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Tee mit der Queen

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04.04.2008
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Tee mit der Queen

Tee mit der Queen

Knackholz, trocken und dünn. Oder Prasselholz, von der Kaminflamme umzüngelt. So hört es sich an. Ein kurzes, hartes Knirschen, mehr nicht. Karla schwebt einen Moment mit hochgerissenen Armen über dem Teppich, rasch wieder geerdet, sobald der Ziegelstein Schorschis Schädelknochen zerbersten lässt. Ein endgültiges Geräusch.
Die Zeitung fällt aus seinen Händen, segelt langsam zu Boden, die Aktienkurse fallen unter den Couchtisch. Das Letzte, was Schorschi gelesen hat. Komisch. Karla muss kichern, jetzt zittert sie vor Anstrengung. Schweißtropfen erblühen auf ihrer Stirn.
Die lange Haarsträhne, von Schorschi sorgfältig quer über den Kopf gekämmt, ist verrutscht, hängt wie ein nasser Bindfaden auf seiner Schulter. Der kahle Schädel wird zu einem winzigen, feuerspuckenden Vulkan. Dunkelrotes Blut tropft im Sekundentakt auf den Teppich.

Damit hat Schorschi nicht gerechnet. Vor Überraschung ist er zur Seite gekippt, seine Hand baumelt über der Sessellehne. Diese Pranke mit den ewig schmutzigen Fingernägeln. Nur noch ein nutzloses Werkzeug, denkt Karla.

Sie bettet den Ziegelstein in ihre Armbeuge und leckt sich einen Schweißtropfen von der Oberlippe. Nie mehr Schorschis Gesicht sehen, ihn nie mehr berühren.
Die Schultern schmerzen, doch Karlas Beine möchten immer nur hüpfen. Zwei Walzerschritte mit Ziegelstein und halskitzelnden Schluchzern der Erleichterung. Hin zur Wohnzimmertür, eine zierliche Pirouette zum Abschied und von außen leise die Klinke hochgedrückt.

In der Küche öffnet Karla das Fenster und atmet die nebelfeuchte, mausgraue Novemberkühle ein. Sie schließt die Augen und spürt, wie sich die Lungen füllen. Hinter den Häusern wartet die Nachtschwärze.
Karla dreht den Kopf von rechts nach links und rollt die Schultergelenke. Wärme breitet sich in ihren Adern aus, mit Leichtigkeit fließt ihr gut umhülltes Blut. Gedanken an Sommertage flattern durch ihren Kopf: Sommertage, an denen sie unversehrt, in luftiger Kleidung durch die Strassen geht, allen Leuten ins Gesicht lacht und gerne für ein Schwätzchen stehen bleibt.

Der Ziegelstein liegt auf der Spüle. Karla betrachtet die filigranen Blutspuren auf seiner porösen Oberfläche. In jede noch so kleine Unebenheit zeichnen sie Spinnwebmuster. Wenig Blut nur.
Unter dem Wasserkran spült sie alles weg, hilft mit der Spülbürste nach.
Seltsam, denkt sie, wie schnell sich das Leben gründlich verändern kann. Heute fing ihr Tag ebenso ereignislos an wie unzählige davor. Nicht das geringste Zeichen deutete darauf hin, dass sie so etwas Grandioses vollbringen würde. Sie war aus dem gleichen Grund ins Wohnzimmer gegangen, aus dem sie jeden Nachmittag ins Wohnzimmer ging.
Um Schorschi zu fragen, ob er bereit sei für den Kaffee, oder ob sie noch warten solle. Und wie jeden Nachmittag saß er in seinem Sessel und wandte ihr seinen feisten Nacken zu.
Karla war einen Moment stehen geblieben.
Da hustete Schorschi. Seinen würgenden, brodelnden Raucherhusten, der ihn schüttelte und selbst seinen Nacken puterrot anlaufen ließ.
Karla hielt inne und bemerkte im gleichen Augenblick den kleinen Ziegelsteinhaufen vor dem Kamin. Seit Tagen wollte Schorschi eine Stelle in der Kaminmauer ausbessern.
Plötzlich wusste sie genau, was zu tun war.

