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Spring!

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07.10.2018
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Spring!

Paul stand zögernd auf dem Fünfmeterturm. Das weiß getünchte Dach des Hallenbades erschien ihn so nah wie eine Kellerdecke. Er lunzte in die Tiefe und tastete sich langsam weiter. Der körnige Belag kratzte an den Fußsohlen, er merkte es kaum. „Papa, spring endlich!”, rief Linus. Fröhlich winkte sein neunjähriger Sohn nach oben. Paul drehte den Kopf unbeholfen zur Seite, kratzte sich verärgert den Handrücken und rüffelte: „Sei still!“ Linus war überrascht, dann verschwand die Freude in seinen Augen. Paul pflaumte seinen Sohn sonst nicht an. Doch er stand auf dem Turm und der Sohn ließ sich im Wasser treiben, Flossen und Taucherbrille, die ihn sein Vater schenkten, faulenzten am Beckenrand. Die beiden unternehmen viel miteinander und abends, bevor Linus schlafen geht, liegt er auf dem Sofa im Arbeitszimmer, bettfertig unter einer Decke gekuschelt und sie reden über die Ereignisse des vergangenen Tages. Oder sie lachen oder schweigen, ohne dass es ihnen langweilig wird. Paul wird sich abends bei Linus entschuldigen und ihm alles erklären.

Damals, als Erstklässler, hatte er das Hallenbad gehasst. Sobald Paul den Chlorgeruch an der Eingangstür witterte, wuchs ihm ein dumpfer Brocken im Bauch. Der Klassenlehrer scheuchte die Jungs jeweils zur zweit unter die lauwarme Dusche, dann liefen sie in der Zugluft der Katakomben die Stufen zum Meeresschwimmbad empor. Als alle an der Linie Aufstellung genommen hatten, übernahm der Schwimmlehrer den Unterricht. Jedes Kind erhielt eine rechteckige Korkplatte, die ihn Auftrieb im Wasser geben sollte. Paul musste sich jedes Mal überwinden, um sich vom Startblock zu stürzen - die Tiefe machte ihn schwindlig. Im Wasser hielt ihm der Schwimmlehrer eine lange Stange vor die Nase - mit unerreichbaren Abstand. Wie ein junger Hund hechelte er der Stange hinterher. Ein anderes Mal vergaß Paul die Badehose. Unter dem Gejohle der Mitschüler sprang er im Schlüpfer ins Wasser, die Hose rutschte ihm runter zu den Knien, dann schwamm sie fort. Der Schwimmlehrer fischte sie mit der Stange aus dem Wasser, um sie wie eine weiße Fahne durch die Luft zu transportieren. Paul nahm das Geschrei seiner Mitschüler wahr, als ob Zuschauer ein Tor im heimischen Fußballstadion feierten.

„Dieser dämlichen Turm“, brummte Paul. Musste er sich nicht schon genug im Büro quälen? Alles war fremd geworden: Das neue Projekt, andere Kollegen, unbekannte Fachwörter. Doch er hatte sich entschieden: Wenn er weiterkommen will, müsste er größere Projekte übernehmen, mehr Verantwortung tragen, an seine Grenze gehen.

„Nun spring doch“, rief Linus ungeduldig. Mittlerweile war er aus dem Wasser geklettert, stand neben den weißen Liegen und trocknete sich ab. Paul sah nicht hin. Es schien ihm, als ob das Sprungbrett schwebte. Seine Augen durchdrangen das klare Wasser bis zu den Bodenkacheln, die sich dicht an dicht wie Stühle aneinander reihten auf denen Kollegen saßen und Antworten von ihm erwarteten. Paul fühlte sich jämmerlich. Linus alberte mit einem anderen Jungen herum, offensichtlich wurde ihm das Warten zu langweilig. Weiter hinten im Hallenbad, im knietiefen Babybecken, fläzten sich Mütter im warmen Wasser, um neben ihren spielenden Kindern Neuigkeiten auszutauschen. „Ich brauch‘ keine Zuschauer“, graulte Paul. Sein Atem wurde tiefer, die Badeshorts spannten sich um die Hüfte. Die Halle war nun fast leer. In zehn Minuten mussten die Besucher das Bad verlassen, dann begannen die Rettungsschwimmer mit ihrem Training. Paul fühlte sich unbeobachtet, wendete auf dem Brett und ging wenige Schritte zurück, bis er das Geländer zum Abstieg erreichte. „Abhauen?“, fragte er sich entsetzt.

