So nah
Bald werden die grauen Schallschutzwände kommen und mit ihnen die Graffitis, die nach Heimat und
Freiheit zugleich schreien.
Sie sieht aus dem Fenster, sieht die Landschaften, die neben den Gleisen vorbei huschen.
Austauschbar und oft gesehen.
Und mit ihnen erscheinen bald Stationen, deren Namen ihre Erinnerungen wecken wie schlafende Hunde.
Wann kommst du wieder nach Hause? In die alte Heimat?
Als Ende vieler Telefonate mit ihrem Papa.
Für immer oder zu Besuch?
Die Frage, die sie nie stellen würde.
Man redet oft von Heimat, so als ob man sie fassen und in großen Dosen erwerben könnte.
Und übersieht dabei, dass es Menschen gibt, die sie selbst herschenken.
Die sie nie wieder zurückbekommen.
Ein erstes Herzklopfen beim alten Schild des Fürther Hauptbahnhofes.
Hier hatten sie auf dem Schulweg umsteigen müssen,
jeden Tag,
eine ganze Jugend lang.
Dort, wo sie schließlich aussteigt, in ihrem Heimatort im Fürther Norden, trägt der Bahnhof den falschen
Namen.
Du brauchst mich nicht holen kommen.
Sie wollte laufen, eine Art Abschiedsrunde zum Ankommen.
Die Firma, die so vielen Arbeit gab, liegt in Schutt und Asche. Schweres Gerät lädt die Trümmer auf.
In dieser Straße hat sie Zeitungen ausgetragen, ein erster Schritt in die Unabhängigkeit.
Ein Fußgänger mit Hund grüßt sie,
man kennt sich nicht und kennt sich doch, hier, wie früher.
Ihre Erinnerungen bellen.
Sie wird langsamer, bleibt stehen,
versucht, all die Erlebnisse, die Wünsche, die Enttäuschungen und die Triumphe ihrer Jugend an der kurzen
Leine zu lassen.
Und geht doch weiter.
Weiter durch die Kulisse ihrer Jugend, in der die Vorstellung weitergeht und sie nur noch als Statistin taugt.
Bis sie vor dem Klingelschild steht, auf dem auch ihr Name steht.
Bevor sie drückt, hält sie inne.
Wo warst du denn? Wir haben uns Sorgen gemacht!
Ihre Erinnerungen werden bissig.
Sie drückt.
Wir müssen uns so vieles sagen,
denkt sie,
aber wir sind noch nicht weit genug voneinander entfernt.