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Super Value Country

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19.01.2008
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Super Value Country

Gestern Nacht ist hier ein Gewitter durchgezogen. Das weiße Licht ist über den Himmel geflackert und durch die Wolken gezuckt und ich habe hellwach im Bett gelegen. Das Grollen und Krachen hat wie Krieg geklungen und erst morgens um vier hat das Wetter den ersehnten Waffenstillstand beschlossen.
Jetzt muss ich schon wieder gähnen und halte etwas verspätet die Hand vor den Mund. Ich sitze auf einem langen Sofa, dessen Muster das Polster in vertikalen Bahnen umschlingt. Visuelles Thema: Urwald mit Papageien und Blättern; es ist sehr grün mit ein bisschen gelb. Es hat die Form einer Banane.
«Die Klimaanlage geht nicht richtig, es ist viel zu kalt», mosert ein Mädchen. Sie klingt ein bisschen verschnupft und komplettiert ein Pärchen, das am Empfangstresen steht. Vier Füße in vier Latschen. Die rechte Hand des Mädchens steckt in der linken Gesäßtasche ihres attraktiven Partners. Die Rezeptionistin ist ziemlich dick und nickt verständnisvoll; mehr aber auch nicht, ihr muss entsetzlich langweilig sein.
«Den meisten Gästen ist es eher zu warm», sagt sie. Draußen ist es heiß und alles sollte in Flammen stehen, so brutal scheint hier die Sonne. Doch in der Lobby und in den Zimmern ist es lausig kalt; leises Surren, es zieht. Die Intention ist gut und das technologische Konzept stimmt, doch leider hapert es an der praktischen Ausführung. Es fehlt einfach die gesunde Balance: Statt das eine Extrem elegant auszugleichen, schaffen die brummenden Geräte ein zweites Extrem. Draußen schwitzen, innen frösteln.
«Mir ist das echt zu kalt, besonders nachts, ich friere richtig.»
Neben dem Sofa stehen rechts und links zwei Sessel im selben Muster. Noch mehr Papageien, noch mehr Grün. Hinter mir stehen dürre Blumen, deren Blätter aneinander schaben. Ich sitze hier mitten im Dschungel. Sonst ist die Lobby ein deprimierender Ort, sehr ordentlich und steril. In der Ecke bietet ein Plastikgestell Prospekte an. Ein Brite interessiert sich ausgiebig und voller Hingabe für die Sehenswürdigkeiten der Gegend, er nickt beim lesen und verschwindet schließlich mit zwei Händen voller Papier im Fahrstuhl. Ping! Männer, die sich Staudämme angucken.
«Frauen haben ja auch weniger Muskeln», sagt der attraktive Freund; er mag es wohl etwas kühler, will seiner Freundin bei der schwierigen Auseinandersetzung aber nicht in den Rücken fallen.
«Ich schicke euch mal einen Techniker hoch», verspricht die Dicke und klackert Buchstaben in den Computer. Sie kann fehlende Muskeln spielend kompensieren.
«Das finde ich inakzeptabel», umreißt das Mädchen ihre Situation. Die Worte treffen im Vorbeigehen gegen die glatten Wände, prallen ab und verhallen. Ihr Freund gähnt schon wieder und steckt mich an – jetzt gähnen wir gemeinsam. Wir alle sind heute sehr müde und warten auf die gemütliche Dunkelheit. Der Fahrstuhl erreicht die Lobby, ein leises Ping! und die Türen öffnen sich. Das Paar steigt ein und ist weg. In der anderen Ecke steht ein ATM, ein Geldautomat, und lädt zum Geldverschwenden ein. Und plötzlich stehen zwei Beine vor mir, sie gehören zu Michelle, sie ist der Grund meines Wartens.
«Hey», sagt sie.
«Hey», sage ich.
Nebenan gibt es einen kleinen Laden, dort arbeitet sie. Heute Vormittag habe ich mir eine Flasche Pepsi geholt, an der Decke bewachte eine kleine Kamera das Geschehen. Ich wunderte mich, ob sie echt war. An der holzvertäfelten Wand hingen eine Uhr und ein Thermometer. Halb elf / dreiundachtzig Grad Fahrenheit. Das Surren der Klimaanlage ließ erahnen, dass der Filter lange nicht mehr ausgetauscht worden war, das Gerät klang wie das Husten eines älteren Herrn. Ich stand noch eine Weile vor einem Gemälde, das Tannen zeigte, hohe Tannen an einem See. Inspiriert entschied ich mich für eine Tüte Lay’s – mein Mittagessen. Michelle tippte die Preise in die Kasse, ein paar Dollar irgendwas. Sie gefiel mir sofort und ich hatte seit Tagen keine längere Unterhaltung mehr geführt.
Ich fragte sie, wann sie Feierabend hat und ob sie dann mit mir was trinken gehen würde.
Das ginge nicht, behauptete sie und lehnte meine Einladung erst mal ab. Ich bezahlte mit Kreditkarte, das war hier überall möglich, ich führte gar kein Bargeld mehr mit. Dreimal musste ich noch vorbeikommen und Schokoriegel kaufen, bis Michelle beim vierten Besuch endlich einwilligte; sie hatte wohl Mitleid mit mir.
«Dann lass uns mal gehen.»