Karla ist ein bisschen enttäuscht. Es ist vorbei, doch alles ist irgendwie wie vorher. Nur stiller und vielleicht eine Spur schärfer umrissen. Die Küchenmöbel zum Beispiel. So weiß, so klar schieben sie sich in den Raum. Karla setzt sich an den Tisch und betrachtet ihre Hände. Sie wird sie in Zukunft besser pflegen. Eine Handcreme mit Olivenöl oder Kamille, und zwar täglich. Gepflegte Hände fallen ihr immer angenehm auf. Dafür hat sie einen Blick.
Sie hat sich neulich erst gewundert, dass selbst die Queen noch so glatte Hände hat. Und Iris Berben natürlich!
Karlas Fingerspitzen betasten die geschwollene Haut unter ihrem rechten Jochbein. Noch zwei, drei Tage schätzt sie, dann merkt keiner mehr was. Karla hat Erfahrung. Der Fleck schillert schon nicht mehr blau, geht ins Gelbliche über.
In Zukunft wird sie jeden Tag am hellen Vormittag einkaufen gehen, und ihr Gesicht wird von einem guten Puder zart leuchten.
Karla nimmt ein paar Frauenzeitschriften aus der Schublade. Die Queen liegt zuoberst und lächelt sie an. Karla blättert ein paar Seiten um und liest, dass die Königin von England jeden Nachmittag um fünf Uhr Tee trinkt und ein Butterbrot mit Gurke dazu isst.
Das imponiert Karla, so eine einfache Geste.
Es ist zehn vor Fünf. Karla geht ins Bad, wäscht sich die Hände und cremt sie mit Nivea ein. Langsam und sorgfältig. In der Küche setzt sie den Kessel auf die Gasflamme und kramt im Schrank nach Mutters altem Teegeschirr. Seltmann Weiden steht darunter, chinesisch Blau. Unterteller findet sie nicht, doch die Tasse ist hauchdünn und sieht auf einem weißen Platzdeckchen schön aus. Karla spült sie heiß aus und hängt einen Beutel Ceylon-Assam hinein. Ein guter Tee, Premiummischung. Im Schrank findet sie nur ein paar Scheiben Knäckebrot, aber das geht auch. Gurke hat sie noch reichlich. Karla schichtet die Gurkenscheiben akkurat auf das Brot, bestreut es mit Salz und gießt das sprudelnde Wasser in die Tasse. Guter Tee muss drei Minuten ziehen.
Es ist schön, alles in Ruhe zu tun. Karla summt einen Schlager aus ihrer Kindheit, von Gitte und Rex, holt die Mehldose aus dem Schrank und lehnt das Bild der Queen dagegen, genau gegenüber von ihrem Platz.
Karla ist ein wenig feierlich zumute. Sie setzt sich, hebt ihre feine Teetasse hoch und nickt der Königin von England zu. Ein kleiner Schluck und ein Biss mit spitzem Mündchen. Sie hätte nicht geglaubt, dass ein Knäckebrot mit Gurke nachmittags um Fünf so gut schmecken kann.

Jetzt ist Karla fertig und sieht sich um. Die Queen lächelt zuversichtlich. Von plötzlichem Tatendrang beflügelt holt Karla die Reiseprospekte aus dem Schlafzimmer.
Die Mosel. Da wollte sie schon immer mal hin. Was für ein Foto! Das silbrige Band schlängelt sich zwischen den Weinbergen hindurch, Fachwerk noch und noch, wie sie das liebt!
Doch im November vielleicht nicht, eher im Sommer.
London! Das wäre doch was! Die Themse im Nebel sieht so geheimnisvoll aus. Und sie könnte sich den Buckingham-Palast ansehen, durch den Hyde-Park gehen und die zutraulichen Eichhörnchen füttern.
Aber Karla ist noch nie geflogen. Sie könnte allerdings auch mit dem Schiff fahren. Englisch kann sie ein bisschen aus der Schulzeit. London soll ja sehr teuer sein. Die Queen lächelt und Karla zieht die Schultern hoch. Mal sehen.
Sie müsste eigentlich einkaufen gehen, es ist kaum noch was im Haus. Die großen Fleischmengen braucht sie ja jetzt nicht mehr. Meine Güte, was hat Schorschi immer weggeputzt! Und wehe, es waren nicht zwei Koteletts da.
Karla mag am liebsten Hühnchen. Oder Fischfilet.
Sie schaut die Queen an und fragt sich, ob sie sich in London anders fühlen würde, näher bei der Majestät eben.
Es gibt so viel zu überlegen, so viel zu entscheiden! Eben fällt ihr ein, dass sie sich jetzt auch die rosa Wolkenstores kaufen kann, für ihr Schlafzimmer, und diesen weichen Teppich, in dem ihre Füße fast versinken. Ein Traum in weiß und rosa könnte ihr Schlafzimmer sein.
Karla wird müde. Sie gähnt. Ihre Augenlider fühlen sich schwer an und fallen herunter, bevor sich Schorschis zusammengesackter Körper auf die Netzhaut brennen kann.
Es gibt so viel zu überlegen, zu entscheiden. Karla braucht ein bisschen Schlaf, sie muss ja nichts überstürzen.

