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Tamars List

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04.01.2004
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Tamars List

Zweite, stark erweiterte Version, die alte findet ihr hier

Sie bahnte sich ihren Weg zwischen den Wäschestücken der anderen Frauen, die ihre Köpfe zusammen steckten, tuschelten und eilig ihre Kinder an sich drückten. Tamars Augen waren starr geradeaus gerichtet, sie schien ihre Umgebung gar nicht wahrzunehmen, schritt aufrecht wie eine Königin durch die Gasse, die das einfache Volk vor ihr zu bilden schien.
"Jünglingsfresserin!" Der Schrei schnitt ihr durchs Herz, sie wirbelte herum, bog ihren Körper weit zur Seite. Der Stein sauste an ihr vorbei und der Wäschekorb auf ihrem Kopf geriet nur leicht ins Schwanken. Unter ihrem Blick verdampfte der Mut des Jungen, er verschwand hinter dem Rücken seiner Mutter, die ihn wahrscheinlich nur tadelte, weil der Stein ein anderes Kind getroffen hatte. Ihr jedoch würde man die Schuld in die Schuhe schieben – wieder einmal. Ganz am Ende des Seeufers ließ sie sich nieder und begann mit aller Kraft einen Stein auf ihre Wäsche zu schlagen. Das Wasser spritzte in alle Richtungen.

"He, was hat dir das Gewand unseres Vaters nur angetan?" Tamar zuckte zusammen, war sie doch kaum noch gewohnt, liebevoll geneckt zu werden. Wie gut tat es, in die Augen der Schwester zu sehen, die immer lachen zu schienen, in den Arm genommen zu werden, den Kummer für eine Weile mit Tratsch zu überdecken!
"Oh Noomi, wie schön, dich zu sehen! Gut siehst du aus!"
"Hallo Tamar!" Nachdem Noomi sich aus der Umarmung gelöst hatte, drehte sie sich zu ihren beiden Kindern um. "Menachem, Kaniel, begrüßt eure Tante angemessen, dann dürft ihr mit den anderen Kindern spielen!"
Die beiden Dreikäsehochs traten von einem Fuß auf den anderen und nachdem Tamar ihnen ein paar Keks zugesteckt hatte, konnten sie gar nicht schnell genug zu ihren Spielkameraden zurücklaufen. Tamar schaute ihnen voller Sehnsucht hinterher.
"Wie geht es Vater und Mutter?", fragte Noomi und setzte sich auf einen Stein.
"Vater geht es gut, wie immer. Nur Mutter hat wieder einen Gichtanfall, doch sie klagt nicht darüber und lässt es sich nicht nehmen, die süßen Kekse für ihre Enkel zu backen. Du musst bald wieder vorbei kommen!"
Noomi wusste genau, worüber ihre Mutter jammerte. "Sag ihr, sie kann morgen die doppelte Menge kochen."
"Oh, das ist wunderbar!" Tamar klatschte in die Hände. "Gibt es etwas Neues zu berichten?"
Die Jüngere blickte verlegen zu Boden. Sie sah ein bisschen blasser aus als sonst, aber ein inneres Strahlen ging von ihr aus, und es schien ihr peinlich zu sei. Tamar schluckte. "Lass mich raten", sagte sie mit trockner Stimme. "Du bist wieder schwanger."
Noomis Nicken war kaum zu erkennen. Tamar nahm ihre Schwester in den Arm und sagte: "Ich freue mich so sehr für dich." Aber es lag mehr Trauer als Freude in ihrer Stimme.
"Ich wünsche mir so sehr, auch du würdest endlich..." Noomi lächelte ihre Schwester vorsichtig an.
"Du bist jünger als ich und schon zum dritten Mal guter Hoffnung." Tamars Stimme bebte vor Bitterkeit. "Ich zähle längst mehr als zwanzig Jahre, bald wird kein Mann mich mehr anschauen! Und die Frauen meiden mich, weil sie glauben, ich sei am Tod meiner beiden Männer schuld! Nur du hältst noch zu mir", fuhr sie in versöhnlicherem Tonfall fort, warf dann aber einen scharfen Blick auf die Weibergruppe, deren Geschwätz und Gelächter vom anderen Ende des Strandes herüber schallte.
"Ach was, Sara hat noch im stolzen Alter von neunzig Jahren empfangen, du hast also noch viel Zeit!" Noomis Grübchen hüpften wieder lustig auf und ab. "Schela müsste doch inzwischen das Mannesalter erreicht haben. Bestimmt wird Juda dann deine Hochzeit mit seinem dritten Sohn ausrichten." Noomi legte ihren Arm um Tamar.
"Seit acht Jahren falle ich unseren armen Eltern zur Last!" Tamars Gesicht war voller roter Flecken und ihre eindringlichen braunen Augen funkelten. Das ließ ihre scharfen Gesichtszüge noch markanter erscheinen. "Schela soll noch weit hinter seinen Jahren zurück sein, hat weder Bart noch Bass. Was soll ich mit so einem Kind?"
"Ja, ich kann mich noch genau daran erinnern, wie es bei mir war – vor allem in der ersten Nacht!", lachte Noomi. "Aber du wirst ihm schon zeigen, wie es geht! Außerdem ist es ja nur für die Zeit, bis du den ersehnten Erben geboren hast. Danach bist du frei! Rubens Frau ist vor ein paar Tagen bei der Niederkunft gestorben. Ihr habt euch doch früher so gut verstanden, nach seiner Trauerzeit –"
"Und wenn Schela genauso dumm ist wie Onan und sich weigert, die Schwagerehe zu vollziehen und für seinen Bruder den Erben zu zeugen?" Tamar dachte immer noch voller Sehnsucht daran, wie seine Hände ihre Brüste liebkost hatten. Aber sie erinnerte sich auch an ihre vergeblichen Versuche, ihren Leib gegen den seinen zu pressen, er hatte sein Glied immer wieder im letzen Moment heraus gezogen und seinen Samen auf die Erde fallen lassen. Er hatte keineswegs Hand an sich gelegt, wie viele behaupten – sie musste es schließlich wissen. Warum war er nur so dumm gewesen? Nach einem Jahr war Jahwes Geduld am Ende und Onan hatte wie ihr erster Mann mit Schaum vor dem Mund in ihren Armen seinen letzten Atemzug getan. Die Erinnerungen daran verfolgten sie immer noch jede Nacht.
"Ach, wahrscheinlich wird Schela in seiner Ungeduld gar nicht daran denken." Noomi zwinkerte ihrer Schwester zu. "Hast du eigentlich schon gehört, wie der eingebildete Ari vom Kamel gefallen ist?"
"Wirklich?" Tamar lachte auf, nur zu gerne ließ sie sich von ihrem Kummer ablenken. Wenn Noomi die Neuigkeiten aus dem Dorf so lustig erzählte, spürte sie kaum noch, wie die Hände vom kalten Wasser und dem Reiben der Wäsche ganz wund wurden.