Augenblicklich transpiriert mir ein Oberlippenbart aus der Haut, den ich in den Ärmel wische. An der Straßenecke ist nichts los. Die Sonne ist am Untergehen und färbt den hellgrauen Beton gelblich ein. Eine rote Linie am Bordstein mahnt vor dem Falschparken und das Schaufenster verspricht Air Conditioning und neben kalter Coke auch heißen Kaffee. Hier draußen wünsche ich mir was Kühles, drinnen trinke ich lieber Kaffee, immer mit einer großzügigen Portion Milch. Michelle trinkt ihren schwarz und sehr schnell. Dazu essen wir Donuts mit Schokoglasur.
Ich fühle mich plötzlich wie ein leeres Zimmer mit weißen Wänden, fensterlos und einer nackten Glühbirne an der der Decke. Ein gemeinsamer Überfall von geistiger Leere und Müdigkeit, die mich blockieren. Irgendwo in meinem Rachen hängen die Worte fest und kratzen mir im Hals. Nur banaler Small Talk rutscht problemlos über meine Zunge. Leute, die übers Wetter reden.
Ich kann Michelle jetzt unmöglich erzählen, wie warm es draußen ist – das weiß sie doch selber! Die unangenehme Stille dauert an, weitet sich aus und ich erwische mich dabei, wie ich tagträumend zum Fenster schaue. Jeden Moment würden Zombies durch die Scheiben schlagen, würde die Apokalypse ausbrechen. Hinterm Tresen liegt die Shotgun, ein gekonnter Griff der Frau hinterm Counter. Kraftvoll durchladen und immer auf die Köpfe zielen. Zwischendurch mal nachfragen, ob sie unseren Kaffee nachfüllen könne. Ja, bitte. Alltag hier draußen.
«Jetzt erzähl doch mal: Was hat dich hierher verschlagen?», unterbricht Michelle endlich die Ruhe und spielt mit. Ich bin froh, dass wir miteinander sprechen und ich fühle, wie sich die Brocken in meinem Hals lösen und höre meine eigene Stimme:
«Ich erkunde das Land und fahre umher. Vor vier Wochen bin ich in L.A. gestartet und seitdem bin ich unterwegs.»
«O, das würde ich auch gerne mal machen. Einfach unterwegs sein, das Land sehen.»
«Ja, genau! Was hält dich auf?»
«Das wäre schon ein teurer Spaß. Das Benzin und die Hotels.»
«Aber es ist die Sache wert.»
«Bestimmt, aber ich war noch nie wirklich weit weg von hier. Und ich würde keinesfalls alleine aufbrechen, so wie du.»
Ich nicke beim Trinken, das soll Verständnis ausdrücken.
«Ist das nicht schrecklich einsam?», fragt sie.
«Überhaupt nicht, ich habe mich ans Alleinsein gewöhnt», behaupte ich, weiß aber ganz genau, dass ich mir nicht so sicher bin. «Und ich treffe ja interessante Leute.»
Sie überlegt einen Augenblick, dann sagt sie: «Also ich brauche meine Leute um mich herum. Und natürlich meinen Freund –»
Ihr Freund.
