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Tascha
Es war, wie er später resümierte, ein in jeder Hinsicht deprimierender Tag.
Tascha war wieder gegangen.
Tascha, seine beste platonische Freundin seit den ersten Schultagen.
Tascha, die an seiner Seite alle Höhen und Tiefen seiner sämtlichen Beziehungen durchgestanden hatte.
An deren Schulter er sich immer ausgeweint hatte, wenn einer seiner zahlreichen und sehr viel jüngeren Freundinnen mal wieder das Weite suchte, verzweifelt ob seiner Bindungsunfähigkeit.
Tascha...
Das ganze Zimmer roch nach ihr, leise, unaufdringlich, aber ihr Geruch kroch ihm trotzdem unter die Haut.
Er konnte nicht widerstehen, für einen albernen Moment die Nase in ihren Pulli zu drücken, den sie nachlässig über die Stuhllehne geworfen hatte.
Er ließ das vorangegangene Gespräch verzweifelt wieder und wieder durch seinen Kopf laufen, in dem Bemühen den Knackpunkt, die Wegegabelung, die Abzweigung zu finden, an der er falsch abgebogen war.
Es war nicht Besonderes vorgefallen.
Sie kam einfach vorbei, sie saßen wie so oft, auf seinem durchgesessenen Sofa in der Junggesellenwohnung und er bot ihr wie immer ein Bier an.
Es war alles wie immer.
Oder beinahe wie immer.
Seit dem Moment, als Tascha angefangen hatte, zu reden, begann seine alte, gute, verlässliche Welt sich im Wohlgefallen aufzulösen.
Erst dachte er, sie würde Witze machen.
Darüber, dass sie sich verlobt hätte. Mit diesem unsagbaren Menschen, den er erst ein paar Mal gesehen hatte.
Dass der Termin für die Hochzeit auch schon feststünde und sie sich wünschte, ihn, ihren besten und langjährigsten Freund, als Trauzeugen dabei zu haben.
Genau da begann sein Herz wie wild zu schlagen und jeder Muskel in seinem Körper verkrampfte sich.
Seine Wangen fingen an zu prickeln, und er hatte das Gefühl, unter ihm sackte der Boden weg.
Doch nicht Tascha! Tascha würde doch nicht heiraten! Das würde sie nicht!
Sein „Nein“ kam dumpf, gepresst.
Taschas Gesicht verfinsterte sich. Sie sah jung, zornig und hilflos zugleich aus.
Ihr Gesichtsausdruck löste in seinem Innern eine Art Dammbruch aus.
Irgendeine Mauer brach. An manchen Stellen gab es schon breite Risse, da schimmerte etwas durch, was er noch nicht richtig definieren konnte.
Zur Sicherheit rastete sein Gehirn die Frau neben ihm noch einmal, diesmal gründlich, durch.
Etwa 1,75 cm groß, schlank, dunkelbraunes, mittellanges Haar, ein herzförmiges Gesicht mit niedlichen Wangengrübchen, eine Stupsnase, jede Menge Sommersprossen, geschwungende Augenbrauen und Augen.
Leicht schräggeschnittene, schillernd grüne, beunruhigend wache Augen.
Verblüfft nahm er wahr, dass Tascha schön war.
Zum ersten Mal in seinem Leben, in dieser Wohnung, während draußen ein Sommerregen ans Fenster trommelte, die Stare sich aufplusterten, schimpften und schwatzten, in diesem stillen Abendlicht, hatte er das Gefühl, dass sie wunderschön sei.
„Aber warum? Warum willst du es für mich nicht tun?“ fragte sie und er spürte ihre vertraute, eindringliche Stimme in seinem Solarplexus.
Sie saß neben ihm. Eindeutig zu nahe.
Das lächerliche Etwas, das sie ein Mini-Kleid nannte, enthüllte seiner Meinung mehr von ihren nackten Beinen, als es bedeckte.
Eine heiße Welle überrollte ihn. Benommen schüttelte er den Kopf und strafte seinen Körper.
Das ist Tascha, sagte er sich. Das ist nur Tascha, sagte er sich noch einmal, und sein Solarplexus erwiderte : klar ist sie das, greif schon zu.
Und dann hörte er sich sagen, dass er es tun würde. Er würde da sein und den verdammten Trauzeugen für sie spielen.
„Wirklich?“ Sie blickte ihn mit zur Seite geneigten Kopf an, und ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, bei dem ihm die Knie weich wurden.
Sie sah aus, als hätte sie einen Regenbogen geschenkt bekommen.
Schlagartig wurde ihm, in genau diesem Moment klar, dass er sie liebte.