 

Hallo Jutta,

Du weißt ja, ich mag Deine Geschichten, die hier auch!

Du hast die Gabe, total locker, leicht und beschwingt über eine Mörderin, ihre Tat und die kurze Zeit danach zu schreiben, ja, fast schon zu philosophieren.

Das Ganze kommt für mich so rüber, als wäre es völlig normal, so mal schnell zwischendurch einen Menschen zu erschlagen und dann genauso normal zur Tagesordnung überzugeben, als hätte man bloß kurz ein lästiges Insekt mit der Fliegenklatsche erlegt.

Keine Spur von Panik, Herzrasen oder steigendem Adrenalin. Der Mord wird scheinbar belanglos in den Tagesablauf eingebaut, weil die Gelegenheit grad so günstig war. Sie hat zwar noch einiges zu überlegen, aber das hat irgendwie alles Zeit. Erst mal ist er ja weg, das ist die Hauptsache, und man kann an was anderes denken, an Urlaub oder so!
Das macht die Mörderin trotz ihres Verbrechens richtig sympatisch.

Also, wie gesagt, ich finde die Geschichte sehr schön. Ist zwar (für mich) nicht Deine beste, aber ich habe sie sehr gerne gelesen.

LG
Giraffe :)

 

Hallo Jutta!

Ich habe die Geschichte gerne gelesen, ich mag deinen stil und manche Ideen oder Wortgewände gefallen mir richtig gut!

die Aktienkurse fallen unter dem Couchtisch.

Lustiger Dreh, aber unter DEN wäre besser und richtiger.

Hin zur Wohnzimmertür, eine zierliche Pirouette zum Abschied und von außen leise die Klinke hochgedrückt. Sie hat es zum ersten Mal in ihrem Leben gemacht und es hat auf Anhieb geklappt
Was zum ersten Mal - den Tanz oder den Mord? Falls letzteres stört mich der Satz ein bisschen, davon ausgehend dass Karla keine berufsmäßige Killerin ist, liegt es schließlich nahe, dass es ihr erster Mord ist.


Darauf kann man doch wirklich stolz sein! Schorschi hat immer behauptet, ohne ihn wäre sie ein Nichts; von wegen.

Klingt irgendwie platt.
genau wie hier:

Plötzlich wusste sie genau, was zu tun war. Und sie hat es getan.
Nun gut.

Es ist so schade, dass tolle Textstellen durch solch Banales ergänzt und beschädigt wird. Denn das hier

Karla ist ein bisschen enttäuscht. Es ist vorbei, doch alles ist irgendwie wie vorher. Nur stiller und vielleicht eine Spur schärfer umrissen. Die Küchenmöbel zum Beispiel. So weiß, so klar schieben sie sich in den Raum. Karla setzt sich an den Tisch und betrachtet ihre Hände. Sie wird sie in Zukunft besser pflegen. Eine Handcreme mit Olivenöl oder Kamille, und zwar täglich. Gepflegte Hände fallen ihr immer angenehm auf. Dafür hat sie einen Blick.
liest sich wieder herrlich. So scheinbar belanglos - der krasse Akzent gegen den Mord!

Karla räumt das Geschirr weg und fühlt einen riesengroßen Tatendrang. Sie läuft ins Schlafzimmer und kramt die Reiseprospekte aus ihrem Nachtschrank.
Wieder der Bruch m M n. Schönere Formulierungen lassen sich bestimmt finden.

, bevor sich Schorschis zusammengesackter Körper auf die Netzhaut brennen kann.

Würde darauf verzichten, Schorschi überhaupt nochmal zu erwähnen. Der Teil der Geschichte dreht sich nur noch um Karla.

PS: Schorschi ist irgendwie ein lächerlicher Name, finde ich :-)

 

Hallo Jutta,

deiner Karla möchte ich ja nicht über den Weg laufen! Und sympathisch finde ich sie schon gar nicht!