Auf den Stufen des Turms poltertes es, das Geländer vibrierte. Irgendjemand kam herauf, forsch und schnell. Oder waren es zwei? Der Turm zitterte. Unten sah Paul eine Hand auf dem Stahlrohr, die Stufe für Stufe höher rutschte. Zeitgleich sprang oben ein Mädchen auf die Plattform. Sie drängelte sich an Paul vorbei, tippelte bis nach vorn an die Kante und ihre Füße suchten Halt auf dem körnigen Belag des Brettes: Kerzengerade verschwand sie im schäumenden Wasser. Wenige Sekunden später erreichte ein Mann die letzte Stufe des Sprungturmes. „Ihr Vater“, dachte Paul. Auch der schob sich wortlos und nur mit einem knappen Nicken an ihm vorbei und sprang ebenfalls. Leichter Schweißgeruch blieb zurück. Unten machte das Wasser dem mächtigen Körper schwerfällig Platz, dann spülte eine gewaltige Welle in den Seitenkanal. Linus und sein Kumpel schauten nicht hin. Sie kicken einen Wasserball gegen die Fensterscheibe und geben acht, dass er beim Zurückprallen nicht ins Sprungbecken rollte.

Paul wollte nicht mehr zögern. Er tapste zur Spitze des Brettes. Am liebsten hätte er die Augen geschlossen. Doch dann richtete er seinen Blick in die Ferne, um nicht von der Angst übermannt zu werden. Wie ein gefällter Baum kippte er vom Turm. Doch unerwartet schob sich ein Schatten unter dem Sprungbrett hervor. Paul traf auf was Hartes, auf was Weiches, erst dann fühlte er Nässe. „Etwas war unter mir!“, schießt es ihm panisch in den Kopf. In Pauls Knochen, Bändern und Muskeln blitzen Schmerzen. Am Beckenrand starren entsetzte Gesichter.

 
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Hallo Raspel ,vielleicht sollte ich als Neuling in der Wortkrieger-Runde mir lieber eine nicht so schwierig zu kommentierende Story aussuchen. Ich mache es trotzdem! Schließlich konnte ich auf einer anderen Schreibplattform, die es inzwischen nicht mehr gibt, diesbezüglich einige Erfahrungen sammeln.Ich verstehe die Geschichte so: Ein Mann, dessen Angst vor Turmspringen aus der Kindheit tief in der Psyche verankert ist, möchte sich und seinem Sohn beweisen, dass er diese panische Angst überwinden kann und springt… Der sogenannten dramatischen Höhepunkt der Geschichte: Er springt vom Turm und während des Sprunges „tritt“ er auf weiche oder aber auch harte Hindernisse, das kann er nicht genau bestimmen.Den Schluss, wollte ich damit bemerken, begreife ich leider nicht ganz. Zu vermuten ist, dass dem Protagonisten unterwegs zur Wasseroberfläche ein fliegender Teppich oder so etwas Ähnliches in die Quere kam.Spaß bei Seite, wenden wir uns beide viel lieber dem Handwerkskasten „Schreiben“ zu. Wenn eine Kurzgeschichte von dem brisanten Protagonisten, der immer größer werdenden Spannung und dem unerwarteten Ende lebt, so kommt deine Geschichte, lieber Raspel, leider viel zu kurz weg, ist mein Empfinden.Hier möchte ich mich nur mal auf die Teile deiner Geschichte konzentrieren, die man schlicht „Infodump“ nennt, welcher das Geschehen unnötig in die Länge zieht und der Leser sehr bald gelangweilt womöglich mit dem Kater Chips um die Wette isst. Ja, lieber Raspel. Wunderschöne Infodumps finden wir hier bei dir. Sie beschreiben etwas langatmig, bauen nicht die geringste Spannung auf und treiben das Geschehen gar nicht voran. Im Gegenteil, sie bremsen den Fortgang mehr oder weniger gewaltig aus!Zwei schöne fachbuchreife Infodumps finden wir hier:

