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So einfach ist das mit Herrn Peter
Wenn der Abend dem Gebirge seine Schwärze gegen den Fels flüstert, hat Herr Peter längst seine Vorkehrungen getroffen. Wenn das bunte Volk von den Pisten steigt und aus den klammen Schuhen, müde schon und hungrig auch, dann kramt Herr Peter sein Lächeln hervor, für das ihn alle mögen. Wenn das Buntvolk also gewaschen und gekämmt durch den Speisesaal stöckelt, dann ist Herr Peter zur Stelle. Herr Peter geleitet die Paare zu den Tischen und sorgt sich gemeinsam mit den Herren, die richtige Weinbegleitung zu finden. Herr Peter dient, bückelt, lächelt, findet Worte hie und da, und verhilft dem Abend so zu seinen Reizen. Herr Peter trägt ein Trachtensakko, welches zu den neunzehnhundert Höhenmetern draußen schon sehr passt und die Damen schenken ihm so manchen tiefen Blick dafür. Und für sein tiefschwarzes Haar.
Dafür auch, ja. Denn: Herr Peter ist ein schöner Mann. Aufrecht im Gang und schnell und gewandt ist er, wenn er in Demut zwischen den Tischreihen eilt. Zwischendurch atmet Herr Peter und bestreicht sein Haar wie einen Helm. Ein Ritter der Berge ist Herr Peter dann und ritterlich ist seine Gestik, wenn im Haarschwarz die Golduhr blitzt und das Saallicht auf den manikürten Fingernägeln eine Alpenpolka tanzt.
Wohl hat Herr Peter da und dort schon nachgeholfen und seine graue Natur damit auf falsche Fährten geführt und überlistet, doch sein Zähneweiß und sein Hautbraun machen allemal was her. Wenn sein Lächeln sich in den Rieslinggläsern spiegelt und er mit braunen Händen, die aus blütenweißen Hemdsärmeln ragen, die Vorspeisenteller reicht, dann ist der Abend schon gewonnen. Das Hotel hat vier Sterne, der Koch noch nicht lange eine Haube neben der, die er in der Küche trägt, und allesamt haben sie Herrn Peter, den Oberkellner. Was wäre das Haus ohne ihn. Was wären die Gäste ohne Herrn Peter. Was wären für Manche hierorts die Stunden hin zum Morgen. Für Manche, die vielleicht schlecht schlafen, weil sie einer Aufmerksamkeit bedürfen, die sie Liebe nennen. Was wären diese Stunden ohne Herrn Peter?
Es ist mit mir durchgegangen, hatte Herr Peter geantwortet, als sie ihm die Frage nach dem Warum gestellt hatten. Als er die Bilder des Mädchens vor sich liegen sah, hatte er zu schluchzen begonnen und sich wie ein Tier gefühlt. Wenn sie das nicht überlebt, kommen Sie nicht mehr raus, hatte der Anwalt zu ihm gesagt. Der Anwalt spuckte feine Speicheltröpfchen beim Reden, wurde während der Einvernahme mit Herrn Peter zweimal von seiner Geliebten am Handy angerufen, trug einen Siegelring am linken kleinen Finger und machte kein Hehl daraus, dass ihn dieser Fall zur Gänze anwiderte.
Sie hatte überlebt.
Es wurden sechs Jahre und nur deshalb, weil Alkohol mit im Spiel war und Herr Peter aus diesem Umstand verminderte Zurechnungsfähigkeit zugestanden bekam. Sie geht jetzt wieder zur Schule und ist Bettnässerin mit dreizehn Jahren. Manchmal schaut sie in eine Leere, in der sie ganz alleine wandert. Wenn ihr am Weg zur Schule ein Mann entgegen kommt, wechselt sie die Straßenseite. Wenn sie später einen Mann findet, dem sie nicht ausweichen wird, weil sie glaubt, so etwas wie Liebe zu spüren, wird dieser niemals Vater werden können. Ihr erster und einziger Mann war Herr Peter. Der hat alles kaputt gemacht bei ihr. Wegen ihrem weißen Kleid, hat Herr Peter oft danach gedacht. Deshalb ist es durchgegangen mit mir.
Herr Peter kommt vom anderen Tal, sagt er, wenn ihn jemand danach fragt, ob er auch von hier wäre, weil sein Dialekt so anders klingt. Er arbeitet gerne hier, sagt Herr Peter auch und die Golduhr streicht dabei über seinen schwarzen Helm am Kopf. Oft hat er Fragen zu beantworten und Herr Peter ist beliebt für seine spontanen und geradezu witzig zu nennenden Antworten. Herr Peter macht keine Unterschiede, ist nur bei den Damen eine Spur galanter in der Stimme. Bei den Herren punktet er mit der burschikosen Art des Naturburschen und die Herren klopfen ihm dafür jovial auf die gepolsterte Schulter. Weil sie sich zu ihm hingezogen fühlen und weil sie ihn mögen, jeder auf seine Art.
Herr Peter kann mit jedem, sagt der Chef des Hauses.
