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Spieltrieb

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09.12.2016
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Spieltrieb

Paul erinnerte sich lückenhaft an die letzten Tage. Sein Redakteur hatte ihn nach New York geschickt, um einen Artikel über diese Mordserie zu schreiben. Was war dann geschehen?
Er setzte sich im Bett auf und zog die Decke enger um den schmächtigen Körper. Regenwolken verdeckten den Novemberhimmel, durchs geschlossene Fenster drang kein Laut. Paul griff nach dem Pappbecher mit Wasser auf dem Nachttisch, leerte ihn in einem Zug, aber der pelzige Geschmack im Mund blieb.
Da war diese Frau gewesen. Kinnlanges, schwarzes Haar, dicht wie eine Perücke, schneeweiße Haut. Paul lächelte schwach, merkte, dass er ins Schwärmen geriet und streckte den Rücken durch. Bloß keine Gefühlsduselei. Er musste sichergehen, dass nichts passiert war, was er nicht wollte.

Gleich am Flughafen war er ihr begegnet. Er saß in einem dieser Schnellrestaurants und beobachtete, wie sie in ihren Stöckelschuhen auf und ab lief und den Trolley hinter sich herzog. Sie schien wohlhabend zu sein, das graue Kostüm war bestimmt nicht billig gewesen. Suchend blickte sie über die Köpfe der Leute hinweg.
Nach einer Weile blieb sie stehen, um sich die Lippen nachzuziehen. Zögernd erhob er sich, wusste genau, was er sagen würde. Das hatte bisher immer gezogen. Er wich einer Gruppe Rednecks aus, die zu fünft einen Gepäckwagen schob und laut sang.
„Mam“, begann er, „ich ...“ Im selben Moment spürte er etwas Schweres gegen seinen rechten Arm prallen, geriet aus dem Gleichgewicht, wurde gegen die Frau gestoßen. Ihr Taschenspiegel fiel herunter, und bevor Paul einen klaren Gedanken fassen konnte, fuhr sie herum. Quer über ihrer Wange sah er einen roten Strich, der wie eine Kriegsbemalung aussah.
Die Rednecks lachten, einer half seinem Freund vom Boden auf und verpasste ihm eine Kopfnuss. Gröhlend zogen sie weiter.
„Ich ... Ich bitte vielmals um Entschuldigung“, sagte Paul, während er sich die Hosenbeine abklopfte. Sie sah ihn an, als wäre nichts passiert. Ihr Blick war unschuldig und gleichzeitig auf eine seltsame Art neutral, wie gemalt wirkten die großen, dunklen Augen. Paul musste sofort an das Buch denken, mit dem er als Junge unter dem Ahornbaum gesessen und mit nackten Zehen im Sand gegraben hatte. Sein Herz klopfte laut, wenn er es auf einer bestimmten Seite aufschlug. Da war es. Schneewittchen. Derselbe unschuldige Blick, als könne nichts auf der Welt ihr etwas anhaben. Er schaffte es immer wieder, sich davonzuschleichen und sie anzuschauen, ohne dass die Alte ihn entdeckte.