Was mir hier besonders gut gefällt, ist der latente Wahnsinn, der hier durch schimmert. Sie hat ja ihren Mann so nebenbei beseitigt, als ob sie mal kurz die Hecke verschnitten hat und sich jetzt an der besseren Aussicht erfreut. Das macht es richtig unheimlich.
Und auch der ganze Tick mit der Queen und den Cucumber Sandwiches (örks …) das bringt auch so einen Touch von gepflegter, artikulierter und gleichzeitig komplett irrer älterer Frau hinein.
Nach außen hin souverän wie die Queen und innen drin durchgeknallt wie Jack the Ripper....

Das bringt mich auch zu meiner Kritik: ich erfahre nicht so richtig, warum sie ihn eigentlich ermordet hat. Nur weil er einen Raucherhusten hatte und riesige Fleischmengen verdrückt hat – das kann’s ja nicht gewesen sein.
Aber vielleicht willst Du es ja gar nicht erklären, vielleicht gibt es ja gar keinen anderen Grund als komplettes Delirium.

Schaurig schön,

Gruß

Sammamish

 

hallo Jutta,

das ist einfach zu gut, als daß ich jetzt viel kritisieren könnte. Viele treffende, beißende Formulierungen!

Natürlich denke ich auch über die Kritiken nach, wälze sie, überlege, ob ich es auch so empfinde. Manchmal zeigt einem die Kritik anderer, wie schwach eine Geschichte und wie naiv man selbst ist...

Karlas Fingerspitzen betasten die geschwollene Haut unter ihrem rechten Jochbein. Noch zwei, drei Tage schätzt sie, dann merkt keiner mehr was. Karla hat Erfahrung. Der Fleck schillert schon nicht mehr blau, geht ins Gelbliche über.
Das habe ich als Hinweis auf ihr Motiv verstanden: eine schwer mißhandelte Frau...

Schorschi hat immer behauptet, ohne ihn wäre sie ein Nichts; von wegen.
Eine Frau, die durch die Entwertung in der Beziehung sich fast verloren hat, bis sie sich wehrt...

Gedanken an Sommertage flattern durch ihren Kopf: Sommertage, an denen sie unversehrt, in luftiger Kleidung durch die Strassen geht, allen Leuten ins Gesicht lacht und gerne für ein Schwätzchen stehen bleibt.
Es gab ein Leben vor der Ehe...

Sie hätte nicht geglaubt, dass ein Knäckebrot mit Gurke nachmittags um Fünf so gut schmecken kann.
Diese völlig fehlende Betroffenheit, oder soll man sagen: diese Abspaltung, ist gruselig auf die Spitze getrieben. Dissoziationen, so grausam sie erscheinen mögen, entstehen durch großen Leidensdruck.

Und dann das große Rätsel: sechsmal die Queen. Hier geht es nicht um die grausame Queen, die im Komplott gegen Diana...nein, hier geht es um die Majestät. Eine positive Frau, sie lächelt, sie ist zuversichtlich, sie ist immer präsent - sie symbolisiert das Leben nach der Befreiung. Wenn der Ehemann sie nicht mehr entwertet, wird sie würdig, mit ihr Tee zu trinken. Der imaginäre Ersatzpartner, ziemlich krank, wie kommst Du nur auf so etwas? Es paßt.

Karla braucht ein bisschen Schlaf, sie muss ja nichts überstürzen.
Der Schlag mit dem Ziegelstein hat alle ihre Kraft gekostet, die Euphorie wird nicht von Energie getragen, im Gegenteil: sie hat zu lange sich und ihr Lebensproblem durch diesen Mann definiert, jetzt ist er weg und auch sie verliert ihre Identität, ihre Lebenskraft ... Leidensgemeinschaften können ungemein stabilisierend sein.

Das entspricht nicht der für Kurzgeschichten optimalen Spannungskurve, aber es entspricht dem Spannungsverlauf, der sich in dieser Frau entwickelt; nach der Tat ist sie ein Luftballon, der seine Luft schlabbernd abläßt.
Wehe, wenn sie wieder aufwacht.

Deine Geschichte beschreibt die Minuten nach der Tat, für mich viel interessanter als die Jahre vor der Tat - die sind in der Geschichte ja auch enthalten. Die Frau hast Du mir nahegebracht, gerade wegen des langsamen Wegsackens nach der Tat. Und ein bißchen englisch ist sie auch.

