menschen, der vom Leben nicht mehr viel erwartet, und den Tod nicht scheut, um sein jämmerliches Dasein zu beenden. Er hat Alkoholproblemen, neigt aber nichtsdestotrotz dazu, philosophische Betrachtungen über seine Lage anzustellen und niederzuschreiben, nur um einzusehen, dass kein Weg am Tod vorbeiführt. Mir persönlich scheint Robert daran zu Grunde gegangen zu sein, dass er seine Träume nicht verwirklichen konnte. Du deutest das im letzten, kursiv geschriebenen Textabschnitt an.

„Wunderbar“, sagte er sich. „Das erste Zeichen des Schicksals, was es von meinen Geschichten hält.“
:rotfl: :thumbsup:

Lieben Gruß,
moonaY

 

Hi monnay,

erstmal vielen Dank für deine Kritik. Du hast die Geschichtige eigentlich so aufgefasst, wie sie gemeint war.
Ich hab sie geschrieben, als ich dachte, dass es mit meinen Träumen nicht mehr weiter geht, dass ich sie auch im Sand der Uhr begraben müsste um ihnen zuzusehen, wie sie vergehen. Ich hab Robert quasi nach meinen Vorstellungen von einem späteren Dasein erschaffen. ICh denke, wenn man seine Träume wegwirft, um z.B. viel Geld zu verdienen o.Ä. oder sie nicht konsequent verfolgt, dann stirbt man früher oder später (innerlich) daran.

lg,

Dust

 

Hallo Dust,

auch mir hat deine Parabel über den Umgang mit der Zeit und den vernachlässigten Träumen gefallen.

Einige Hinweise habe ich trotzdem. :)

Er wusste, dass Alkohol müde macht, aber wer weiß? Wenn man ein Mensch wie Robert ist, könnte Alkohol wie ein Aufputschmittel wirken, das tagelang anhält.
Hier vertust du dich in den Zeiten. Natürlich macht Alkohol immer müde, grammatisch musst du dich aber dem Satz anpassen. Er wusste, dass Alkohol müde machte
Das "Aber wer weiß" würde ich entsprechend in den nächsten Satz setzen. Allerdings hast du auch da noch die Tempi etwas quer. Wenn man ein Mensch wie Robert war (wäre), könnte Alkohol wie ein Aaufputschmittel wirken, das tagelang anhielt(e).
Nach drei Tagen des Wachseins klappte das überraschend gut.
anstelle von "Wachseins" würde ich nur "Wachens" nutzen.
Zuerst nur leicht, dann aber machte er Dreihundertsechzig – Grad – Wendungen, in einem immer schneller werdendem Tempo.
Nach zehn Minuten war der Tisch, der Boden, seine Hand und die Cornflakesschüssel wieder sauber.
waren (Da eine Aufzählung folgt muss das dazugehörende Verb in den Plural)


Lieben Gruß, sim

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi sim,

freut mich, dass meine Geschichte dir gefallen hat. Die "Hinweise" werde ich gleich ausmerzen/bereinigen/vernichten/eliminieren - ach egal, ich mach sie weg. Außer eine Anmerkung:

anstelle von "Wachseins" würde ich nur "Wachens" nutzen.
Das Wort Wachen ist zu aktiv. Wachsein klingt passiver.

Danke für deine Kritik.

lg,

Dust

 

Ein weiterer Interpretationsaspekt ist das Vanitas-Motiv, welches du verarbeitet hast: Die Sanduhr ist ein Symbol für die Vergänglichkeit des Irdischen.

 

So in etwa war das auch gemeint, nur dass in der Geschichte die Träume vergänglich sind und Robert dadurch innerlich stirbt, dass diese Träume eben vergehen.

lg,

Dust

 

Hallo Dust,

leider konnte ich deine Geschichte, je länger ich sie las, umso weniger ernst nehmen. Bei einigen Formulierungen musste ich sogar laut lachen, was du sicher nicht beabsichtigt hast...
Ich geh's mal durch und verdeutliche das ganze:

Wenn man ein Mensch wie Robert war, konnte Alkohol wie ein Aufputschmittel wirken, das tagelang anhielt.
Ein Mensch wie Robert - was ist an Robert so anders als an den anderen? Genmutiert?


Früher ein lebender Mensch, dann erstarrt und schließlich als Kunstobjekt im Louvre ausgestellt. Der Denker – neokulturelle Interpretation eines sinnentleerten Künstlers.

:lol: Die Stelle fand ich urkomisch, tut mir echt leid.


Seine gerade erst neu gestrichenen weißen Wände
Irgendwann zwischen Whiskey und Denken fand er den Weg zum Farbeimer... ernsthaft: das Bild frisch gestrichener Wände passt nicht zum vergammelten Bild, das du von Robert zeichnest.


Seine Kotze tropfte auf den Boden, als wäre aus der Mitte des Tisches eine kleine Springquelle entstanden, aus der grünes, dickflüssiges Wasser heraus kam.
:rotfl: Die Stelle ist der Oberhammer. Eigentlich total eklig und überflüssig für die Geschichte, aber das lies sich so überzogen, dass es einfach nur noch witzig ist.


stellte er sie auf den Tisch, mitten in das grüne, dickflüssige Wasser der mysteriösen Springquelle hinein. Es machte ein leises, schmatzendes Geräusch,
Dasselbe gilt für diese Stelle *lachtränenausdenaugenwisch*


Er nahm es in die Hand, knüllte es zusammen und sah dem Saft zu, wie er zwischen seinen Fingern hervorkam. Plötzlich überkam ihn Ekel.
Ganz plötzlich und unerwartet... oh Mann. Er hat eine sehr gute Reaktionsfähigkeit.


Die Feder des Stiftes schwebte über dem Papier, bereit, die Gedanken einer Statue aufzunehmen und festzuhalten.
Ich mag den Spannungsaufbau dieser Stelle.


Es gab nur ein Problem: in Roberts Kopf hatte sich eine Wüste ausgebreitet, und gleichgültig, wie oft er den Sand mit einem riesigen Staubsauger entfernen wollte, es kam immer mehr nach.
Und noch mehr mag ich, wie du die Spannung wieder zunichte machst.


Der Stift fing plötzlich an zu schreiben.
Von allein oder war Roberts Hand noch dran?


Den Schluss vermag ich nicht so recht im Gesamtzusammenhang einordnen...

mein persönliches Fazit: Völlig überzogene und trashige Erzählung. Daher wahrscheinlich die beste Katergeschichte, die ich je gelesen habe. Oh Junge, hab ich mich amüsiert.

lg Anea

 

Ja, vielen Dank fürs Lesen, Anea. Und vielen Dank für deine ... Kritk...

Dust

 

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