«– mit dem ich alles bequatschen kann. Vermisst du deine Freunde nicht?»
«Ein bisschen vielleicht. Aber es geht. Die vier Wochen sind ja auch erstaunlich schnell vergangen», sage ich und steckte mir den letzten Donut-Brocken in den Mund. Keiner von meinen Freunden wollte mit, die haben alle zu tun und so viel Stress mit der Arbeit, den Frauen und was nicht alles.
«Wie bist du eigentlich ausgerechnet in unserer kleinen Stadt gelandet?»
«Das habe ich einem doofen Zufall zu verdanken. Mein Navi—»
«Navi?»
«Das Navigationsgerät im Auto.»
«O», macht sie und nickt.
Ihr Freund.
«Jedenfalls hat das Ding plötzlich nur noch Schwärze angezeigt und ich hab mich völlig verfahren. Dann wurde es immer dunkler und am Ende bin ich dann irgendwie hier gelandet.»
«Hm.» Erneutes Nicken. Michelle schlürft ihren Kaffee in großen Schlucken. Ihre Lippen sind sehr schön, sehr rot und sicherlich sehr weich. Ein Mann kommt zur Tür rein, definitiv kein Zombie. Er setzt sich an den Tresen und begrüßt die Bedienung.
«Hey, Marge.»
Marge hat keine blauen Haare, ihre Haut aber wirkt etwas gelblich, es liegt vielleicht am Sonnenlicht, das durch die Scheibe fällt.
«Na, wie geht’s, Harold?»
«Gut, gut. Ich nehme das Übliche», sagt Harold. Er wird einen Kaffee bekommen und ein Sandwich mit Chicken und Bacon.
«Klar doch, Harold.»
Wie sie sich beim Namen nennen. Zuhause weiß ich nicht, wie die Typen bei Starbucks heißen.
«Bist du tätowiert?», fragt Michelle, ihre Stimme ist plötzlich erschreckend laut. Schrei doch nicht so, will ich ihr gern sagen, aber ich tue lieber so, als denke ich über ihre Frage nach.
«Nein», sage ich dann und füge noch rechtzeitig hinzu: «Du?»
Darauf hat sie nur gewartet: «Das habe ich mir letzte Woche stechen lassen», sagt sie und zieht ihr Shirt zurück, zeigt ihr entblößtes Schulterblatt, auf dem ein chinesisches Zeichen zu sehen ist. «Das ist Japanisch.»
«Und was steht da?» Bestimmt so was wie Wagemut oder Freiheit.
«Freiheit», sagt sie stolz. Eine Freiheit, die sie nicht nutzt.
«Kannst du denn Japanisch?»
«Ne.»
«Wer weiß, vielleicht steht da eigentlich Dosenhühnchensuppe auf deinem Schulterblatt», sage ich und lache ein bisschen, was Michelle ignoriert.
«Dann habe ich noch eine Rose auf dem Arm», sie schiebt den Ärmel ihres Shirts hoch, «und noch ein drittes Tattoo, das ich dir aber nicht zeigen kann.»
Die Unterhaltung mit Michelle erinnert mich daran, was mir am meisten fehlt. Diesen Mangel kann Michelle nicht beseitigen – und sie will das auch gar nicht.
«Ach, schön», sage ich. Unsere Tassen sind irgendwann leer; die Wettervorhersage hat eine ruhige Nacht versprochen.

