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Spiegel

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24.08.2007
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Spiegel

Ich kann dich nicht hören.

Deine leise Stimme dringt nicht bis hierher, wo mir von jeder glänzenden Fläche mein eigenes Gesicht entgegenblickt, tausendfach gebrochen.

Wären wir im Märchen, so könnte ich einen der Spiegel durchschreiten, ganz gleich welchen, es wäre nur ein Schritt. Ich gelangte in das fremde Land voller Abenteuer und Geheimnisse, worin du auf mich wartest, und in dem die Gesetze nicht gelten, die mich dazu zwingen, rastlos das Rad zu drehen der immer gleichen Inszenierungen.

Ich bin in Drachenblut gebadet, und nicht einmal ein Lindenblatt fand je den Weg zu meiner nackten Haut. So bin ich unverwundbar geworden und brauche keine Hand, die mich streichelte in der Nacht.

Einmal, im Bade, riebst du mit beiden Händen über dein nasses Gesicht und spürtest dabei das meine. Da hast du dein Leben in meine Hände gelegt.

Ich trete durch den Spiegel und mache dich lebendig.

 

Hallo enigma!

Tja, da steht jemand vor einem zerbrochenen Spiegel und denkt an "dich". Das war's eigentlich schon. Ein bisschen in Metaphern gepackt, das Ganze. Aber was soll daran seltsam sein?

126 Wörter sind meiner Meinung nach zu wenig für eine Geschichte. Wie ich gesehen habe, sind deine anderen Texte auch nicht viel länger. Warum versuchst du dich nicht mal an einer echten, erzählenden Geschichte?

Grüße
Chris

 

Hallo Chris Stone,

vielen Dank für Deine Antwort.

Meine Texte sind minimalistisch. Jedes Wort ich wichtig und hat Bedeutungen. Liest man den Text sehr langsam und überlässt sich dabei seinen Assoziationen, entsteht -erst beim Lesen- die eigentliche Geschichte durch die Vereinigung meines Textes mit der Phantasie des Lesers. Sie befruchtet quasi die Leerstellen mit dessen eigenen Bildern, Träumen und Erfahrungen und erzeugt so für jeden eine andere Geschichte.

Für Dich ist es eine Geschichte von jemandem, der vor einem zerbrochenen Spiegel steht und an ein Du denkt.

Für andere könnte es eine völlig andere Geschichte sein.

Warst Du schon einmal in einem Spiegelkabinett? Kennst Du Literatur der Romantik, die uns von Doppelgängern erzählt, von gespaltenen Persönlichkeiten, zweien in einem? Hast Du schon einmal darüber nachgedacht, dass die Unsterblichkeit der antiken Götter ein Erstarren beinhalten könnte in ewig-gleichen Mustern, somit ein unendlicher Tod? Kennst Du die Geschichte vom Drachenblut und vom Lindenblatt? Kennst Du "Alice im Wunderland"? Niemand weiß, was sich hinter dem Spiegel verbirgt. Oder doch?

Ich könnte noch vieles mehr anführen, was diese, wenn Du richtig gezählt hast, 126 Wörter assoziieren könnten.

Echte, erzählende Geschichten, bei denen sich der Leser entspannt zurücklehnen kann, den Text genießen, sich führen lassen zu einem mehr oder weniger überraschenden Ende, gibt es in diesem riesigen Forum die Fülle. Die muss ich nicht auch noch schreiben.

Sollte nicht Platz sein für einige wenige Miniaturen, die den Leser einladen, mitzumachen beim Entstehen einer Geschichte, und die ja anscheinend bei manchen hier Gefallen gefunden haben?


Liebe Grüße

enigma

 

Hallo enigma!

Deine Erklärung, wie man deinen Text lesen sollte, oder könnte, oder was auch immer, ist jetzt doppelt so lang wie dein Text selbst. Allein dieser Umstand sollte dir zu denken geben.