Gruß Set

 

Hallo Jutta,

die Geschichte kommt very British rüber, nicht nur wegen des Titels. Auch der Mord und die Art, wie du diesen Mord beschreibst, hat so was Englisches.

Ich finde es beeindruckend, was du sprachlich und nuanciert aus einem simplen Mord herausholst. Das ist sprachlich feines und edles Teegebäck, möchte ich mal sagen.

Das Einzige, was mich ein wenig gestört hat, ist Folgendes:

Zitat: Karlas Fingerspitzen betasten die geschwollene Haut unter ihrem rechten Jochbein. Noch zwei, drei Tage schätzt sie, dann merkt keiner mehr was. Karla hat Erfahrung. Der Fleck schillert schon nicht mehr blau, geht ins Gelbliche über.

Ich weiß nicht, ob du es von Anfang an vorhattest, an irgendeiner Stelle das Motiv für den Mord zu liefern. Ich fände die Geschichte ohne diese Stelle aber viel besser, weil irgendwie subtiler. Überlass es doch dem Leser, sich dazu Gedanken zu machen, ob und welchen Grund Karla am Ende hatte, Schorschi ins Jenseits zu befördern.

Die Geschichte ist so fein gesponnen, da kommt mir diese plötzlich Erklärung etwas platt daher. Ich bin so oder so auf Karlas Seite, auch wenn sie einfach nur ganz spontan gehandelt hat, weil alles sich grad so schön ergeben hatte. Muss doch nicht immer alles einen Grund haben, oder?

Hat mir sehr gefallen, würde mir aber bei Streichung der genannten Stelle noch ein bisschen mehr gefallen ;-)

Rick

 

Hallo Sam,
ja, die sich einschleichende Banalität ist schon Absicht. Ich habe vor einiger Zeit eine Zeitungsnotiz über einen Mord gelesen. Da hat eine Frau ihren Mann nach jahrelanger Demütigung und Mißhandlung im Affekt umgebracht. Sie hat die Schlafzimmertür abgeschlossen und das Ganze verdrängt, weil sie nicht wusste, was sie tun sollte. Erst, als der Mann auf seiner Arbeit vermisst wurde, ist die Polizei irgendwann zu ihr gekommen. Die Frau hat gesagt, sie habe es einfach nicht mehr aushalten können. In meiner Fantasie habe ich mir dann vorgestellt, dass unmittelbar nach der Tat eine gewisse Euphorie herrscht, die dann aber rasch verflacht, weil die Umstände ein neues Leben nicht ermöglichen, aber auch, weil Karla gar nicht wirklich die Nerven dazu hat. Es bleibt eine Affekttat, allerdings ohne Reue. Dir herzlichen Dank und einen schönen Restsonntag.
Jutta

Hallo Giraffe,
es ist schon leicht, Karla nicht zu verurteilen, gelle? Vielleicht auch, weil man sie rasch in die Nähe des Wahnsinns stellen kann? ich weiß es selbst nicht so genau; doch irgendwie scheint sie zu ahnen, dass alles nicht so unbeschwert bleibt...Danke für deinen Kommentar.
LG
Jutta

Hallo NikitaF,
deine Korrekturvorschläge werde ich mir genauer ansehen und umsetzen, viele scheinen mir sinnvoll zu sein. Nur den Schorschi, den lasse ich mir nicht wegnehmen.... Vielen Dank für deine Mühe.
LG,
Jutta

Hallo sammamish,
weiter oben habe ich erklärt, wie diese Geschichte entstanden ist; Karla war einfach an dem Punkt angelangt, wo das Fass übergelaufen ist, kein riesiger Anlass, nur der letzte Tropfen sozusagen. Das wollte ich durch den Hinweis auf die geschwollene Wange andeuten, ohne es lange platt zu walzen. Sie ist sicher nicht Jack the Ripper, doch es bleibt die Frage, wo Irrsinn anfängt. Freue mich über deinen Kommentar und das Lob. Herzlichen Dank.
LG,
Jutta

Hallo set,
schön, dass du die Geschichte so siehst und sie dir gefällt; kommt meiner eigenen Intention sehr nahe. Besonders toll finde ich, dass du sie auch noch ein wenig englisch findest! Ganz herzlichen Dank.
LG,
Jutta

