Was ist neu

Spätes Schreiben

Mitglied
Beitritt
09.08.2006
Beiträge
472

Spätes Schreiben

Spät setzte er sich noch einmal hin und sammelte seine Gedanken so weit, dass er in der Lage seien würde, etwas zu schreiben. Er schrieb schon eine ganze Weile lang, meistens abends, nicht täglich, doch zumindest einmal in der Woche, oftmals häufiger. Mit der Zeit war es für ihn zu einer Art des Ausdrucks, der seelischen Erleichterung geworden. Natürlich war es, wie jeder kreative Prozess, mit einer gewissen Anstrengung verbunden und eigentlich fühlte er sich so spät nicht mehr dazu in der Lage. Wahrscheinlich würde es nichts werden, er würde keine anständige Handlung oder gar Geschichte zusammen bekommen und das Schriftstück später vernichten. Dennoch machte er sich nun ans Schreiben, er spürte in sich noch das Bedürfnis, nach erwähnter Erleichterung und für eine Schreibübung war dies allemal gut. Die leicht melancholische Musik, die er zuvor gehört hatte, stellte er nicht ab, er war es gewöhnt, mit musikalischer Untermalung zu schreiben.
Überrascht stellte er bald fest, dass ihm seine Tätigkeit recht gut von der Hand ging, dass er ziemlich schnell schrieb. Dies mochte allerdings auch darin seine Begründung finden, dass er nicht wie sonst mit aller Liebe zum stilistischen Detail eine Geschichte verfasste, sondern mit einer Beschreibung seines Handelns begann, wahrscheinlich, dachte er bei sich, würde ihm beim ersten erneuten Lesen die Minderwertigkeit des Geschriebenen ins Auge springen.
Solcherlei Überlegungen anstellend, lehnte er sich in seinem schweren Stuhl zurück, lauschte der Musik und nahm einen genüsslichen Schluck aus dem nebenstehenden Weinglas. Die rote Flüssigkeit sagte ihm geschmacklich über die Maßen zu und löste in gewohnter Weise seine Gedanken. Vielleicht sollte er beginnen, den Text stilistisch ein wenig besser auszugestalten, jetzt wo er genau hinsah, stellte er fest, dass er damit sogar schon begonnen hatte, erste Metaphern und Parabeln hatten sich eingefunden und die steril protokollartige Buchstabenwelt zu bevölkern begonnen. Er beugte sich vor und weitere Zeilen erschienen alsbald.
Dann sank er erneut zurück und blickte zum Fenster hinüber. In der Scheibe schimmerte matter das ohnehin matte Licht der weißstrahlenden Gaslaternen wieder, das einzige Licht das dazu in der Lage zu sein schien, mit der Dunkelheit in friedlicher Gemeinschaft zu existieren. Seinem Wesen nach musste es also ebenfalls schwarz sein. Irgendwie vermochte dies den Schreibenden zu beunruhigen, größeres Unbehagen bereitete ihm allerdings sein bisheriges Schaffenswerk.
Quo Vadis?
Bislang war kein Sinn darin zu erkennen, kein Ziel, kein bestimmter Stil. Ob er sich so etwas von der Seele schreiben konnte, seine bestimmten Sorgen auf so unbestimmte Art und Weise verbannen?
Wieder ließ er von dem rubinroten Rebensaft etwas seine Kehle hinabfließen, den Rest betrachtete er nachdenklich, wunderte sich, wie mannigfaltig sich das flackernde Kerzenlicht darin brach.
Plötzlich meinte er es nicht mehr auszuhalten und erhob sich. Unruhig begann er im Zimmer umherzustreifen, ging an den Wänden entlang, seine Fingerkuppen tasteten über ihre Oberfläche. Die andere Hand hielt immer noch das Glas, führte es gelegentlich zum Mund. Schneller wurden seine Schritte während er die Bilder und Abbildungen, die hier zahlreich hingen, begutachtete. Auch die Harmonien beschleunigten sich, ihn offensichtlich unterstützend.
Manchmal ging er doch wieder hinüber zu seinem Tisch, fügte einige Worte und Sätze hinzu, während sein Geist immer fiebriger zu arbeiten begann. Ganz augenscheinlich war es keine gute Idee, gewesen, sich seiner mentalen Last so erleichtern zu wollen, eine gewisse Wut auf sich selbst stieg in ihm hoch.
Das Schauspiel setzte sich einige Zeit so fort, die Kerzen brannten weiter herunter, die Weinflasche leerte sich und immer wieder durchwanderte er das Zimmer.
Das Schreiben indes war nun alles andere als flüssig geworden, nur selten fügte er noch etwas hinzu, seine Züge wurden zunehmend gramgezeichnet. Allein schon darüber ärgerte er sich, dass ihm partout nichts besseres einfallen wollte, als seine so unsinnigen, so beschämenden, unkreativen Handlungen zu beschreiben.
Sollte er diesen Text einfach vernichten, noch einmal neu beginnen? Versuchen, eine Geschichte zu schreiben?
Nein, es hatte keinen Sinn, gestand er sich ein und fuhr fort, sein Tun schriftlich festzuhalten. Der Morgen graute ohnehin schon, zu spät. Er setzte nicht mehr viel hinzu. Stattdessen setzte er sich und trank noch ein wenig Wein, lauschte der Musik.
Als die Sonne aufging und sich gerade über die nahen Hausdächer erhob, flog wie erwartet die Tür seines Zimmers auf. In diesem Augenblick entschied er sich doch noch, über sein bloßes Protokollieren hinauszugehen, noch einen Rat niederzuschreiben:

