Hallo Murphy,
toll, wenn du Spekulatives schreibst / schreiben willst. :-)
Ich denke nicht, dass deine Probleme wirklich mit Tell vs Show zusammenhängen. Nah oder fern ist nicht eine Frage dessen, sondern der Art, wie sich der Autor dem Thema gegenüber positionieren will, und wie er dann die Stimme / Haltung des Erzählers gestaltet. SF ist für mich keineswegs eine kühle, distanzierte Erzählweise im Berichtstil, im Gegenteil. (Klar gibt es das auch, solche Military Space Operas, die lese ich allerdings auch nicht.) Zudem gibt es sehr nerviges, aufdringliches und billig wirkendes Show, bes. in der Deep-POV Perspektive.
"tell"-Teile sind für mich beschreibende Abschnitte des Erzählers. Also fern ab vom Protagonisten oder einer anderen Figur oder Handlung in der Geschichte.
Klingt jetzt vllt. blöd, aber der Erzähler erzählt ja nur eine Geschichte - das kann er über Beschreibungen tun, die vom Prot bzw. Erzähler distanziert wirken sollen, oder auch, indem er selbst eine Haltung zu dem Beschriebenen einnimmt (von mir aus über Assoziationen, Erinnerungen, aber auch von außen / auktorial übergeordnet und dann eben mit einer dezidiert individuellen Sicht / Ton / Haltung und einer eigenen Poesie sozusagen ...). Also ist ein per se "fern ab" erstmal Nonsense - willst du deinen Erzähler nah dran am Geschehen / Setting und nicht nur an Prots, müsstest du versuchen, das durch seine Perspektive / Haltung auszudrücken. Dazu brauchst du weder Dialoge noch Briefe oder Tagebücher. Das muss nichtmal ein personaler Erzähler sein, sondern auch ein eher auktorialer, quasi 'körperloser'.
Mir ist klar, dass man gerade bei Geschichten die im Alltag spielen oder in spannungsgeladenen Texten möglichst nah an der Hauptfigur bleiben sollte. Aber wie ist das bei Texten, die in einer fiktiven Welt spielen, von der es viel zu vermitteln gilt.
Dann ist dein Erzähler eben in einer Welt, in der es viel zu vermitteln gibt, nah am Prot. Dann muss das Setting da eine Bedeutung für den Prot haben, oder es ist neu für ihn, deshalb auffällig etc. Theoretisch sind da kaum Grenzen gesetzt, und schon gar nicht durch's Genre. Oder er ist nicht nah an einem Prot, sondern nah am Geschehen überhaupt - also nah an der Situation / Setting etc. nicht an einer einzlenen Bezugsperson / Prot. Ehrlich gesagt verstehe ich zwar das Problem, einen guten Erzähler zu schreiben, aber nicht in Abgrenzung Alltags- vs SF-/Fantasytext.
Desto kreativer oder abstrakter, desto besser.
Was wäre hier 'abstrakt'? Szenen ohne Menschen, mit Menschen aber ohne Dialoge, nur mit Setting ...? Das muss nicht zwangsläufig abstrakt sein. (Welchen Roman findest du denn z.B. abstrakt?)
Dabei gibt es viele Möglichkeiten das zu bewerkstelligen ohne alles nur plump als Erzähler zu beschreiben. Zum Beispiel durch Tagebucheinträge oder Erinnerungsrückblenden.
Ich lese tausend Mal lieber einen Erzähler, der mir engagiert oder sonstwie interessant ein Setting nahebringt, als dusselige Tagebücher oder Erinnerungen einer Person. Ich glaube, das ist einfach Handwerk, ob dein Erzähler 'plump' ist oder nicht - auch könnte er das genauso in einem Alltagstext sein.
Ein weiteres Problem ist, dass es Texte mit dem Format einer Kurzgeschichte extrem aufbläst und in die Länge zieht, ohne Handlung zu geben.