 

Lieber Schlomo,

am Anfang habe ich mich gefragt, wohin die Reise geht. Das war ganz interessant und spannend, wie eine Kamerafahrt vom Detail ins immer Größere. Aber irgendwie fand ich die Geschichte merkwürdig.

Gestern Nacht ist hier ein Gewitter durchgezogen
Ich würde das hier weglassen.

Die Rezeptionistin ist ziemlich dick und nickt verständnisvoll; mehr aber auch nicht, ihr muss entsetzlich langweilig sein.
Woran erkennt man, dass sie sich langweilt?

Ein Brite interessiert sich ausgiebig und voller Hingabe für die Sehenswürdigkeiten der Gegend, er nickt beim lesen und verschwindet schließlich mit zwei Händen voller Papier im Fahrstuhl. Ping! Männer, die sich Staudämme angucken.
Woran erkenne ich den Briten? Was soll das Ping? Wo kommen auf einmal die Staudamm-Männer her?

«Das finde ich inakzeptabel», umreißt das Mädchen ihre Situation. Die Worte treffen im Vorbeigehen gegen die glatten Wände, prallen ab und verhallen.
Spricht sie noch mit der dicken Frau? Nein, aber das wird erst später klar. Warum sagt sie inakzeptabel? Wo die dicke Frau doch gesagt hat, sie kümmert sich? Was ist daran inakzeptabel? Ein bisschen verwirrend.

. Die Sonne ist am Untergehen und färbt den hellgrauen Beton gelblich ein
Nein, die Sonne ist nicht am dran am Untergehen, die Sonne geht unter.

«O», macht sie und nickt.
Wie macht man ein O?

Ich bin nicht ganz überzeugt von der Geschichte. Sie erinnert mich an "Lost in translation", die leichte Langeweile, die sie verströmt kann ja auch durchaus von Dir gewollt sein. Ich finde, die Geschichte kann sich leider nicht recht entscheiden, was sie sein will. Erst ist es Menschen im Hotel, dann kommt das Treffen mit einer unbekannten und zufällig getroffenen Schönen, zwischendurch eine kleine Horroreinlage, die Langeweile zieht sich durch. Ein paar Roadmovieanklänge und dann natürlich noch das Wetter und die Tattoos. Warum? Es kommt seltsam unmotiviert bei mir an.

Es gibt lauter Ideen und recht gute Beschreibungen, aber ein verbindendes Element fehlt mir. Der Ich-Erzähler schafft es nicht, das alles zu einem Ganzen zu formen. Ich verstehe gar nichts. Warum ist er unterwegs, warum ist er traurig oder lakonisch oder einsam? Die Andeutungen sind so verhalten, das sie eigentlich nur angedeutete Andeutungen einer Andeutung sind.
Es ist ein Mosaik eines Nachmittags.

Das mag Absicht sein. Es mag sein, dass gerade dieses ungewisse und angedeutete Innenleben des Erzählers das Entscheidende der Geschichte sein soll. Mir bleibt er dadurch aber zu fern und er berührt mich nicht.

Viele Grüße,
hollylila

 

Hi,

und erst morgens um vier hat das Wetter den ersehnten Waffenstillstand beschlossen.
Ist schwierig, „beschlossen“ geht zur Not, aber man denkt bei Waffenstillstand an „geschlossen“, da holpert es ein bisschen. Ist dann die Frage: Mit wem hat das Wetter Waffenstillstand geschlossen?

Visuelles Thema: Urwald mit Papageien und Blättern; es ist sehr grün mit ein bisschen gelb. Es hat die Form einer Banane.
Das ist ein kleiner Fehler im Bezug. „Es“ hat die Form einer Banane, das heißt: „Das Visuelle Thema hat die Form einer Banane“, du meinst sicher das Subjekt von dem Satz zuvor, das Sofa.
Hm, aber das „Es“ bei „Es ist sehr grün mit ein bisschen gelb“ könnte sich auf beides beziehn Sofa oder Thema, ist halt schwierig, wenn man sowas macht mit Semikolon und 2 Pronomen. Mit Bezügen und so im Deutschen ist das immer schwierig, weil die Sprache da nicht so generös ist, wie man es gerne hätte.
Es ist immer die Frage, wieviele Leute so was stört. Ob ein Leser, der nicht sagen kann: „Probleme im Bezug“, das überhaupt registriert oder da hapert.

