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Sommerwindtraum
Sommerwindtraum
„Schon seit vielen Jahren sitze ich jeden Abend hier in diesem Zimmer, das wohl eher einer Bibliothek denn einem Wohnraum gleicht. Jedoch ich habe diesen bequemen Ledersessel, einen gemütlich wirkenden Perserteppich aus dem fernen Orient und einen Tisch auf dem all die von mir benötigten Utensilien Platz finden.
Die Wände, oder um genau zu sein drei der Wände sind bis oben an mit Bücherregalen geschmückt. Fragen Sie erst gar nicht! Ja ich habe sie alle gelesen und die meisten von Ihnen sogar mehrfach. Eine kleinere Auswahl von so etwa 175 Büchern, nennen wir sie einmal meine Lieblingsbücher, habe ich so oft gelesen, dass ich es nicht einmal mehr zählen kann.
Das Fenster ist geöffnet und der Wind trägt einen Duft von Lavendel mit sich, riechen Sie nur, herrlich, nicht wahr? „Richtig geraten, ich befinde mich in der Provence, jenem herrlichen Gebiet in Frankreich, das mich als kleiner Junge schon immer faszinierte.
Über meine Person braucht nicht viel gesagt zu werden. Ich bin alt und grau, meine Haut ist faltig und meine Augen schauen müde drein, leider sind sie heute wieder etwas gerötet. Tja das Altern hält man eben nicht auf.
Vielleicht muss ich bald schon gehen. 2Aber sorgen Sie sich bloß nicht um mich, ich habe keine Angst vor dem Tod.
Mein einziges Anliegen das ich noch habe, ist es, Ihnen das Schreiben schmackhaft zu machen. Geschriebene Worte, ja das ist es wohl, wofür ich gelebt habe. Und ich habe für meinen Sommerwindtraum gelebt. Ja das habe ich wahrlich! Aber ich will Sie nicht über Gebühr aufhalten und Sie können, wenn Sie gleich aufgehört haben zu lesen, ganz schnell meine Person vergessen, sie können den Tisch vergessen, den Teppich, auch den Lavendelduft und Sie können den bequemen Sessel vergessen. Den werden Sie sich eh erst in vielen Jahren verdient haben, wenn Sie fleißig genug geschrieben haben. Warum? Ach Sie fragen auch noch warum Sie schreiben sollen…? Muss ich denn erst wieder all die tausend guten Gründe für das Schreiben mühevoll herunterbeten? Nein das habe ich wahrlich oft genug getan und außerdem sollten Sie mittlerweile alt genug sein, den Sinn selber zu erkennen. Hören Sie mir einfach zu und wenn es Sie berührt, dann wissen Sie, wozu und wofür Sie schreiben sollen.
So noch schnell ein Glas Wasser eingeschüttet, und das Fenster muss ich auch noch schließen, es wird langsam immer früher frisch an diesen Herbstabenden. Ach, immer dieses viele Trinken, aber mein Arzt sagt, es müsse sein. Na ja das interessiert Sie eh nicht. Einen Satz vielleicht noch vorweg, ich kann es halt eben doch nicht lassen, kleine Schwäche von mir. Das Schreiben dient dazu um Menschen wie Ihnen, ich hoffe Sie verzeihen mir meine Dreistigkeit, ihre verkrusteten Seelen wieder weich zu klopfen.
So genug geredet, ich will es noch dieses eine mal tun, noch einmal die Geschichte vom Sommerwindtraum erzählen.
Die herunter hängenden Enden des Tischtuches wehten spielerisch im lauen Sommerwind umher. Einzig einige aus dünnem Blech gebogene Klammern, hielten es auf dem weiß lackierten Gartentisch, der aus Eisen und Holz bestand, fest. Auf dem Tisch stand ein Glas Limonade und eine Karte lag auf ihm, auf der die Getränke verzeichnet waren. Ein großer weißer Kiesel, dessen Oberfläche im Sonnenlicht schimmerte, sicherte sie vor dem Wegfliegen. In dem kleinen Café und im Besonderen auf dieser herrlichen Terrasse, war nicht viel Publikumsverkehr in diesem Spätsommer. Einzig einige wenige Gäste saßen am Eingang zum Café.