„Paul Anders.“
Sie gab ihm die Hand, stellte sich aber nicht vor. Paul ging in die Knie, um den Spiegel aufzuheben. Das Glas war zerbrochen, und als die Frau hineinsah, wusste Paul, dass ihr Gesicht in tausend Teile zerfiel.
Der zerbrochene Spiegel verschwand in ihrer Handtasche, dann lächelte sie und sagte: „Ich dachte schon, Sie kommen nie.“
Paul sah sie fragend an. Statt einer Antwort ließ sie ihren Koffer stehen und stöckelte Richtung Damentoilette. Er zog die Stirn kraus. Kannte sie ihn? In seinem Kopf lief alles durcheinander. Er stellte sich vor einen Zeitungskiosk, trat von einem Bein auf das andere, überflog die Schlagzeilen. Überall nur Mord und Totschlag. Aber seine Reportage würde mehr hergeben, der Täter wurde seit zehn Jahren gesucht, und jetzt standen sie kurz davor, ihn zu fassen. Wenn er die Story lieferte, würde er endlich seine Beförderung bekommen.
Die Frau kam mit entschlossenem Gesicht in die Flughalle zurück. Sie blieb vor der Toilettentür stehen und telefonierte. Paul sah auf die Uhr. Die Hände waren so nass, dass er sie mehrmals an der Jeans abwischen musste. Selten war ihm eine Frau begegnet, die genau wie in dem Buch aussah. Die anderen hatten ihr ähnlich gesehen, die letzte sogar sehr, aber sie war perfekt. Wieder sah er auf die Uhr. Im Hotelzimmer wartete eine Menge Arbeit auf ihn, und er musste den Gedanken an das Buch aus dem Kopf bekommen. Wie es im Laufe der Jahre immer mehr zerfledderte, die roten Lippen verblassten, das schwarze Haar abstumpfte, der Deckel fehlte. Warum brauchte sie so lange?
Endlich klappte sie das Telefon zu und kam zu ihm. Er schnappte sich ihren Koffer und zog ihn neben seinem eigenen hinter sich her. Das Spiel fing an, ihm zu gefallen. Eine Inspiration für seine nächste Kolumne. Mit wem verwechselte sie ihn? Einem Blind Date? Einem Freund von demjenigen, der sie eigentlich abholen sollte, aber verhindert war? Es konnte sich auch um einen Job handeln.
„In der Nähe von meinem Hotel soll es ein sehr nettes, chinesisches Restaurant geben“, sagte er. „Wenn Sie keine anderen Verpflichtungen haben, würde ich Sie gerne zum Essen einladen. Als Entschädigung für den kaputten Spiegel.“
„Das ist wirklich nicht nötig“, beeilte sie sich zu sagen und senkte den Blick. „Aber ich nehme trotzdem gerne an.“

Der Himmel war grau, als sie ins Freie traten, die Luft roch nach Regen. Paul steuerte auf ein Taxi zu, ließ den Fahrer das Gepäck im Kofferraum verstauen, hielt der Frau die Tür zur Rückbank auf und setzte sich neben sie.
Während der Fahrt durch den Newark-Tunnel sah sie aus dem Fenster. Später flogen Menschen und Gebäude an ihr vorbei, aber sie schien sie gar nicht wahrzunehmen. Paul fragte sich, ob sie die Tropfen zählte, die in immer kürzeren Abständen auf der Scheibe landeten. Der Fahrer schaltete die Scheibenwischer ein.

Es war bereits dunkel, als der Wagen in eine Seitenstraße bog, durch eine große Pfütze glitt und direkt vor dem Restaurant hielt. Über dem Eingang blinkten chinesische Schriftzeichen. Endlich wandte die Frau sich Paul mit einem sanften Lächeln zu. Ihre Augen glitzerten.


An das Abendessen konnte Paul sich zunächst nicht erinnern. Für ihn hatte diese Frau gleich nach der Taxifahrt hier auf dem Bett gesessen. Der Akt verlief routiniert, sie quiekte ein paarmal, aber außer sich geriet sie nicht. Dann musste er eingeschlafen sein.
Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und sah sich hastig um. Kein Schrank, kein Stuhl, kein Spiegel, nur der Nachttisch mit dem leeren Wasserbecher und dem Hoteltelefon. Er griff nach dem Hörer und tippte die Nummer, die auf dem Gehäuse stand. Der Zimmerservice sollte ihm etwas zu trinken bringen.

Als es klopfte, torkelte Paul schlaftrunken zur Tür, aber der Page war bereits eingetreten. Er trug einen roten Gegenstand in der Hand, etwa so groß wie ein Sofakissen. Mehr konnte Paul ohne Brille nicht erkennen.
„Herr Anders, Sie sollen doch nicht aufstehen“, sagte der Page betont ruhig und in perfektem Deutsch. Er blieb seitlich vor dem Nachttisch stehen, dann legte er den Gegenstand aufs Bett. Paul rieb sich die Augen. Das Buch. Aber als er darauf zuging, erkannte er ein rotes Plastikarztköfferchen für Kinder. Genau wie das, das er damals im Gebüsch neben dem Ahornbaum gefunden hatte. Die Alte hatte ihn grün und blau geschlagen, als sie es herausfand. „Du! Sollst! Lernen!“, hatte sie geschrien. Immer und immer wieder. Dann hatte sie ihn zu den Schulbüchern gezerrt.
Paul fuhr sich mit den Händen durchs Haar. Er musste sich konzentrieren. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Zumal das weiße Kreuz auf dem Koffer größer zu werden schien. Es sah jetzt wie eine längliche Schale aus. Und in seinem Kopf brüllte immer noch die Alte: „Du! Sollst! Lernen!“ Bis er merkte, dass er selbst es war, der schrie.
Der Page nahm jetzt etwas aus der Schale und kam auf Paul zu. Aus der Nähe erkannte er eine Spritze in der Hand des Mannes.
„Was wollen Sie von mir?“, schrie Paul, sprang zur anderen Seite des Bettes, riss das Kopfkissen hoch und warf es nach dem Pagen. Es landete auf dem Boden. Der Page griff nach dem Telefonhörer.
„Hallo? Ja, hallo, hier ist Quermann, Station 11c“, hörte Paul ihn mit kehliger Stimme telefonieren. „Patient beginnt die Kissenschlacht. Bitte um Verstärkung.“

