Was ist neu

Tante Anna

Mitglied
Beitritt
10.07.2015
Beiträge
39
Zuletzt bearbeitet:

Tante Anna

Tante Anna wollte in den Zug steigen. Das Trittbrett war etwas hoch. Sie hievte ihr Gepäck auf die oberste Stufe und zog sich am Geländer in die Bahn. Sie schnappte sich ihre Tasche, die vollgepackt mit Essen und Trinken war, und alles andere als leicht, und sehr umständlich für das Einsteigen. Nun war sie drin und suchte sich ein schönes Plätzchen in einem Viererabteil. Sie suchte sich die Leute immer sehr sorgfältig aus. Vielleicht war ja jemand da, der auch Lust hatte, sich auf der langen Reise zu unterhalten. Aber die Abteile waren noch leer, da sie immer zu früh auf dem Zug war.
Tante Anna war auf dem Weg von Basel nach Locarno. Sie wollte ihre Tochter und die Enkelin besuchen.
Sie fand ein Abteil, das passte. Endsorgte noch einen Kaffeebecher und die Gratiszeitung im Klappkübel, und verstaute ihr Gepäck. Sie legte ein Buch und die Lesebrille bereit. Kaum sass sie, kam ihr der Fahrschein in den Sinn. „Oh je, wo habe ich den verstaut“, fragte sie sich. Etwas unruhig suchte sie das Ticket, aber im Geldbeutel war er nicht. Nun kam Panik auf, total hektisch und unstrukturiert suchte sie überall. Er war nicht da. Er war einfach nicht da der Fahrschein. „Ich werde alt“, dachte Tante Anna. „Setz dich jetzt hin, die Leute schauen schon“, schnauzte sie sich an. Tante Anna setzte sich und überlegte, wo sie ihren Fahrschein wohl hingetan hatte. Gedankenversunken sass sie da, als eine junge Frau sich ihr gegenübersetzte. Sie konnte keinen Blickkontakt mit der Frau herstellen. Die Frau sah in ihr Handy, lächelte und tippte in Sekundenschnelle eine SMS. Dann zog sie eine kleine Tasche aus ihrer Handtasche und fing an, sich zu schminken. Gekonnt und wieder in Sekundenschnelle. Wieder zurück zum Handy und nun ging es flott, eine SMS nach der Anderen.
Tante Anna wurde müde vom Zuschauen und lehnte sich zur Entspannung etwas zurück. So vergingen einige Minuten, der Zug war längst abgefahren und fuhr Richtung Zürich.
Plötzlich liess sich ein junger Mann neben Tante Anna auf den Sessel plumpsen. Er hatte Ohrstöpsel im Ohr und wippte mit den Beinen. Er schloss die Augen und gähnte. Der letzte Platz wurde von einem älteren Mann besetzt, der seine Gratiszeitung schnell ausgebreitete und las. Die junge Frau auf der gegenüberliegenden Bank schrieb immer noch sekundenschnell eine SMS nach der Anderen.
Niemand beachtete Tante Anna. Diese überlegte sich immer noch, wo wohl ihr Fahrschein sein könnte. Sie hatte Angst, dass der Schaffner kam, bevor sie wusste, wo er war. Ihre Hände fingen leicht an, zu zittern.
Nun stieg eine ältere Dame ein und setzte sich nicht, sondern blieb im Gang beim Abteil von Tante Anna stehen. Sie kramte in der Handtasche, fand ihr Handy und fing an, zu telefonieren. Laut und für alle hörbar, bellte sie wütend in den Hörer und massregelte ihren Mann. Tante Anna schämte sich fast für die Frau. Sie schaute aus dem Fenster und versuchte die Frau am Telefon zu ignorieren. Dann griff Tante Anna ihr Buch und fand ihr Ticket als Buchzeichen. Erleichtert schloss sie das Buch und machte die Augen zu.

„Ihren Fahrschein, bitte“, sagte der Schaffner und tippte Tante Anna an. Tante Anna öffnete nicht die Augen und bekam jetzt die Aufmerksamkeit, die sie sich vorher gewünscht hatte. Nun aber war sie in einer anderen Welt.

 
Zuletzt bearbeitet:

Willkommen Silea

Ich konnte mir diese Tante Anna gut vorstellen. Vor allem, wie sie in den Zug einsteigt und wie sich später nach Gesellschaft umschaut, konnte ich mir gut vorstellen. Das Verhalten der anderen Reisenden hast du im Kontrast zu ihrem eigenen Verhalten geschildert. Das habe ich als spannend empfunden.
Allenfalls könntest du das Aussehen der Tante Anna noch ein wenig beschreiben. Ansatzweise hast du das gemacht, indem du ihre Tasche und deren Inhalt beschrieben hast. Ihr Verhalten schilderst du indessen ausgiebig und augenfällig.

Wenn du einen oder zwei Absätze setzen würdest, wäre der Text leichter zu lesen. Bei einem so kurzen Text macht das zwar nicht viel aus, bei einer längeren Geschichte empfehle ich dir aber dringend zu Absätzen.

Tante Anna wurde müde vom [Zuschauen] und lehnte sich zur Entspannung etwas zurück. So vergingen einige Minuten, der Zug [war] längst abgefahren und fuhr Richtung Zürich.