Im spekulativen Genre gilt wie bei allen anderen auch: streichen, was nicht irgendwie die Geschichte vorantreibt - alles muss einen Grund haben. Wenn du über 2 Seiten eine Raumstation in allen Details beschreibst, aber nichts davon hat eine Bedeutung für den Plot oder die Prots, hat das da keine Berechtigung. Wenn du nur beschreibst, was auch für die Geschichte sinnvoll ist, was die Handlung stützt, müsstest du zwangsläufig verhindern, langweiligen Infodump zu liefern. Auch hier hängt das aber nicht mit dem Genre zusammen, sondern mit dem Handwerk.
Da gebe ich auch zu bedenken, dass das ursprüngliche Format der modernen SF die Kurzgeschichte war. Vllt. schaust du mal in eine gute Anthologie rein, wie das da gelöst wird?
Ich lese grad viel Kurz-SF, falls Englisch kein Problem ist, empfehle ich die von Mike Ashley herausgegebene Reihe British Library Classic Science Fiction (u.a. mit den Themen: AI, Zeit, Weltende, Monster) oder zwei Wälzer mit bewunderswerter chinesischer SF, Ken Liu presents Invisible Worlds und Broken Stars. Als Hard SF Roman mit engagiertem Erzähler empfehle ich Cixin Liu: The Dark Forest (auch auf Dt übersetzt). So klingt es da, ohne Menschen, ohne Dialog und dennoch total 'nah' und poetisch, rein auktorialer, übergeordneter Erzähler:
"The two dark ships became one with the darkness, separated by the Solar System and drifting further apart. Carrying with them the entirety of human thoughts and memories, and embracing all of the Earth's glory and dreams, they quietly disappeared into the eternal night."
Noch die kleine Anmerkung: Ich lese eigentlich gerne Bücher mit "tell"-Teilen, weil dann die Vorstellungen, die man sich macht, gleich richtig sind und man schnell im Geschehen ist. Zum Beispiel lese ich gerne Bücker von Iain Banks
Ich auch, ich mag eigentlich Dialoge gar nicht so gern und habe schon spekulative Romane gelesen, die fast vollständig ohne auskommen (wird in Finnland gern gemacht, das hat dann meist Icherzähler + Präsens).
Banks lese ich übrigens auch ausgesprochen gern, obwohl ich sonst SF aus Osteuropa bevorzuge (weil sie sehr politisch / symbolistisch und philosophisch ist).
Eine Sache ist für dich von Vorteil, wenn du SF schreibst und Bedenken hast, dein Erzähler wäre zu kühl: Das Prinzip des Settings / Themas als Protagonisten. Bzw. des neutralen personalen Erzählers, der kein komplexer Charakter ist, sondern wie eine leere Maske, nur dazu da, damit der Leser die (fremde) Welt durch seine Augen erleben kann - wie z.B. oft bei Lem, Lovecraft, den Strugatzkis. Der eigentliche 'Protagonist' ist das Thema, das der Geschichte wie eine doppelte Ebene zugrundeliegt. (Bsp: in
Dracula geht es offensichlich um einen Vampir, der sich an die Frau seines ehemaligen Gastes + weitere Leute ranmacht und den Vampirvirus verbreitet; eigentlich wird aber etwas anderes erzählt: Viktorianische Sexualität, die Angst vor dem Fremden, die Angst - ganz banal - vor Kontrollverlust, dem Unbekannten, dem Tod.) Diese Variante kannst du in einer Alltagsstory so gar nicht erzählen, da hast du mit der Genrewahl sogar einen enormen Vorteil, kein Hindernis.
Falls dich das Prinzip des neutralen personalen Erzählers interessiert, lies mal Michael K. Iwoleit: Reductio ad absurdum. Acht Essays zur Short Science Fiction, und dort jenes mit dem Titel des Buches, bes. S. 29f).
Ich lese mehr SF, daher die Bsp, gleiches gilt aber auch für Fantasy, wie auch generell für spekulative Fiktion.
Kennst du James Wood: How Fiction Works / Die Kunst des Erzählens? Da ist ein toller Abschnitt über Erzählhaltungen und -stimmen. (Immer noch nicht leicht, selbst hinzukriegen, dort aber zumindest genial erklärt).
Hoffe, du kannst damit irgendetwas anfangen, und ich bin gespannt auf deinen Text später.
Liebe Grüße,
Katla