Tage, die erwachsen machen.
Am Morgen meiner Jugendweihe lief so gut wie alles daneben. Schon die Sachen, die meine Oma väterlicherseits ausgesucht hatte, waren mir zuwider. Ich hatte mir einen kurzen, pinkfarbenen Rock gewünscht. Den bekam ich auch genäht von ihr. Allerdings züchtig bis unters Knie, halbe Wade frei. Und dazu MUSSTE ich eine weiße Rüschenbluse anziehen. Und so sah ich dann irgendwie aus wie sie, egal was ich machte. Weiß machte mich eh schon krank aussehend und dann noch dieses omalange Ungetüm an mir. Rauchblaue Strumpfhosen. Ich wurde schon richtig wütend an dem Morgen, weil weder Haare noch Schminke so wollten wie ich, und dann noch so was.
Na ja, jedenfalls ging das Gezeter von Oma schon am Morgen los. Mom sei zu blöd, eine Rüschenbluse zu bügeln und wie ihr armer Sohn das bloß auf Dauer aushalte mit diesem niederen, zu nichts fähigem Wesen, meiner Mutter. Und alles müsse sie hier allein organisieren, selbst zum Kuchenauftauen muss sie hier Anweisungen erteilen und wenn Mom bäckt, kann das doch keiner essen. Glücklicherweise habe sie ja gebacken die halbe Nacht und (noch mal) ein Glück essen wir in einem Restaurant, sonst würde hier wahrscheinlich keiner überleben. Und wenn sie diesen Schweinestall hier nicht augenblicklich noch ein wenig putzt, setzt hier sowieso niemand den Fuß über die Schwelle.
Schließlich standen wir dann doch irgendwann gestriegelt und geschniegelt vor dem Theater. Schweigend. Und es hätte ja eigentlich losgehen können. Wenn mein Bruder nicht noch gefehlt hätte. Aber ohne ihn gehe ich da sowieso nicht rein. Das steht fest. Ein wirklich hässliches Frauenzimmer, die ich nicht kannte, aber eingeladen war, plusterte sich auf, als wäre es ihre Scheißfeier. Am liebsten hätte ich ihr das Grünzeug, das ich in der Hand hatte um die Ohren geknallt und ihr die Meinung gegeigt. Was sie hier überhaupt sucht. Aber ich schwieg. Und ballte die freie Hand zur Faust.
Dann hörte nicht nur ich ein ohrenbetäubendes Motorengebrüll und ich sah, wie mein Bruder wahnsinnig schnell auf seiner heißgeliebten bordeauxroten ETZ angesaust kam. Man dachte ich, geil, jetzt geht’s los. Alles blickte sich um, viele kannten ihn und sein Motorrad, und als er Sekunden später lässig mit seinem Helm am Arm auf den Innenhof stolzierte und mir ein irres Grinsen schenkte, eine Rose überreichte, kam ich mir vor, wie eine Prinzessin, die vom Prinzen auf dem weißen Pferd erlöst wird.
Dann ging’s rein, blablabla, ihr seid jetzt alle groß und müsst noch toller werden... Blitzgewitter, Tränenfluss, Knutscherei, noch mal knips... Mittag futtern und dann ab in die Bude. Schön artig sein. Mit der nervenden Cousine spielen und natürlich über Geschenke freuen.
Für den Abend war eine Feier in einem der vielen Hausclubs vorgesehen. Mein Vater hat mir verboten dort hinzugehen. Alle gingen hin. Ich fragte Mom heimlich, wenn ich meine blöde Cousine mitschleppe, damit sie nicht allein hier oben verweilen müsse unter dem restlichen Kindergarten, darf ich dann? Mom presste irgendwie aus meinem Vater ein „Ja, ja gut.“
Aber meine Cousine durfte nicht mit. Diese Feier war NUR für die Schüler der Klassenstufe. Als wir trotzdem runter stiefelten, meinte sie, sie hätte eh keinen Bock auf so was und sie geht jetzt wieder hoch. Ok. Dachte ich, fein.