Hallo Rick,
noch mal ein Danke für den britischen Anklang! Also: Ein Mord so ganz ohne Verweis auf das Motiv...? Ich weiß es nicht, doch wenn ich so eine geschichte lesen würde, würde ich sicher fragen: Warum hat sie das denn gemacht? Es würde mir, glaube ich, zu stilisiert vorkommen. Es ist schon wichtig, dass der Leser sich ein Bild von der Person machen kann, dazu gehört ein Motiv. Meiner Meinung nach bleibt ohne Motiv die Auseinandersetzung mit Karla auf der Strecke.
LG,
Jutta

 

Hallo Jutta,

natürlich verstehe ich, was du meinst, aber ohne diesen Hinweis wäre es um einiges hintergründiger. Es nicht zu erwähnen, schließt diese Möglichkeit ja dennoch nicht aus, erlaubt mir aber als Leser viel mir Freiräume, selbst darüber nachzudenken bzw. auszufantasieren, warum es zu dieser Tat kam. Mich würden da echt mal andere Meinungen interessieren, vielleicht liege ich da auch falsch ...

Sorry, wenn ich etwas beharrlich wirke, es ist ja letztendlich dein Text und deine Entscheidung, aber ich finde, du verschenkst da eine große Möglichkeit!

Rick

 

Hallo Rick,
Beharrlichkeit ist völlig okay, es gibt doch immer viele Sichtweisen und jede Fantasie ist anders. Andere Kommentare fände ich ebenfalls schön.
LG,
Jutta

 

Hallo Jutta,

leider hatte ich bei deiner Geschichte den Eindruck, die schon mal gelesen zu haben. Also das Motiv einer unglücklichen Hausfrau, die sich nach dem Mord an ihrem Mann neu geboren fühlt, ist mir irgendwie wahnsinnig geläufig. Und eine Geschichte, die von Anfang bis Ende nur das beschreibt, bietet mir inhaltlich nichts neues.

Hier ist das ganze von Frau H. zum Beispiel
http://www.kurzgeschichten.de/vb/showthread.php?t=38496
Die endet halt mit dem Mord, deine beginnt damit. Und für den Ausdruck der "Freiheit" werden dann andere Motive und Worte gefunden, aber für mich ist die Geschichte hier einfach verpufft.

Das Thema schien mir schon zu bekannt, die Geschichte konnte ihm nichts Neues hinzufügen. Und erzählt wird sie zwar sanft und leise - wie ich das normal gerne mag, aber das allein reicht mir dann einfach nicht.

Gruß
Quinn

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Quinn,
habe die Geschichte von Andrea gerade gelesen, kannte sie vorher nicht, doch dieses Motiv ist natürlich nicht sooo außergewöhnlich. Mir gefällt es dennoch. Gerade die möglichen Varianten sind interessant, so ist es doch bei vielen Motiven, man denke nur an Liebe, Eifersucht u.s.w. Verstehe aber, wenn es dich nicht vom Hocker reißt!
LG,
Jutta

 

Hallo Quinn und Jutta,
es ist immer einschränkend, wenn man eine Geschichte mit dem Plot identifiziert: Frau bringt Mann um. Diese Plots können die Basis einer unendlichen Vielfalt von Geschichten sein; wie sich Menschen unterscheiden können, deren Skelette ähnlich sind.

Andreas Geschichte handelt von einer Frau, deren Energie zu ihrem Mann fließt, ohne daß sie es verhindern kann; wenn sie nicht handelt, ist sie am Ende tot. Es gibt diese Energieflüsse zwischen Menschen, selten sind sie ausgeglichen, aber wenn einer immer nur saugt wie ein Baby, ist der Partner irgendwann am Ende.

Juttas Frau hat kein Problem mit ihrer Lebensenergie, sie ist gerade zu aufgeladen durch die ständige Zurückhaltung im Leben. Ihr Problem ist die Entwürdigung, die fehlende Möglichkeit, durch den Partner sich selbst zu empfinden, und die Gewalt.

So gegensätzlich wie die Frauen sind auch die Spannungsbögen der Geschichten: es hat seinen Sinn, daß die eine mit dem Mord endet und die andere mit dem Mord anfängt.

Es könnten noch einige den Plot wiederholen und neues schreiben. Oder eben auch nicht. Aber diese beiden Geschichten bringen wirklich neues.