Ich wunderte mich, ob sie echt war.
Das ist ein Anglizismus: I wonder, ich frage mich.
Im Deutschen ist „ich wundere mich“ soviel wie „ich bin irritiert von“ „ich verstehe das Verhalten nicht“. Wenn ich sage: Ich wundere mich, warum sie ihn liebt“ dann heißt das auch „Ich frage mich“, aber mit so einem „Wie kann die den nur lieben?“-Beigeschmack.
http://www.duden.de/rechtschreibung/wundern

Ich fragte sie, wann sie Feierabend hat und ob sie dann mit mir was trinken gehen würde.
Oh je. Indirekte Rede, Vorzeitigkeit, schweres Feld.
Ich fragte sie, wann sie Feierabend habe und ob sie dann mit mir was trinken gehen würde.
Feierabend hatte, ging wohl auch. Aber mit „sagte“ im Präteritum, dann in eine gemogelte direkte indirekte Rede fallen – schwierig.

Augenblicklich transpiriert mir ein Oberlippenbart aus der Haut,
Ich find a) transpirieren ist ein seltsames Modewort geworden, weil es so schön kompliziert klingt und b) augenblicklick schwitzt mir ein Oberlippenbart aus der Haut – würde auch noch gewählt und gesucht klingen (Warum hat der einen eigenen Willen?), wäre aber besser so und c) dieses „Mir“ ist ganz seltsam hier.
Augenblicklich schwitze ich mir einen Oberlippenbart – ist doch wunderbar.

Die Sonne ist am Untergehen
Hochsprachlich ist das nicht.
http://kolumnen.de/kolumnen/sick/sick-251007.html
In dem Text geht viel durcheinander, du hast einmal betont hochsprachliche Lösungen und dann ist es nachlässig an anderen Stellen. Wenn der Text deutlich umgangssprachlich geschrieben wäre, mit einem markanten Erzähler, wären viele Dinge kein Problem.

ein gekonnter Griff der Frau hinterm Counter.
Shotgun – von mir aus
„Counter“ – Ladentheke/Theke/Schalter

«O, das würde ich auch gerne mal machen.
Ausruf des Erstaunens: Oh
Anbetungsformel: O

Ich nicke beim Trinken, das soll Verständnis ausdrücken.
Gibt’s immer die lustigen gifs, die sieht man hier nicht so gerne. Stating the obvious und so. :)

Ja, das ist so ein literarischer Text, wie ich ihn mir in einer Literaturzeitschrift oder einer Anthologie vorstellen kann, so ein bisschen Preisträgerliteratur.
Mich reißt das nicht so vom Hocker, es ist unterkühlt, es ist indifferent, es steht so für nichts, es bekennt sich zu nichts, der Text bekennt sich nicht. Dann ist das eine Beobachtung davon, dass man, egal, wie reflektiert man ist, man nicht Intimität erzwingen kann, auch wenn man es gerne möchte. Das ist schon ein interessanter Ansatz, aber er ist auch so das einzige in dem Text.
Die Einsamkeit des Einsamen, der sich für die Einsamkeit entschieden hat aus irgendeinem Gestus heraus, aus einer Abeenteuerlust, und jetzt merkt er, wenn ich alleine in den USA in einem Hotel bin, dann bin ich alleine in einem Hotel in den USA. Das ist doch recht banal, oder? Dass ich, nur weil ich gesehen habe, dass in Filmen immer Kellnerinnen angebaggert werden, da eine Kellnerin anbagger und dann denke ich: Es wird ganz wunderbar, aber – wie soll das passieren, was soll da passieren?
Das sind schon Themen, die man behandeln kann, aber … irgendwie hätte man das schon alles nach dem ersten Absatz beenden können. Also der Text teilt mir mit, dass der Protagonist, während er diesem Traumurlaub nachgeht, einsam ist.
Das ist überhaupt kein schlechter Text, ich hab den gern gelesen, ich hab nur zu deutlich gesehen, wie er funktioniert, er hat mich nicht überrascht, er hat mir nichts gesagt, was ich nicht gesehen hab, ich hab nicht das Gefühl, ich könnte über den Text jetzt mit wem reden, weil hier typische Themen angetippt werden „Abenteuerlust, Einsamkeit, Realität durch Medien“, aber auch nur angetippt, dazu richtig was zu sagen, hat der Text – fürchte ich – nicht.
Er gibt ein Gefühl wieder, er gibt Atmossphäre wieder – das macht er gut -, mir wären noch paar Sachen dazu lieber, aber dann kommt man eben auch aus dieser „indifferenten Ich bin moderne Literatur“-Schiene raus.