Als Abigail ihre Tochter ins Haus kommen sah, ließ sie den Kochlöffel fallen und lief ihr entgegen.
"Gut, dass du wieder da bist, ich habe wunderbare Neuigkeiten für dich", rief sie.
Tamar stellte den Wäschekorb ab und streckte sich ächzend. "Oh, was für ein wundervoller Tag, ich habe auch eine gute Nachricht!"
"Ach, lass mich erst erzählen!" Vor Aufregung zuckte das von der Sonne gegerbte Gesicht der alten Frau. Sorgen und harte Arbeit hatten tiefe Falten hineingefressen, doch obwohl sie schon vierzig Jahre zählte, strahlten ihre olivgrünen Augen noch immer einen unerschrockenen Willen aus. "In drei Tagen will Juda hierher kommen, um mit den anderen Hirten das Scheren der Schafe zu begießen."
Tamar runzelte die Stirn. "Wenn er meine Hochzeit mit Schela ausrichten wollte, hätte er schon vorher einen Boten schicken können, das hätte ihm den doppelten Weg gespart."
"Ach, wieso musst du denn immer so misstrauisch sein!" Abigail verdrehte die Augen. "Dein Schwiegervater ist ein gerechter Mann, voller Vertrauen in Gott."
"Er ist ein Richter! Das heißt auch, dass er jedem die Worte im Mund verdrehen kann! Und wenn er Jahwe vertrauen würde, hätte er mich längst mit seinem dritten Sohn verheiratet!"
"Es war doch hauptsächlich Bath-Sua, die immer wieder Ausreden gefunden hat. Du hast mir doch selber erzählt, wie sie ihren Mann gegen dich aufgehetzt hat."
"Ja und sie ist seit über einem Jahr tot!"
"Der Herr sei dieser Sünderin gnädig!" Die Alte faltete die Hände und schaute kurz nach oben. Doch sofort redete sie wieder auf ihre Tochter ein. "Der arme Mann hat seine zwei ältesten Söhne verloren, hab doch Verständnis –"
"Dafür, dass er mir die Schuld in die Schuhe schiebt?" Tamar stemmte die Arme in die Hüfte und langsam sammelte sich das Blut in ihrem Kopf. "Nach dem Gesetz habe ich ´Ers gesamten Besitz geerbt, aber was habe ich davon? Die Schwagerehe wird doch nur durchgeführt, damit das Erbe an mir vorbei auf seine Kinder übergehen kann!"
Abigail starrte ihre Tochter mit weit aufgerissenen Augen an und flüsterte: "Woher hast du solch frevlerische Ideen?"
"Hat Gott uns nicht einen Kopf gegeben, damit wir ihn zum Denken nutzen?" Tamar schob die Unterlippe trotzig nach vorne.
"Kind, mäßige dich! Du solltest auf Gott vertrauen, dann wird sich alles fügen."
"Was ist das für ein Gott, dessen Zornesblitz auf die Männer niedersaust, aber die unschuldigen Weiber trifft?" Es funkelte gefährlich in Tamars Augen. "Dieser männliche, eifersüchtige Gott tritt das Recht der Frauen mit Füßen!"
"Jahwe hat Recht getan!" Abigail hob beschwörend die Arme. "Dein erster Mann hat weder Gott, Vater und Mutter, noch dich geehrt und dein zweiter -"
"Ja, ich weiß genau, was Onan getan hat! Aber was soll ich denn jetzt tun?"
"Geh zu Juda und fordere dein Recht auf die Schwagerehe!"
Tamar seufzte. "Wie oft habe ich das schon versucht? Ich muss einen anderen Weg finden!"
"Du bist als Kanaaniterin geboren, aber bedenke: Du bist jetzt die Schwiegertochter eines einflussreichen Hebräers! Dein loses Mundwerk wird dich noch in Schwierigkeiten bringen!"
Tamar legte ihren Kopf in den Nacken und lachte auf. "Noch größere Schwierigkeiten? Was sollte das wohl sein?"
Abigail warf die Arme in die Luft. "Ich hatte einen Traum, in dem du auf den Richtplatz geschleppt worden bist!"
"Na und?" Die Angesprochene zuckte mit den Schultern. "Dann wäre mein nutzloses Leben doch endlich –"
"NEIN!" Die Mutter packte ihre Tochter am Arm und schüttelte sie. "Oh, womit habe ich es verdient, eine so aufsässige Tochter zu haben?"