Am weißen Lacktisch saß eine Frau, die Füße hatte sie übereinander geschlagen auf einen zweiten Stuhl gelegt. Ihr Blick war in einem Buch, über das Schicksal versunken.
Die Terrasse des Cafes bestand aus einem von einer hüfthohen Bruchsteinmauer befriedeten Fläche, die mit kleinen schneeweißen Kieseln ausgelegt war. Die Sitzgruppe bestand aus Gartenmöbeln, die dank ihrer stabilen Ausführung, schon viele Jahrzehnte überdauert hatten. Alle zwei Jahre erhielten sie einen neuen Anstrich. In der Mitte der Anlage war eine herrliche Statue aus weißem italienischem Marmor aufgestellt, deren Füße in einer Brunnenschale ruhten. In den Händen, hielt sie einen Krug, aus dem unaufhörlich Wasser quoll, das sich in der Schale sammelte, um seine Reise erneut anzutreten. Auf der Bruchsteinmauer waren im Abstand von 10 Metern steinerne Blumenkübel aufgestellt, die in früheren Zeiten wohl einmal als Futtertröge in der Landwirtschaft gedient hatten.
Die Bepflanzung bestand aus duftenden Kräutern und Sommerblumen in allen herrlichen Farben.
Die junge Frau mit dem Pagen-Schnitt blätterte eine Seite um und trank einen Schluck der mit Eiswürfeln gekühlten Limonade. Sie war die Tochter des Hauses, einen Sohn hatten ihre Eltern nie bekommen, also würde sie den Gastronomiebetrieb einmal übernehmen.
Am liebsten saß sie im Garten wenn gerade Zeit dafür war, denn es gab oft viel zu tun, selbst im Winter kamen viele ihrer Stammgäste hier her. Von Zeit zu Zeit ließ sie das Buch sinken und blickte auf das Meer hinaus, das von diesem Hochplateau auf dem das Café lag, herrlich anzusehen war. Ein schier unendliches Farbenspiel aus Blau und Grüntönen erfreute ihre Seele immer wieder. Das Haar der jungen Frau war schwarz, so schwarz wie das Gefieder eines Raben, ihre Haut hingegen erinnerte eher an die Farbe des Schnees. Ihre Lippen hatten einen so herrlichen Farbton, dass ich ihn nicht zu beschreiben wage. Ihr übriges Erscheinungsbild war so wunderschön anzusehen, als sei sie ein Überbleibsel aus dem Paradies. Doch „Was ist Schönheit“ dachte sie oft, „eine Laune der Natur!“
Der junge Mann hatte sich an dem alten, rostigen Radkreuz einen Finger verletzt, er wand ein Stofftaschentuch herum, um die Blutung zu stoppen. Es gelang ihm jedoch nicht sonderlich gut, da der metallene Dorn tief eingedrungen wahr und es ihm Schmerzen bereitete, wenn er das Tuch zu feste darauf presste.
In dem Buch über das Schicksal stand, dass man neue Wege gehen solle, ungewöhnliche Wege, dass man tun soll, was man vorher sonst nie getan hatte.