Werter Leser, auch wenn sie ein passionierter Autor seien sollten, erliegen sie nie der Versuchung, vor ihrer Hinrichtung den letzten Wunsch zu äußern, noch eine Nacht für das Schreiben einer Geschichte zu erhalten. Es wird ihnen nichts sinnvolles einfallen.

Dann ergriffen sie ihn unbarmherzig, rissen ihn weg von seinem Schreibtis…

 

Hi Abdul

Gut. Gefällt mir gut. Der rubinfarbene Rebensaft gefällt mir auch nicht, aber ansonsten ist das stilistisch schon ganz gut. Die Idee ist auch gut; wenn auch schon öfter so in Erscheinung getreten, hast du hier eine gute Interpretation dieser Variante.
An der Glaubwürdigkeit hapert es noche ein wenig, denn ich hätte ihn hektischer und suchender dargestellt. Aber dann liefest du natürlich Gefahr, die Pointe zu verlieren.

Bin zufrieden

besten Gruß

 

Tach Abdul!

Aggi, aggi, aggi ... Nicht nur in den Rezensionen bist Du mir eine Nasenlänge voraus. Jetzt auch noch das. Ich saß heute in der Bahn, und hatte die Idee für exakt dieselbe Geschichte. :lol:

Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu.

Ich muß wohl nicht erwähnen, daß mir Deine Geschichte folglich gefallen hat.

Hmpf, Bis denne!

 

Guten Abend allerseits, freut mich, dass den bisherigen Rezensisten die Geschichte samt Pointe gefallen hat.
Ich hatte da meine Zweifel, da dieses Werk eine Art Experiment darstellte. Das Schreiben kostete mich nämlich nur eine halbe Stunde, wonach ich sie hier sofort hineinstellte. Dies war darauf zurückzuführen, dass ich zunächst gar nicht mit der Absicht begann, wirklich eine Geschichte zu schreiben. Tatsächlich setzte ich mich einfach abends hin und tippte los, ich beschrieb einfach meine eigenen Handlungen, die ihr ja auch in diesem Text nachlesen könnt, ich bin somit wirklich identisch mit dem Protagonisten. Bis zum Schluss jedenfalls, denn man hat mich natürlich nicht vom Schreibtisch weggerissen.
Naja, jetzt wisst ihr auch, wie ich meine Sonntagabende verbringe. :D
Durch diese Herangehensweise sind natürlich auch einzelne Unvollkommenheiten im Aufbau entstanden.

Tja Fischstaebchen, das ist sicher nicht einfach für dich... Aber vielleicht kannst du ja eine Geschichte aus deinem tragischen Schicksal machen. Oder nein, ich denke, das werde ich vorher erledigen... ;)


Gruß,
Abdul

 

Hallo Abdul,

was du in deiner letzten Anmerkung beschreibst, war auch genau mein Eindruck beim ersten Durchlesen: Eine Schilderung der Seelenlage des Autors, die typischen Probleme des Schreibenden. Der Knaller am Schluss, stellt zwar die Situation in ein anderes Licht, gibt der Geschichte die bis dahin fehlende Handlung, passt aber meiner Meinung nach nicht ganz zum Rest.

Du beschreibst da eine fidele Todeszelle mit Rotwein und Musik einen einsitzenden Delinquenten, der versucht eine Geschichte zu schreiben, sich eine Handlung auszudenken, wo es doch soviel anderes gäbe, über das er schreiben könnte...

Eine gute Nacht denn,

N

 

Hallo AbdulAlhazred,

weitestgehend kann ich mich Nicole anschliessen, allerdings finde ich die Pointe _wirklich_ gelungen, und für eine gute Pointe...