Als sie das Schnarchen ihres Vaters hörte, erhob Tamar sich von ihrem Lager und schlich sich aus dem Haus. Mit vor Aufregung zitternden Händen entzündete sie eine Fackel und eilte durch die engen Gassen. Am anderen Ende des Dorfes, dort, wo jene Kanaaniter wohnten, die noch nicht zum neuen Gott bekehrt worden waren, standen zwei kleine Tempel, deren Farbe in langen Streifen herab hing. Tamar konnte sich nur dunkel an die Feste erinnern, bei denen Baal und Astarte unter lautem Gesang Tieropfer dargebracht worden waren. Die Hebräer munkelten hinter vorgehaltener Hand, auch Kinder würden für diese Götzen geschlachtet und Menschen und Tiere wälzten sich in wilden Orgien in dem Blut. Aber das hielt Tamar für Verleumdungen, um alle sogenannten Heiden von den Vorteilen des Einen Gottes zu überzeugen. Astarte war die Göttin der Fruchtbarkeit, die Kanaaniterinnen beteten zu ihr, damit sie mit Kindern reich gesegnet würden. Wieso sollten sie ausgerechnet das Wertvollste, was die Göttin ihnen schenkte, opfern?
Die Tür des linken Lehmgebäudes knarrte beim Öffnen laut, Tamar hätte vor Schreck fast die Fackel fallen lassen. Sie schauderte bei dem Gedanken, etwas zu tun, wofür ihr Vater sie selbst als Erwachsene noch verprügelt hätte. Wilde Schatten schienen sich an den Wänden des engen Raumes gegenseitig zu jagen, es stank nach Blut und abgestandenem Schweiß. Im fahlen Licht konnte sie nur erahnen, wie heruntergekommen dieses kleine Gotteshaus war. Ab und zu schien die Statue mit den hundert Brüsten im goldenen Glanz zu erstrahlen. Tamar konnte die Symbole der Fruchtbarkeit nur erahnen, den Hasen in der einen Hand und die Eierschalen, aus denen die Göttin angeblich geschlüpft sei, in der anderen. Eilig holte Tamar ein Körbchen voller Eier unter ihrem Gewand hervor, stellte es zu Füßen der alles durchdringenden Augen ab und warf sich lang auf den kalten Steinboden.
"Oh Astarte, verzeih mir, dass ich dich so lange vernachlässigt habe!" Obwohl sie es kaum wagte, die Worte zu flüstern, schienen sie von den Wänden zurück zu schallen, als hätte sie aus vollem Hals gebrüllt. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und hauchte die Worte, die sie sich so sorgfältig überlegt hatte, in den Boden. "Du mächtigste aller Göttinnen, bitte, hab Erbarmen mit einer leidgeprüften Frau, hilf mir, endlich meine Bestimmung zu erfüllen und zu deinem Ruhme Kinder zu gebären!"
Was sollte sie nur tun, damit ihr Flehen erhört wurde? "Ich verspreche dir, jede Woche Opfergaben zu bringen und deinen Tempel zu reinigen und zu pflegen, du strahlende Göttin!"
Die Tür klapperte und ein kalter Wind pfiff durch Tamars Gewand. Sie meinte ein Flüstern zu hören. Sprach Astarte tatsächlich zu ihr? Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Sie wagte es nicht, sich zu bewegen. Das Blut pochte laut durch ihren ganzen Körper, sie musste sich anstrengen, die Stimme in ihrem Kopf zu verstehen. Niemals hätte sie sich vorstellen können, dass diese waghalsige Idee in ihrem eigenen Kopf entstanden war. Der Plan gefiel ihr außerordentlich, aber er verstieß schlichtweg gegen jede Moral. Dafür konnte sie wirklich auf dem Scheiterhaufen enden. Nachdem die Stimme verstummt war, blieb Tamar noch ein paar Minuten liegen, bis ihr Herz wieder langsamer klopfte. Dann erhob sie sich, dankte Astarte mit unzähligen Verbeugungen und Gebeten. Mit einem Lächeln auf den Lippen lief sie zurück zum Haus ihrer Eltern.