Kurz entschlossen legte die junge Frau das Buch zur Seite, trank einen Schluck Limonade und schritt durch das weiße Holztor hinaus auf die Straße. Sie ging heute nicht Dorf einwärts, sondern Dorf auswärts, sie ging nicht der Sonne entgegen, sondern ließ sich von ihr den Nacken wärmen. Sie lief nicht in ihren Schuhen, sondern barfuss, sodass sie den feinen sandigen Boden unter ihren Fußsohlen spürte, was sie als sehr angenehm empfand. Sie scheute sich nicht, wie sonst, fremde Leute auf offener Straße anzusprechen. Also sprach sie einen jungen Mann an, der auf einem kaputten Autoreifen saß. Sicher, er war nicht gerade hübsch, er hatte nicht diesen gestählten Adoniskörper, von dem die Frauen sonst träumen. Er hatte nicht diese strahlend blauen Augen, er hatte nicht riesige Muskelpakete um seine Oberarme herum angelegt. Er war nicht hoch gewachsen und braun gebrannt.
Er war vielmehr klein, hatte einen nicht zu übersehenden Bauch, Haare dessen Farbe man nicht richtig definieren konnte und sein Gesicht trug unter dem rechten Auge eine unschöne, wulstige Narbe.
Aber, dachte sie bei sich, nachdem sie ihn kurz angesehen hatte Was ist schon Schönheit? Eine Laune der Natur.
Bereits nach wenigen Worten hatte sie sich zu ihm gesetzt und sie redeten so vertraut als würden sie sich schon sehr lange kennen. Sie redeten und redeten, über alles worüber junge Leute eben so reden und je länger sie redeten umso wärmer wurden ihre Herzen.
Nach einer Weile bemerkte sie das blutige Taschentuch. Sie erkannte es an einem roten Zipfel, der aus seiner Jackentasche ragte, in dem seine Hand geruht hatte. Es war ihm wohl peinlich gewesen, die dumme Verletzung zuzugeben, warum auch immer. Sie zog seine Hand auf ihren Schoß und begann das Tuch abzuwickeln, dann schaute sie sich die Wunde die immer noch leicht blutete genau an. Sie entdeckte einen kleinen spitzen Metallsplitter und entfernte ihn vorsichtig. Dann wand sie ihr eigenes, sauberes Taschentuch herum und hielt ihre Hand fest darum geschlossen. Sie blickte in seine Augen und sprach, „gleich ist es wieder gut“, dann küsste sie die Spitze des Fingers, die aus dem tüchernen Verband herausragte. Ein Blutstropfen blieb an ihren Lippen hängen, doch bevor sie ihn mit ihrer Zunge aufnehmen konnte, was ihm ihre tiefe Zuneigung vermitteln sollte, kreuzte ihr Blick den Außenspiegel des Wagens. Die Farbe des roten Lebenselixiers war identisch mit der ihrer Lippen, sie verschmolzen förmlich ineinander und nur die Tropfenform und der etwas andersartige Glanz von frischer Flüssigkeit, verhalf ihr dazu ihn überhaupt wahrzunehmen. Sie sprach im ruhigem, zärtlichen Ton zu ihm. „ Wenn sich die Farben der Liebe so ähneln, dann komm und lass uns ihn zusammen träumen, diesen Sommerwindtraum “. Er lächelte so wie er noch nie zuvor im Leben gelächelt hatte, tief berührt und glücklich.
„Wir haben seit diesem Tag nie mehr aufgehört ihn zu träumen, unseren Sommerwindtraum.
Ach kommen sie doch noch kurz mit zum Fenster, - bitte. Sehen Sie, dort unten, neben dem Schatten spendenden Olivenbaum liegt sie begraben, und ich werde bald an ihrer Seite liegen.
Ich bin alt und heute fragt keiner mehr nach meinem Aussehen. Früher da sagten sie alle, ich sei hässlich, aber ihr hatt es nie etwas ausgemacht. Wenn so etwas geschieht, wenn unsere Herzen solche Äußerlichkeiten überwinden, dann, ist das ein Sommerwindtraum.
So nun gehen Sie, ich bin alt und müde, außerdem muss ich mich ruhen. Ach und vergessen Sie nicht, dass auch Sie ein Sommerwindtraumträger werden. Es ist ganz einfach,
lieben Sie - und..... vergessen Sie bloß nicht es aufzuschreiben“.