Er hatte den Satz kaum beendet, als zwei Männer in grauen Kitteln hereinstürmten. Sie packten Paul und drückten ihn auf die Matratze. Er spürte ein Ziepen im Oberarm, wollte schreien, aber eine Hand presste ihm den Mund zu. Paul versuchte zu treten, wand den Oberkörper in alle Richtungen und tatsächlich - sie ließen ihn los.
Nun war auch die Frau wieder da. Sie war noch weißer als zuvor, und ihr Lächeln war noch sanfter.
„Wo kommen Sie denn her?“, fragte Paul. Als er sich umblickte, waren die Männer verschwunden.
„Aber ich bin doch gar nicht weggewesen.“
Paul wurde schwindelig. Wie weiß sie war. Noch nie hatte er einen Menschen mit so weißer Haut gesehen.

Sie fanden einen kleinen Tisch in der Ecke, er bestellte die Acht. Chop Suey mit Reis. Die Frau wollte nur einen Salat.
„Die Beerdigung ist morgen um zwei“, sagte sie.
Er zuckte zusammen. Sie wusste davon. Sicher hatte man sie auf dieselbe Story angesetzt.
Er sah vor sich auf das pinkfarbene Tischtuch, krallte die Finger im Schoß ineinander und hatte die Tote genau vor Augen, in einem gläsernen Sarg, das schwarze Haar wie ein Fächer um das weiße Gesicht drappiert, ein kleiner Schnitt quer über der Kehle.
„Ich werde da sein“, sagte er.
Die Augen der Frau schienen ihn zu verschlingen. Hoffentlich geriet er jetzt nicht außer Kontrolle. Wie konnte er einen kühlen Kopf bewahren, wenn sie ihn so ansah?
Ihr Handy vibrierte auf dem Tisch. Sie warf einen kurzen Blick auf das Display, entschuldigte sich und ging mit dem Telefon vor die Tür. Wieder brauchte sie lange. Paul trommelte mit den Fingern auf dem Tisch. Das Lokal füllte sich. Zwei Herren in grauen Anzügen nickten ihm kurz zu und nahmen am Nebentisch Platz.
Als sie zurückkam, zupfte sie sich die Haare zurecht. Da waren ein paar helle Strähnen an den Schläfen, die ihm vorher nicht aufgefallen waren. Noch bevor er Zeit fand, darüber nachzudenken, lächelte sie ihm warm zu, setzte sich wieder, in Zeitlupe, wie ihm schien, legte die Hand auf seinen Unterarm. Ihm wurde heiß. Er lockerte seinen Schlips. Sie beugte sich etwas vor und sprach leiser.
„Cecile war meine beste Freundin. Aber sie war einfach zu leichtsinnig. Wir waren alle hinter der Story her, aber sie musste ja unbedingt alles alleine machen.“
Paul sah, dass ihre Hand leicht zitterte, als sie nach dem Glas Mineralwasser vor sich auf dem Tisch griff, trank und sich die Lippen mit der roten Serviette abtupfte.
„Mein Beileid“, sagte er.
Jetzt hatte sie sich wieder im Griff, blickte ihm fest in die Augen. Da war etwas Unzüchtiges in ihrem Blick, das konnte er genau erkennen. Die Alte hatte ihm immer wieder gesagt, dass etwas Verdorbenes in Schneewittchens Augen lauere, genau wie es auch in dieser Frau schlummerte, da war sich Paul ganz sicher. Hatte sie ihn mit dem Fuß unter dem Tisch berührt? Abermals begannen seine Hände zu schwitzen.

