stirb gut.
Es war vielmehr als nur ein Gefühl. Es war, als ob seine Füße beschlossen hätten, den Boden einfach nicht mehr zu berühren. So schwebte er ein wenig durch diesen Garten. Warum er ihn nie gesehen hatte, konnte er sich jetzt, Sekunden vor seinem Tod, eigentlich nicht erklären.
Zwischen den Hochhäusern seiner Stadt, zwischen den Menschen in grauen Nadelstreifen, zwischen den Bürgersteigen auf denen Zeitungen über Hundekacke wehte, war dieses kleine Tor: Unauffällig, aber doch klar zu sehen, für die, die sehen wollten. Als er hindurchtrat wurde ihm klar: er wusste schon immer, dass es diesen Platz der Freude, dieses Spektakel des inneren Friedens geben musste. Es war ihm unerklärlich, warum er die Hochhäuser nicht mehr sah, konnte er doch nur wenige Meter von ihnen entfernt sein. Er merkte, wie das Glück ihn in Wellen durchflutete, sein vertrocknetes und vereistes Herz begann zischend aufzutauen, er fühlte die Wärme, er fühlte das Wunder, und endlich fühlte er die Liebe.
Sie kam erst kriechend, heimlich, zog in seine Fußzehen, kämpfte sich durch seinen Unterschenkel, eroberte seine Leisten. Kurz verlor sie sich im Anblick seines Bauchnabels, holte neuen Schwung im Bogen seiner Rippen und nahm im Sturm sein Herz. Er riss die Augen weit auf, sah eine neue Welt, fühlte sich unbesiegbar, liebte die Welt, als die Liebe sich, die Speiseröhre als Beschleuniger nutzend, in sein Gehirn katapultierte und ihm unweigerlich klarmachte: Ich werde dich töten.
Er akzeptierte es. Er wusste, sie hatte recht. Er bat sie, einmal wenigstens durch den Garten gehen zu dürfen. Sie war die Liebe, und als solche war es ihre Pflicht, ihm endlich diesen Garten zu zeigen, doch es war ihre Natur, ihn danach zu töten.
So trug die Liebe ihn vorbei an den wundervollsten Geschöpfen, an magischen Plätzen unendlicher Schönheit. Da sah er, neben einem kleinen Teich, eine Rose von solcher Schönheit, dass sein Herz sich zusammenzog, er wirr und verzaubert nicht anders konnte, als sie besitzen zu müssen. Er schwebte langsam zu der Rose, streckte seine Hand aus, wollte sie zu sich nehmen. Er strich über die blutrote Blüte, fühlte die Perfektion dieser Blume. Er wollt nichts mehr, als sie für immer zu besitzen, sie zu pflegen, ihr alles zu geben, was er hatte. Langsam strich er an ihrem Stamm entlang, fühlte die gründen Blätter mit den zackigen Kanten, war erhoben von einem Gefühl der Glückseeligkeit, als er plötzlich einen stechenden Schmerz verspürte. Ein Tropfen Blut rann den Stamm entlang und kaum berührte er den Boden, schien die Rose ihr aufzusaugen, und er meinte noch sehen zu können, dass die Blüte in ihrem rot noch dunkler und wundervoller wurde.
Er schaute der Liebe in die Augen, als sie seinem Körper entglitt. Auf dem Boden liegend, den Dorn noch in der Hand, suchte er nach einer Erklärung, wollte die Liebe fragen, warum sie das mache. Doch es war kein Groll, den er seiner Mörderin gegenüber verspürte. Es war Verwunderung, die Verwunderung eines kleinen Jungen, der nicht versteht, warum er nicht fliegen kann. Er schaute Sie an. Danke, sagte er. Stirb gut, antwortete sie, ihr Wesen wie immer wundervoll. Und er tat es.