Herr Peter hat es geschafft, hat sich unentbehrlich gemacht hier im Betrieb.
Nicht nur dort.
Dann und wann fragt ihn wer, von welchem Ufer denn Herr Peter käme. Dann lacht der, der fragt und Herr Peter sagt, dass es darauf ankäme, er aber beide Ufer gut kenne. Ist ja prächtig, gibt der, der fragt, zur Antwort, oder auch nur ,Wie viel, Herr Peter?’ gleich als Frage zurück. Dann holt Herr Peter ein kleines Heftchen aus der Brusttasche seines Sakkos und trägt darin Zahlen ein. Zum Beispiel eine Uhrzeit, oder auch die Nummer eines Zimmers. Bei Herrn Peter hat alles seine Ordnung, nicht nur die Reihen seiner weißen Zähne.
Eines weiß Herr Peter: In das Tal, von dem er kommt, will er nicht zurück.
In ein Tal mit hallenden Gängen und Schreien, die aus verschlossenen Räumen kamen und unter Schlägen keuchend verstummten. Dort war er lange genug. Als man ihm endlich sagte, dass er nun lange genug in diesem Tal gewesen sei und er nach dem Jahr fragte, in das man ihn blass, aber therapiert entließ, war Herr Peter überzeugt, ein besserer Mensch geworden zu sein. Er wollte raus aus der Stadt, das weiße Kleid und das Mädchen darin dort zurücklassen und seine Erinnerung an Vieles vergessen.
So wartete Herr Peter damals auf den Zug in den Süden.
Als ihn jemand in der öffentlichen Toilette des Bahnhofs ansprach, und er eine halbe Stunde später verwundert ein paar Geldscheine in den Fingern hielt, vergaß Herr Peter augenblicklich den säuerlichen Geschmack des Spermas auf den Lippen.
In diesem Moment hatte Herr Peter die große Idee geboren.
Nein, ungewollte Gewalt sollte es nicht mehr sein, nicht jetzt, nie mehr. Diese Art von Gewalt brachte kein Geld und die Schreie waren laut und hässlich gewesen hinter dem über den Mund geschobenen weißen Kleid. Obwohl....Nein, keine Hässlichkeiten mehr. Es würde anders gehen und gewollt von denen, die dafür bezahlen.
Egal auch, was die wollen.
Väter und Mütter sollen es sein. Ehekrüppel, vom Leben und vom Partner Enttäuschte, die ihre ehemals zugestandene Liebe mit Ekel in sich herumtragen. Die, die wegen der Kinder, wegen der Nachbarn, wegen den Schulden bei der Bank diese Liebe nie würden ausspeien können, sondern irgendwann daran ersticken. So müsste es gehen, dachte Herr Peter damals und das Glück war ihm hold gewesen, als er die Stelle als Hilfskraft auf neunzehnhundert Höhenmetern in diesem Skiort an der italienischen Grenze fand. So begann er an sich und vor dem Spiegel zu arbeiten, erfand sein strahlendes Lächeln und befand, dass ihm schwarzes Haar gut stünde. Irgendwann hatte er es geschafft. Herr Peter, der Oberkellner, so steht es jetzt auf einem silbernen Schild, das er auf der linken Seite des Trachtensakkos angesteckt hat.
Und wie schon der Chef des Hauses erkannt hat, kann Herr Peter mit jedem. Und jeder.
Herr Peter kennt die Dramen, die in den Suiten und Appartements des Hauses Nacht für Nacht aufs Neue erbrochen werden. Herr Peter weiß von den Tränen der Damen und den Flüchen der Herren, wenn sie ihm das Leid einer marode gewordenen Ehe klagen. Auch kennt er deren gurrendes Keuchen, das bettelnde Stöhnen, wenn er tief in ihren hingereckten welken Ärschen kommt. Wenn er ihre hängenden Brüste, weiß wie Brotteig, mit kräftigen Händen knetet, daran zerrt und die steifen Warzen blutig beisst. Wenn er an schlaffen Hodensäcken leckt und mit der Zunge in ihre geweiteten, verwucherten, zerfurchten Löcher stößt. Wenn er ihre trockenen Schamlippen mit Fäusten bearbeiten darf, weil nur dann ein bisschen Nässe darauf glitzern will. Wenn dabei die Nebel auf den Fensterbänken draußen auch den Weg in den Kopf von Herrn Peter finden, haben die das Weiß des Kleides von damals und Herr Peter arbeitet sich noch verbissener zwischen die gespreizten Beine der Damen und Herren.
Ja, Herr Peter, ja, flehen sie ihn dann an und er denkt an noch leere Blätter in seinem Notizbüchlein. Oder er starrt dabei die Wände an und hat das andere Tal vor Augen.
Der Waschraum.
Die Tätowierung des Einen, der ihn an die Anderen verliehen hatte wie eine Hure.