Der Akt verlief routiniert. Die Frau quiekte ein paarmal, aber außer sich geriet sie nicht. Paul konnte sich nicht erklären, warum. Er hatte sie in den Apfel beißen sehen, kauen, schlucken. Endlich atmete sie hastiger, rang nach Luft. Draußen ertönte die Sirene eines Krankenwagens. Die Tür wurde eingetreten, und ehe Paul wusste, wie ihm geschah, erkannte er einen grauen Anzugärmel, der sich um seinen Hals legte, ihn nach hinten zog und fest umklammert hielt. Er spürte ein Ziepen im Oberarm. Dann musste er eingeschlafen sein.

Zuletzt bearbeitet: 25.12.2018
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Hallöchen @Chai ,

Paul erinnerte sich nur lückenhaft an die letzten Tage. Sein Redakteur hatte ihn nach New York geschickt, um einen Artikel über das Empire State Building zu schreiben. Was war dann geschehen?
Er setzte sich im Bett auf und zog die Decke enger um den schmächtigen Körper. Regenwolken verdeckten den Novemberhimmel, durchs geschlossene Fenster drang kein Laut. Paul griff nach dem Pappbecher mit Wasser auf dem Nachttisch, leerte ihn in einem Zug, aber der pelzige Geschmack im Mund blieb.
Das ist ein toller Anfang. Du schreibst so schön ruhig, aber ohne langweilig zu werden.

Ihr Taschenspiegel fiel herunter, sie fuhr herum und Paul sah einen roten Strich quer über ihrer Wange, der wie eine Kriegsbemalung aussah.
Würde mir das mit einer Frau passieren, ich würde so schnell wie möglich verschwinden wollen. Würde mir als Frau so etwas passieren, ich würde dem Typen den Todesblick zeigen.
Warum beschreibst du hier nicht, wie sich da dein Prot fühlt? Will er nicht im Boden versinken? Warum lächelt er nur schief?

„Das ist wirklich nicht nötig.“ Sie senkte den Kopf. „Aber ich nehme trotzdem gerne an.“
Ist sie eine Geheimagentin? XD

Der Akt verlief routiniert, Schneewittchen quiekte ein paarmal, aber in Ekstase geriet sie nicht
Also der Mann wirkt sehr "grau" auf mich. Warum ist er dann so sehr von einer fremden Frau hingerissen, dass er sie spontan auf ei Date einladet? Treiben sich solche Leute nicht eher auf Tinder herum, wenn sie jemanden für die Nacht suchen?

Im nächsten Moment erkannte er einen grauen Anzugärmel, der sich um seinen Hals legte. Dann musste er eingeschlafen sein.
Oh nein! Der Arme.
Aber der Plottwist war gut, vor Allem mit deiner falschen Fährte. Um ehrlich zu sein habe ich auch nicht damit gerechnet, dass du diese "Wende" mit der Geheimagentin so offensichtlich gemacht hättest.

Ich interpretiere das so, dass der graue Irrenhauskittel Schneewittchen ist. Das ist dann schon irgendwie romantisch. Sozusagen umarmen sie sich ja ständig.

Alles in allem hat mir der Text gefallen. Schön verwirrend und Psycho und angenehm zum Lesen.

Liebe Grüße,
alexei

 

Lieber @Achillus,
vielen Dank für deine Kritik. Ich gehe sie mal der Reihe nach durch:

ich bezweifle, dass Schneewittchen von Aussehen und Erscheinung her allgemein im Kopf der Leute so präsent ist, dass irgendjemand auf Idee käme, da einen Vergleich anzustellen. Insbesondere, wenn es ein Mann ist. Ich musste erst mal googeln, um mir ein Bild dieser Märchenfigur zu machen und selbst jetzt sagt sie mir recht wenig.
Erstaunlich, dass jemand Schneewittchen nicht kennt. Selbst heutzutage ist es in den Köpfen der Kinder sehr präsent. Ob man's mag, ist natürlich eine andere Sache, und - ja, Mädchen stehen sicher mehr drauf als Jungs, trotzdem wissen die in der Regel, wer es ist und haben ein Bild dazu. Aber macht ja nix. Ich habe auch so einige Bildungslücken, über die manche Menschen den Kopf schütteln.