Der Schluss ist drastisch. Wenn ich ihn richtig verstehe, dann stirbt sie während der Fahrt. Das heisst, dass junge Leute sich im Zug mit alten Leuten unterhalten sollten, damit diese nicht vor lauter Langeweile sterben. :thumbsup: Etwas weniger überspitzt gesehen, drückt diese Geschichte wahrscheinlich ein Unbehagen aus, das heute viele überkommt, wenn sie merken wie entfremdet und zurückhaltend sie einander im Zug gegenübersitzen.

Gruss teoma

 

Hola Silea,

ich gratuliere zum Beginn eines aufregenden Autorenlebens! Auch weil der Start gut ist. Deine Geschichte handelt von den modernen Unarten, die auch mir kräftig auf den Senkel gehen. Passend dazu verkümmernde Kommunikation mit der unmittelbaren Umgebung. Dafür Blabla mit der ganzen Welt.
Gut gemacht.
Ein paar Kleinigkeiten habe ich angemerkt, aber das sind Lappalien.

Endsorgte noch ein Kaffeebecher und ...

Entsorgte noch einen ...

Kaum sass sie, ...

... saß ...

Es war einfach nicht da K der Fahrschein.

... schnautzte sie sich an.

... schnauzte ...

... eine Sms.

... eine SMS.

... immer noch sekundenschnell Smsen.

Diesen Plural gibt es (offiziell) nicht.

Dann zog sie eine kleine Tasche aus Handtasche ...

Hier fehlt ein Wort.
... wurde müde vom zu schauen und ...

...vom Zuschauen ...

Im Abteil neben an, sass ein junger Mann.

Im Abteil nebenan saß ein Mann.

Hier schreibst Du von Leuten in zwei Abteilen. Ich denke, dass Tante Anna nicht sehen kann, was sich im Nachbarabteil zuträgt. Vielleicht lässt Du die beiden Herren auch in Tante Annas Abteil steigen – dann hat sie alles im Blick.

Im selben Abteil ...
Die junge Frau auf der gegenüberliegenden Bank ...

... stellte sie ihren Mann in den Senkel.

Das dürfte nicht für alle Leser verständlich sein.

Liebe Silea, lass Dir nicht die gute Laune verderben. Wir alle würden ohne Google zehnmal mehr Fehler machen. Schöne Grüße - und bleib am Ball!

José

 
  • Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:
Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:

Vielen Dank José, du hast mir sehr geholfen. Deine Anregung, dass ich alle ins gleiche Abteil packe, ist gut und ich denke ich habe auch für die 5. Person einen guten Platz gefunden.
Herzlichen Dank silea

PS: Die Fehler habe ich auch korrigiert danke.

 

Lieber teoma

Ja es ist so... sie stirbt leise dahin, unbemerkt. Ich bin ca. 2 Jahre jeden Tag insgesamt 3 Stunden zu Arbeit gefahren und fühlte mich oft einsam inmitten einem vollen Zug.
Das Aussehen von Tante Anna habe ich weg gelassen... Am Anfang hatte ich sie genau beschrieben, so wie halt meine reale Tante Anna war. Plötzlich aber war mir das nicht mehr wichtig und habe ich es wieder gelöscht. War ein Gefühl und kein bewusster Entschluss.
Die Absätze habe ich versucht zu machen. Wie setzt du die Absätze? Nach welchen Kriterien?
Ich danke dir für deine Zeilen, sie waren hilfreich.
Herzliche Grüsse silea

 

Du fragst, nach welchen Kriterien ich Abschnitte schreiben würde. – Bei der vorliegenden Geschichte wahrscheinlich nach dem Schema Anfang Mitte und Schluss. Also:

Erster Absatz: Die Ausgangslage war die …
Zweiter Absatz: Die Sache ging dann so …
Dritter Absatz: Die Folge war zuletzt diese …​

Möglich wären auch andere Kriterien. Ferner wären nicht nur Absätze sondern auch Abschnitte möglich. Letztlich wirst du nach deinem freien Ermessen entscheiden müssen.

Übrigens empfehle ich Korrekturen im ersten Beitrag (Original-Geschichte) auszuführen. Neue Leser können dann gleich die verbesserte Geschichte genießen.

Gruß teoma

 

Liebe Silea

willkommen hier bei den Wortkriegern.

Deine Geschichte gefällt mir von der Thematik her gut und ist in weiten Teilen in meinen Augen auch gut umgesetzt... du beschreibst treffend wie sich Menschen im öffentlichen Raum allenthalben benehmen :)

Allerdings sind es eben auch vor allem Beobachtungen, die du kaleidoskopmäßig machst, mal hierhin mal dorthin schaut dein Erzähler, wir erfahren aber nur wenig über Tante Anna selbst un über das, was sie denkt, was sie fühlt. An einer Stelle versuchst du ihre Gedanke wieder zugeben...

Tante Anna wurde müde vom Zuschauen und lehnte sich zur Entspannung etwas zurück.
Das ist mir dann zu wenig und zu vage.

So bleibt deine Tante Anna undeutlich, vage und ist kaum als Individuum erkennbar. Das müsste nicht sein, wenn du mehr von ihren Gedanken schildern würdest.

Warum jetzt die Absätze alle mit Tante Anna beginnen, weiß ich nicht, ist aber Geschmackssache. Wenn du etwas damit bezweckst, erschließt es sich mir nicht.

viele Grüße und einen guten Start in die Woche:)
Isegrims

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom