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Spinett-Sonate

Lev

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06.02.2007
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Zuletzt bearbeitet:

Spinett-Sonate

Nebel ballte sich hartnäckig über dem Fluss, die Kerzen des nahen Friedhofs flackerten gespenstisch. Neben vereinzelten Lauten der Nachttiere klangen immer wieder Schüsse in der Ferne. Drohende Geräusche des nun schon so viele Jahre andauernden Krieges. Niemand wusste, wer angefangen hatte - keiner ahnte, um was es ging. Wieviele noch leben mochten? Wer schon aller gestorben war? Unbekannt!

In den Fluss kam Bewegung. Etwas tauchte aus seinen Tiefen empor. Plötzlich stand, nein, schwebte ein Spinett über dem Wasser. Ein schwarzer Kasten, vollbemalt mit düsteren Bildern, gekrönt von einem kleinen Glockenturm mit Uhr und gebeugten Figuren, die ihre Hämmer schlagbereit Richtung der kleinen Glocke hielten. Doch längst war das nicht alles. Auch ein Mann war aus dem Fluss hochgestiegen, durchscheinend wie ein Geist. Leuchtend goldene Sternenaugen blickten suchend durch die Nacht.

Tiere kamen aus dem Nebel, von sonst woher, um zu sehen, wovon sie schon so lange wussten. Sie begrüssten den Neuankömmling ehrfurchtsvoll. Während sie ihre Läufe und Beine beugten, den Kopf Richtung Boden senkten - lächelte der Mann und sprach beruhigend auf sie ein. Einen Moment hing ein kollektives Seufzen in der Luft.
Und dann schlugen kleine Hämmer auf eine Glocke.
Die Tiere wussten, was das bedeutete und verschwanden eins nach dem anderen. Der Mann mit den Sternenaugen wusste es auch. Es wurde Zeit, die Sonate zu spielen. Er begab sich zu dem Spinett, blickte noch einmal bedauernd herum und konzentrierte sich dann auf die Klaviatur seines Instruments und begann zu spielen.

Der erste Ton zerfetzte den Nebel in unendlich viele Partikel, der zweite Ton brachte die Gewässer zum Kochen. Eine rasende Melodie beschwor den Wind - tausend Blitze erleuchteten das Firmament. Eis brach und Stein knirschte, Bäume gaben ein letztes Ächzen von sich, bevor sie alle splitterten. Die Töne hetzten bis in die letzten Winkel der Erde. Feuer und Wasser schwemmten ganze Länder fort. Der Boden brach und Flammen sprangen meterhoch hervor. Der nächste hohe Ton verwandelte Glas und Beton zu verheerenden Zerstörern. Nur langsam beruhigte sich das Lied. Irgendwo weinte ein einsames Kind. Sternenauge schloss unter Tränen die Augen, während er einen ganz sanften Ton aus dem Spinett befreite. Danach sah er hinüber zu dem Friedhof am Flussufer, wo die Kerzenflammen seine Sonate anmutig mitgetanzt hatten. Mit einem Mal erloschen sie alle.
Und dann ... war es still.

 

Diese Geschichte habe ich schon früher in einem anderen Forum gepostet. (Gleicher Titel, gleicher Nick) Deren Speicher sind gecrasht und angeblich unrettbar verloren. Darum für euch neu, leicht überarbeitet.
lg
lev

 

Hallo Lev,

ich bin neidisch auf die Tiere, denn:

Die Tiere wusste, was das bedeutete
Für mich bleibt der Sinn im Nebel verborgen. Da kann ich mir alles und nichts zusammenreimen. Hm. Die Sonate scheint Armageddon einzuläuten, aber das hat für mich kein Fundament, sondern treibt irgendwie ziellos auf deinem Flüsschen dahin.
Vielleicht habe ich ja die entscheidenden Noten überhört ;)

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo Weltenläufer,

schade, dass du nicht mehr mit meinem Text anfangen konntest.
Trotzdem Danke für Lesen und Kritik.

lg
lev

 

Das Spinett ist Vorläufer des Cembalo, das wiederum dem Piano vorausgeht. Alle drei Tasteninstrumente galten mir bisher, trotz einer fortschreitenden Entwicklung, als nicht schwimmfähig zu sein und selbst wenn, im Wasser Schaden zu nehmen, dass es schon in ihrem ureigensten Interesse liegen sollte, in kein Gewässer zu geraten,

lieber Lev,

und dennoch wird in dieser wundersamen, poetisch anmutenden Geschichte auf einem schwimmenden Spinett eine, wie ich meine, Sonata da camera gespielt, tanzen doch Grablichter >anmutig< mit. Wie dem auch sei, wir lesen von wissenden Tieren und erfahren, dass der Virtuose aus dem Wasser komme und übers Wasser gehe, um überm Wasser zu musizieren. Da kenn ich nur zwo Namen, deren Träger übers Wasser gehen konnten: des Menschen Sohn – da gab’s noch keines der genannten Tasteninstrumente – und der Altkanzler der Wiedervereinigung. Von beiden ist nicht bekannt, dass sie musizierten, gar ein Instrument spielten und der Altkanzler gelegentlich hymnisches vor sich brummte.

Wie dem auch sei: der Text erscheint mir als Variante zu den altgriechischen Aussagen, der Krieg wäre der Vater aller Dinge und alles fließe (sei also in/im Fluss) und der Krieg kommt lärmend daher (womit die heimtückischsten Varianten des Krieges, der biologische sowie der chemische schon ausgeschlossen wären). Der Lärm ängstigt die Tierwelt (schon Händeklatschen bereitet den meisten Hunden Angst), verbindet sie doch damit allemal Verletzung und Tod. Sinnigerweise gehen schließlich die (Lebens)Lichter aus.

Seh ich mal von ab, dass Rimbauds Le Bateau Ivre (Das trunkene Schiff) unerreicht bleibt, findet meine Kleinkrämerseele zwo Schnitzer: Eine Veroppelung in >Während sie ihre Läufe und Beine beugten, …< Lauf, weidmännische Bezeichnung für Bein und Fuß beim Haarwild und Hund, Läufe und Beine = beides gleichartige Gliedmaßen.

In >Der nächste hohe Ton vewandelte Glas und Beton …< wäre der Vorsilbe „ve“ noch ein r zu gönnen.

Aber nicht ungerne gelesen!

Gruß

Friedel

 

Hallo Friedel,

Danke für deine schön gewählten Worte der Kritik und des Wohlfallens.

Zu den "Läufen" und "Beinen": Wohl ist mir bekannt, dass es sich um verschiedene Worte eines Körperteils handelt, doch gebe ich zu bedenken, dass auch gefiederte Tiere über sich beugmögliche Beine verfügen, doch wird in diesem Fall niemals nie von Läufen gesprochen.

Das flüchtige "r" habe ich gefangen und seinem Wortgefüge überantwortet.

Danke
lg
lev

 

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