Mal ehrlich, wer geht denn durch die Welt, sieht eine blasse, dunkelhaarige Frau und sagt: Ah, genau wie Schneewittchen! Das ist doch ziemlich lebensfremd. Auch wissen wohl nur wenige Leute, was Ebenholz überhaupt ist, denn das spielt in unserem Leben überhaupt keine Rolle.
Zu Punkt 1: Paul geht nicht durch die Welt, sieht eine blasse dunkelhaarige Frau und denkt dann an Schneewittchen. Er ist ein Serienkiller, der sich seine Opfer an Flughäfen sucht. Dass er auf den Schneewittchen-Typ steht hat etwas mit den Gründen zu tun, weshalb er mordet. Dass die im Text zu kurz kommen und mühsam auseinanderklamüsert werden müssen, wurde von einigen Vorkommentatoren mehrmals - zu Recht - kritisiert. Natürlich kann man Paul seinen Geschmack auch ankreiden, aber ich finde das ein wenig weit hergeholt und es hat - zumindest in meinem Fall - nichts mit einer weiblichen Autorenphantasie zu tun. Ich persönlich steh nicht auf Schneewittchen und kenne auch keinen Mann, der das tut. Nichtsdestotrotz gibt es bestimmt welche. Genauso wie es Frauen gibt, die auf Sylvester Stallone stehen, obwohl ich keine kenne.
Und wie du selbst in deinem Antwortkommentar zu deiner Geschichte schriebst: Es gibt nichts, was es nicht gibt.

Zu Punkt 2: Das Haar so schwarz wie Ebenholz, die Haut so weiß wie Schnee
ist einer der bekanntesten Sätze dieses Märchens. Von daher ist Ebenholz den meisten schon ein Begriff. Klar kennt man das im allgemeinen heute nicht mehr, da muss ich dir Recht geben. Ich wusste sicher auch nicht, was das ist, als ich das Märchen zum ersten Mal gelesen habe. In der Regel wird das den Kindern dann aber erklärt.

aber man muss als Autor immer bedenken, welche Assoziationen man beim Leser freisetzt. Schneewittchen steht nicht allein - wie Du es Dir vielleicht wünschst – für das klassische Märchen, sondern heute eben auch für all den Disney-Mist, der darauf basiert.
Was ich mir wünsche, ist hier gar nicht relevant. Es war nicht meine Absicht, ein kitschiges Märchen zu schreiben, in dem niedliche kleine Jungs auf niedliche kleine Mädchen stehen und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
Natürlich kann man das mit all dem Disney-Mist in Verbindung bringen und das dann eben so interpretieren, wie du es tust. Bisher warst du aber der einzige, der das so sieht, also ist es eben deine Meinung, und die respektiere ich, aber allgemein gültig ist sie nicht.

Zunächst einmal werden die Reaktionen, wird die Gestik und Mimik der Figuren hier so verstärkt, dass sie ins beinahe Groteske reichen …
Genau das war meine Absicht. Die Reaktionen sollten überzogen wirken, weil der Leser sich im besten Fall eh die Frage stellen sollte, was hier eigentlich real ist. Das als Kindergarten zu bezeichnen, ist schon ziemlich frech, aber eben auch deine Sichtweise und von daher interessant für mich. Ich würde hier nicht posten, wenn ich kein Interesse an verschiedenen Sichtweisen hätte.

Es gibt auch nichts Verdorbenes, das im Blick einer Person lauert. D
Auch das sehe ich anders, denn a) wird in dem Satz gesagt, dass Paul es so wahrnimmt. Ich schreibe nicht: Ihr Blick war verdorben. Hätte ich das getan, könnte ich deine Kritik nachvollziehen. Aber ich betone extra Pauls Wahrnehmung, damit klar wird, dass das nichts ist, was ich mir vielleicht wünsche. Und b) kann da mMn sehr wohl etwas Verdorbenes in einem Blick lauern. Ich hätte natürlich auch notgeil, anrüchig, frivol etc. schreiben können. Die Wortwahl soll Pauls Art zu denken zeigen, ich selbst würde das Wort nicht benutzen. Auch soll es auf die Doppelbödigkeit des Textes anspielen, denn etwas Verdorbenes ist bekanntlich tot. Und das ist sie ja. Tot. Eine andere Sichtweise wäre, dass sie nur eine Phantasie Pauls ist, also gar nicht existiert.