Gruß Set

 

Hallo Jutta,

mir gefällt dies Geschichte wegen der Leichtigkeit, mit der die Frau ihre Entscheidung getroffen hat, den Mann zu töten.
Sie tat es wie jemand, der angstfrei ist.
Sie tat es wie jemand, der loslassen kann.
Sie tat es wie jemand, der frei ist.

Hat mir gefallen

GD

 

Hallo Jutta,

ich komme endlich dazu (nein, eigentlich kann ichs mir zeitlich gar nicht leisten, dazu zu kommen) eine deiner Geschichten zu lesen und kann danach vollständig nachvollziehen, wieso meine Geschichte für dich rundweg nur eine Enttäuschung war.

Ich würde verdammt gerne Ricks 1. Kommentar komplett hier hereinkopieren und mitteilen, dass ich mich ihm vorbehaltlos in allen Gedanken und Gefühlen anschließe. Er spricht das aus, was ich empfunden und gedacht habe.

Ich versuche es trotzdem mit eigenen Worten:

dein Schreibstil ist einfach imponierend gut. Gut zu lesen, farbig, nicht überzogen und anschaulich. Für mich hat dein Schreibstil Vorbildfunktion, auf jeden Fall für mich.
Klar, gibt es hier auf kg noch mehr gute Autoren, aber dein Stil, die Dinge ins rechte Licht zu rücken und nicht ausschweifend daher zu kommen, gefällt mir ungemein gut.
Ich habe bestimmt nicht die letzte Geschichte von dir gelesen.

Mir hat dieser kleine Ausschnitt aus Karlas Leben sehr gut gefallen. Sie stand vor meinem Auge und ich war direkt neben ihr im Wohnzimmer und in der Küche.

Der Titel hat mich etwas in die Irre geleitet. Ich war der festen Überzeugung, dass die Szene in Great Britain spielt, den Kamin und die Holzscheite hatte ich zudem als wichtiges Requisit eines englischen Landhauses betrachtet und war an der Stelle, an der Karla an Iris Berben denkt und später Rex Gildo trällert etwas irritiert und musste fix umdenken.
Hat aber nicht wirklich wuchtig gestört.

Ricks Hinweis, dass ein Tatmotiv nicht erforderlich ist, greife ich auch auf. Die Geschichte funktioniert auch ohne. Vielleicht sogar noch besser als mit.

Auch, wenn Setnemides sich jetzt gleich berufen fühlen mag, auf die Einzigartigkeit jedweder Geschichte hinzuweisen, womit er zweifelsohne ja nicht falsch liegt, hat mich dein Plot, aber mehr noch das Verhalten Karlas mächtig an eine Kurzgeschichte der Krimiautorin Regula Venske erinnert.

Dort spielt die Geschichte in England und die alleinstehende Wirtin eines Bed and Breakfast Häuschens bringt mit dem Beil ihren einzigen deutschen älteren Gast beim Frühstück um.
Insoweit natürlich nicht vom Sachverhalt her vergleichbar, wenngleich diese Dame am Ende auch in ihrer Küche sitzt und in Ruhe eine Tasse Tee trinkt.

Aber die Stimmung, in der beide Damen sind, ihre Art, es zu tun, diese Beherztheit, dieses jetzt erst drüber nachdenken, wie es weitergeht, diese Gelassenheit bei all dem Tun, die sind identisch.
In beiden Fällen steht man auf der Seite der Täterin und beginnt die Schrulligkeiten mit einem leichten Grinsen zu goutieren.

Zurück zu dir:

gut gemachte Geschichte! *Chapeau*

Lieben Gruß
lakita

 

Hallo Jutta!

Ich mag deine Geschichte. Ja, es ist ein abgeklopftes Thema, keine Frage, aber die Leichtfüßigkeit mit der du es erzählst, beeindruckte mich.
Sprachlich und stilistisch sauber geschrieben, weiß gar nicht, wo ich da konstruktive Kritik anbringen könnte.
Mir erschien der Wahnsinn, und es ist immer ein solcher, der zu einer derartigen Tat führt, sehr schön dargestellt. Die Täterin verhält sich, als wäre gar nichts besonderes passiert. Als hätte sie nur eben eine lästige Fliege zerklatscht. Sie tänzelt durch die Wohnung, träumt von gepflegten Händen, macht sich eine Tasse Tee, rückt Bilder zurecht, ist mit ihren Gedanken irgendwo, nur nicht bei der schrecklichen Bluttat. Diese Art von Realitätsflucht ist bei weiblichen Gewalttätern gar nicht so selten, wie ich zu wissen meine. Gut gemacht!

