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So nah

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17.11.2018
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So nah

Bald werden die grauen Schallschutzwände kommen und mit ihnen die Graffitis, die nach Heimat und
Freiheit zugleich schreien.
Sie sieht aus dem Fenster, sieht die Landschaften, die neben den Gleisen vorbei huschen.
Austauschbar und oft gesehen.
Und mit ihnen erscheinen bald Stationen, deren Namen ihre Erinnerungen wecken wie schlafende Hunde.
Wann kommst du wieder nach Hause? In die alte Heimat?
Als Ende vieler Telefonate mit ihrem Papa.
Für immer oder zu Besuch?
Die Frage, die sie nie stellen würde.
Man redet oft von Heimat, so als ob man sie fassen und in großen Dosen erwerben könnte.
Und übersieht dabei, dass es Menschen gibt, die sie selbst herschenken.
Die sie nie wieder zurückbekommen.
Ein erstes Herzklopfen beim alten Schild des Fürther Hauptbahnhofes.
Hier hatten sie auf dem Schulweg umsteigen müssen,
jeden Tag,
eine ganze Jugend lang.
Dort, wo sie schließlich aussteigt, in ihrem Heimatort im Fürther Norden, trägt der Bahnhof den falschen
Namen.
Du brauchst mich nicht holen kommen.
Sie wollte laufen, eine Art Abschiedsrunde zum Ankommen.
Die Firma, die so vielen Arbeit gab, liegt in Schutt und Asche. Schweres Gerät lädt die Trümmer auf.
In dieser Straße hat sie Zeitungen ausgetragen, ein erster Schritt in die Unabhängigkeit.
Ein Fußgänger mit Hund grüßt sie,
man kennt sich nicht und kennt sich doch, hier, wie früher.
Ihre Erinnerungen bellen.
Sie wird langsamer, bleibt stehen,
versucht, all die Erlebnisse, die Wünsche, die Enttäuschungen und die Triumphe ihrer Jugend an der kurzen
Leine zu lassen.
Und geht doch weiter.
Weiter durch die Kulisse ihrer Jugend, in der die Vorstellung weitergeht und sie nur noch als Statistin taugt.
Bis sie vor dem Klingelschild steht, auf dem auch ihr Name steht.
Bevor sie drückt, hält sie inne.
Wo warst du denn? Wir haben uns Sorgen gemacht!
Ihre Erinnerungen werden bissig.
Sie drückt.
Wir müssen uns so vieles sagen,
denkt sie,
aber wir sind noch nicht weit genug voneinander entfernt.

 

Hola @Rob Segel,

willkommen bei uns! Ich war neugierig und las in Deinem Profil:

Weil ich an meinem ersten Roman schreibe und für meine Lesebühne immer wieder neue Talente suche

Bueno, dachte ich:cool:, sehr spannend – Roman, Lesebühne. Klingt profilike.
Dann dachte ich: Hoppla, ist aber kurz!
Hat aber keine Bedeutung; als ob es auf die Länge ankäme!
Lesestart.
Graffitis, die nach Heimat und Freiheit zugleich schreien.
Graffitis sind wie Spaghettis.

... ‚nach Heimat und Freiheit zugleich’ klingt gut, präsentiert sich wie ein Widerspruch – muss es aber nicht sein.

Man redet oft von Heimat, so als ob man sie fassen und in großen Dosen erwerben könnte.
Und übersieht dabei, dass es Menschen gibt, die sie selbst herschenken.
Die sie nie wieder zurückbekommen.

Das gefällt mir, auch wenn man es hundertfach deuten könnte.

Ein Fußgänger mit Hund grüßt sie,
man kennt sich nicht und kennt sich doch, hier, wie früher.
Ihre Erinnerungen bellen.

Hier scheint mir handwerkliches Wollen zum Selbstläufer zu werden.

... an der kurzen Leine zu lassen.

Entweder an der langen Leine zu lassen oder an kurzer Leine zu halten.

Ihre Erinnerungen werden bissig.

Gibt’s hier auch eine Verbindung zum Hund? Mir scheint es so, und da muss ich sagen, dass in so einem kurzen Text der Hund samt bellenden Erinnerungen, kurzer Leine und bissigen Erinnerungen alles andere überfrachtet.

