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Stille Tragödie

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02.01.2005
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Stille Tragödie

„Heute wird das letzte Paket kommen“, dachte sich Bert, als er die Liebesbriefe und Fotos längst vergangener Tage betrachtete. Jeden Tag schaute er in die Zigarrenkiste, in der er seine Erinnerungen festhielt wie ein Seil, von dem sein Leben abhing. Das Foto von ihm und seiner Mutter gefiel ihm am Besten. Es entstand auf der Wasserrutsche in einem Schwimmbad. Eine computergesteuerte Kamera hielt ihre Blicke in einem Moment kompromissloser Freude fest, auch wenn ihre Gesichter eher überrascht aussahen. Er konnte sich nach ihrem Tod an kein anderes Ereignis erinnern, welches ihn auch nur ansatzweise dermaßen fröhlich stimmte.
„Es ist meine persönliche Therapie“, schrieb er vor einigen Tagen in sein Tagebuch.
„Denn früher hatte ich Freunde und Familie, denen ich etwas erzählen konnte, doch heute sehe ich nur noch die Einsamkeit, die sich über meinem Leben ausbreitet, wie eine finstere Gewitterwolke." Draußen regnete es.

Es klingelte an der Tür. "Der Paketbote", freute sich Bert und schob die Zigarrenschachtel beiseite. Ein gekünsteltes Lächeln breitete sich in seinem Gesicht aus, als er die Tür öffnete.
Vor ihm stand ein Mann, der seine Firmenkappe, welche mit dem Slogan `Service inclusive’ dekoriert war, tief in sein Gesicht gezogen hatte. Der Schirm seiner Mütze warf einen traurigen Schatten auf seine Augen.
„Ich habe hier ein Paket für Bert Johnson“, nuschelte der Mann in einem spanischen Akzent.
„Der steht direkt vor ihnen.“ Bert nahm den Stift und den Block entgegen, welcher ihm so lustlos angeboten wurde, dass es auch ein Buch über die Rechte von spanischen Immigranten in Amerika sein könnte.
„Sie haben neue Uniformen, nicht wahr? Die sehen ja richtig schick aus! Sie müssen sicherlich stolz darauf sein, oder?“
Der Bote nahm den unterschriebenen Block entgegen und schob das Paket mit seinem Fuß über die Türschwelle.
„Der Stift, Sir.“
„Wie bitte?“
„Der Stift“, sagte der Spanier etwas deutlicher und deutete mit seinem Finger auf Bert’ s Hand, welche noch immer den Kugelschreiber umklammerte.
„Ich brauche den Stift wieder, er gehört der Firma.“
Sein gekünsteltes Lächeln, welches eher an einen Psychopaten erinnerte als an einen glücklichen Menschen, verschwand unfreiwillig und hinterließ nun wieder einen Gesichtsausdruck, welcher dem eines alten Mannes glich, der mehr ertragen hatte, als er konnte.
„Oh“, entgegnete er deprimiert. „Hier, ich dachte nur, sie würden vielleicht…“
„Hören sie Mister“, unterbrach der Paketbote ihn schroff, „sie sind nicht mein einziger Kunde! Ich habe keine Zeit für ein Palaver, verstehen sie?“
Wortlos reichte Bert ihm den Stift.
„Schönen Tag noch“, rief er dem Boten hinterher, doch der Spanier war genauso schnell verschwunden, wie die Beamten in den letzten drei Tagen vor ihm, welche einer Konversation ebenfalls so konsequent aus dem Weg gingen, als handele es sich um den Tod in Person.

Mit einer genauso traurigen, wie sicheren Gewissheit schloss er langsam die Tür. Er brachte das Päckchen in die Küche, wo schon drei weitere Pakte auf dem Tisch lagen. Er setzte sich auf den kleinen Stuhl neben dem Tisch und stellte es vorsichtig zu den anderen. „Das war wohl die letzte Chance“, flüsterte er wieder während er traurig seinen Kopf schüttelte.
Jetzt hatte sich der Gedanke an Selbstmord endgültig in seinem Kopf manifestiert und verharrte nun dort, wie ein bösartiger Tumor.
„Eigentlich bin ich schon längst tot.“ Dies sollte die letzte Zeile in seinem Tagebuch werden, welches seiner Meinung nach genauso uninteressant war, wie die Tatsache, dass er sich heute das Leben nehmen würde.