Es stellte sich raus, dass eine ganze Menge der Gäste heute nicht Jugendweihe hier unten feiern, sondern auch bloß Cousins und Neffen und was weiß ich sind. Ich renne nach Hause, bimmele, lass die dicke Tusse an das Sprechgerät zerren und frage noch mal: Willste wirklich nicht? Iss wirklich ok da unten, komm schon!“ „Nee, keen Bock. Ich guck hier fern in deinem Zimmer...“ Zwei, drei Stunden später, ich saß am Tisch mit Freundin und 2 aufgerissenen Typen, die uns extrem gefielen, und schnatterten ganz unspektakulär, da brüllt einer: „Ey, das ist doch der Alte von Einer aus der 8.!“ Da kam schon ein Klassenkamerad auf mich zu meinte, ich soll jetzt lieber mal kurz an den Tresen wandern. Mein Vater sei hier. Und der Vater, der hinter dem Tresen steht und uns ausschenkt, sei schon verwirrt und genervt von dem Gequatsche. Und er hat hier was zu sagen. ´´Scheiße...´´ ich steh auf und mit einem mal sind alle Glücksgefühle dahin. Meine Knie zittern, die hohen Schuhe werden zu Stelzen und der Weg zum Tresen wird zum schwersten meines Lebens als wären die Dinger auch noch aus Blei. Alle in der Nähe des Tresens starren mich seltsam an. Ich kann seinen Rücken und die gehasste Glatze, die er mit zotteligen, fettigen Haarsträhnen zu verbergen versucht, sehen. Und so wie er da sitzt, weiß ich, er ist mal wieder rattendicht und kurz vor der Explosion. Ich wackel also hin, versuche die Melone im Hals runterzuschlucken und die Tränen aufzuhalten, platziere mich vor ihm und sage ruhig: „Papa, was machst du denn hier? Das ist doch nichts für dich, hier so zwischen den jungen Leuten. Los komm, geh wieder nach oben. Die vermissen dich bestimmt alle schon.“ Er guckt mich an und ich fühle, gleich falle ich in Ohnmacht. Lieber Gott lass mich jetzt sofort umfallen. Ich sehe auf einmal Sternchen tanzen und denke, das war’s jetzt, der verkloppt dich auf der Stelle dermaßen dass du hier rausgetragen wirst. Immer noch Ruhe. Mann, was ist das. Hab ich eine Angst. Ich guck ihm in die Augen und spüre unglaublichen Hass, Wut, Aggression. Mir wird kalt und heiß und alles auf einmal. Ich zittere wie sonst was und beiße die Zähne zusammen, damit sie nicht anfangen zu klappern.
Und dann schreit er los. Ich sei eine scheiß Gastgeberin, lasse meine Familie da oben sitzen und verpiss mich einfach. Undankbar wie sonst was, krieg Geschenke und spucke meine Familie an! Und wie ich aussehe. Eine zu klein geratene Hure. Das sieht doch jeder hier. Und das hätte er sich denken können, dass ich hier mit den Jungs rummache und mich einen scheiß um meine Gäste kümmere. Mittlerweile ist er aufgestanden und so nah an mir, dass er mich beim Schreien anspuckt und ich seinen ekelhaften Schnapsatem riechen kann. Vor Wut, Blamage und Angst steigen mir die Tränen in die Augen. Aber ich will nicht weinen, nicht jetzt, hier, vor Allen. Das ist meine Feier, mein Tag. „Papa, geh jetzt nach oben!“ Er schreit weiter. Oben hui und unten pfui, genauso blöd wie die Mutter, ich werde schon sehen wo das hinführt. Alle werden das sehen. Und so was ist seine Tochter! Dreht sich um und schreitet mit überkreuzenden Schritten raus...