Drei Tage später saß Tamar vor dem Stadttor von Enajim. Immer wieder überprüfte sie den Sitz ihres Gewandes mit dem Schleier aus feinem Leinen, das sie als Prostituierte erkennen ließ. Ihren letzten Goldring hatte sie für den Stoff hergegeben, der Händler hatte sie voller Misstrauen beäugt. Jetzt, nachdem sie schon lange Stunden am Straßenrand wartete und nichts anderes tun konnte als zu grübeln, kamen ihr Zweifel an ihrem Vorhaben. Würde dieser ehrenhafte Mann sich mit einer Dirne einlassen? Aber pah, sie kannte die Männer! Wer war denn klüger: Der Teil der Menschheit, der herum lief, sich auf die Brust klopfte und laut herausschrie, welch Heldentaten er vollbracht hatte oder der Teil, der still im Hause saß, Augen und Ohren offen hielt und im Hintergrund die Fäden zog, zum Wohle der ganzen Familie? Und welche Heldentaten der Männer waren dies? Mord und Totschlag! Wer trug denn mehr zum Erhalt des Stammes bei, nahm mehr Schmerzen auf sich? Voller Sehnsucht strich sie sich über den Leib, sie wusste genau, dass dieser fähig war, Leben zu schenken. Es war ihre innerste Bestimmung, den Stammbaum der Hebräer weiterzuführen. Selbst Astarte hatte es ihr bestätigt. Nein, sie würde nicht als kinderlose Witwe enden!
Die Sonne stieg immer höher, brannte erbarmungslos auf sie hernieder, ihr Mund war schon ganz ausgetrocknet. Da sah sie am Horizont eine kleine Staubwolke und ihr Herz begann stärker zu klopfen. Bald darauf erkannte sie in dem Wanderer Juda. Sein Bart war bereits mehr grau als schwarz, tiefe Falten durchzogen sein von Wind und Wetter gegerbtes Gesicht, aber er stützte sich sehr gerade auf seinen Stab. Seine lebhaften Augen schienen sie voller Abscheu zu durchbohren, als er immer näher kam. Der für Prostituierte übliche Schleier verbarg ihr Antlitz vor ihm. In diesem Augenblick dankte sie den Göttern dafür. Voller Hoffnung stand sie da, blickte ihm entgegen - und wusste nicht, was sie sagen sollte. Was tat eine Hure, um die Männer zu umgarnen? Ihre Männer hatten sich stets ihr genähert, wenn sie Lust verspürt hatten. Auf diesen Augenblick hatte sie sich nicht vorbereitet. Sollte ihre ausgerechnet zu große Tugendhaftigkeit ihre Zukunft rauben? Sie blinzelte ihm verzweifelt zu – doch er schritt einfach an ihr vorbei. Fast stürzte die Hoffnungslosigkeit über ihr zusammen, war das die Strafe Jahwes? Gut, wenn dieser Gott doch mächtiger war als Astarte, wollte sie jetzt zu ihm beten. Wenn sie endlich schwanger werden sollte, würde sie ihre Kinder in seinem Namen erziehen. Endlich fand sie die Kraft, ihre Stimme zu benutzen: "Ehrbarer Herr!"
Juda blieb stehen, drehte sich um, blickte auf sie herab und sie sah in seinen Augen, wie seine Lust und seine Verachtung miteinander rangen. Eben wollte er sich wieder von ihr abwenden, da riss sie ihr Gewand zur Seite. Er starrte auf ihre linke Brust, die in der Sonne schimmerte, sich im schnellen Rhythmus hob und senkte. Sie selber war am meisten überrascht, verstand gar nicht so schnell, was sie da tat. Doch dann sah sie das Verlangen, das sie so gut kannte, in seinen Augen aufblitzen und jubelte innerlich. Ja, der Mann folgte nur seiner Lust, die schnell gestillt war und immer wieder neu aufloderte. Langsam strich sie mit der rechten Hand leicht über ihre Brustwarze, die sich dunkelrot aufrichtete. Sie fühlte ihr Herz bis hinunter zu ihrem Schoß pochen. Er kam näher, ohne seine Augen von dem begehrten Objekt abzuwenden. Natürlich, er war seit Monaten Witwer! Schnell warf er einen Blick die Straße entlang, dann sagte er mit bebender Stimme: "Lass mich doch zu dir kommen!"
Sie flüsterte mit heiserer Stimme: "Was willst du mir geben, wenn du zu mir kommst?"
"Ich will dir einen Ziegenbock von der Herde senden." Er leckte sich die Lippen und sein linkes Auge zuckte vor Erregung.
"So gib mir ein Pfand, bis du ihn mir sendest."
"Was willst du für ein Pfand, das ich dir geben soll?"
Sie atmete noch einmal tief durch, bevor sie die Worte sprach, welche die Stimme ihr geraten hatte: "Deinen Siegelring, deine Schnur und deinen Stab, den du in der Hand trägst."
Sie blickte ihm in die Augen. Würde er auf diese unverschämten Forderungen eingehen, einer Hure am Straßenrand den Ring zu überlassen, der ihn eindeutig identifizierte? Ferner die Schnur, die sein Richteramt symbolisierte und seinen wertvollen Hirtenstab? Doch inzwischen atmete er schwerer, sein Auge zuckte immer heftiger, er zögerte keinen Augenblick, gab ihr alle drei Gegenstände, fasste sie dann voller Lüsternheit an die Brust und drängte sie in ein Gebüsch am Wegesrand.