"erzeugt so für jeden eine andere Geschichte." => Wirklich? Wie kannst du dir dann sicher sein, was du da geschrieben hast? Und wie kannst du sagen, dass jedes Wort Bedeutung hat, wenn doch jeder etwas anderes daraus liest?

All deine Anregungen zu deinem Text interessieren mich nicht. Das musst du nicht persönlich nehmen, aber ich bevorzuge Texte, die von sich aus Geschichten sind, die selbst erzählen, und die es nicht der Phantasie eines Lesers überlassen, aus den paar Wörtern, die es hier nur sind, eine Geschichte zu machen.

Sicher finden auch Miniaturen geneigte Leser, das gilt auch für Lyrik (in die dein Text eher geht) aber ich bin hier bei kurzgeschichten.de, daher möchte ich Kurzgeschichten lesen.

Grüße
Chris

 

Hallo enigma!
Im Gegensatz zu Chris finde ich die Länge (bzw. Kürze) der Geschichte überhaupt nicht störend. Im Gegenteil, ich kann es nicht leiden, ewig vor dem Bildschirm zu sitzen und mir meterlange Geschichten durchzulesen. Und an Chris: Interpretationen oder Erklärungen sind doch meistens länger als die Geschichte selbst oder? Ich mag es, wenn man mit wenig Worten viel beschreiben kann.
Also von mir ein Lob, ich mochte die Bilder, die du in meinem Kopf geschaffen hast. :)
Auf jeden Fall gern gelesen,
liebe Grüße,
Apfelstrudel

 

Nur kurz an apfelstrudel:

"Und an Chris: Interpretationen oder Erklärungen sind doch meistens länger als die Geschichte selbst oder?" => Wie schon gesagt, meiner Meinung nach sprechen gute Geschichten für sich selbst. Und ich interpretiere nicht, das konnte ich schon in der Schule nicht leiden.
Aber wenn du mit mit über irgendwas diskutieren willst, dann schicke mir eine PN. Du solltest nicht davon ausgehen, dass ich unter Texten Dritter nach Nachrichten für mich suche.

 

Salü enigma,

hier ist es die Stille, das Leise, das 'einfach so ist es', die mir gefallen haben. (Im Gegensatz zum Tempo.)
Ja, ich mag es auch, wenn Geschichten vom genau gewählten Wort getragen werden und nicht 'nur' von Blut triefen ... Und ich mag Texte, die mir die Freiheit geben, mich selbst 'mitschreiben' zu lassen, bzw. mich darin zu finden.

Eine Winzigkeit:

So bin ich unverwundbar geworden und brauche keine Hand, die mich streichelte in der Nacht

ist 'streichelte' hier richtig?

Herzlich grüsst Dich Gisanne

 

Liebe Gisanne,

vielen Dank für Deine freundlichen Worte. Es ist sehr schön, dass Du meine Geschichten magst, und es freut mich sehr, dass und wie Du Dich als Leserin einbringst.

"Streichelte" war als Konjunktiv gedacht, denn das lyrische Ich wird ja nicht wirklich gestreichelt, es sagt, es brauche keine streichelnde Hand. Vielleicht müsste es "streichle" heißen?

Ganz liebe Grüße

enigma

offtopic-PS:habe heute eine Schweizer Rüblitorte gebacken, die erste meines Lebens. Superlecker.

 

Oder einfach: 'die mich streichelt in der Nacht'. (?)

Rüeblitorte, mit Zuckerguss - mmhhmm, fast wie eine gute Geschichte ...

 

als geschichte an sich taugt es nicht viel, aber ich bin nicht so penibel.

lucky me...


geht durch

Echt?? Na, dann bin ich ja beruhigt :lol:


Ah, jemand, der mit sich selber spricht... wieder eine neue Deutung, die so nicht intendiert war... interessant

Ja, ich geb´s zu: mein letzter Satz hat mir, in aller Bescheidenheit, auch gefallen.

danke, nachtschatten

lg
enigma

 

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