Gruß
Quinn

 

merkwürdig

Hey hollylila,

vielen Dank für deine Analyse & Hinweise. Meine Intention bei dieser Geschichte war eine möglichst präzise Verortung des Ich-Erzählers im Raum. Oder so. «Lost in Translation» ist tatsächlich mein Lieblingsfilm und ich kann eine Verbindung hierzu kaum abstreiten. Sicher fehlt der Geschichte noch ein bisschen der Fokus bzw. ein deutlicherer Leitgedanke. Ich habe erst neulich (neulich, wie in: vorgestern) das passende Kapitel in meinem schlauen Kreatives-Schreiben-Buch gelesen und mir ist tatsächlich klar geworden, dass ich das ein bisschen vernachlässigt habe. Das hole ich jetzt nach. Oder morgen.

Was das (fehlende) emotionale Innenleben des Protagonisten angeht, muss ich gestehen, dass ich hier die größten Schwierigkeiten habe. Ich weiß einfach (noch) nicht, wie ich das gut hingekriege; dass es nicht zu platt ist usw. usf. Ich finde es schwierig, einen glaubhaften inneren Monolog hinzukriegen oder sinnige Gedankengänge zu Papier zu bringen. Daher rührt vielleicht diese merkwürdige Distanz zwischen Ich-Erzähler und Leserin.

Lieben Gruß
Dan... ääh Schlomo

 

so ein bisschen Preisträgerliteratur

Hey Quinn,

danke für deine ausführliche Kritik & die Hinweise, die waren enorm hilfreich! Ich bin immer wieder erstaunt, welche sprachlichen Fehlgriffe mir unterlaufen, obwohl ich Sicks Kolumnen relativ häufig lese. (Was nicht heißt, dass ich die toll finde, im Gegenteil! Paaaaah! Ich bin ja nur an meiner Sprachoptimierung interessiert.) Vielen deiner Kritikpunkte kann ich wohl zustimmen und werde dementsprechend verändern. Mal gucken, was dann dabei rauskommt ;)

Besten Gruß
Schlomo

 
Zuletzt bearbeitet:

Tag Schlomo,

Das Grollen und Krachen hat wie Krieg geklungen und erst morgens um vier hat das Wetter den ersehnten Waffenstillstand beschlossen.

ich las zufällig ein paar Zeilen Quinn, der ja die Frage aufwarf, mit wem hier Waffenstillstand geschlossen wurde. fand ich plausibel, das zu fragen, sieht aus, als wäre hier ein nicht angeschlossenes Ende auf den ersten Blick.
ich denke, es lässt sich interpretieren, dass das Wetter mit sich selbst im Krieg liege, und so wird der Waffenstillstand eben mit sich selbst geschlossen. zwischen Wetter und Wetter, da gibt es ja den Begriff Gewitterfront, vielleicht eine Grenzstreitigkeit zwischen Kalt- und Warmluft? da könnten sich ja mal unsere Meteorologen zu Wort melden.
allgemein ist es typisch menschlicher Quark, Kriegs-Rhetorik auf ein Naturphänomen anzuwenden, wenn man es mal durchdenkt, das noch nebenbei.
also das erscheint schon auch plausibel, auf den zweiten Blick, auf den ersten jedoch, der wohl der wichtigere ist bei einem literarischen Text, lässt sich da stolpern. insgesamt könnte man sich schon fragen, ob diese aufwendige Sprache zu Beginn geglückt ist.