Drei Monate später konnte sie ihre morgendliche Übelkeit nicht mehr vor ihrer Mutter verheimlichen.
"Tamar, du kannst doch nicht schon wieder eine verdorbene Dattel gegessen haben!"
"Ach Mutter, morgen ist mir sicher wieder wohl." Tamar wandte ihren Blick zu Boden.
Doch Abigail fasste ihr Gesicht mit beiden Händen und hob ihren Kopf nach oben. "Du kannst deiner Mutter nichts vormachen! Sag mir die Wahrheit: Hast du Unzucht getrieben?"
Die Angesprochene versuchte sich aus dem Griff zu befreien, doch die Alte mobilisierte all ihre Kräfte. "Ich schwöre dir, ich habe keine Unzucht getrieben!"
Abigail seufzte. "Von wem bist du dann schwanger?"
Tamar biss sich auf die Lippen. "Das kann ich dir noch nicht sagen", flüsterte sie – und im gleichen Augenblick brannte die Ohrfeige auf ihrer Wange.
"Wie kannst du mir das nur antun!" Abigail schlug sich mit den Fäusten auf die Brust. "Meine älteste Tochter auf dem Scheiterhaufen! Wann ist zuletzt eine solche Schande über unser Dorf gekommen! Und ausgerechnet mir muss das passieren. Oh Jahwe, womit habe ich das verdient!"
"Mutter, bitte beruhige dich doch." Tamar versuchte, der Tobenden einen Arm um die Schulter zu legen. "Es wird alles wieder gut."
"Fass mich nicht an!" Abigail riss sich los. "Wie soll denn jetzt noch alles zum Guten wenden? Du bist nicht mehr meine Tochter! Schlag dein Nachtlager dort auf, wo triebhafte Wesen hingehören: Bei dem Vieh im Stall!" Sie raffte ihre Kleider zusammen und eilte aus dem Haus.