Dennoch habe ich tatsächlich beim Lesen Deine Gedankengänge und den iterativen Charakter der Story erkannt, was jedoch nicht nur ein Kompliment ist. Du solltest in einigen Formulierungen feilen und Detailarbeit leisten, insbesondere gegen Ende verlässt Du den sehr altdeutschen Tonfall. Rubinfarbener Rebensaft ist da nur ein Beispiel einer Sprache, die Du am Ende nicht mehr durchhältst. Und bei der Du Dich zu einer Konsequenz entscheiden musst, komplett rein wie in den ersten Absätzen der Geschichte (und in ihrer Umständlichkeit sind Dir da ein paar gute Bilder gelungen), oder komplett raus und in eine Sprache Deines Vertrauens transferieren.

Die leicht melancholische Musik, die er zuvor gehört hatte, stellte er nicht ab, er war es gewöhnt, mit musikalischer Untermalung zu schreiben.
Woher kriegt er in der Todeszelle noch Musik ? Elektrischer Strom und die Nutzung elektrischer Geräte entspricht nicht der Zeit in der die Sprache so verwendet wurde, also muss es eine Kapelle gewesen sein, die ihm vorgespielt hat ? Ist er ein König (wieso schreibt er dann mehr als daß er regiert ?), warum sonst wird er so verwöhnt in seiner letzten Stunde ?

Dann sank er erneut zurück und blickte zum Fenster hinüber. In der Scheibe schimmerte matter das ohnehin matte Licht der weißstrahlenden Gaslaternen wieder,
Fenster ? Bei einer Zelle in Bodenhöhe ? Keine Gitterstäbe davor und Verurteilter blickt träumerisch seinem letzten Sonnenaufgang entgegen ?

Investier nochmal ein bisken Zeit und mach die Ecken und Kanten raus, dann, mit dieser Pointe... :)

Grüße,
C. Seltsem

 

Dank auch an Nicole Berg und C. Seltsem für das Lesen und Kommentieren.
Jaja, die stilistische Konsequenz... Damit hapert es durchaus des öfteren, mein Stil ist insbesondere von Geschichte zu Geschichte relativ starken Variationen unterworfen, wodurch ein Durchhalten schon für die Dauer einer einzigen zur Schwierigkeit werden kann. Zumal, wenn sie unter derartigen Bedingungen entsteht. Vielleicht muss ich meinen speziellen Stil auch erst noch finden, was man mir aufgrund meines eher noch geringen Lebens- und Autorenalters verzeihen mag.

Woher kriegt er in der Todeszelle noch Musik ? Elektrischer Strom und die Nutzung elektrischer Geräte entspricht nicht der Zeit in der die Sprache so verwendet wurde, also muss es eine Kapelle gewesen sein, die ihm vorgespielt hat ? Ist er ein König (wieso schreibt er dann mehr als daß er regiert ?), warum sonst wird er so verwöhnt in seiner letzten Stunde ?
...
Fenster ? Bei einer Zelle in Bodenhöhe ? Keine Gitterstäbe davor und Verurteilter blickt träumerisch seinem letzten Sonnenaufgang entgegen ?

Das sind wohl mit die Dinge, die die Geschichte seltsam machen. :D Eine wirklich plausible Erklärung habe ich hier nicht, auch wenn mir die Idee vom gefangenen Edelmann auch schon kam und ich kurzzeitig sogar gedachte einen konkreten historisch Kontext zu schaffen. Letztlich verzichtete ich jedoch auf eine Klärung dieser Fragen, da der Text wie erwähnt eine Schilderung meines eigenen Schaffensprozesses darstellt und gerade dieses leicht unlogische Element doch auch ein wenig Allgemeingültigkeit zu verleihen vermag. Außerdem sollte es sich wie gesagt um einen Schnellschuss handeln.


Gruß,
Abdul

 

Hallo Abdul,

jaja die oben zitierte Konsequenz zum Durchhalten von Stilformen ... ist auch irgendwie mein Problem. Was ich gut finde an dieser Plattform hier, ist die Möglichkeit aufgrund von Anregungen seine Texte zu überarbeiten. Damit lassen sich "Schnellschüsse" weiter raffinieren.

Was mir des öfteren aufgefallen ist und auch ich für gut befinde, ist die Tatsache dass realistisch gekleidete Geschichten auf harte Kritiken stoßen, sobald es an der Logik oder am Realismus fehlt. Damit herrschen hier deutlich härtere Anforderungen als sie an Drehbuchautoren gestellt werden ... aber was uns nicht umbringt, macht uns schließlich härter. Oder vielleicht auch besser.

LG,

N

 

Hi,

was wir hier haben ist irgendwie eine Spirale, die bei mir einen verwirrten Zustand hinterläßt und langsam einer gewissen Enttäuschung weicht.