Er öffnete das erste Paket und holte eine kleinere Schachtel heraus, in der sich die Munition für die silberne Pistole befand, die er zufrieden aus dem zweiten Päckchen entnahm.
„Sieht genauso aus, wie in dem Katalog“, dachte er bei sich. Jetzt lächelte er aufrichtig.
In dem dritten Päckchen befand sich der Schalldämpfer, welcher das Geräusch des Pistolenschusses dämpfen sollte. Er schraubte ihn auf den Lauf der Waffe, ohne die Ironie zu begreifen, die sich hinter der Idee des Schalldämpfers befand.
Du lebst leise und stirbst leise, lachte sein Unterbewusstsein, doch Bert hörte es nicht mehr.
In der letzten Lieferung, welche er soeben erst bekommen hatte, lag sein Tagebuch. Er hatte es vor vier Tagen an sich selber geschickt, wobei er die Postbeamtin um einen Gefallen bat.
„Können sie dieses Paket erst in genau vier Tagen liefern“, hatte er höflich gefragt. Er konnte sich noch genau an das gelangweilte Gesicht der Beamtin erinnern.
„Ja, können wir“, hatte sie knapp gesagt und ihre nichts sagenden Augen auf den nächsten Kunden gerichtet.
„Danke“, hatte Bert ihr noch freundlich zugenickt, doch die Frau war schon zu sehr damit beschäftigt, den nächsten Kunden mit ihrer krank machenden Art zu belästigen.

„Jetzt ist es wohl so weit“, schnaufte Bert. Er öffnete sein Tagebuch und schrieb.
„Chancen habe ich ihnen genug gegeben, doch sie nahmen sie nicht wahr. Selbst mich nahmen sie nicht wahr. In gewisser Weise bin ich schon längst tot.“
Er lächelte, denn es war sein Abschlusssatz.

 

Hallo syscolin,

Er schraubte ihn auf den Lauf der Waffe, ohne die Ironie zu begreifen, die sich hinter der Idee des Schalldämpfers befand.
Du lebst leise und stirbst leise, lachte sein Unterbewusstsein, doch Bert hörte es nicht mehr.
Es mag kleinlich sein, aber es widerspricht sich. Den Satz, der die Ironie erklärt könntest du gut draußen lassen.

Auch ansonsten hat mich deine Geschichte leider nicht überzeugt. Das mag daran liegen, dass ich das Lied "Das Ultimatum" von Heinz Rudolf Kunze kenne, welches deine Plot Idee viel schärfer und bissiger umsetzt.

Warum zum Beipsiel hängt dein Prot seine Hoffnung an Paketboten?
Tot ist, wer sich selber aufgibt. Entsprechendes hat dein Prot getan.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo syscolin,

ich kenne das von sim angesprochene Lied nicht, aber trotzdem hat mich dein Text nicht überzeugt. Das liegt insbesondere daran, dass ich den Grund für das Handeln des Protagonisten nicht einmal ansatzweise nachvollziehen kann. Der Selbstmord ist hier nicht zwingend, nicht notwendig, nicht schlüssig. Ich bin kein Psychologe, aber bei Unterhaltungen mir Selbstmordpatienten habe ich erfahren, dass diese meistens (selbst wenn sie generell unter Depressionen leiden) einen akuten Auslöser brauchen, um diese Tat zu begehen. Der findet sich hier nicht. Und die Tatsache, dass der Paketbote nicht auf ein Gespräch eingehen möchte, erscheint mir ein ausgesprochen fadenscheiniger Grund zu sein.

„Denn früher hatte ich Freunde und Familie, denen ich etwas erzählen konnte, doch heute sehe ich nur noch die Einsamkeit, die sich über meinem Leben ausbreitet, wie eine finstere Gewitterwolke. Draußen regnete es.
Irgendwo fehlen hier die Schulsszeichen.

Dies sollte die letzte Zeile in seinem Tagebuch werden, welches seiner Meinung nach genauso uninteressant war, wie die Tatsache, dass er sich heute das Leben nehmen würde.
Die Geschichte an sich wirkt leider auch uninteressant - es fehlt mir nicht nur die Schlüssigkeit, sondern zu allem Übel auch die Spannung. Irgendwie hab ich mich beim Lesen gelangweilt - der Plot verläuft zu grade, zu vorhersehbar. Oder ich bin einfach abgestumpft, weil ich Selbstmordenden nicht mehr als Überraschung empfinde.

liebe Grüße,
Anea

 

Hey,

danke für das Lesen und das Kommentieren meiner Geschichte!