Als Tamar zur Richterstätte geführt wurde, schritt sie mit erhobenem Haupt durch die schmale Gasse, die der Pöbel ihr ließ. Wären nicht die beiden Soldaten rechts und links von ihr marschiert, die Menge hätte sie sofort in Stücke gerissen. Alle schrieen wild durcheinander, viele freuten sich, da sie so hoffärtig gewesen war und jetzt umso tiefer fiel. Nach außen ließ sie sich nicht anmerken, wie sehr Zweifel an ihr nagten, ob ihr waghalsigen Plan tatsächlich funktionieren würde. Um ihre ehrenwerten Eltern tat es ihr Leid aber jetzt gab es kein Zurück mehr.
"Schaut nur, da geht die Hexe!"
"Das hat die feine Dame nun davon, sich mit fremden Männern einzulassen!"
Dann trat eine Frau vor sie hin, schob den Schleier so weit zur Seite, dass ihr Mund entblößt wurde – und sie erkannte ihre eigene Schwester. Erst hüpfte ihr Herz vor Freude, wartete auf einen Kuss, doch dann sah sie die vor Hass glänzenden Augen - und Noomi spuckte ihr mitten ins Gesicht. Mechanisch wischte sie es ab und schritt weiter. Sie fühlte gar nichts mehr.
Schließlich stand sie auf dem Richtplatz, in einer Ecke war schon das Holz aufgeschichtet. Wie sie erwartet hatte, führte Juda den Vorsitz. Als er sich erhob, verebbte das Gemurmel der Menge. Sie sah den Hass in seinen Augen und den Triumph. Nun schien sich ihm die Schuld diese Hexe trug am Tod seiner beiden Söhne zu bestätigen, und er meinte sich rächen zu können. Er öffnete den Mund und wollte gerade den Urteilsspruch verkünden, da trat sie vor ihn hin, holte die drei Gegenstände unter ihrem Gewand hervor, legte sie vor ihn hin und sprach mit lauter Stimme: "Von dem Mann, dem diese Dinge gehören, bin ich schwanger!"
Juda hob seinen Siegelring auf und betastete ihn, während die Richter neben ihm sich über ihn beugten. Er wurde rot bis unter die Haarspitzen, ließ seine Hände sinken und schaute sie einen endlosen Augenblick lang an. Sie schauderte unter seinem prüfenden Blick, doch hielt sie ihm Stand. Erkannte er ihre Augen wieder? Würde er sie nun nicht nur wegen Unzucht, sondern sogar wegen einer heidnischen Prostitution verurteilen? Oder würde er sogar behaupten, sie habe diese Gegenstände gestohlen, um seinen eigenen Fehltritt zu verschleiern? Nun, mehr als verbrennen konnte er sie kaum! Sie würde bis zuletzt aufrecht stehen bleiben! Da sah sie, wie er wieder Farbe ins Gesicht bekam und sie glaubte Bewunderung in seinem Blick zu erkennen. Ein Schauer durchfuhr sie. Ja, er wusste ihren Ehrgeiz zu schätzen, war er doch aus dem gleichen Holz geschnitzt wie sie. Inzwischen hatte sich die Nachricht herumgesprochen, wem der Siegelring gehörte und ein Weib fing an zu lachen, ein anderes fiel mit ein und endlich brüllte die ganze Menge. Juda schlug mit seinem Stab auf den Boden und rief: "Ruhe!" Da ebbte der Lärm bis auf ein unterdrücktes Kichern ab. Er räusperte sich und begann mit lauter Stimme zu sprechen: "Dies ist eindeutig mein Siegelring. Ja, ich habe vor drei Monaten einem Weib beigewohnt, das ich fälschlicherweise für eine Dirne hielt und ich habe ihr dieses Pfand gegeben. Als ich es gegen den versprochenen Ziegenbock eintauschen wollte, war sie verschwunden. Doch ich kann euch jetzt versichern, ich habe nicht gesündigt, denn ich habe nur die Schwagerehe an meines Sohnes Statt an ihr vollzogen. Und diese Frau ist im Recht gegen mich. Warum habe ich ihr nicht meinen Sohne Schela zur Frau gegeben?"
Die Menschen jubelten aus vollem Hals und warfen ihre Hüte in die Luft. Tamar wandte ihre Augen zum Himmel empor. "Ich danke Euch, Jahwe und Astarte!", flüsterte sie.

Als ihre Zeit gekommen war, schenkte sie Zwillingen das Leben und setzte damit den Stammbaum des Kindes fort, das eintausendsiebenhundert Jahre später in einem Stall geboren werden sollte.