Natürlich nicht auf diese übliche Mann-liebt-und-begehrt-Frau-Weise.
Wirklich nicht.
Er liebte es, mit ihr stundenlang reden zu können, ohne sich Gedanken darüber machen zu müssen, ob er auch gut dabei abschnitt.
Tascha war intelligent, gebildet, weltoffen, verständnisvoll und obwohl sie kein Mann war, konnte er immer offen mit ihr reden.
Auch damals, als sie ihm gestand, dass sie in ihn verliebt sei. Und dass es sie glücklich machen würde, wenn er ihr „erstes Mal“ wäre.
Zuerst war er erschrocken, dann amüsiert und zum Schluss traurig.
Weil er wusste, dass er immer nur den Körper einer Frau begehrte. Er war immer nur solange scharf auf eine Frau, bis er sie gevögelt hatte.
Danach nahm der Reiz rapide ab, bis die Frauen die Geduld und Lust an ihm verloren und mal mehr, mal weniger friedlich ihres Weges zogen.
Er konnte unmöglich Tascha vögeln...
Weil er sie wirklich gern mochte...Als Kumpel...Als eine Vertraute...Aber nicht als „sein“ Mädchen.
Sie hatte damals noch ein Weilchen geweint und sich für ein Paar Wochen in ihrem Haus verkrochen, aber zum Glück konnten sie nach einiger Zeit ihr freundschaftliches Verhältnis wieder aufnehmen als ob nichts gewesen wäre.
Und jetzt würde Tascha heiraten.
Heiraten...das Wort traf ihn mit einer ungeahnter Wucht und er krümmte sich innerlich vor Schmerzen.
Was sein Libido keineswegs davon abhielt ihm Filme über das, was hätte geschehen können, in Technicolor und Dolby Surround vorzuspielen.
Das Wissen, dass sie damals sauer, aber gewillt war, machte ihm das Leben nicht gerade leichter.
Genau diesen Tag machte er Monate später für seinen Ausraster in der Kirche verantwortlich.
Er hatte Wort gehalten und stand an ihrem Hochzeitstag ernst, aber gefasst neben diesem Kerl, der im Begriff stand ihm Tascha, seine Tascha, weg zu heiraten.
Auch als er den langen, mit weißen Rosenblättern bestreuten Mittelgang in der Kirche feierlich entlang schritt, war er noch ruhig.
Äußerlich war er ruhig, aber seine Gedanken rasten.
Als der Priester aber milde lächelnd dieses weitschweifige Gerede über die Ehe und Treue anfing, drehte es ihm fast den Magen um.
Dies war die absolute Katastrophe, und sämtliche Fluchtwege waren versperrt.
Was blieb ihm denn anderes übrig, als einfach mit der verblüfften Tascha an der Hand wie ein wildgewordener Footballspieler den Gang runterzustürmen? Bereit, jeden nieder zu mähen, der es wagte, sich ihm in den Weg zu stellen?
Dass es anschließend Tascha war, die ihm die schlimmsten blauen Flecken an den Schienbeinen, die er je hatte, verpasste, war schon in Ordnung.
Wenn man von jemanden mit spitzen Schuhabsätzen getreten wird, sieht es nun mal böse aus.
Gut, diese Hochzeit hatte er ganz allein auf dem Gewissen.
Dafür war er sich jetzt ganz sicher, was er von Tascha wollte.
Obwohl er ihren Verstand nach wie vor liebte, begehrte er ihren Körper mittlerweile so sehr, dass es weh tat.
Er wollte sie heiraten. Jawohl. Er. Heiraten. Tascha.
Er musste nur daran denken, die beiden Dinge völlig von einander zu trennen.
Den Verstand zu lieben und den Körper zu vögeln.
Dann konnte er immer noch, wenn er den Körper nicht mehr vögelte, ihren Verstand lieben.
Eindeutig logisch.
Vielleicht konnte er sie davon überzeugen.
Aber zunächst musste er sie dazu bringen, dass er sich ihr nähern durfte, ohne getreten zu werden.
Dass es fast ein Jahr dauern würde, ahnte er zwar damals auch nicht, aber seine Ausdauer in Sachen Demutshaltung hatte sich eindeutig gelohnt.
Heute stand der gleiche alte Priester vor ihnen, aber das, was er heute sagte, unterschied sich unmissverständlich von dem Geschwafel von damals.
Heute gaben seine Worte von Ehe und Treue ganz klar einen Sinn.
Ab heute gab das ganze Leben für ihn ganz klar einen Sinn. Ein Leben mit Tascha.