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So ist das also
So ist das also.
So weit, so gut. Was jetzt? Ich wäre gerne liebestrunken und sinnentrückt in den Armen einer schönen Frau gestorben; nein, besser noch: in den Armen zweier schöner Frauen. Stattdessen trifft mich der Schlag, während ich auf dem Klo sitze und versuche, die Pizza vom Vorabend in die wohlverdiente Freiheit zu entlassen. Was für ein Pech. Merken Sie sich das: Man kann im Leben nichts erzwingen. Entweder es klappt oder es klappt nicht, entweder es kommt - oder nicht. Zu starkes Pressen ist ungesund. Rauchen tötet. Trinken auch. Alle Arten des Drogenkonsums sollten in jedem Falle vermieden werden. Schnallen Sie sich an beim Autofahren. Und vergessen Sie um Gottes Willen niemals Regel Nummer 1: Nicht zu stark pressen!
„Hi. Du musst Petrus sein.“
„Muss ich das?“
„Ja. Wer sonst würde mich wohl hier vor diesem prächtigen Himmelstor empfangen, einen viel zu großen Schlüssel in der einen und ein goldenes Büchlein in der anderen Hand?“
Petrus überdenkt das Argument. „Sehr scharfsinnig“, sagte er dann.
Schweigen.
Ich versuche, die Situation zu entkrampfen. „Tolles Wetter habt ihr hier oben.“
„Ja, ein Platz an der Sonne.“
„Riecht nur etwas komisch. Hat der große Meister gepupst?“
„Das ist der Weihrauch!“, erklärt mir Petrus geduldig, aber nicht ohne Strenge. “Dieser vertraute Duft soll Neuankömmlingen wie dir helfen, mit ihrem irdischem Leben abzuschließen und mit geläutertem Bewusstsein in den Garten Eden einzugehen.“
„Nette Idee.“
Gedehntes Schweigen. Petrus’ Finger trommeln gelangweilt auf dem Umschlag des goldenen Buchs herum; sein Blick gleitet versonnen durch die weihrauchgeschwängerte Luft.
„Was steht denn drin?“, will ich schließlich wissen.
„Wo drin?“
„Im goldenen Buch! Schandmal meiner Sünden! Dokument meiner grenzenlosen Nächstenliebe! Waagschale meiner Fehler und Vorzüge! Eintrittskarte ins Paradies oder Fahrschein zur Hölle!“ Ich schlage mir eine Hand vor die Augen, um die Dramatik des Gesagten zu unterstreichen.
„Oh“, meint Petrus. „Das Buch. Tja, das Buch... ist leer. Hat rein symbolischen Charakter, soll ein bisschen Eindruck schinden, du weißt schon.“ Er lächelt verlegen.
„Und was jetzt?“, frage ich etwas entnervt. „Darf ich rein oder nicht?“
„Oh, ich vergaß. Natürlich. Willkommen im Club.“
Das Himmelstor schwingt auf, es wackelt ein bisschen, so als wäre es aus Pappkarton (Ich wusste es!), und aus dem Garten Eden kommen fünf oder sechs Engel geflattert, fette kleine Dinger mit blonden Goldlöckchen und roten Backen. Sie schwirren um meinen Kopf, und reflexartig schlage ich nach ihnen, so wie man Fliegen verscheucht. Ich treffe einen mitten in die pummelige Visage, und mit einem klatschenden Geräusch segelt er rückwärts und prallt von der goldenen Himmelsmauer ab. Er schlägt noch leicht benommen, träge mit seinen weißgefiederten Flügelchen, dann beginnt er seinen trudelnden Sinkflug, der genau vor meinen Füßen endet.
„Geh’ und spiel auf deiner Harfe.“
Petrus ist sichtlich empört. „He!“, ruft er, „Ich meine, hey Mann - sie mögen vielleicht nicht ganz deinen Erwartungen entsprechen, und okay, sie sehen wirklich scheiße aus; aber es sind immerhin Engel! Etwas mehr Respekt, bitteschön!“
„Sorry, war ein Reflex. Aber das Problem ist: Sie entsprechen genau meinen Erwartungen!“
Die Engel ziehen wieder ab, ihre glockenhellen Stimmchen schnattern aufgeregt durcheinander.
