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The little Boy
Es war sehr schwül und in den Baumwollfeldern stachen die Moskitos unbarmherzig zu. Ihr Surren erfüllte die Luft schon seit Wochen, aber im August, dem Höhepunkt der sommerlichen Hitze, war es besonders penetrant. Die Muskeln der Pflücker schmerzten von der harten Arbeit. Aber sie durften sich keine Pause gönnen. Die Ernte musste eingebracht werden, bevor es regnete. Früher war es Sklavenarbeit, dachte Samuel, als er plötzlich den Motorenlärm eines Flugzeuges hörte. Er sah zum Himmel.
„Siehst du etwas“, fragte einer seiner Mitgefangenen. Weil es diesig war, konnte Samuel das Flugzeug nicht sehen. Er erkannte das Geräusch.
„Eine Boeing“, antwortete er.
Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, blitzte ein gewaltiges Licht auf. Die weiße Farbe im Kopf, trotz der geschlossenen Lider, spürte Samuel die Hitze des Lichts, die Haut und Haar versengte. Ungläubig bemerkte er, wie die Luft um ihn herum fort gesogen wurde. Er konnte kaum noch atmen. Dann hörte er den Knall. Eine gewaltige Druckwelle riss die Arbeiter zu Boden. Samuel fühlte, wie die Trommelfelle seiner Ohren platzten. Warmes Blut rann ihm übers Gesicht, Blut lief aus seinen Ohren. In panischer Angst umklammerte er seinen Kopf. Nur noch vom Instinkt geleitet, verharrte er wie ein Tier iin Winterstarre. Samuel wurde ohnmächtig.
Als er wieder erwachte, fühlte er seinen Verstand nur langsam zurückkommen. Es regnete und die stetigen Tropfen hatten ihn geweckt. Auch war es dunkel. Samuel hatte das Gefühl für die Zeit verloren. Es musste Nacht sein, oder seine Augen waren verblitzt, denn sie brannten. Samuel zitterte, denn es war auch ungewöhnlich kalt geworden. Der Regen war schwarz. Er blieb an Haut und Kleidung schmierig kleben. Samuel sah, dass er sich geirrt hatte. Es war noch Tag, nur dass dunkle Wolken den Himmel verdüsterten. Die Boeing, wo war sie?
Obwohl ihm schwindelig war, mühte er sich ab, seinen Mitgefangenen zu Hilfe zu eilen. Viele hatten Wunden, die er noch nie gesehen hatte. Die Haut der Verletzten war wie die einer reifen Frucht bei Regen geplatzt und mit blutigen Punkten übersät.
Samuel hatte Glück gehabt. Er schaute an sich herunter. Keine offensichtlichen Verletzungen. Trotzdem wurde er in ein Krankenhaus gebracht. Sogar seine Frau durfte ihn, den Lebenslänglichen, besuchen.
Es war schön, Anne in den Armen zu halten. Ihr Körper war weich und willig.
„Eine Missgeburt, hörte Anne sie sagen. Die Hebamme nahm das Kind an sich und hüllte es fest in eine Decke ein. „Vielleicht stirbt es sofort“, sagte sie leise zum Arzt. Dr. Flemming antwortete nicht. Er war mit der Mutter beschäftigt. Der Dammriss musste genäht werden.
Anne streckte die Hände nach ihrem Kind aus. Sie wollte es und bekam ein Bündel. Behutsam strich sie mit ihren Fingerspitzen das Flanelltuch auseinander. Ihr Herz trommelte, weil sie es kaum erwarten konnte, ihren Sohn anzusehen: Unschuldig, weich und grau von Käseschmiere, das Köpfchen bedeckt mit einem schwarzen Flaum. Das Gesicht ein Abbild seines Vaters. So sollte es sein.
„Sie brauchen es nicht anzusehen“, sagte der Arzt und näherte sich. Anne presste das Bündel an sich.
„Gehen Sie!“, flüsterte sie. Ihre Wangen waren eingefallen. Dunkle Schatten lagen unter ihren Augen. Und doch blitzten sie auf. Dr. Flemming sah zu Boden. Er kannte diese Art von Frauen. Waren sie doch taff genug, um zu begreifen: Der Tod ist manches Mal gnädiger zu ihren Kindern als das Leben. Unmerklich schüttelte er seinen Kopf.
„Er soll Sam heißen, nach seinem Vater“. Anne hielt die Augen geschlossen und streichelte das Baby. Tränen der Erschöpfung quollen unter den Lidern hervor und liefen ihr übers Gesicht. Ihre Stimme bebte.
„Gott sei seiner Seele gnädig!“
So sehr Anne auch ihren Glauben bemühte, Dr. Flemming wusste es besser.
Dieses Kind war nicht aus Liebe gezeugt worden. Es war ein Versuch, bestenfalls ein Irrtum, sein Irrtum.
„Warum trinkt er nicht?“
Anne hatte Sam angelegt. Das Kind suchte, schnappte aber nicht nach der Brustwarze, an der sattgelbe Tropfen hingen. Die Zunge schnalzte vergeblich in dem Spalt des Kiefers, der anstelle eines menschlichen Mundes zu sehen war.
Der Junge versuchte zu saugen. Nur konnte er keine Lippen schürzen, um die Brustwarze zu umschließen.
Dr. Flemming schluckte den Kloß im Hals herunter. Die zur Schau gestellten Instinkte des Kindes berührten ihn.
„Schwester! Geben Sie dem Kind eine Zuckerlösung.“, sagte er.
Die Schwester sah ihn an, als sei er verrückt geworden.
„Nun machen Sie schon. Mit der Pipette.“, sagte er, als diese ihn immer noch anstarrte.
„Anne, Sie können ihre Milch abpumpen und Sam mit der Pipette füttern.“
Die Andeutung eines Lächelns huschte über Annes Gesicht. Sie ließ zu, dass Dr. Flemming ihr das Bündel aus den Armen nahm.
„Ihre Empfehlung?“ fragte die näselnde Stimme.
Dr. Flemming stand auf und nickte dem Präsidenten und seinen Beratern zu.
Er wusste, der Krieg war furchtbar und ihn nicht zu beenden, wäre eine Katastrophe.
„Die Auswirkungen“, begann er, „werden langfristig sein...“