Visuelles Thema: Urwald mit Papageien und Blättern; es ist sehr grün mit ein bisschen gelb. Es hat die Form einer Banane.

sehr hübsch

Vier Füße in vier Latschen.

ebenfalls gut, passt zu ihrem verschnupften Kommentar, da wirkt dieser vier Füße in vier Latschen-Satz schon wie eine Charakterisierung, nicht ganz greifbar, aber gefühlsmäßig so nebenbei herunterputzend, launig

Statt das eine Extrem elegant auszugleichen, schaffen die brummenden Geräte ein zweites Extrem. Draußen schwitzen, innen frösteln

das Thema ist aber so alt wie Klimaanlagen, oder? ich bin jetzt nicht allzu oft direkt betroffen von diesen Temperaturveränderern, aber das ist mir schon bewusst, ganz vorne liegt das auf, wenn ich an Klimaanlagen denke, dass man aufpassen muss, sich nicht zu erkälten. willsagen: müsste nicht unbedingt noch mal wiederholt werden.
zwar geben die Figuren bisher gleichfalls besonders belanglose Sätze von sich, aber ob man da als Erzähler da in die gleiche Kerbe schlagen sollte. man macht vllt etwas anschaulich, aber es rutscht dann eben auch in die Belanglosigkeit, ist die Gefahr.

er nickt beim lesen und

bei dem Lesen: Substantivierung, denke ich, an der Stelle.

Hinter mir stehen dürre Blumen, deren Blätter aneinander schaben. Ich sitze hier mitten im Dschungel. Sonst ist die Lobby ein deprimierender Ort, sehr ordentlich und steril. In der Ecke bietet ein Plastikgestell Prospekte an

gut beschrieben, dort war ich auch schon mal

er mag es wohl etwas kühler, will seiner Freundin bei der schwierigen Auseinandersetzung aber nicht in den Rücken fallen.

:D

Ich stand noch eine Weile vor einem Gemälde, das Tannen zeigte, hohe Tannen an einem See.

oder: Hopper / Nighthawks

bis Michelle beim vierten Besuch endlich einwilligte; sie hatte wohl Mitleid mit mir.

die Hartnäckigkeit ist schon besonders, aber besonders clever ist das nicht, oder? das kann ja nur ein großartiges Date werden ...

Hier draußen wünsche ich mir was Kühles, drinnen trinke ich lieber Kaffee, immer mit einer großzügigen Portion Milch.

entwirft in der Häufung von Banalitäten schon ein deutliches Bild, deine Skizze: worum es hier geht, in der hier beschriebenen Welt. welche Entscheidungen sind zu treffen, was darf man hoffen? alle wirken gleichermaßen in den Möglichkeiten ihrer Umgebung gefangen, ob sie, die sich nicht heraus traut, oder er, der unterwegs ist. an diesem Ort ist es gleichgültig, diese Entscheidungen zumindest scheinen die Figuren nicht zu vergrößern / -kleinern, alle so minimal mit kleinsten Beobachtungen und kleinsten Entscheidungen beschäftigt, im kleinstmöglichen Orbit um diese austauschbaren Orte, die wir uns so leicht vorstellen können, weil sie immer gleich aussehen / stets gleich dargestellt werden.
wichtig ist Hitze / Kälte der Klimaanlage, die Frage, was man trinkt und womit. ich finde das jetzt nicht so negativ, wie das vllt klingt, dort kann man sich sicher toll entspannen und endlich seine langfristige Leseliste abarbeiten, es ist eine sterile Idylle mit dem Versprechen von nicht eintreffenden Ereignissen - das macht der Text schon sehr deutlich.

Ich kann Michelle jetzt unmöglich erzählen, wie warm es draußen ist – das weiß sie doch selber!

Oder: Ich würde Michelle jetzt gern erzählen, wie warm es draußen ist, will aber nicht sofort alle Karten auf den Tisch legen.

«Wer weiß, vielleicht steht da eigentlich Dosenhühnchensuppe auf deinem Schulterblatt», sage ich und lache ein bisschen, was Michelle ignoriert.

The Wire ... Michael sagt genau so was zu seinem Kumpel, dem kleinen Pusher mit Dreads ...

hat mir gefallen.