Grundsätzlich gefällt mir der doppelte Boden des Textes, also dass man das Geschehen auf verschiedene Arten lesen kann. Ich mag auch, dass eine erotische Annäherung der Figuren eine Rolle in dem ganzen Wirrwarr spielt, das macht es spannend.
Dafür danke ich dir und freue mich darüber, dass du die Doppelbödigkeit des Textes erkennen und annehmen konntest. Viele hatten gerade damit Schwierigkeiten.

Und ich danke dir auch für deinen Leseeindruck und deine Sichtweise auf die Geschichte. Das macht es für mich spannend.

Viele Grüße,
Chai

 

Hallo @weltenläufer, frohes neues Jahr und danke für deinen Besuch. Dein Fazit:

Ich bin mir uneins mit der Geschichte. Auf einer Ebene konnte ich sie genießen, auf einer andren Ebene war er mir zu verrätselt.
ist unterm Strich das allgemeine Fazit zu der Geschichte. Ich bin mittlerweile zu dem Schluss gekommen, dass das wohl in erster Linie daran liegt, dass ich zu wenig Hintergrundinfo liefere, der Leser zu schnell in Welten geschmissen wird, die ohne vernünftige Vorarbeit schwierig zu erforschen sind, denn die Frage:

Bin ich ein dummer Leser?
sollte nicht aufkommen, es sollte nicht die Absicht eines Autors sein, seine Leser für dumm zu verkaufen. Für mich ist es momentan das Beste, die Geschichte etwas ruhen zu lassen und mit mehr Abstand nochmal drüber zu gehen.

… um den schmächtigen Körper

maaa ... Blickt von außen, den es nicht braucht.
Hm. Da denke ich mal drüber nach. Grundsätzlich ist es mir auch lieber, wenn sich der Leser anhand der Aktion selbst ein Bild von der Figur macht, aber hier wollte ich auch einen Hinweis auf Pauls Zustand liefern.

Ihr Taschenspiegel fiel herunter, sie fuhr herum, und Paul sah einen roten Strich quer über ihrer Wange, der wie eine Kriegsbemalung aussah.

mindestens zwei Sätze draus machen
Auch das lasse ich mir mal durch den Kopf gehen.

Seine Hände begannen zu schwitzen.

bin ich drüber gestolpert
Warum? Wegen begannen? NGK hatte das auch angesprochen, und ich hadere da nach wie vor mit mir, weil die Hände eben nicht bereits triefen sollten, sondern der Schweiß praktisch langsam herankriecht.

Als sie hineinblickte, zerfiel ihr Gesicht in tausend Teile.

Der Spiegel ist zerbrochen. Deshalb "zerfällt" ihr Gesicht, wenn sie hineinblickt.

Der Page öffnete den Koffer und zog ein Medikament in eine Spritze auf.

verspiel doch nicht diesen schönen absurden Moment. Hier würde ich das mehr zelebrieren, was da zum Vorschein kommt
Ja, da könnte was dran sein. Werde ich im Hinterkopf behalten. Andererseits soll es in dem Moment ja auch schnell gehen, denn Paul schmeißt ja schon mit Kissen um sich.

Hab vielen Dank für deine Anregungen, sie haben mich auf alle Fälle weitergebracht, um in Zukunft etwas mehr Licht ins Dunkel zu bringen.

Viele Grüße von Chai


Hey @alexei,
auch dir ein frohes neues Jahr! Schön, dass du reingeschaut hast.

Das ist ein toller Anfang. Du schreibst so schön ruhig, aber ohne langweilig zu werden.
Danke dir dafür. Darüber freue ich mich sehr. :)

Ihr Taschenspiegel fiel herunter, sie fuhr herum, und Paul sah einen roten Strich quer über ihrer Wange, der wie eine Kriegsbemalung aussah.

Warum beschreibst du hier nicht, wie sich da dein Prot fühlt? Will er nicht im Boden versinken? Warum lächelt er nur schief?
Weil er nicht ganz dicht ist. Mal so ganz knapp formuliert. Und sie auch nicht. Die ganze Geschichte ist ja etwas … äh … merkwürdig. Aber du bist nicht der einzige, der darüber gestolpert ist. An den Reaktionen hat sich schon der eine oder andere vor dir gestört. Ich wollte das ganze wie einen Traum wirken lassen und muss wohl aufpassen, das Maß nicht zu überschreiten. Die Figuren dürfen mMn seltsam agieren, aber offenbar nicht zu seltsam. Ich denke, Abstand ist erstmal das Beste, um mich dann nochmal über die Geschichte herzumachen. :shy:

Ist sie eine Geheimagentin? XD
:thumbsup::bounce: Das ist auf alle Fälle eine der Varianten, die ich im Kopf hatte.