Eine recht kurze Kurzgeschichte ohne Handlung, eher eine Gefühlsbeschreibung hab ich gelesen; für meinen Geschmack zu wenig, als dass man viel dazu sagen könnte. Der kleine Text wäre bei Flash Fiction wohl besser aufgehoben.

Zum Format: Du hast es überwiegend wie ein Gedicht gestaltet, im krassesten Fall besteht eine Zeile aus einem Wort – da kommt’s mir vor, als ob hier ein Anspruch aufgebaut wird, den der Text nicht einlöst. Aber wir werden hoffentlich noch mehr von Dir zu lesen bekommen, und dann sieht alles ganz anders aus.

Schöne Grüße!
José

 

Hallo Rob Segel
Danke fürs Teilen deines Textes. Einige Sätze sind sehr schön und haben mich berührt, während ich gerade im Zug sass nach Hause:

«Bald werden die grauen Schallschutzwände kommen und mit ihnen die Graffitis, die nach Heimat und Freiheit zugleich schreien.»

«Man redet oft von Heimat, so als ob man sie fassen und in großen Dosen erwerben könnte.»

«Die Firma, die so vielen Arbeit gab, liegt in Schutt und Asche. Schweres Gerät lädt die Trümmer auf.»

Du erzählst von der Rückkehr einer jungen Frau in das Dorf ihrer Heimat. Während sie im Zug sitzt, tauchen Bilder und Erinnerungen auf. Auch Wortfragmente der Eltern und eines jüngeren Selbst tauchen auf im Bewusstseinsstrom. Ein Gefühl entsteht in mir. Ich assoziiere: Nostalgie, Vergänglichkeit, Trauer, Reue, Sehnsucht.

Und immer wieder dieser Hund. Vielleicht wird damit der Verlust eines vierbeinigen Freundes angedeutet?

Die Bilder und Assoziationen erinnern mich an Tagträume oder an Fragmente aus einem Tagebuch. Noch sind diese Gedanken stark nach innen gerichtet und noch zu wenig für den Lesenden bestimmt. Für mich ist nicht klar, wer zu wem oder mit wem spricht. Ist es ein innererer Monolog? Was ist der Kontext? Wer spricht, wenn über «sie» gesprochen wird? Wer ist mit «du» gemeint und wer erzählt hier? Ich spüre noch zu wenig von der Erzählstimme.

Als Leser möchte ich etwas erleben. Ich möchte gepackt und gefesselt werden. Zieh mich in die Tiefe. Entführe mich. Lass mich nicht mehr los. Zeig mir, wo es lang geht. Ich bestehe darauf. Kein Geheimnis ist zu schrecklich für mich. Mute es mir zu. Ich will Details. Und über den Hund will ich alles wissen. Und dann möchte ich, dass es los geht, dass sich etwas ereignet, dass die Handlung beginnt. ;)

Ich würde mir wünschen, deine Erzählstimme stärker zu hören. Du deutest viel an, es kommt aber nocht nicht zur Handlung, es passiert noch nichts. Das finde ich schade, denn ich bin wirklich neugierig geworden, was du erzählen willst.

Den letzten Satz finde ich grossartig.

«Wir müssen uns so vieles sagen, denkt sie, aber wir sind noch nicht weit genug voneinander entfernt.»

Da liegt eine grosse Spannung darin. Aber wieso fühlen wir uns einander näher, wenn wir weit voneinander entfernt sind? Und wer ist dieser Vater?

Liebgruss
bluesafran

 

Hallo Rob Segel,

Wie Du Deinen Text gestaltet hast, finde ich gut. Es unterstreicht die wechselnden Gefühle der jungen Frau, die Erinnerungen. Aber sie empfindet auch Furcht und ein wenig Trauer bei ihrer Heimkehr. Das stellst Du knapp und anschaulich dar.
Wir müssen uns so vieles sagen,
denkt sie,
aber wir sind noch nicht weit genug voneinander entfernt.

Das ist schön gesagt, denn manches lässt sich zwischen Eltern und Kindern besser und leichter aus der Ferne sagen, als Visavis.
Aber: (Das bellen stört mich.)
Für immer oder zu Besuch?
Die Frage, die sie nie stellen würde.

Stellt sie die Frage oder der Vater?

Liebe Grüße
niebla

 

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