- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 6
Sionnach
Wenn ihr das Zu Hause verlässt, dann geht nie dorthin, wo der Boden nass und die Luft alt ist. Denn dort lauern gefährliche Geschöpfe, die euch töten würden. Sie haben Gefährten, deren Atem stinkt und ihr Gebrüll so stark ist wie das eines Löwen. Ihre Augen blenden im Dunkeln gefährlich. Diese lassen uns erstarren, damit wir leichte Beute für sie sind, also schaut nie in ihre Augen. Und wenn ihr das Gebrüll ihrer Gefährten hört, dann lauft so schnell weg, wie ihr könnt. Denn es ist ihnen egal, ob ihr noch Kinder seid, sie sind Monster, die alles töten, was ihnen in den Weg kommt.
Das sagte Mutter jeden Morgen zu Sionnach und seinen Geschwistern.
Gespannt horchten sie ihren Geschichten, die sie morgens mit nach Hause brachte.
Am meisten erzählte sie von Sionnachs älteren Geschwistern, die von den Monstern getötet wurden. Ihre Augen füllten sich immer wieder mit Tränen, wenn sie von ihnen erzählte.
Obwohl diese Geschichten traurig waren und ihm eigentlich Angst machen sollten, so machten sie ihn neugierig und er wollte gerne wissen, ob das stimmt, was seine Mutter über diese Wesen erzählte.
Als dann in einer Nacht seine Mutter nicht zu Hause war und seine Geschwister alle schliefen, schlich er sich hinaus um die Monster zu suchen.
Zum Glück war in jener Nacht Vollmond und die Sterne funkelten vom Himmel und ihr Licht erreichte sogar den düsteren, weichen Waldboden, über den Sionnach lief.
Nach einer Weile erreichte er ein Gebiet, was er nicht kannte. Die Luft hier roch nach Moder und toten Holz und der Boden war schlammig und stank nach faulem Wasser. Davon hatte seine Mutter gesprochen und er wusste, dass er auf den richtigen Weg war. Hier wuchsen viele Birken, deren Äste mehrmals gekrümmt und verbogen waren, dessen Urheber Stürme vergangener Jahre waren.
Sie sahen gruselig aus, fast wie Geister und Sionnach fragte sich, ob das vielleicht schon die Monster wären, von denen seine Mutter gesprochen hatte.
Doch es waren nur Bäume und so lange er auch sie beobachtete, rührten sie sich nicht von selbst, sondern nur durch den sanften Wind, der durch ihre Äste strich.
Also ging er weiter und bald lichtete sich der Wald allmählich. Und dann kam das Ende.
Vor ihm lag ein breiter Streifen von sehr harter Erde, wie er es vorher noch nie gesehen oder gefühlt hatte. Er ging einmal ganz über diesen Streifen und stellte fest, dass er etwa zwanzig seiner Schritte breit war. Es fühlte sich so an, als würde er über Steine laufen. Die Länge des seltsamen Bodens war unendlich, glaubte er.
Eine Weile blieb er auf den Streifen aus Stein stehen und sah sich verträumt um.
Er erstarrte, als er ein Geräusch hörte, dass an das Gebrüll eines Löwen erinnerte.
Sionnach erstarrte vor Angst, als er zwei weiß glühende Augen auf sich zukommen sah.
Er wollte davonrennen, doch seine Beine gehorchten ihm nicht mehr.
Gerade stellte er sich vor, wie lange Fangzähne sein Körper zerfleischen, als er einen dumpfen Schmerz im rechten Hinterlauf spürte, während ihn das Monster attackierte.
Dann spürte er für kurze Zeit nichts mehr und auch seine Augen fielen gegen seinen Willen ins Dunkel.
Als er wieder erwachte, sah er eines dieser Monster über sich gebeugt.
Es stand auf zwei Beinen und hatte lange, dünne Arme.
Nur ein bisschen Fell wuchs auf seinen Kopf und um sein Maul. Über die zwei Augen hatte das Monster einen schmalen Streifen davon. An jenen Stellen, wo sonst kein Fell zu sein schien, trug das Monster das Fell von Tieren, anders konnte es Sionnach nicht beschreiben.
Er hatte Todesangst, doch er konnte nicht davonrennen, denn er war verletzt.
Er konnte auch nichts sagen, nur ein unregelmäßiges Hecheln drang aus seiner Kehle.
Das Monster hockte sich hin und berührte Sionnach am Kopf.
Er zuckte, doch das Monster hörte nicht damit auf, ihn zu streicheln.
„Bleib ganz still liegen, Sionnach“, hörte er plötzlich eine vertraute Stimme sagen. „mach sie nicht wütend.“
Er sah in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war.
Die Augen des anderen Monsters glühten immer noch und beschienen den Waldbeerenbusch, hinter dem sich seine Mutter versteckt hielt.
Das Augenlicht des Monsters ließen die Augen seiner Mutter silbern funkeln.
Sie sah traurig aus und zitterte am ganzen Körper.
Ihre langen Ohren hingen herab und ihre Nase zuckte, als sie den Geruch von Blut wahrnahm.
Sionnach war sich sicher, am liebsten wäre sie hergekommen und hätte ihm geholfen, doch sie konnte ihm nicht helfen.
Er hörte seine Mutter schluchzen. „Warum hast du nicht auf mich gehört? Ich habe dir doch erzählt, dass hier Monster leben.“
Sionnach war zu schwach um zu antworten.
Er fragte sich nur, wie es kam, dass die Monster seine Mutter nicht verstehen konnten.
„Sie können uns nicht hören, die sind taub.“, sagte sie, als hätte sie seine Gedanken gehört. Dann lächelte sie traurig. „Ich werde so lange in deiner Nähe bleiben, bis alles vorbei ist.“
Sionnach musste innerlich lächeln.
Wie sehr er doch seine Mutter liebte.
Er schloss die Augen und hörte sich selbst beim atmen zu.
Vor dem Inneren seiner Augen sah Sionnach noch einmal seine ganze Familie vor sich: seine Geschwister und seine Mutter, die ganz in der Nähe war und bei ihm blieb.
Seine Verletzung tat nicht einmal mehr weh, als er die Gesichter seiner Lieben sah und als er dann von seiner Mutter ein „Leb Wohl“ hörte, verschwand dieses Bild für immer.
Sionnachs Mutter beobachtete noch wie der Mensch ihren Sohn aufhob und auf den Rücken seines Gefährten legte.
Ihr Sohn war tot, doch es gab da noch andere, um die sie sich kümmern musste.
Offenbar war die Geschichte über die Monster nicht abschreckend genug.
Schon viele von ihnen waren hier verendet und sie konnte es nicht weiter mit ansehen.
Traurig machte sie sich auf dem Weg nach Hause und als sie endlich dort ankam und mit ihren Kleinen schmusen konnte um ihren Kummer zu unterdrücken, erzählte sie ihren Kindern genau, warum Sionnach nicht wieder zurückkam.
Die Kleinen waren erst schockiert, dann traurig, doch ihre Mutter war sich sicher, dass auch der stärkste Kummer einmal vergehen wird.
Und vielleicht tötet der Verlust ein wenig von der Neugier, die in jedem von ihnen steckte. Vielleicht werden sie dann niemals versuchen wollen, die Monster aufzusuchen, die Sionnach, den Fuchs getötet hatten.