„Die beiden unternehmen viel miteinander und abends, bevor Linus schlafen geht, liegt er auf dem Sofa im Arbeitszimmer, bettfertig unter einer Decke gekuschelt und sie reden über die Ereignisse des vergangenen Tages. Oder sie lachen oder schweigen, ohne dass es ihnen langweilig wird...“

„Weiter hinten im Hallenbad, im knietiefen Babybecken, fläzten sich Mütter im warmen Wasser, um neben ihren spielenden Kindern Neuigkeiten auszutauschen...“

Erst kommt immer „Zeigen“ und ganz tief auf dem Boden in unserem Handwerkskasten liegt "Erklären, Beschreiben". Und „Erklären“ ist meistens schon „Infodump“! Vielleicht findest du in deiner KG noch mehr von der Sorte, die sofort in die Tonne gehören.
Wenn dir mein Kurzkommentar gefallen hat, gib mir bitte ein Zeichen – wenn nicht, natürlich auch!
In alter Frische
Petriso2

 

Hallo Petriso2, danke für deine Zeit und für deine Kritik. Schade, dass dir der Text langweilig erschien. Raspel

 

Hallo, Raspel.
So möchte ich meinen Kommentar nicht verstanden wissen. In jedem Werk steckt Arbeit und Fleiß, ist aber immer noch verbesserungswürdig. Das wollte ich damit ausdrücken und dir beilebe nicht den Mut zum Weiter machen nehmen. Auch ich bin nur ein kleiner Hobbyautor, genau wie du. Gelegentlich melde ich mich noch einmal zum Thema und wenn du Wert darauf legst, etwas ausführlicher. Der Infodump ist mir eben zuerst in die Nase gefahren.
Schließlich tummeln wir uns hier, um in erster Linie zu lernen.

In alter Frische
Petriso2

 

Hallo AWM, danke für deine konkreten Hinweise. Damit kann ich gut weitermachen. Zeigen statt beschreiben, ja, da gibt es was zu tun. Und der plötzliche Wechsel der Zeiten - das fiel mir gar nicht mehr auf. Danke! Wertvoll.

Doch insbesondere das Ende will nicht gelingen. Idealerweise sollte es ein unerwartetes Ende sein. Der tragischen Unfall mit dem Sohn wäre so etwas, denke ich. Doch wohl fühle ich mich dabei nicht. Dieses Ende wirkt zu sehr konstruiert, es wirft zu viele Fragen beim Leser auf. Mal sehen, was mir dazu noch in den Kopf springt.

Doch das ist der Punkt, der mich am meisten beschäftigt: Wie kann der Autor - wenn er eine alltägliche Situation beschreiben möchte - ein passendes und doch unerwartetes Ende finden?

Bei meiner Geschichte steht der Vater auf dem Sprungbrett, er überwindet sich (für den Sohn ist das alles ganz einfach) und er springt (im Job muss er sich auch überwinden). Fertig! Wie bei vielen Alltagsdingen, ist auch diese Situation vorhersehbar. Ich weigere mich, Fantasy-Elemente einbauen, ich will keinen Zeitsprung, keinen Zauber, keinen Unfall oder Mordfall, um die Geschichte blinken zu lassen. Schlicht und einfach soll es werden und doch spannend und unerwartet. Das scheint mir die größte Herausforderung zu sein.

Ratloser Raspel

 

Hallo Raspel,
warum ratlos? eigentlich hast du ganz gute Kommentare bekommen, die zum Nachdenken herausfordern.
Leider werde ich folgenden Eindruck nicht los, wenn ich über deinen letzten Absatz oben nachdenke:

Ich weigere mich, Fantasy-Elemente einbauen, ich will keinen Zeitsprung, keinen Zauber, keinen Unfall oder Mordfall, um die Geschichte blinken zu lassen. Schlicht und einfach soll es werden und doch spannend und unerwartet. Das scheint mir die größte Herausforderung zu sein.

Für mich sieht diese Aussage so aus, als ob du in erster Linie nur für dich schreibst, den Leser gar nicht an die Geschichte fesseln möchtest. Vielleicht irre ich mich!
Es gibt allerdings einige uraltbewährte Regeln zu Kurzgeschichten (insbesondere), die ich hier kaum finde.
Was ich meine, werde ich dir mal demnächst rüberschieben.

In alter Frische

Petriso2

 

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