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Theater mit Phil

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08.01.2018
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Theater mit Phil

Phil war pubertierende fünfzehn als sein Vater mich ihm vorstellte. Seine Mutter war gestorben als Phil neun war. Ich war das Schlimmste, das er sich vorstellen konnte. Der fleischgewordene Hochverrat an dem Menschen, den er am meisten vermisste.
Es war nicht so, dass ich mir Ulf an Land gezogen hatte. Wir waren eine dieser über drei Freundesecken verkuppelten Unwahrscheinlichkeiten, die dann doch aufgehen. Ein paar Abende, ein paar Gläser Wein, ein paar nette Gespräche, ein erster Abend zu zweit, ein zweiter in meinem Bett. Keine peinliche Teenagerliebe, keine stürmischen Küsse, eher aufrichtige und beiderseitige Liebe.

Unser Kennenlernen ist jetzt vier Jahre her, seit zwei Jahren ist Ulf wieder mehr auf Montage. Phil hat sich nicht nur an mich gewöhnt, wir haben sogar ein paar Gemeinsamkeiten entdeckt. Mindestens eine davon halte ich als Illusion mühsam am Leben.
Phil sitzt auf der Couch, hält sein Rotweinglas umklammert und sieht fasziniert zu, wie die eindeutig Guten den eindeutig Bösen „die Fresse polieren“, wie er es ausdrückt. Vorher war das andersrum, aber innerhalb von belanglosen fünfzehn Minuten hat sich das Blatt gewendet. Absolut überraschender Verlauf der brillanten Storyline. Nicht einmal nach dem dritten Rotwein.

Ich frage mich, warum mir nach zu viel Wein immer die Tränen in die Augen steigen, wenn ich an Ulf und mich denke. Vielleicht liegt es an mir, dass er mich nicht sofort bespringt, wenn er von der Montage zurückkehrt. Vielleicht muss ich ihm einfach mehr bieten. Eine Idee, die auch mindestens drei Gläser braucht, um sich auch nur halbwegs vernünftig anzuhören.

Werbepause. Phil steht auf, sieht auf mein Glas und hält mir seine Hand hin.
„Auch noch eins?“
„Klar, danke.“ Meine Stimme klingt, wie ich mich fühle.
„Alles okay?“
„Ja, klar.“ Ich bin eine miserable Lügnerin und ein die meiste Zeit unreflektierter Haufen Elend.
„Weinst du?“
Jetzt ja. Danke dafür. „Schon gut, ist nichts, hab ich schon mal.“
Er nickt, glaubt mir offenkundig kein Wort, zieht aber ab.

Phil kommt mit zwei Eimern Wein wieder. Sie sind aus Glas, fassen wie die, die er mitgenommen hat, einen halben Liter und sind, anders als die von mir eingeschenkten, randvoll.
„Willst du mich abfüllen?“, frage ich mit echtem Entsetzen. Meine Stimmung ist vergessen, für geniale drei Sekunden.
„Nein, ertränken.“
Ich grinse, wenn auch nur kurz.
„Ich renn' doch nicht dauernd in die Küche. Außerdem, wenn du mir so erzählst, was los ist …“
Ich atme tief durch, weil das heute schon der zweite Moment ist, in dem er mich durch so gut wie nichts fast zum Heulen gebracht hat.
„Ach, albern eigentlich“, ich proste ihm zu und nehme einen großen, Mut machenden Schluck, „ich denke an alte Zeiten, wobei damit ganze zwei Jahre gemeint sind.“
„Gut, da habe ich immerhin schon gelebt.“
Ich boxe ihn in die Seite, er ignoriert das und grinst.
„Gott, ist das peinlich“, winde ich mich, aber es muss raus, das weiß ich selbst am besten und ohne diesen alkoholischen Nebel, würde ich es nie erzählen.
Er trinkt einen großen Schluck.
„Geht es um mich? Soll ich irgendwas …“
„Nein! Es geht um deinen Vater. Um mich. Um uns beide. Um Se… uns.“
„Sex, wolltest du sagen?“
Ohne Nebel hätte er das nicht gefragt.

