Was ist neu

Tascha

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24.07.2004
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Tascha

Es war, wie er später resümierte, ein in jeder Hinsicht deprimierender Tag.
Tascha war wieder gegangen.
Tascha, seine beste platonische Freundin seit den ersten Schultagen.
Tascha, die an seiner Seite alle Höhen und Tiefen seiner sämtlichen Beziehungen durchgestanden hatte.
An deren Schulter er sich immer ausgeweint hatte, wenn einer seiner zahlreichen und sehr viel jüngeren Freundinnen mal wieder das Weite suchte, verzweifelt ob seiner Bindungsunfähigkeit.
Tascha...
Das ganze Zimmer roch nach ihr, leise, unaufdringlich, aber ihr Geruch kroch ihm trotzdem unter die Haut.
Er konnte nicht widerstehen, für einen albernen Moment die Nase in ihren Pulli zu drücken, den sie nachlässig über die Stuhllehne geworfen hatte.
Er ließ das vorangegangene Gespräch verzweifelt wieder und wieder durch seinen Kopf laufen, in dem Bemühen den Knackpunkt, die Wegegabelung, die Abzweigung zu finden, an der er falsch abgebogen war.
Es war nicht Besonderes vorgefallen.
Sie kam einfach vorbei, sie saßen wie so oft, auf seinem durchgesessenen Sofa in der Junggesellenwohnung und er bot ihr wie immer ein Bier an.
Es war alles wie immer.
Oder beinahe wie immer.
Seit dem Moment, als Tascha angefangen hatte, zu reden, begann seine alte, gute, verlässliche Welt sich im Wohlgefallen aufzulösen.
Erst dachte er, sie würde Witze machen.
Darüber, dass sie sich verlobt hätte. Mit diesem unsagbaren Menschen, den er erst ein paar Mal gesehen hatte.
Dass der Termin für die Hochzeit auch schon feststünde und sie sich wünschte, ihn, ihren besten und langjährigsten Freund, als Trauzeugen dabei zu haben.
Genau da begann sein Herz wie wild zu schlagen und jeder Muskel in seinem Körper verkrampfte sich.
Seine Wangen fingen an zu prickeln, und er hatte das Gefühl, unter ihm sackte der Boden weg.
Doch nicht Tascha! Tascha würde doch nicht heiraten! Das würde sie nicht!
Sein „Nein“ kam dumpf, gepresst.
Taschas Gesicht verfinsterte sich. Sie sah jung, zornig und hilflos zugleich aus.
Ihr Gesichtsausdruck löste in seinem Innern eine Art Dammbruch aus.
Irgendeine Mauer brach. An manchen Stellen gab es schon breite Risse, da schimmerte etwas durch, was er noch nicht richtig definieren konnte.
Zur Sicherheit rastete sein Gehirn die Frau neben ihm noch einmal, diesmal gründlich, durch.
Etwa 1,75 cm groß, schlank, dunkelbraunes, mittellanges Haar, ein herzförmiges Gesicht mit niedlichen Wangengrübchen, eine Stupsnase, jede Menge Sommersprossen, geschwungende Augenbrauen und Augen.
Leicht schräggeschnittene, schillernd grüne, beunruhigend wache Augen.
Verblüfft nahm er wahr, dass Tascha schön war.
Zum ersten Mal in seinem Leben, in dieser Wohnung, während draußen ein Sommerregen ans Fenster trommelte, die Stare sich aufplusterten, schimpften und schwatzten, in diesem stillen Abendlicht, hatte er das Gefühl, dass sie wunderschön sei.
„Aber warum? Warum willst du es für mich nicht tun?“ fragte sie und er spürte ihre vertraute, eindringliche Stimme in seinem Solarplexus.
Sie saß neben ihm. Eindeutig zu nahe.
Das lächerliche Etwas, das sie ein Mini-Kleid nannte, enthüllte seiner Meinung mehr von ihren nackten Beinen, als es bedeckte.
Eine heiße Welle überrollte ihn. Benommen schüttelte er den Kopf und strafte seinen Körper.
Das ist Tascha, sagte er sich. Das ist nur Tascha, sagte er sich noch einmal, und sein Solarplexus erwiderte : klar ist sie das, greif schon zu.
Und dann hörte er sich sagen, dass er es tun würde. Er würde da sein und den verdammten Trauzeugen für sie spielen.
„Wirklich?“ Sie blickte ihn mit zur Seite geneigten Kopf an, und ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, bei dem ihm die Knie weich wurden.
Sie sah aus, als hätte sie einen Regenbogen geschenkt bekommen.