„Was machen diese androgynen Grenzdebilen eigentlich den ganzen Tag über? Vögeln wohl kaum.“
„Wie bitte?“
„Vielleicht Wettsaufen?“
„Also hör mal...“
„Weitspucken? Kartenspielen? Fressorgien? Oder klimpern die tatsächlich die ganze Zeit nur dämliche Liedchen auf viel zu großen Harfen?“
„Äh ja... ich... äh... meine nein... äh...“
„Äh, äh, äh. Drei Mal, Petrus. Kommt mir irgendwie bekannt vor.“
Petrus errötet heftig. „Halt jetzt die Klappe und geh rein!“
„Moment. Wenn ich jetzt durch diese Pappkarton-Tür gehe, sehe ich dann genauso dämlich aus wie diese fleischgewordenen Phantasien eines drogenabhängigen Renaissance-Künstlers auf Entzug?“
„Äh... was?“
„Werde ich mich in einen fliegenden Haufen Babyspeck verwandeln und plötzlich ungeahnte Ambitionen bezüglich des Harfespielens entwickeln?“
„Äh... ja.“ Petrus wirkt verwirrt und etwas niedergeschlagen. „Würdest du jetzt bitte reingehen?“
Ich schüttle bedauernd den Kopf. „Erst will ich deinen Vorgesetzten sprechen.“
„Wen?“
„Den großen Chef. Persönlich.“
Petrus seufzt. „Der Chef schläft.“
„Hm. Wie lange dauert denn so ein Nickerchen für gewöhnlich?“
„Nun ja, auf ein paar tausend Jahre musst du dich schon einstellen.“
„Na toll.“
„Immerhin muss er sich von der Erschaffung des Universums erholen!“
„Schon klar. Was macht er denn, wenn er gerade mal nicht pennt? Bestimmt sitzt er in seiner Zelle und bemalt die weichen Gummiwände mit Wachsmalkreiden, während er vor sich hin kichert.“
„Äh... woher weißt du...“
„Ja, ja. So habe ich mir das vorgestellt. Und was mache ich die ganze liebe Ewigkeit lang?“
Petrus denkt nach. „Zuerst mal lässt du alles Irdische hinter dir“, sagt er schließlich langsam und bedächtig. „Du bist dann ein Engel, und du wirst einfach nur... glücklich sein!“
„Einfach nur glücklich? Du meinst, ich sitze unter einem Apfelbaum und zupfe an meiner Harfe herum?“
„Zum Beispiel“, meint Petrus. Dann fällt der Groschen, er bekommt einen hochroten Kopf und brüllt: „Wir haben hier keine Apfelbäume, du Arsch!“
„Also keine Äpfel, so so. Und du meinst, ich werde trotzdem einfach nur glücklich sein?“
„Ja!“ Petrus jappst nach Luft. „Nur glücklich!“
„Sonst nichts?“
„Nein.“ Er schüttelt heftig den Kopf.
„Klingt ja mächtig spannend.“
„Willst du jetzt rein oder was?“, keucht Petrus.
Ich überlege lange, bevor ich antworte. „Sei mir nicht böse, aber ich glaube, ich werde erst noch einen Blick zur Konkurrenz werfen.“
„Es gibt keine Konkurrenz! Wir haben hier oben die Monopolstellung inne.“
„Ich weiß. Deshalb werde ich auch ein oder zwei Stockwerke tiefer nachsehen.“
„Du meinst...“, stammelt Petrus erbleichend, „du gehst zu IHM? Dem Gefallenen, Gehörnten, Pferdefüßigen, dem Geist, der stets verneint, Mephisto, Luzifer, Satanas???“
„Genau zu dem.“
„Dann verpiss dich doch!“, höre ich Petrus noch rufen, bevor Scotty mich runterbeamt.
Und ich stehe vor einem Torbogen, über dem ein buntes Neon-Schild flimmert, auf dem in fetten, leuchtenden Lettern steht: „WILLKOMMEN IM CLUB! HEUTE KARAOKE-ABEND – GETRÄNKE ZUM HALBEN PREIS!“
Und ein Lächeln umspielt meine Züge.