Der DJ guckt verwirrt, zwinkert mir zu und spricht irgendwas. Ich kann das nicht verstehen, obwohl ich ihm unbedingt zuhören will, weil er garantiert was Nettes sagt. Jemand kommt, legt den Arm um mich und meint, schon ok, schon vorbei, und wie ein Hündchen an der Leine lass ich mich wieder an den Tisch zerren. Ich werde gleich wach denke ich. Gleich. Das ist doch nicht wahr. Und plötzlich packt mich innerlich ein Sturm von Wut auf den Alten, ich schwöre mir, der versaut das jetzt nicht. Ich starre die 2 Typen am Tisch an und sie sind Tatsache noch da und werden wieder scharf vor meinen Augen. Sie lächeln mich an und erzählen was von „heiße Nummer und extrem drauf das Herrchen...“ und irgendwie bringt mich das dann zum Lachen. Ich muss nicht mehr daran denken.
Wir amüsieren uns prächtig und wandern später als große Horde, wie es üblich ist, von Haustür zu Haustür um noch ein Bier oder so zu ergattern. Meine Füße schmerzen unglaublich von der Lauferei in diesen hohen Schuhen und so ziehe ich sie einfach aus. Ich lande mit einem der 2 Typen im Fahrstuhl und alle wetten, ob wir knutschen. Ich kann sehen, wie aufgeregt er ist, als sich hinter seinem Rücken die Fahrstuhltür schließt. ``Den muss ich mir jetzt schnappen und sehen, wie der küsst. ` Ich drück einfach den Stopp-Knopf und er zuckt zusammen. Dann schubs ich ihn an die Wand und plötzlich knutschen wir wie besessen und wild bestimmt eine Viertelstunde herum. Während der Atempause drücke ich wieder die Stopptaste und nach unten. Wir rücken alles zurecht, grinsen wie Honigkuchenpferde und ich sehe in sein glückliches Gesicht. Die Augen sprühen Fünkchen und für einen Augenblick frage ich mich, ob ich wohl auch so einen glücklich-blöden Gesichtsausdruck habe. Und muss lachen. Er lacht zurück.
Die Tür geht auf, wir werden von riesem Beifall überfallen und wandern Hand in Hand durch die Menge raus an die frische Luft. Wenig später saßen wir zu viert in einem dunklen Hausflur und meine Freundin schien den Geräuschen nach zu urteilen, sich genauso zu amüsieren wie ich. Wir quatschten, tuschelten und knutschten. Dann wurde sich verabschiedet und verabredet.
Jetzt bekam es meine Freundin mit der Angst zu tun. Sie sei viel zu spät dran und ihr Vater flippt aus. Das war wohl wahr. Uns holte auf dem Heimweg zu ihr die brutale Realität wieder ein. Ihr Vater verprügelte sie und ihre 4 Geschwister regelmäßig wegen Kleinigkeiten. Und jetzt kam sie zu spät. Ich kam kaum hinter ihr her so rannte sie. Ich brachte sie bis an die Wohnungstür. Der Vater öffnete und ich bebettelte ihn, nicht so streng zu sein. Wir haben einfach die Zeit vergessen. Und es tut uns wirklich leid. Bitte, nicht so böse sein. Er verneinte, lächelte. „Ist doch nicht so schlimm.“ Ich konnte seine Wut spüren, als würde ein Laster durch mich rasen. Auf mich schwappte ein riesen Eimer Gewalt. Er nahm sie am Arm. Und ich dachte, bitte, bitte nicht. Sie folgte ihm und lächelte mir zu. Alles ist gut. Er ist nicht sauer, Gott sei dank.
Die Tür schließt sich und ich stehe weiter vor der Tür. Starre sie an. Versuche zu atmen. Durch die Tür fühle ich irgendwas. Ich kann es nicht beschreiben, Angst, Unruhe. Gewalt. Aber es ist Ruhe. Eine Minute. Ich atme auf. Geirrt. Dem Himmel sei dank. Und es ist ja auch Nacht, da macht er bestimmt keinen Lärm. Und will los. Wimmern. Dann Männergeschrei. Wimmern. Und plötzlich schreit sie los. Hör auf. Es tut mir leid. Nein nicht. Ich halte mir die Ohren zu und renne die ganzen achtzehn Etagen runter. Bis nach Hause. Schließe auf. Verschwinde in meinem Zimmer. Mich hat keiner bemerkt. Laut Stimmen sind vielleicht noch 2 Gäste und die olle Oma da, ich hau mich in die Falle, starre an die Decke, denke an Diana. Langsam verschwindet der Schmerz in den Lungen und ich merke meine eiskalten Füße. Ich stopf sie gern in den Bettbezug. Das untere Ende hat Knöpfe und wenn man genügend rumwuselt, landen die Füße dazwischen, können nicht mehr rausrutschen und es ist, als hätte man Megasocken an. Die können nicht verrutschen. Dann überfliege ich den schönen Teil des Abends. Meinen ersten richtigen Kuss. Toll. Und das von so einem Jungen. Ich glaube, ich schwebe kurz unter der Decke.
