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Spinett-Sonate
Nebel ballte sich hartnäckig über dem Fluss, die Kerzen des nahen Friedhofs flackerten gespenstisch. Neben vereinzelten Lauten der Nachttiere klangen immer wieder Schüsse in der Ferne. Drohende Geräusche des nun schon so viele Jahre andauernden Krieges. Niemand wusste, wer angefangen hatte - keiner ahnte, um was es ging. Wieviele noch leben mochten? Wer schon aller gestorben war? Unbekannt!
In den Fluss kam Bewegung. Etwas tauchte aus seinen Tiefen empor. Plötzlich stand, nein, schwebte ein Spinett über dem Wasser. Ein schwarzer Kasten, vollbemalt mit düsteren Bildern, gekrönt von einem kleinen Glockenturm mit Uhr und gebeugten Figuren, die ihre Hämmer schlagbereit Richtung der kleinen Glocke hielten. Doch längst war das nicht alles. Auch ein Mann war aus dem Fluss hochgestiegen, durchscheinend wie ein Geist. Leuchtend goldene Sternenaugen blickten suchend durch die Nacht.
Tiere kamen aus dem Nebel, von sonst woher, um zu sehen, wovon sie schon so lange wussten. Sie begrüssten den Neuankömmling ehrfurchtsvoll. Während sie ihre Läufe und Beine beugten, den Kopf Richtung Boden senkten - lächelte der Mann und sprach beruhigend auf sie ein. Einen Moment hing ein kollektives Seufzen in der Luft.
Und dann schlugen kleine Hämmer auf eine Glocke.
Die Tiere wussten, was das bedeutete und verschwanden eins nach dem anderen. Der Mann mit den Sternenaugen wusste es auch. Es wurde Zeit, die Sonate zu spielen. Er begab sich zu dem Spinett, blickte noch einmal bedauernd herum und konzentrierte sich dann auf die Klaviatur seines Instruments und begann zu spielen.
Der erste Ton zerfetzte den Nebel in unendlich viele Partikel, der zweite Ton brachte die Gewässer zum Kochen. Eine rasende Melodie beschwor den Wind - tausend Blitze erleuchteten das Firmament. Eis brach und Stein knirschte, Bäume gaben ein letztes Ächzen von sich, bevor sie alle splitterten. Die Töne hetzten bis in die letzten Winkel der Erde. Feuer und Wasser schwemmten ganze Länder fort. Der Boden brach und Flammen sprangen meterhoch hervor. Der nächste hohe Ton verwandelte Glas und Beton zu verheerenden Zerstörern. Nur langsam beruhigte sich das Lied. Irgendwo weinte ein einsames Kind. Sternenauge schloss unter Tränen die Augen, während er einen ganz sanften Ton aus dem Spinett befreite. Danach sah er hinüber zu dem Friedhof am Flussufer, wo die Kerzenflammen seine Sonate anmutig mitgetanzt hatten. Mit einem Mal erloschen sie alle.
Und dann ... war es still.