Und Juda gab seinem ersten Sohn Er eine Frau, die hieß Tamar. Aber Er war böse vor dem HERRN, darum ließ ihn der HERR sterben. Da sprach Juda zu Onan: Geh zu deines Bruders Frau und nimm sie zur Schwagerehe, auf dass du deinem Bruder Nachkommen schaffest. Aber da Onan wusste, dass die Kinder nicht sein eigen sein sollten, ließ er's auf die Erde fallen und verderben, wenn er einging zu seines Bruders Frau, auf dass er seinem Bruder nicht Nachkommen schaffe. Dem HERRN missfiel aber, was er tat, und er ließ ihn auch sterben. Da sprach Juda zu seiner Schwiegertochter Tamar: Bleibe eine Witwe in deines Vaters Hause, bis mein Sohn Schela groß wird. Denn er dachte, vielleicht würde der auch sterben wie seine Brüder. So ging Tamar hin und blieb in ihres Vaters Hause.
Als nun viele Tage verlaufen waren, starb Judas Frau, die Tochter des Schua. Und nachdem Juda ausgetrauert hatte, ging er hinauf, seine Schafe zu scheren, nach Timna mit seinem Freunde Hira von Adullam. Da wurde der Tamar gesagt: Siehe, dein Schwiegervater geht hinauf nach Timna, seine Schafe zu scheren. Da legte sie die Witwenkleider von sich, die sie trug, deckte sich mit einem Schleier und verhüllte sich und setzte sich vor das Tor von Enajim an dem Wege nach Timna; denn sie hatte gesehen, dass Schela groß geworden war, aber sie wurde ihm nicht zur Frau gegeben. Als Juda sie nun sah, meinte er, es wäre eine Hure, denn sie hatte ihr Angesicht verdeckt. Und er machte sich zu ihr am Wege und sprach: Lass mich doch zu dir kommen; denn er wusste nicht, dass es seine Schwiegertochter war. Sie antwortete: Was willst du mir geben, wenn du zu mir kommst? Er sprach: Ich will dir einen Ziegenbock von der Herde senden. Sie antwortete: So gib mir ein Pfand, bis du ihn mir sendest. Er sprach: Was willst du für ein Pfand, das ich dir geben soll? Sie antwortete: Dein Siegel und deine Schnur und deinen Stab, den du in der Hand hast. Da gab er's ihr und kam zu ihr; und sie ward von ihm schwanger. Und sie machte sich auf und ging hinweg und legte den Schleier ab und zog ihre Witwenkleider wieder an.
Juda aber sandte den Ziegenbock durch seinen Freund von Adullam, damit er das Pfand zurückholte von der Frau. Und er fand sie nicht. Da fragte er die Leute des Ortes und sprach: Wo ist die Hure, die zu Enajim am Wege saß? Sie antworteten: Es ist keine Hure da gewesen. Und er kam wieder zu Juda und sprach: Ich habe sie nicht gefunden; dazu sagen die Leute des Ortes, es sei keine Hure da gewesen. Juda sprach: Sie mag's behalten, damit wir nur nicht in Verruf geraten! Siehe, ich habe den Bock gesandt, und du hast sie nicht gefunden. Nach drei Monaten wurde Juda angesagt: Deine Schwiegertochter Tamar hat Hurerei getrieben; und siehe, sie ist davon schwanger geworden. Juda sprach: Führt sie heraus, dass sie verbrannt werde. Und als man sie hinausführte, schickte sie zu ihrem Schwiegervater und sprach: Von dem Mann bin ich schwanger, dem dies gehört. Und sie sprach: Erkennst du auch, wem dies Siegel und diese Schnur und dieser Stab gehören? Juda erkannte es und sprach: Sie ist gerechter als ich; denn ich habe sie meinem Sohn Schela nicht gegeben. Doch wohnte er ihr nicht mehr bei. Und als sie gebären sollte, wurden Zwillinge in ihrem Leibe gefunden.
1. Mose 38, 6 – 27

 

Die Frauenfeindichkeit:
Erstens wird gesagt, dem Herrn misfiel Er und dann sagt Juda "Sie ist gerechter als ich". Das klingt für mich fast schon nach fair play, wenn man all die Gesetze liest, die Moses für die Frauen aufgestellt hat. Die ganze Bibel ist für mich überhaupt sehr frauenfeindlich. Und ich glaube nicht an einer jüdischen Fortschritt, was die Frauenrechte betrifft, im Gegenteil. Genau weiß man es nicht. Aber nach der Fachlitteratur ist es kaum anzunehmen. Im Gegenteil, das jüdische Monotheismus hat größtenteils zu der Patriarchalisierung beigetragen, wie keine andere antike Kultur des vorderen Orients. Die einzige abweichende Zeit ist nach der babylonischen Gefangenschaft. Die Bücher Esther und Judith sind auch in dieser Zeit entstanden. Und laut Fl. Josephus gab es in dieser Zeit sogar weibliche Herrscherinnen (Alexandra, in der Zeit des Helenismus).