Also der Mann wirkt sehr "grau" auf mich. Warum ist er dann so sehr von einer fremden Frau hingerissen, dass er sie spontan auf ei Date einladet? Treiben sich solche Leute nicht eher auf Tinder herum, wenn sie jemanden für die Nacht suchen?
Weil er der ist, den sie überführen soll. Er ist ein Serienkiller, der auf den Schneewittchen-Typ steht. Offenbar habe ich das immer noch nicht deutlich genug gemacht. Aber - ich arbeite daran.


Ich interpretiere das so, dass der graue Irrenhauskittel Schneewittchen ist. Das ist dann schon irgendwie romantisch. Sozusagen umarmen sie sich ja ständig.
Das hast du total schön gesagt, aber das trifft es nicht ganz. Die "grauen Herren" sind die Männer, die ihn festnehmen. Fliege hat sie aber auch schon mit den Pflegern/Irrenhauskitteln in Verbindung gebracht, und wenn ich so darüber nachdenke, würde das auch mehr Sinn ergeben, bzw. das Ganze besser abrunden, statt da nochmal ganz neue Leute auftreten zu lassen.

Alles in allem hat mir der Text gefallen. Schön verwirrend und Psycho und angenehm zum Lesen.
Danke, alexei, da freue ich mich sehr drüber!

Einen schönen Restmittwoch und viele Grüße von Chai

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Chai ,

Frohes Neues! Ich glaube tatsächlich, dass ich gerade das erste Mal von dir lese. Habe deine Geschichte nicht zur Challenge-Zeit geschafft, also wird das jetzt nachgeholt.

Er setzte sich im Bett auf und zog die Decke enger um den schmächtigen Körper.

Das kann ich mir irgendwie nicht vorstellen. Entweder man legt sich hin und rollt sich in der Decke ein oder man setzt sich auf und legt die Decke weg. Aber so?

„Sie ... Sie sehen wie Schneewittchen aus“, stammelte er, bevor er in die Knie ging, um den Spiegel aufzuheben. Als sie hineinblickte, zerfiel ihr Gesicht in tausend Teile.
Sie bedankte sich knapp. „Ich finde es sehr unprofessionell, dass Sie mich so lange warten lassen.“

Ist das ein Codewort? Denn die Geschichte heißt ja Codewort Schneewittchen.

„Ich weiß natürlich, worum es geht. Nur nicht im Detail", sagte er und hielt die Luft an.

Das ist der auffäligste Satz, den er hätte bringen können.

Lippen mit der roten Serviette ab.

Ah, see what you did there .

Also, ich verstehe das große Ganze nicht. Schneewittchen wird den Prot. ja nicht kennen können, denn dann bräuchte man ja nicht das Codewort. Gleichzeitig scheint sie ihn ja aber doch zu kennen, denn sie hält ihn für den Mörder (glaube ich verstanden zu haben(?)).

Hatte sie ihn mit dem Fuß unter dem Tisch berührt?
„Sie ist vergiftet worden. Mit einem Apfel.

Also hat sie ihm hier gerade die Spritze verpasst? Das Zeug, weshalb er sich nicht mehr an alles erinnern kann?

Es ist schön, wie Sie daraus ein so nettes Kompliment gemacht haben. Sie sind ein echter Gentleman.“

Und sie hält ihn jetzt für den Killer, weil er Leute mit Schneewittchen-Style ermordet und sie ihn wegen dem Kompliment für den Killer hält? Aber wer sind dann die Typen in den grauen Anzügen, wer sind die Leute, die Schneewittchen geschickte haben und vorallem: was machen die da? Was wollen die?
Wie gesagt, ich checke irgendwie nicht das große Ganze.

Liebe Grüße
Michel

Edit: Nachdem ich die restlichen Kommentare durchgeforstet habe, verstehe ich jetzt die Geschichte. MMn würde ihr gut tun, ein paar wohl dosierte Fakten einzustreuen. Erstens, dass Paul sehr wohl das erotisch-kranke Verlangen nach Schneewittchen hat, und das nicht nur mit einem Kommentar am Flughafen. Vielleicht ein Bäcker, der ihn erkennt, weil er immer dort steht? Das Märchen Schneewittchen, als Buch bei ihm Zuhause? Irgendeinen Hinweis, der ihn mehr damit verknüpft.