@sim

Es mag kleinlich sein, aber es widerspricht sich.

Was genau widerspricht sich hier? :confused:

Warum zum Beipsiel hängt dein Prot seine Hoffnung an Paketboten?

Warum nicht? Ich meine, wenn ich statt den Paketboten jemand anders ausgewählt hätte, hättest du diese Frage dann auch gefragt?
Bert hat keine Familie, keine Freunde und sucht nun soziale Kontakte und Paketboten und Postbeamte haben sich da meiner Meinung nach angeboten, weil sie sehr gut zu seinen Depressionen beitragen.


@Anea

Ich bin kein Psychologe, aber bei Unterhaltungen mir Selbstmordpatienten habe ich erfahren, dass diese meistens (selbst wenn sie generell unter Depressionen leiden) einen akuten Auslöser brauchen, um diese Tat zu begehen.

Hm, ich bin auch kein Psychologe, aber mein Protagonist litt offensichtlich an starken Depressionen und so setzte er sich selber ein Ultimatum (hier kommt zusätzlich zu den Depressionen eine Neurose hinzu!!!), welches mit dem Besuch des vierten Paketboten erreicht wurde. Dies an sich ist auch schon ein Auslöser, findest du nicht?

Und die Tatsache, dass der Paketbote nicht auf ein Gespräch eingehen möchte, erscheint mir ein ausgesprochen fadenscheiniger Grund zu sein.

Für Bert ist diese Tatsache jedoch sehr wichtig. Er denkt anders als du (und als ich) und er hat sich halt diesen Plan zurecht gemacht und hat seine Hoffnungen auf den Spanier gelegt.

es fehlt mir nicht nur die Schlüssigkeit, sondern zu allem Übel auch die Spannung.

Hm, Spannung wollte ich auch gar nicht zwingend erzeugen. Ich wollte über die Gefühle und die Tragödie des Protagonisten erzählen und nicht über einen möglichen Kampf "Leben? / Tod?"
Schade aber, dass ich deine Erwartungen nicht erfüllen konnte, aber ausnahmsweise habe ich mich bei dieser Geschichte wirklich nicht auf den Spannungsfaktor konzentriert :shy:

Danke trotzdem fürs Kommentieren!

 

Hallo syscolin,

vielleicht überzeugt es dich ja, wenn noch eine dritte Person ähnliche Kritikpunkte anzubringen hat wie sim und anea.

Deine Geschichte überzeugt mich nicht, weil ich die Beweggründe deines Prots nicht kenne. Also gibst du mir auch keine Möglichkeit, ihn zu verstehen. Mal davon abgesehen, dass der Selbstmord vorhersehbar ist und auch ich die Selbstmordenden mittlerweile über habe - warum entscheidet er sich so? Was ist geschehen? Deine Begründung der Depression und der Neurose ( :confused: ) reichen mir hier nicht, ich brauche Details, um mich auf deinen Prot einlassen zu können, mehr Substanz eben. Ich kann mir schon vorstellen, dass man sein Schicksal an das Verhalten von Paketboten hängt, du hast es uns aber nicht plausibel erläutert, sondern eher berichtet.

„Denn früher hatte ich Freunde und Familie, denen ich etwas erzählen konnte, doch heute sehe ich nur noch die Einsamkeit, die sich über meinem Leben ausbreitet, wie eine finstere Gewitterwolke.
diese wörtliche Rede hat kein Ende. Jetzt sehe ich gerade, dass anea dich ja schon darauf hingewiesen hat.

Liebe Grüße
Juschi

 

Ok ok, ich sehe es ja ein. Zu wenige Begründungen und zu wenig Details. Eure Kommentare sind schon berechtigt, aber als ich den Charakter erschaffen habe, habe ich mir ein bestimmtes Bild von ihm gemacht, welches wahrscheinlich nur ich wirklich ganz gesehen habe...

Ich habe mit Absicht auf viele Details verzichtet, weil der Charakter für jeden Leser anderes aussehen sollte, aber scheinbar ist mir dieses Vorhaben wohl misslungen...

Na ja, trotzdem danke fürs Lesen und Kommentieren!

 

Hallo syscolin,

deine Geschichte ist stilistisch, von kleinen Stolperstellen abgesehen, recht gelungen, und du schilderst deinen Prot einfühlsam. Das hat mir gefallen. Als es dann in Richtung Selbstmord ging, dachte ich wie meine Vorkritiker: "Oh, je, nicht schon wieder."

