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Stille
Stille (1945)
Wunderbare Stille, die meine Gedanken in Ruhe lässt und sanft meine Fantasie umspielt. Stille, durch nichts unterbrochen, nur weiss und unschuldig, wie ein unbeschriebenes Blatt. Wie ich sie vermisse. Seit einem Jahr hören meine Ohren nichts anderes als Explosionen, Schüsse und Todeschreie. Die Geräusche des Krieges. Auch jetzt höre ich die grausamen Rufe des Todes, der mit kalten Fingern nach mir greift. Ich schliesse meine Hände härter um das kalte Metal meines Gewehres und schaue hinauf in den Himmel. Schwere Regentropfen fallen aus einem grauen Wolkenzelt auf unseren Trupp hinunter.
Ich wende meinen Blick auf die Menschen, die um mich stehen und mit bangen Gesichter unseren Kommandanten ansehen. Es sind alles junge Männer, die meisten noch nicht über Zwanzig und doch sitzen sie schon tief in der Hölle. Die Todesangst steht ihnen in das Gesicht geschrieben. Manche weinen, andere sehen nur stumpfsinnig vor sich hin. mehrere Männer übergeben sich. So geht es allen beim ersten mal. So ging es mir, und so ging es den anderen, die mit mir auf das Schlachtfeld zogen. Inzwischen sind die alle tot. Ich bin der letzte Überlebende. Ich drehe das Gesicht und blicke in die kalten Augen von Jenkins, unsrem Funker. Ich kenne ihn schon ziemlich lange. Er ist der einzige Freund, dem ich noch vertraue. Auch in seinem Gesicht ist der Schleier des Sterbens zu sehen, aber ich versuche ihn zu übersehen.
"Sie kommen!", brüllt plötzlich unser Späher, der oberhalb unserer Stützung Platz genommen hat. Es ist das Letzte was er sagt, denn kurz darauf fällt er mit einem dumpfen Knall auf den sumpfigen Boden. Kopfschuss. Ich bin schneller auf den Beinen als ich mir noch jemals zugetraut hätte. Das menschliche Denken schalte ich aus, den tierischen Instinkte lasse ich freie Bahn. "Jenkins!". brülle ich und höre meine Stimme nur gedämpft. "Komm!" Ich springe aus dem Loch, das uns als Deckung diente und werfe mich in eine nasse Pfütze. Ich höre etwas neben mir aufklatschen und bete zu Gott dass es Jenkins ist. Kurz darauf explodiert die Granate, die ich gesehen hatte in dem Loch und der Knall vermischt sich mit dem Klang des Verderbens auf dem Schlachtfeld. Ich erhebe mich und schaue noch kurz zu dem Loch zurück. Die meisten Soldaten meines Trupps liegen zerfetzt in dem Loch, das braune Wasser vermischt sich mit dem Blut. Die Jungen Männer, welche nicht getroffen wurden, straucheln aus dem Loch wie kopflose Hühner. Die meisten bekommen eine Kugel, bevor sie wissen was passiert ist.
Ich reisse Jenkins aus dem Schlamm und renne mit ihm in eine Nahe gelegene Deckung. Schüsse pfeifen uns um die Ohren und schlagen neben uns in den nassen Boden. Plötzlich fällt Jenkins und ich sehe mich nach ihm um. Für einen Moment scheint die Zeit still zu sehen, ich höre nichts mehr und sehe alles wie in Zeitlupe. Dan trifft mich die Kugel. Ich spüre den Einschlag, fühle aber keine Schmerzen. Nur Stille. Ich schaue auf meinen Bauch, aus dem Blut läuft. Wie ein Brunnen der langsam versiegt. Ich sehe hinauf in Jenkins Gesicht, sehe seine Tränen, sehe wie er den Mund bewegt. Aber ich höre ihn nicht. Ich sehe, wie sich die Sonne langsam durch die Wolkenberge kämpft und der Regen aufhört.
Stille!