Die Schläge, die Hände der Anderen an seinem Glied, an seinen Arschbacken und dazwischen. Das Atmen des Einen über ihm, der brennende Schmerz dabei, während ihn die Anderen hielten und zu Boden drückten. Der säuerliche Geschmack, der ihn zum Würgen brachte, wenn sie ihm in die Mundhöhle urinierten.
Das leise Knacken, als sein rechtes Handgelenk am Fliesenboden brach.
Der Hals der Bierflasche, der zersplitterte, als sie versuchten, sie ihm in den Arsch zu rammen.
Der Geruch nach der eigenen Scheiße.
Sein Blut am Boden.
Das Lachen und Grölen der Männer.
Der Klang einer Trillerpfeife.
Warnrufe. Kommandos.
Das unbeteiligte Wegblicken der Anderen, als ihn die Beamten aus dem Waschraum zerrten.
Geschrieene Befehle und wieder Schläge und Tritte.
Das Wort Kinderficker, eingebrannt für immer.
Alle wussten von der Sache mit dem Mädchen.
Das andere Tal war die Hölle für ihn gewesen.
Er dachte keinen Moment an das Mädchen, an deren nasses Bett, in dem sie jede Nacht lag, schlaflos vor Angst, von jemandem berührt zu werden. Auch nicht daran, dass er das Mädchen damals in ein anderes Tal entführt hatte. In eines, in das, so früh noch und in der Art und Weise, wie es geschah, sie nicht bereit gewesen war, hineinzugehen.
Wenn die Saison gut läuft, hat Herr Peter in den Nächten alle Hände voll zu tun.
Natürlich, sagt Herr Peter zu den rot geschwitzten Damen und Herren, wenn sie ihn beschwören, die stattgefundene Angelegenheit vertraulich zu behandeln und ihn gleichzeitig um einen neuen Termin bitten, weil der Mann, die Frau, gerade morgen beim Nachtschifahren zugegen sein wird.
Sie liegen danach an seine Schulter gelehnt, rauchen eine Zigarette, sprechen von Scheidung, reden laut über ihre unerfüllten Träume. Sie haben die Decke über ihre Beine gezogen, über ihre Hüften, über ihr aufgewühltes, violett geschwollenes Geschlecht, weil die Scham über das eben Stattgefundene im Bauch pocht. Sie riechen nach Schweiß, nach der Angst, entdeckt zu werden, manchmal nach Anderem auch.
In diesen Nächten hasst Herr Peter das Buntvolk, das er besteigen muss, von dem er bestiegen wird. Es ist das Geld. Deshalb eben. Nur nicht weinen, sagt er sich dann und heult trotzdem, wenn er endlich in seiner Dachkammer die Puppe mit dem weißen Kleid umarmen kann. Er sagt Liebe zu ihr und weiß, dass dies ein seltener Name ist.
Herr Peter hört das Kettenklirren der Pistenraupen, die sich aufmachen, die Hänge herzurichten. Für einen neuen Tag, der nur ein weiterer Gaukler ist in dieser großen Komödie hier heroben zwischen den Schneekanonen und dem Kiefernwald. Es ist nicht so, dass Herr Peter das, was ihn damals in das andere Tal gebracht hatte, ganz vergessen konnte.
Das Warum ist einfach erklärt. Wenn Herr Peter in den Nächten, in denen für ihn in anderen Zimmern nichts zu tun ist, in sein Kissen weint, dann weint er um das Gefühl der Liebe, das er einmal kosten durfte. Nicht um die Zeit weint er, mit der er diese Liebe danach zu bezahlen hatte.
Wenn die Saison hier heroben dem Ende zugeht, wird Herr Peter das Trachtensakko für eine Weile an den Nagel hängen und mit seinem Mercedes ins Tal fahren. Dann ist der Schnee weg und die warme Adrialuft lockt zu Spaziergängen. Herr Peter wird seinen Wagen auf Hochglanz polieren, ihn am Bordstein vor dem Gastgarten abstellen und sich einen Tisch in der Sonne sichern. Manche werden sich nach seinem schwarzen Haarhelm umdrehen, ihm Blicke und damit vielleicht ein stummes Wollen auf den Weg schicken. Doch Herr Peter hat alle Zeit der Welt hier unten im Tal und der Stress der neunzehnhundert Höhenmeter ist weit weg. Herr Peter wird sein Lächeln hervorkramen und wie ein blanker Ritter in der Sonne des Frühlings sitzen.
Herr Peter ist ein schöner Mann und steht am Beginn seines Kreuzzuges und in den Straßen werden die ersten weißen Kleider zu sehen sein. Darauf wird Herr Peter warten, weil hinter einem davon die ungläubige Liebe spazieren geführt wird. Die, die nicht will, entdeckt zu werden. Die, die seiner Gewalt bedarf. Der sorglosen Gewalt eines Ritters, der weiß, dass er das Richtige tut, weil er daran glaubt, wenn die Nebel den Weg in seinen Kopf finden.
Diese scheue Liebe zu seiner Wahrheit zu bekehren, ist alles, was Herr Peter möchte.
So einfach ist das mit Herrn Peter.