Ich habe mit Absicht auf viele Details verzichtet, weil der Charakter für jeden Leser anderes aussehen sollte, aber scheinbar ist mir dieses Vorhaben wohl misslungen...

Ich fand eigentlich schon, dass du einige Zeit und Details auf deinen Prot verwendet hast. Das Problem sehe ich eher darin, dass es zwar viele Menschen gibt, die passiv und depressiv sind, sich unsinnige Hoffnungen machen und schnell aufgeben. Das Dumme ist nur: Der Leser mag sie nicht. Sie geben ihm nichts, denn er kann mit ihnen nicht mitgehen und mitleiden. Anfangs hat man noch Mitgefühl: Dein Prot ist einsam, hängt an alten Erinnerungen. Wem von uns geht's nicht mal so? Aber dann erwartet man, dass er irgendwie kämpft, und zwar sinnvoll. Tut er das nicht, verabschiedet man sich gefühlsmäßig von ihm und damit von der Geschichte.

Bei ihm bleiben kann man nur, wenn du ihm eine lange, interessante, leidvolle Vorgeschichte gibst, die erklärt, warum er so geworden ist - was unter Umständen den Rahmen einer Kurzgeschichte sprengt. Oder du lässt ihn weniger depressiv sein und mehr kämpfen. Dabei darf er sich ruhig auch ungeschickt anstellen - zum Beispiel die Menschen in seiner Einsamkeit gleich vereinnahmen wollen und damit abschrecken - aber es muss immer halbwegs nachvollziehbar bleiben.

Scheitert der Prot dann in seinem Kampf, ist man als Schreiberling fast immer schlecht beraten, wenn man Selbstmord als Lösung wählt. Einmal, weil diese Totalaufgabe immer nach billiger Lösung riecht. Zum anderen, weil es inzwischen viel zu oft da war. Obwohl ich zugeben muss, dass die Idee mit den Päckchen nicht schlecht ist ...

Gut ist, dass du die Gefühle deines Prot recht plastisch werden lässt. Mit Formulierungen wie:

Sein gekünsteltes Lächeln, welches eher an einen Psychopaten erinnerte als an einen glücklichen Menschen, verschwand unfreiwillig und hinterließ nun wieder einen Gesichtsausdruck, welcher dem eines alten Mannes glich, der mehr ertragen hatte, als er konnte.
„Oh“, entgegnete er deprimiert.

fährst du dir allerdings selber in die Parade. Das ist zu direkt, zu plump. Zeigen, nicht erzählen. Sein künstliches Lächeln verschwindet. Das reicht. Warum, ist klar genug. Die Beschreibung des Gesichtsausdrucks ist erstens auch zu sehr mit dem Holzhammer und zweitens nicht ganz korrekt: Du schreibst das ganze aus Berts Sicht. Der kann sein Gesicht nicht sehen und es schon gar nicht interpretieren. (Ich glaube, auf dieses Problem bezieht sich auch Sims "unlogisch" in dessen Kritik. Du steckst in Bert drin und kannst deswegen nichts erzählen, dessen er sich nicht bewusst ist.)

Und das "deprimiert" bei seiner Entgegnung kannst du auch weglassen, hast du nicht nötig. Das leise "Oh", reicht vollkommen.

Viele Grüße
Pischa

 

@ Pischa

Vielen Dank für deine Kritik!
Ich möchte deine Vorredner nicht in einem schlechtem Licht dastehen lassen, aber deine Kritik hat mir wirklich am Besten gefallen.
Nicht nur, weil du auch etwas positives zu der Geschichte zu sagen hattest, sondern weil du mir wirklich gute Tips gegeben hast und bestimmte Sachen auf den Punkt gebracht hast ("Der Leser mag keine depressiven Selbstmörder!"), jedenfalls nicht diese Art von Menschen, welche nicht kämpfen, sondern vorschnell aufgeben.

Wie du vieleicht schon gemerkt hast, schreibe ich normalerweise in einer anderen Rubrik und in dieser hier habe ich bisher zwei Geschichten veröffentlicht, welche sich mit direkter oder indirekter Selbstaufgabe beschäftigt haben. Meine nächste Geschichte widme ich einem anderen Thema, versprochen ;)

Danke noch ein Mal fürs Lesen und Kommentieren!

 

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