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Straßenbahn bei Nacht

Dan

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01.12.2004
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Straßenbahn bei Nacht

Straßenbahn bei Nacht

Am liebsten fuhr er Straßenbahn bei Nacht. Ein betäubendes Gefühl überkam ihn in der fast menschenleeren Bahn, wenn er in die vorbeiziehende Dunkelheit blickte und lange Zeit nicht von ihr lassen konnte.
„In Richtung Krankenhäuser bitte umsteigen...“, ertönte die ewig neutrale Frauenstimme in der S-Bahn. „Ich schlag ihn windelweich, wenn er mir nicht bald das Geld gibt, kannst du ihm ruhig schon mal sagen...“, plärrte ein braungebranntes Muskelhähnchen in sein Handy.
Nachts konnte man natürlich davon ausgehen, dass allerlei Gesindel unterwegs war. Besoffene, die sich in ihren endlosen Selbstgesprächen verloren oder von ihren Freunden dringlichst zum Stillsein aufgefordert wurden. Müde Arbeiter, die nur noch schnellst möglich nach Hause wollten, um sich in ihr weiches und warmes Bett zu legen. Und einige wenige jugendliche Draufgänger, die immer eine offene Kneipe zu suchen scheinen, egal zu welcher Uhrzeit und an welchem Tag.
Aber gerade deswegen war das Straßenbahnfahren zu dieser Zeit etwas ganz besonderes.
Wenn er seinen Kopf gegen die kalte Glasscheibe sinken lies, wirkten die Stimmen und hektischen Geräusche um ihn herum wie eine einlullende Melodie. Die kleinen Lichtpunkte der Laternen, schnell durch sein Blickfeld huschend, taten ihr übriges.
Er schlief ein. Kein richtig tiefer Schlaf. Er schlummerte ein wenig. Dämmerte so dahin.
Und manchmal mischte sich in diese Träume die Realität. Stimmen von Vorbeigehenden bildeten in seinen Gedanken Gespräche nach oder die ruckhaften Bewegungen der Straßenbahn ließen ihn an eine wilde Fahrt mit einem schnellen Auto denken.
Auch wenn diese Träume oft Unterbrechungen durch die anhaltende Bahn und die neu einsteigenden Fahrgäste erfuhren, waren sie für ihn erholsam.
Seine bevorzugten Linien fuhren lange Zeit ohne Halt. Meist in kleinere Vororte, so dass er die Stadt von der Ferne aus beobachten konnte. Die kleinen Lichter der Wohnungen und Geschäfte bildeten ein Meer aus vibrierenden Punkten.
So in etwa stellte er sich auch die Sicht in einem kleinen Hafen im Süden vor. Vielleicht ein kleines Fischerdorf, in einer Bucht gelegen. Nachts konnte man von der Hafenmauer über das Meer hinweg die umliegenden Dörfer erblicken und sich vorstellen wie die Touristen im schwül-warmen Klima in den Fischrestaurants saßen und...
„Hey!“
Langsam seine Augen öffnend erblickte er sein Gegenüber.
„Hier ist Endstation, du Saufkopf! Raus! Schlafen kannst du woanders!“

 

Hallo Dan,

Willkommen auf kg.de !

Mit deiner kurzen Geschichte bietest du einen leckeren Happen für zwischendurch. Gut verdaulich geschrieben, ein bekömmliches Thema und eine gewürzte Ausdrucksweise behagt mich zu einem angenehmen Stimmungsbild eines Obdachlosen. Sein Schlafquartier in der Nacht ist eine Straßenbahn. Während der Fahrten beobachtet er viele Dinge, träumt von einem besseren Leben, schläft kurzzeitg, bis ihn an der Endstation die Realität wieder einholt und unsanft weckt.
Das Schicksal des Protagonisten tritt in den Hintergrund. Erst am Ende erfährt man von seiner gesellschaftlichen Stellung. Dazwischen lässt du uns mit schönen Bilder tief in seine Welt blicken, und uns rätseln, was für ein Mensch er denn nun eigentlich ist. Seine Betrachtungen des Inneren der Straßenbahn und der Fahrgäste sind eher in einem nüchternen, ironischen bis humorvollen Ton ("braungebranntes Muskelhähnchen") gehalten, was das Alltägliche seiner nächtlichen Irrfahrten aufzeigt. An manchen Wörter lässt sich noch pfeilen, um die Geschichte in ihrem Sprachstil noch runder erscheinen zu lassen. Betrachte deinen Text einfach nach einer Woche wieder, und überarbeite ihn.

Kleinigkeiten :

Besoffene, die sich in ihren endlosen Selbstgesprächen verloren oder von ihren Freunden dringlichst zum Stillsein aufgefordert wurden.

Der Gliedsatz klingt sehr hochgestochen. Über das dringlichst bin ich dann gestolpert. Lasse es weg, und verwende besser: ermahnen, drohen oder warnen. Noch besser aber, du findest eine andere Formulierung.

Aber gerade deswegen war das Straßenbahnfahren zu dieser Zeit etwas ganz besonderes.

Straßenbahnfahren finde ich nicht im Duden. Das Fahren mit der Straßenbahn tut es doch auch, oder ?

So in etwa stellte er sich auch die Sicht in einem kleinen Hafen im Süden vor. Vielleicht ein kleines Fischerdorf, in einer Bucht gelegen.

Zwei Mal klein verwendet. Besser: Vielleicht ein entlegenes, gemütliches, verschwiegenes, verschlossenes, verstecktes, winziges etc. pp.

Liebe Grüße,
moonaY

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Dan,

mir hat deine Geschichte sehr gut gefallen, die Idee finde ich sehr interessant.
Mir ist eine kleine Sache aufgefallen:

Dan schrieb:
„In Richtung Krankenhäuser bitte umsteigen...“, ertönte die ewig neutrale Frauenstimme in der S-Bahn. QUOTE]

Aber er sitzt doch in der Straßenbahn oder habe ich da was misverstanden ?

LG
Thomas

 

Hallo,

Erst mal vielen Dank für eure Kritik und euer Lob. Da dies meine erste Geschichte auf Kg.de ist, freut es mich natürlich, dass sie anscheinend im großen und ganzen in Ordnung war.

@moonaY - Vielen Dank für deine Kritikpunkte. Ich werde sie mir zu Herzen nehmen und beim nächsten Überarbeiten darauf achten.

@Thomas - Ja, er sitzt die ganze Zeit in der Straßenbahn.
Es handelt sich bei der neutralen Frauenstimme um die Bandansage in der Straßenbahn.

Gruß
Daniel

 

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