Denn die Entstehung (die bereits aufgelöst wurde) sieht man dem Text an.

Es beginnt mit einer Selbstreflektion.
D.h. jemand will was schreiben, hat keine Ahnung worüber und beginnt die eigene momentane Situation inkl. Umgebung zu beschreiben. Verliert sich hier und da und ergeht sich dann sogar über eine Reflektion über den bisherigen Stil und das Werk des Schreibenden.
Dann gibt es den Hänger (offenbar ist er an der Stelle, wo er gerade beschreiben müßte, was er schreibt), wo er dann etwas wütend wird, überhaupt angefangen zu haben.

Und dann hat er die Idee mit dem Morgen vor der Hinrichtung.

Allerdings paßt es nicht zum oben Geschriebenen und es gibt 2 Sichtweisen
a) es ist ein Deliquent, der tatsächlich die Muße hat, sich das alles auszudenken und eben NICHT über sich, sondern über einen Schreibenden schreibt -> hier wäre mir völlig unklar, warum er dies denn machen sollte

b) es ist Schreiber mit einer Idee während eines Textes, dem eine Pointe einfällt, der aber nicht mehr hochwandert, um zu prüfen, ob diese Pointe überhaupt hinhaut, denn es funktioniert eben nicht, die oben erwähnte Räumlichkeit (Arbeitszimmer) per Definition in eine Zelle zu verwandeln.

Das Ding dann in "Seltsam" zu parken zeugt in diesem Fall nicht gerade vom Arbeitswillen des Autoren.
Denn auch so können ja gute Geschichten entstehen. Indem man weiter unten in eine Konstellation gerät, die plötzlich eine Geschichte ergeben. Und wenn das bedeutet, daß man noch mal komplett neu anfängt, dann aber mit einem Ziel, dann isses eben so.

Darum merci für die Teilhabe am Schreibprozess und Respekt für das gute Handwerk, aber ein Maler hört doch auch nicht nach der Fertigstellung eines Hintergrundes auf und stellt es als abstrakte Kunst aus.

Aber wir wissen ja, wie´s ist: Ein guter Autor, das sind:
5% Genialität
15% Talent
und der Rest ist eben Arbeit.

Einige können durch vorteilhafte Gene bzw. Erfahrung am letzten Punkt sparen - in diesem speziellen Fall würde ich davon abraten.

Zum (im Text und bei den Kritiken) diskutierten Punkt Stilsicherheit:

Mach Dir da mal keine Sorgen.
Zum einen kann der Autor selbst am wenigsten erkennen, wie konstant sein Stil ist. Zum anderen sollte ein Autor eher auf die Qualität seiner Geschichten, statt auf den richtigen Stil, achten. Denn eine gute Geschichte wurde im für sie optimalen Stil geschrieben und nach und nach entwickelt sich beim Autoren dann evtl. eine Vorliebe für eine bestimmte Art der Erzählweise und das ist dann "sein Stil".

Aber wie gesagt, im Vordergrund sollte die Geschichte stehen, dann kommt das mit dem Stil ganz von alleine.

Gruß
mac

 

Hallo macsoja,

Was hast du denn da ans Tageslicht gezerrt? ;)

Das Ding dann in "Seltsam" zu parken zeugt in diesem Fall nicht gerade vom Arbeitswillen des Autoren.
Damit hast du den Kern schon getroffen! Die Geschichte wurde eher dahin geschrieben - und hinterher nicht mehr groß bearbeitet. Vor dem Einstellen dachte ich noch, dass eben darin ein Reiz liegen könnte: Dass sich vor dem Leser eine - wenn auch nicht ganz schlüssige - Geschichte entfaltet, der man ihre Entstehung genau ansieht und deren Entstehungsgeschichte letztlich mit der eigentlichen Handlung verschmilzt.
Ich habe die Mängel der Geschichte also billigend in Kauf genommen, in der Hoffnung, diese könnten zugleich ihre Stärken sein - oder besser gesagt: Ihre Existenzberechtigung. Nun musste ich aber feststellen, dass das auf den Leser wohl nur schlampig und konfus wirkt. Ein gerechtes Urteil. ;) Na ja.

Also, ich danke dir, vielleicht weniger für's Ausbuddeln, aber dafür umso mehr für die treffende Kritik und die aufmunternden Worte.


Gruß,
Abdul

 

Das tut mir aber leid, dass die dich hingerichtet haben :)
Sehr gelungene "wahre" Geschichte.
(Ich habe ähnliches schon mehrmals versucht, bin aber immer kläglich gescheitert da irgendwas nicht-blödes zustande zu bringen.)
Gut lesbar und nie langweilig und ein unerwartet böses Ende: sehr gut!

Grüße,

F.

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom