Hi @GoMusic,
eher nicht mein Beuteschema, aber nach deinen Kommentaren zu meinen Texten fühle ich mich doch mal ermuntert, den Gefallen zu erwidern.
Erst nach zweimaligem Lesen ist mir die Info-Box oben aufgefallen, in welcher du darauf hinweist, dass es sich um einen Beitrag zu einer Challenge handelt, die sich den Namen nach auf sehr kurze Texte bezieht.
Kurz gesagt: Dein Text hat etwas, ist mir an einigen Stellen jedoch auch einen Tick zu abstrakt. Ich bin jedes Mal gepackt, wenn du spezifische Details einbaust, die knapp formuliert sind, aber sehr prägnant das Geschehen auf den Punkt bringen. Insofern sind gerade Einstieg und Ende sehr stimmig. Auch gefällt mir, wie eine anfangs harmlos erscheinende Situation (Papa findet meinen Schnaps nicht) plötzlich eine derart schreckliche Dimension offenbart. Dadurch kreiert er tatsächlich eine "Sog"-Wirkung. Find ich gut.
Die anderen Kommentare habe ich jetzt nur überflogen, insofern kann es sein, dass vieles, was ich anspreche, sich wiederholt.
Vater hat meinen Schnapsvorrat nicht gefunden, den ich in der roten Erde verbuddelt habe. Dafür weiß ich seit gestern, wo er die lausigen Schillinge versteckt hat. Der Umschlag ist ausgebeult, viel zu groß für das, was noch drin steckt. Vater muss viele Tausender ausgegeben haben.
Wie gesagt, in Anbetracht der Kürze deines Textes finde ich diesen Einstieg super. Insbesondere das Detail mit der roten Erde gefällt mir, weil es die 'blutige Vergangenheit' suggeriert. Spezifische kleine Wörter, die einem das Setting und Geschehen etwas näher bringen.
Die ganze Nacht habe ich wachgelegen, überlegt, ob ich mit den Scheinen einfach verschwinden soll, mit dem Sühnegeld.
Hm, hat er nicht gerade noch von "lausigen Schillingen" gesprochen? Das klang nach eher wenig. Aber jetzt sind es Scheine, und sogar so viele, dass er überlegt, damit abzuhauen.
Abgesehen davon: "Die ganze Nacht wachgelegen" ist erneut so ein spezifisches Detail, dass mir die Situation näher bringt, ohne auszuschweifen und super konkret zu werden. Auch das gefällt mir.
Ich konnte mich nicht verabschieden, musste alles zurücklassen.
Angekommen, nahmen sie mir die Augenbinde ab, schüchterten mich ein, bedrohten und misshandelten mich. Ich musste hungern, wurde krank. Man gab mir Alkohol. Ich lebte in ständiger Angst, verletzt oder getötet zu werden.
Bis ich selbst Gewalt anwenden musste. Grausamkeiten begangen habe.
Ab hier verliert die Erzählung für mich an Farbe. Das einzige Detail, das mir die Geschichte näherbringt, ist die Augenbinde. Ansonsten besteht die Passage eher aus Aussagen, die man vermittelt haben möchte. Zumindest bis zu einem gewissen Grad.
Beispiele:
"Man gab mir Alkohol"
Was für Alkohol? Eine spezifische Marke, die es in deinem Setting gibt? Oder, etwas genereller, Bier, Wein, oder Schnaps? Vielleicht sogar ein Slang-Wort? Ein genaueres Wort wäre in meinen Augen an dieser Stelle passender.
"schüchterten mich ein, bedrohten und misshandelten mich"
Wie genau? Schrien sie ihn an? Hielten sie ihm ein Messer oder Bajonett an die Kehle? Schlugen sie ihn mit einer Gerte, einem Schlagstock oder einem Gewehrkolben?
"Ich lebte in ständiger Angst, verletzt oder getötet zu werden."
Eine Alternative könnte so aussehen:
"Anfangs wehrte ich mich. Sie erschossen einen der Freiwilligen, der dasselbe tat, und ich hörte damit auf."
So zumindest würde ich es versuchen, wenn ich diese Geschichte so kurz wie möglich halten müsste.
Ich wollte fliehen. Doch die Gefahr erwischt und getötet zu werden, war groß. Auch wusste ich nicht, wo ich war. Oder wie ich hätte nach Hause gelangen sollen.
Die ersten beiden Sätze gefallen mir. Sie sind zwar ebenfalls generell gefasst, passen aber zu der Art, wie deine Figur erzählt.
Die dick angestrichene Passage braucht es da gar nicht. Spielt es eine Rolle, ob er weiß, wo sein Zuhause ist? Hätte er den Wunsch verfolgt, wegzulaufen, hätte er im nächsten Ort jemanden fragen können. Wahrscheinlich würde erst einmal für ihn gelten: Raus hier!
Allerdings:
Wenn du diesen zweiten Teil nicht streichen willst, so würde ich erneut versuchen, ihn etwas spezifischer zu gestalten.
Ein Beispiel:
"Auch wusste ich nicht, wo ich war. In der Kantine hing eine Karte, doch ich konnte nicht lesen und die Orte darauf sagten mir nichts."
Ich lebte auf der Straße. Ich hungerte, ich prügelte mich. Um Nahrung, um Alkohol. Ich schlief auf kalten Böden in verlassenen Gebäuden. Dachte, die schlimmen Bilder vertreiben zu können, die Alpträume, die Angst.
Ab hier wird es wieder stärker. Das "Schlafen auf kalten Böden in verlassenen Gebäuden" gefällt mir. Nur das Wort Nahrung klingt in meinen Ohren sehr abstrakt. Du könntest es mit "Essen" oder "etwas zu essen" ersetzen. "Alkohol" passt hier besser als oben, aber du könntest an dieser Stelle auch "Schnaps" schreiben.
Oder die einzelnen Eindrücke sogar miteinander verbinden:
"Ich lebte auf der Straße. Ich hungerte. Ich prügelte mich, meistens um Essen. Wenn ich Alkohol fand, spürte ich die blauen Flecken weniger."
Bis ich erfuhr, dass ich nicht zufällig auf dem Schulweg aufgegriffen wurde, dass meine Eltern meine jüngeren Geschwister schützen wollten, und dachten, dass mich die Soldaten gut behandeln würden, und dachten, dass ich Geld für die Familie verdienen könnte, und hofften, dass ich unversehrt heimkehren würde.
Bis ich erfuhr, dass es meine Mutter und meine Geschwister nicht geschafft hatten.
Den langen Satz mit den Offenbarungen finde ich klasse. Er passt sehr gut in den Erzählstil, gerade weil er mit den sonst knappen Sätzen bricht und voller schockierender Wahrheiten ist.
Ich bin aber nicht sicher in Bezug auf das Wort "Geschwister". Kann er sich nicht an ihre Namen erinnern? Ich verstehe, dass seine Eltern für ihn "Mutter" und "Vater" sind, aber Brüder und Schwestern kennt man ja mit Namen. Es kann natürlich sein, dass Familie etwas ist, das für ihn in diesem Moment weit, weit weg ist, und das Wort eben gerade diese Distanz zum Ausdruck bringt. Das würde gehen. Und es wäre schwierig, die Namen der Geschwister in einen so schön dahinfließenden Satz einzuarbeiten. Das kommt auch hinzu.
Bei dem zweiten Zitat hätte ich jedoch gerne gewusst, was passiert ist. Wurden sie erschossen, im Krieg? Sind sie verhungert? Anstatt "nicht geschafft hatten" wäre mir da ein anderes Verb lieber, dass die Hintergründe seiner Familie mehr beleuchtet.
Die dünne Drahtseilschlinge habe ich von einem LKW geklaut. Ich weiß damit umzugehen.
Das Ende ist wieder klasse. Da steckt genau das nötige Etwas drin, um mir die Situation vor Augen zu rufen.
Alles in allem, in seiner Kürze, eine gute Geschichte. Hat mir gefallen. Sehr prägnant und auf den Punkt gebracht. Doch, wie bereits gezeigt, hätte ich mir gerade im Mittelteil ein paar Beschreibungen gewünscht, die Handlung und Setting genauer charakterisieren. Dabei ist es gar nicht nötig, der Geschichte ihre Kürze zu nehmen.
Naja, das sind meine 3 cents (oder Schillinge). Hat Spaß gemacht, durch deinen Text zu gehen. Ich glaube, meine Beuteschema wurde gerade aktualisiert.
Liebe Grüße,
Robot Fireman