Vielleicht bin ich kurz eingenickt. Vielleicht habe ich einfach nur vor mich hin geträumt. Ich weiß es nicht mehr so genau. Auf jeden Fall ist draußen plötzlich die Hölle los. Es herrscht ein Geschrei, als würde man da draußen alle bei lebendigem Leibe anzünden. Was ist los? Ich versuche die Stimmen zu entwirren. Meine Oma. Meine Mom. Mein Vater, natürlich. Noch einer. Sie. Die Hässliche. Na klar. Die hat bestimmt angefangen. Man, das hört bestimmt gleich auf. Ehrlich. Heute nicht mehr.
Die Hässliche zetert irgendwas von ``das stimme nicht und es hat keiner gesehen...´´ Aha. Verraten. Ich kriege irgendwie mit, dass sie wohl mit meinem Vater rumgemacht haben muss. Und deshalb auch plötzlich alle verschwunden sind. Was weiß ich. Man versteht bei diesem Geschrei eigentlich nichts mehr. Mama sagt mit weinerlicher Stimme was in der Art wie, sie geht jetzt ins Bett und sie will diese Person nie wieder sehen. Und dann krachts und schepperts und meine Oma blökt herum sie mache es genauso in den Kellern und wer weiß wo und das habe sie sich schon immer gedacht, dass das so kommt und sie solle jetzt mal bloß die Klappe halten und was jetzt kommt hätte sie auch verdient. Es kracht und scheppert immer lauter, ich höre Haut aneinander klatschen. Dieses unheimliche Geräusch, wenn man eine geklebt kriegt. Noch mal und noch mal. Gläser fallen. Jammern. Die Wohnungstür fällt. Mein Herz schlägt so laut, dass ich kaum noch was hören kann. Körper schlagen gegen Möbel. Das ist ein schlimmes Geräusch. Und das Gezeter. Mom höre ich keuchen und wimmern. Meinen Vater eher vor Anstrengung. Aber ich kann nichts mehr verstehen. Mein Herz donnert so laut gegen die Brust, dass ich nur noch dieses Geräusch höre. Ich bin gelähmt. Mein Blut rauscht wie irre. Ich zerre mir das Kissen über den Kopf, ich will jetzt weinen! Ich schlage mit meinen Fäusten auf die Kissenenden ein und dann kann ich endlich. Ich heule wahrscheinlich lauter als die draußen. Ich kriege unter dem Kissen keine Luft mehr. Schön. Ich will ersticken. Endlich ruhe. Endlich weg. Ich reiß mir das Kissen vom Gesicht und habe eine Riesenwut auf mich. Wütend, hier so unfähig rumzuliegen und zu heulen, ja und dann noch selbst zu feige zu ersticken.
Irgendwann ging leise die Tür auf und Mom wimmerte etwas. Sie musste am Mund verletzt sein. Vielleicht haben auch Zähne gefehlt. Keine Ahnung. Lass mich in Ruhe. Ihr alle lasst mich in Ruhe.
Komm her, los komm her, ich nehm dich in den Arm und halte dich, tröste dich. Schlaf hier neben mir. Das passiert nie wieder. Nie nie nie wieder.
Aber ich kann weder das eine noch das andere tun. Sie will die Tür wieder schließen, denkt, ich schlafe und hab nichts mitbekommen. Oder bin noch gar nicht zu Hause. „Wenn du dich von diesem Schwein nicht scheiden lässt, rede ich kein Wort mehr mit dir!“
Am nächsten Tag besorgte sie sich alles nötige für die Scheidung.