Schlagartig wurde ihm, in genau diesem Moment klar, dass er sie liebte.
Natürlich nicht auf diese übliche Mann-liebt-und-begehrt-Frau-Weise.
Wirklich nicht.
Er liebte es, mit ihr stundenlang reden zu können, ohne sich Gedanken darüber machen zu müssen, ob er auch gut dabei abschnitt.
Tascha war intelligent, gebildet, weltoffen, verständnisvoll und obwohl sie kein Mann war, konnte er immer offen mit ihr reden.
Auch damals, als sie ihm gestand, dass sie in ihn verliebt sei. Und dass es sie glücklich machen würde, wenn er ihr „erstes Mal“ wäre.
Zuerst war er erschrocken, dann amüsiert und zum Schluss traurig.
Weil er wusste, dass er immer nur den Körper einer Frau begehrte. Er war immer nur solange scharf auf eine Frau, bis er sie gevögelt hatte.
Danach nahm der Reiz rapide ab, bis die Frauen die Geduld und Lust an ihm verloren und mal mehr, mal weniger friedlich ihres Weges zogen.
Er konnte unmöglich Tascha vögeln...
Weil er sie wirklich gern mochte...Als Kumpel...Als eine Vertraute...Aber nicht als „sein“ Mädchen.
Sie hatte damals noch ein Weilchen geweint und sich für ein Paar Wochen in ihrem Haus verkrochen, aber zum Glück konnten sie nach einiger Zeit ihr freundschaftliches Verhältnis wieder aufnehmen als ob nichts gewesen wäre.
Und jetzt würde Tascha heiraten.
Heiraten...das Wort traf ihn mit einer ungeahnter Wucht und er krümmte sich innerlich vor Schmerzen.
Was sein Libido keineswegs davon abhielt ihm Filme über das, was hätte geschehen können, in Technicolor und Dolby Surround vorzuspielen.
Das Wissen, dass sie damals sauer, aber gewillt war, machte ihm das Leben nicht gerade leichter.
Genau diesen Tag machte er Monate später für seinen Ausraster in der Kirche verantwortlich.
Er hatte Wort gehalten und stand an ihrem Hochzeitstag ernst, aber gefasst neben diesem Kerl, der im Begriff stand ihm Tascha, seine Tascha, weg zu heiraten.
Auch als er den langen, mit weißen Rosenblättern bestreuten Mittelgang in der Kirche feierlich entlang schritt, war er noch ruhig.
Äußerlich war er ruhig, aber seine Gedanken rasten.
Als der Priester aber milde lächelnd dieses weitschweifige Gerede über die Ehe und Treue anfing, drehte es ihm fast den Magen um.
Dies war die absolute Katastrophe, und sämtliche Fluchtwege waren versperrt.
Was blieb ihm denn anderes übrig, als einfach mit der verblüfften Tascha an der Hand wie ein wildgewordener Footballspieler den Gang runterzustürmen? Bereit, jeden nieder zu mähen, der es wagte, sich ihm in den Weg zu stellen?
Dass es anschließend Tascha war, die ihm die schlimmsten blauen Flecken an den Schienbeinen, die er je hatte, verpasste, war schon in Ordnung.
Wenn man von jemanden mit spitzen Schuhabsätzen getreten wird, sieht es nun mal böse aus.
Gut, diese Hochzeit hatte er ganz allein auf dem Gewissen.
Dafür war er sich jetzt ganz sicher, was er von Tascha wollte.
Obwohl er ihren Verstand nach wie vor liebte, begehrte er ihren Körper mittlerweile so sehr, dass es weh tat.
Er wollte sie heiraten. Jawohl. Er. Heiraten. Tascha.
Er musste nur daran denken, die beiden Dinge völlig von einander zu trennen.
Den Verstand zu lieben und den Körper zu vögeln.
Dann konnte er immer noch, wenn er den Körper nicht mehr vögelte, ihren Verstand lieben.
Eindeutig logisch.
Vielleicht konnte er sie davon überzeugen.
Aber zunächst musste er sie dazu bringen, dass er sich ihr nähern durfte, ohne getreten zu werden.
Dass es fast ein Jahr dauern würde, ahnte er zwar damals auch nicht, aber seine Ausdauer in Sachen Demutshaltung hatte sich eindeutig gelohnt.
Heute stand der gleiche alte Priester vor ihnen, aber das, was er heute sagte, unterschied sich unmissverständlich von dem Geschwafel von damals.
Heute gaben seine Worte von Ehe und Treue ganz klar einen Sinn.
Ab heute gab das ganze Leben für ihn ganz klar einen Sinn. Ein Leben mit Tascha.