Wenn jemand meint, das Judentum wäre ein Fortschritt gewesen, der vergleicht es möglicherweise mit dem heutigen islamismus, nicht mit den alten Kulturen des 2.-4. Jth. v. Chr.

Schöne Grüße
masserena

 

Hallo Tamara,

ich wollte deine Geschichte immer wieder lesen, habe es jedoch vergessen - jetzt bereue ich es, dass ich so lange damit gewartet habe.
Deine Geschichte hat mir sehr gut gefallen. Schön, dass du eine Geschichte "hinter" der Bibel gefunden hast. Schön, eine solche Namensvetterin zu haben.
Gut fand ich auch die Bibelzitate, auch wenn ich sie eher am Ende gepostet hätte - also die ganzen Auszüge. Ich persönlich fand es nicht so gut, dass ich nach jedem Abschnitt noch die "zusammengefasste" Version aus der Bibel lesen musste - das hat mich ein wenig aus dem Lesefluss herausgerissen. Ist aber sicherlich Geschmackssache und tut der Qualität der Geschichte keinen Abbruch.

Ein paar Kleinigkeiten habe ich noch gefunden:

Rubens Frau ist vor ein paar Tagen bei der Niederkunft gestorben ist.

Hier hat sich noch ein kleiner Fehler eingeschlichen.

"Ich verspreche dir, jede Woche Opfergaben zu bringen und deinen Tempel reinigen und pflegen werde, du strahlende Göttin!"

Der liest sich auch nicht richtig für mich. Könnte aber sein, dass ich gerade auf der Leitung steh.

Sollte ihre Tugend ihr jetzt ihre Zukunft rauben?

Dieses ihre/ihr/ihre gefällt mir nicht so. Könntest du leicht wenigstens einmal ersetzen.

LG
Bella

 

Hallo Bella,
danke für das Lob und die Hinweise auf die Fehler, die ich beim Überarbeiten glatt übersehen habe. So ist das oft: Man bügelt hier was aus und da entsteht ein neuer Knick! Seufz!
Die Bibelzitate habe ich in der zweiten Version eingeflochten, weil den ersten Lesern die verwickelten Familienbeziehungen zu kompliziert waren. Na ja mit zwei Männern hat frau es nicht leicht! ;) Meinst du, das besonders der Teil vor dem ersten Zitat jetzt verständlich ist? Ich kann das leider selber gar nicht mehr beurteilen.
lG
tamara

 

Verständlich fand ich soweit alles. Manchmal musste ich mich zwar sehr konzentrieren, um alle Personen auf die Reihe zu bekommen, aber es ging schon.

 

Liebe Bella,
danke noch einmal! Ich glaube, dann setzte ich das gesamte Zitat ans Ende.
lG
t

 

Oh! Na, was soll ich dazu sagen!
Danke!!! :kuss:
Gut, dass du es sagst, ich hätte es nicht bemerkt!
ganz liebe Grüße
tamara

 

Hallo tamara,

habe heute erst deine Historik-Geschichte gelesen. Zum einen tut es mir Leid, dass ich das nicht schon früher getan habe, aber zum anderen muss ich sagen, dass ich mit deiner zweiten Fassung wesentlich besser zurecht gekommen bin, als mit der ersten Version.
Sie ist irgendwie weltlicher, lebensechter geschrieben. Man konnte sich besser in die Zeit und die Geschehnisse versetzten.
Sie kam mir auch flüssiger geschrieben vor, denn ich glaube, es ist nicht gerade einfach, aus einer Bibelstelle eine Geschichte zu formen.

Sie hat mir sehr gut gefallen und ich habe sie gerne gelesen.

Viele Grüße
bambu

 

Hallo bambu,
he, vielen Dank fürs Lesen und das Lob! Die zweite Version gefällt mir auch besser, man lernt eben aus konstruktiver Kritik! Ich fand es recht einfach, aus dieser Bibelstelle eine Geschichte zu machen, als meine Freundin es mir erzählte, reifte gleich ein Bild in mir. Aber so ist das eben, wenn die Muse einen küsst! Man kann es sich nicht aussuchen.
liebe Grüße
tamara

 

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