Grüße
Kubus

 

Hallo Schlomo,
ich hab erst gestern deine Geschichte hier entdeckt. Und bis zum Ende gelesen.
Was du schon mal als Lob auffassen mögest, weil mich nicht selten die ersten zwei, drei Sätze ein Buch in die Ecke pfeffern, bzw. mich am Bildschirm weiterklicken lassen. (In erster Linie bin ich gnadenloser Leser, nicht geduldiger Rezensent …)

Gestern Nacht ist hier ein Gewitter durchgezogen. Das weiße Licht ist über den Himmel geflackert und durch die Wolken gezuckt und ich habe hellwach im Bett gelegen.
Jetzt muss ich schon wieder gähnen und halte etwas verspätet die Hand vor den Mund. Ich sitze auf einem langen Sofa,…

Irgendwie hast du’s geschafft, schon im ersten Absatz - den dritten Satz darin, tschuldige, fand ich Scheiße, nur den - mir diesen andauernd gähnenden Typen sympathisch zu machen, und obwohl ich ahnte, dass da nicht viel Aufregendes mehr passieren wird, wollte ich wissen, was ihm alles nicht passiert.

Ihr Freund gähnt schon wieder und steckt mich an – jetzt gähnen wir gemeinsam. Wir alle sind heute sehr müde und warten auf die gemütliche Dunkelheit.

Und in der Tat geschieht dann nicht mehr viel. Na und? Dein Erzählton, wie du nichts geschehen lässt, trifft haargenau meinen Geschmack (zumindest in meiner gestrigen Stimmung).

Männer, die sich Staudämme angucken.

Damit spielst du, glaub ich, nicht nur auf einen Filmtitel an, sondern lässt auch meine Gedanken schweifen. Nevada, Arizona? Hoover – Staudamm? Aha, USA.
Solche lakonischen Sätze, die einen trotzdem grübeln lassen, mag ich.

Auf kleine Schlampigkeiten im Text haben dich schon Berufenere hingewiesen, das lass ich jetzt mal bleiben. Halt, eines nur:

… und ich habe hellwach im Bett gelegen.

Muss es nicht heißen: ich bin hellwach im Bett gelegen?

Gerne hätte ich weitergelesen. Wären das die ersten Seiten eines Buches, ich würd’s mir glatt kaufen, ehrlich. Werde wohl auch in deine anderen Geschichten reinschnuppern.

Lieben Gruß,
offshore

 

Hey Kubus und offshore,

vielen Dank für eure Analysen! Leider konnte ich erst jetzt reagieren, ich habe die letzten Wochen mit meiner Bachelorarbeit verbracht (und kann jetzt eigentlich keine Buchstaben mehr sehen).

oder: Hopper / Nighthawks

Hey, ich liebe Hoppers Bilder! (Eine total unnütze Info, bitte sehr.) Der Protagonist könnte natürlich vor «Morning Sun» stehen (meinem Lieblingsbild). Muss ich aber bestimmt Lizenzgebühren entrichten, ne? ;)

The Wire ... Michael sagt genau so was zu seinem Kumpel, dem kleinen Pusher mit Dreads ...

An «The Wire» hab ich mich bisher nicht rangewagt. Für einen bekennenden Popkultur-Gourmet ein schweres Vergehen - ich weiß. Und LOST habe ich auch noch nicht durch! Ich weiß also immer noch nicht, warum die da alle auf der Insel abhängen und was das alles soll. Na ja.

*​

Was du schon mal als Lob auffassen mögest

Aber so was von! ;) Danke!

den dritten Satz darin, tschuldige, fand ich Scheiße

Also: «Das dumpfe Grollen und Krachen hat wie ...»? (Ich hab's nicht so mit dem Zählen.) Ja, ich weiß auch noch nicht, ob ich diesen Vergleich so irre toll finde. Ist ja nun auch nicht sonderlich originell. Mal sehen.

Muss es nicht heißen: ich bin hellwach im Bett gelegen?

Ich nehme an, dass es einen Duden-Eintrag dazu gibt (in dem Richtiges-und-gutes-Deutsch-Ding), ich werde das mal nachgucken (lassen).

Wären das die ersten Seiten eines Buches, ich würd’s mir glatt kaufen, ehrlich.

Cool ;)

 

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