 

Hey @Meuvind,
auch dir ein frohes verspätetes Neues und danke für's Vorbeischauen. Ich habe mir für dieses Jahr vorgenommen, die Geschichte jetzt erstmal sacken zu lassen. :shy: Du hast ja die Kommentare gelesen, und deine Anmerkungen unterstreichen den allgemeinen Tenor. Um das, was ich sagen will, verständlicher zu machen, muss ich mehr Butter bei die Fische geben, wie es hier im Forum immer so schön heißt.

Er setzte sich im Bett auf und zog die Decke enger um den schmächtigen Körper.

Das kann ich mir irgendwie nicht vorstellen. Entweder man legt sich hin und rollt sich in der Decke ein oder man setzt sich auf und legt die Decke weg. Aber so?
Hab das gerade nochmal vor meinem inneren Auge durchgespielt. Also für mich ist es so, dass er sich eben aufsetzt, und dann nochmal die Decke enger um den Körper zieht, weil er fröstelt. Wenn man sich aufsetzt, ist man ja logischerweise nicht mehr vollständig zugedeckt. Ob ich das Frösteln noch erwähnen sollte? Hm. Ich denk mal drüber nach.

"Sie … Sie sehen wie Schneewittchen aus …"

Ist das ein Codewort? Denn die Geschichte heißt ja Codewort Schneewittchen.
Nein, in diesem Moment ist nicht das Codewort gemeint. Das kommt erst später dran.

Schneewittchen wird den Prot. ja nicht kennen können, denn dann bräuchte man ja nicht das Codewort. Gleichzeitig scheint sie ihn ja aber doch zu kennen, denn sie hält ihn für den Mörder (glaube ich verstanden zu haben(?)).
Ja genau. Sie soll ihn überführen, weil sie ihn für den Mörder hält, lässt ihn aber in dem Glauben, sie würde ihn kennen, um es nicht so auffällig zu machen, dass sie gleich mit ihm mitgeht.

"Sie ist vergiftet worden. Mit einem Apfel."

Also hat sie ihm hier gerade die Spritze verpasst? Das Zeug, weshalb er sich nicht mehr an alles erinnern kann?
Nein, die Spritze kommt am Schluss :D. Zumindest könnte man es so lesen. Hier befindet sich Paul immer noch in seiner Zwischenwelt, und der Leser soll darüber aufgeklärt werden, was passiert ist oder sein könnte. Es ist ja nicht so ganz klar, ob die Begegnung überhaupt real ist.

Und sie hält ihn jetzt für den Killer, weil er Leute mit Schneewittchen-Style ermordet und sie ihn wegen dem Kompliment für den Killer hält? Aber wer sind dann die Typen in den grauen Anzügen, wer sind die Leute, die Schneewittchen geschickte haben und vorallem: was machen die da? Was wollen die?
Ja, sie hält ihn für den Killer. Die Typen in den grauen Anzügen sind die Leute, mit denen Schneewittchen zusammenarbeitet und die ihn zum Schluss überführen bzw. auf frischer Tat ertappen. Schneewittchen ist der Lockvogel. Die Szene findet immer noch in Pauls Erinnerung/Gedanken statt.

MMn würde ihr gut tun, ein paar wohl dosierte Fakten einzustreuen. Erstens, dass Paul sehr wohl das erotisch-kranke Verlangen nach Schneewittchen hat, und das nicht nur mit einem Kommentar am Flughafen.
Das habe ich im weiteren Verlauf immer wieder versucht anzudeuten. In der Szene im Restaurant z.B., als er denkt, sie hätte ihn mit dem Fuß unter dem Tisch berührt. Auch, dass er denkt, etwas Verdorbenes läge in ihren Augen. Aber wie gesagt, ich muss Pauls Motiv deutlicher machen, vielleicht über Rückblicke in seine Vergangenheit. Da setze ich mich nach einer Atempause nochmal ran.

Hab vielen Dank für deine Zeit und Mühe, Michel, und eine schöne Restwoche dir.

Liebe Grüße,
Chai

 

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