 

Hallo immerfernweh,

erst Mal:
Grundsätzlich hat deine Geschichte mir gefallen. Die Idee Mann (oder Frau) verliebt sich in guten Freund/Freundin ist zwar nicht neu und um es offen zu sagen, hast du dieser Thematik auch nicht viel Neues gegeben.
Trotzdem hat mir die Geschichte gefallen.

Die Charaktere emfpand ich an vielen Stellen als zu blass. Da solltest du unbedingt noch mehr in die Tiefe gehen.

Weiterer Kritikpunkt: Anscheinend packt dein Prot. Tascha bei deren ersten Hochzeit und stürmt mit ihr nach draußen - das hat zur Folge, dass die Hochzeit abgeblasen wird. Warum?
Ich kann mir zwar vorstellen, dass die Hochzeitsgäste einigermaßen schockiert sind, aber wenn Tascha an diesem Vorfall keine Schuld hat, dann verstehe ich nicht, warum die Hochzeit nicht statt finden sollte.
Wenn nicht an diesem, dann eben an einem anderen Tag.

Die Zeitsprünge haben mir manchmal etwas Schwierigkeiten bereitet. Die Überleitungen waren nicht immer so leicht zu erkennen.

Tascha war wieder gegangen.
Tascha, die seit ihren gemeinsamen Schultagen seine beste platonische Freundin war.
Tascha, die an seiner Seite alle Höhen und Tiefen seiner sämtlichen Beziehungen durchgestanden hatte.

Das hier ist mir ein bißchen zu viel "Tascha". Man merkt zwar, dass du es bewusst als Stilmittel einsetzt, aber für mich hört es sich trotzdem unschön an.

An deren Schulter er sich immer ausgeweint hatte, wenn einer seiner zahlreichen und sehr viel jüngeren Freundinnen mal wieder das Weite suchte, verzweifelt ob seiner Bindungsunfähigkeit.

Hier solltest du eine konkrete Situation schildern. Zum Beispiel: Er erinnert sich noch genau an jenen Abend, als...
Das würde hier wahrscheinlich gut wirken.

Erstaunt nahm er wahr, dass Tascha schön war.

Halte ich in dieser Form für unrealistisch. Offensichtlich wird ihm nun klar, dass er in seine langjährige beste Freundin verliebt ist - aber selbst, wenn er das vorher noch nicht wusste, wird er zwangsläufig irgendwann einmal ihr Äußeres wahr genommen haben. Denke ich jedenfalls.

Sie sah aus, als hätte sie einen Regenbogen geschenkt bekommen.

Schön!

LG
Bella

 

Hallo Bella!
Als Erstes : Danke für die schnelle Beurteilung!
Danke auch dafür, dass du dir die Mühe gemacht hast und die Stellen, die "holprig" sind, zitiert hast.
Ich habe ein wenig nachgebessert, weil mir Einiges einleuchtet, das Andere aber für den Moment stehen lassen.
Werde noch eine Weile darüber nachdenken.
Nata

 

Hallo immerfernweh!

Doch, ich mag deine Geschichte - jedenfalls bis kurz vor Schluss. Du hast die Verwirrung deines Prots über dieses Gefühl von "Tausendmal berührt, tausendmal ist nichts passiert..." wunderbar prägnant und nachlebbar beschrieben. Dann der Ausraster in der Kirche, diese Kurzschlusshandlung eines ansonsten sehr strukturiert und berechenbar wirkenden Mannes als Überraschungsmoment - auch gekonnt. Wobei sich natürlich die Frage stellt, inwieweit das plötzliche Begehren durch Torschlusspanik bedingt ist, weil das zuvor Selbstverständliche plötzlich in Gefahr scheint...

Mit den blauen Flecken auf dem Schienbein und auf der Seele hätte ich die Geschichte beendet. Das nachfolgende Happy-End ist mir erstens zu verkürzt (wir wissen nicht, was Tascha zu ihrem Gesinnungswandel bewogen hat) und zweitens zu sehr Verbeugung vor der Erwartung eines auf Friede, Freude, Hochzeitskuchen geeichten Publikums.

Grüße!
Chica

 

Ach Mööönsch, Chica! *lächle*
Mir war einfach nach happy-end...
Aber du hast Recht, ist schon ein bisschen schnulzig...
Danke für dein Urteil!
nata

 

Hallo immerfernweh, (ich auch ;) )

da möchte ich Chica widersprechen: mir hat der rührende Schluss gut gefallen, die Sache ist rund und ich kann nach dem Lesen dieser Geschichte wieder an meine Tagesgeschäfte gehen und muss mich nicht um den Prot und die Tascha sorgen.
Aber gerade die Frage solchen Schlusses ist reinste Geschmacksache und über Geschmack kann man nicht wirklich streiten.
Schöne kleine Zwischendurchgeschichte mit zwar einem schon oftmals verarbeitetem Plot, aber dafür nett umgesetzt. Las sich gut.
Was mir allerdings etwas die Stirn kraus gezogen hat, war Taschas Reaktion. Weshalb, so fragte sich meine besorgte Abteilung Logik, läuft sie mit ihm davon, aber verpasst ihm so heftige Tritte? Wäre da nicht anfänglicher Widerstand eher sinnvoll gewesen?
Nun gut, auch das ist wohl reinste Geschmackssache: die einen laufen erstmal mit und schlagen danach um sich, die anderen schlagen erst um sich und gehen dann mit. ;)

Lieben Gruß
lakita

 

Hallo lakita!
Englich jemand, der mich liebt...*breit grins*
Danke!
Als eine nette, kleine, Zwischendurchgeschichte ist sie auch zu verstehen.
Ich wollte die Welt nicht bewegen und auch nicht das Rad neuerfinden, mir war einfach danach.
nata

 

Liebe Maggie3,
ich danke dir sehr für die nette Kritik.
Man sagte mir vor kurzem, ich sei nur sehr begrenzt kritikfähig...*schluchz*
Darum: danke für die nette!
nata

 

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