Nette Grüße,
Manuela :)

 

Hallo goldene Dame, lakita und Manuela,
zunächst heissen Dank für eure schönen Kommentare und auch dafür, dass ihr Karla alle so gut verstehen könnt! Neue Erkenntnisse mal wieder, die aber eigentlich gar nicht so neu sind: Der Titel führt schon irgendwie in die Irre, ich selbst habe mir gar keine Gedanken darüber gemacht, dass man an England als handlungsort denken könnte, dabei stimmt es natürlich. Spannend finde ich auch, dass Karla zum Teil als 'frei' gesehen wird. Ich habe sie in erster Linie als abhängige, eingeschüchterte Frau gesehen, die einfach nicht weiterkommt und impulshaft ihre angestaute Wut sozusagen als Überlebensmittel einsetzt, eine kurze Highphase erlebt und dann doch wieder in Hilflosigkeit versackt. Eure Kommentare sind sehr hilfreich, immer wieder andere Sichtweisen nachzuvollziehen, die ja auch viele neue Möglichkeiten des Schreibens bedeuten.
LG,
Jutta

 

Hallo Jutta,

den Plot habe ich gerade bei einer anderen Geschichte als langweilig kritisiert.
Bleibt er natürlich, was deine Geschichte aber aus dieser Langeweile ausnimmt, ist zum einen die etwas spinnerte Kommunikation mit der Queen, aus der letztlich die Träume deiner Protagonistin sprechen, zum anderen der Affekt, aus dem die Handlung passierte. Auch macht sich diese Frau keine Gedanken um Entsorgung der Leiche, nur den Ziegelstein wäscht sie (obwohl uns CSI doch fast täglich aus irgendeiner Metropole der Welt berichtet, dass es da spezielle Lampen gibt ...). Sie träumt nur, wünscht, fast Pläne und ist doch so müde, dass sie nach dem Tee erstmal schlafen muss. Sie hat nichts von der klischeehaften "raffinierten Giftmörderin", von der typischen "leisen Rache", sie gar nichts von Rache. Und darin unterscheidet sich deine Geschichte. Die Protagonistin ist glaubwürdig und nicht nur eine schlechte Kopie großartiger Ingrid-Noll-Charaktere, bei der man sich fragt, wieso denn all die Rafinesse nicht schon früher angewendet wurde.
Deiner armen Frau wünscht man, sie möge sich auch noch erleichtert fühlen, wenn sie wieder erwacht.
Details:

Die lange Haarsträhne, die sich Schorschi quer über den Kopf kämmt
Tempus
Sattrotes Blut tropft im Sekundentakt auf den Teppich.
(Satt)rotes Blut ist wie grünes Gras oder ein weißer Schimmel. Die Farbe ist redundant, wenn sie nicht ungewöhnlich ist.
Die Schultern schmerzen, doch in Karlas Beinen ist noch so viel Hüpfspannung.
Hüpfspannung ist irgendwie ein dämliches Wort und reißt hier völlig aus der Atmosphäre.
In der Küche öffnet Karla das Fenster. Nebelfeuchte, mausgraue Novemberkühle strömt hinein. Sie schließt die Augen und atmet, atmet.
Bezugsproblematik. so schließt die Novemberkühle die Augen.

Lieben Gruß
sim

 

Hallo sim,
danke für die Anregungen, habe sie übernommen bis auf die Sache mit der Haarsträhne. Das steht im Präsens um zu verdeutlichen, dass Schorschi für Karla noch nicht wirklich tot ist, sie ist noch ein bisschen im Schwebezustand. Dein Kommentar hat mich natürlich sehr gefreut, obwohl ich kein Noll-Fan bin!
LG,
Jutta

 

Hallo Jutta,

bei der Haarsträhne meinte ich eher, dass Schorsch sie sich aber in diesem Moment ganz sicher nicht mehr kämmt. Es wirkt halt in sofern etwas komisch, wenn er erst unter einem Ziegelstein, der ihn auf den Kopf geschlagen wird, zusammenbricht und sich im nächsten Moment noch die Haare kämmt. Vielleicht findest du etwas anderes, um darzustellen, dass er für Karla noch nicht tot ist.

Lieben Gruß
sim

 

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