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Sternentreiben
Ich zittere etwas, während ich den Lidstrich ziehe. Bin ich nervös? Es ist doch nicht mein Date. Aber ich will auch keine böse Schwiegermutter sein, denke ich und tusche mir die Wimpern. Schwiegermutter, was hab ich denn da im Kopf? Stella ist doch Thoms erste Freundin, und es geht nur um ein Kennen lernen.
Beinahe hätte ich den Kopf geschüttelt. Das kommt nicht gut beim Schminken. Aber ich will nett und offen sein. In meiner Familie damals habe ich kämpfen müssen für meinen Freund. Nicht, dass meine Eltern ihn nicht gut genug fanden. Sie fanden nur, dass ich mit fünfzehn noch zu jung ... Verflixt. Tusche im Auge, es brennt. Ich reiße ein Küchentuch von der Rolle und übe Schadensbegrenzung.
Eine Art Flashback: Marie, die erste Freundin meines Ältesten, hat bei mir offene Türen eingerannt. Ich habe sie willkommen geheißen, und sie hat sich wohl gefühlt. Nur als Florian sich trennen wollte, wurde es zum Problem. Während er weit weg beim Zivildienst war, kam Marie jeden Abend zu mir und heulte sich die Augen aus. Ich stand zwischen ihnen, wo ich niemals sein wollte und war hilflos. Als ich selbst nicht mehr weiter wusste und mir einen Tranquilizer vom Arzt verschreiben ließ, war es abrupt zu Ende. Marie war neu verliebt.
Plötzlich steht Thom hinter mir, sieht mir im Spiegel ins Gesicht.
„Du hast da noch was unter dem Auge“, sagt er und tippt an sein eigenes.
„Ach übrigens, Stella ist Veganerin.“ Ich schlucke.
Ich gehe in Gedanken die Bekannten meiner Söhne durch, ohne fündig zu werden. Punk, Gothic, Oi-Skin ...
“Sekte oder Rollenspiel?”, frage ich ratlos.
„Nö, Ernährung.“ Thom lacht. „Wie Vegetarier, aber schlimmer. Keine Eier, keine Milch.“ Deshalb hat er also den Kuchen gestern gebacken.
Dann höre ich Thom im Nebenzimmer. Anscheinend nimmt er meine Jynx-CD aus dem Player und legt eine andere ein. „Hör mal, das sind die Chatters. Stella ist auch dabei“, ruft er durch die offene Tür. Anstelle von Musik erklingen Wörter. Rezitierte Gedichte. Ich grinse in mich hinein. Wie oft habe ich ihm Lyrik schmackhaft machen wollen, ohne Erfolg. Das Höchste, was dabei rausgekommen war, war mal ein Besuch im Phönix-Theater bei einer Fahrt nach Linz.
„Nett“, setze ich an, stelle mir aber sofort Thoms enttäuschten Gesichtsausdruck vor. „Nein, toll, meine ich.“
Ich fahre noch mit dem Stift über meine Lippen, fertig. Wird eh nur bis zum ersten Schluck Kaffee halten. Aus dem Zimmer nebenan ertönt die Einleitung zu einer chinesischen Fabel, die mit dem Sternbild Leier zusammenhängt. „Tschi Nü“ verstehe ich und Wega, und die Stimme, die jetzt Sternensegler vorträgt, kommt mir seltsam bekannt vor.
Ich gehe hinüber ins andere Zimmer und umarme meinen Sohn. Wir mögen nicht die Waltons sein, aber Momente wie dieser zeigen mir, dass doch nicht alles falsch gelaufen ist. „Ich bin stolz auf dich“, sage ich ihm und küsse ihm versehentlich aufs Ohr.
Es klingelt. Stella kann kommen.