„Ja, schon, irgendwie, also auch. Ach, fuck! Früher ist dein Vater über mich hergefallen, nachdem er auf Montage war. Heute komme ich mir vor, als müsste ich lächerliche Tanzübungen vor ihm veranstalten, damit er einen ho…“
„Keine Details, alles klar.“
„Tschuldigung. Ich glaube einfach manchmal, dass er mich nicht mehr attraktiv findet.“
„Kann ich mir nicht vorstellen.“
Mehr Information bitte. Das ist kein ganzer Satz für eine Frau. Warum nicht? Warum genau nicht? Warum außerdem nicht? Männergespräche müssen zu fünfzig Prozent telepathisch verlaufen, sonst könnte da nie was bei rauskommen. Ich sehe ihn fragend, dann auffordernd an. Peinliche Stille.
Phil sieht aus, als wollte er mich in den Arm nehmen und ich muss mir eingestehen, dass ich einen Arm gebrauchen könnte. Die Tränen wollen zurückkehren und werden mit einem aus Rotwein bestehenden Gegenfeuer in Zaum gehalten.
„Also ich finde, dass du noch immer eine schöne Frau bist.“
„Danke, das ist nett.“ Das ist die Untertreibung des Jahres, weil ich mich an nichts Vergleichbares aus dem Mund seines Vaters erinnern kann, seit … was weiß ich. Mein Selbstwertgefühl liegt da wie ein halbherzig poliertes Silberbesteck, das man zwar gerne vorzeigt, mit dem man aber nicht isst. Ich gieße Rotwein darüber, damit es wenigstens für den Rest des Abends glänzt.
Phil hat vermutlich das Gegenteil von dem ausgelöst, was er beabsichtigt hat. Die Sehnsucht nach einem Gefühl, das noch nicht lange genug her ist, um es vergessen zu haben und zu lange, um es noch zu spüren. Ich kann mich noch an Ulfs Blicke erinnern, an die Hände danach, den Geruch von Schweiß unter der Decke und seinen Geruch, wenn wir noch eine Weile liegen blieben.
Immerhin beinhaltet Sehnsucht auch ein paar schöne Erinnerungen. Phil zerrt mich aus deren Umarmung, indem er aufsteht.
Er sieht mich an, hält mir seine Hand hin, sieht auf mein noch halbvolles Glas.
„Oh, war ich wohl etwas schneller als du.“
Ich trinke mein Glas in einem Zug aus und halte es ihm hin.
„Etwas.“

Mit neuer Politur ausgestattet, sitzen wir auf der Couch und sehen wieder auf die Glotze. Meine Füße liegen auf dem Tisch und ich bin eine entspannte Ulf-Versuchung auf zwei atemberaubend tanzenden Beinen, bis mich eine Panzerfaust ins Leben zurückruft.
„Ist das der, der auch diesen Kurierfahrer gespielt hat?“
„Wer?“
„Der ohne Panzerfaust.“
„Hab ich jetzt nicht gesehen“, gesteht er und rutscht sich zurecht.
„Ich denke, du guckst das?“
„Ja, schon.“
Ich bohre nicht nach, stelle aber nach nur einer Minute fest, dass er entweder schielt oder auf meine Füße statt auf den Fernseher sieht.
Ich überlege, was an meinen Füßen nicht stimmt. Zehn Zehen, Keine Alien-Bewegungen unter der Haut. Alles paletti.
Ich beobachte seinen Blick noch mehrmals, bin viel zu betrunken, ihn einzusortieren und verabschiede mich ins Bett.

Ulf ist am Freitagabend kaum zur Tür rein gekommen, da falle ich über ihn her. Er versucht, mich abzuwehren, muss pinkeln, riecht nach einer langen Autofahrt, aber ich will ihn, auf der Stelle. Ich gestehe ihm ein kleines Geschäft zu und überrede ihn zu einer Dusche, indem ich mich nackt darunter stelle und ihm auseinandersetze, was genau ich jetzt gerne einseifen würde. Er lässt sich von mir einen runterholen und stellt die Dusche ab. Im Schlafzimmer lehnt er die zweite Runde ab, weil er einfach zu fertig ist von einer Woche Arbeit und fünf Stunden Autofahrt. Ich gönne ihm seine Ruhe, gehe ins Wohnzimmer und spüle die Leere im Kopf am Kloß im Hals vorbei.

Der Sonntag vergeht mit Kochen, Essen, einem Spaziergang, Fernsehen mit Ulf und einer schnellen Nummer im Bett, bei der er kommt und ich mich frage, ob ich überhaupt schon in Stimmung gewesen bin. Mein Montag ist ein einsamer, weil Ulf wieder auf Montage und Phil in der Bibiothek ist. Ich sitze drei Stunden auf der Couch, vor einem leeren Word-Dokument und denke darüber nach, ob ich es als inhaltliche Beschreibung der letzten zwei Jahre meines Lebens ausdrucke.
Mein Blick fällt auf ein Päckchen, das so schlecht in unpassend weihnachtliches Geschenkpapier eingewickelt ist, dass es von Phil sein muss. Ulf lässt einpacken. Phil ist an der Uni, also überlege ich, ob ich mit dem Auspacken warten soll. Das könnte ich per Smartphone anfragen, aber meine Laune hindert mich an jedem Sozialkontakt und lässt mich träge das Papier zerreißen.

Der Karton gibt eine weitere Umverpackung preis, auf der eine Schönheit abgebildet ist, die in Wahrheit wahrscheinlich keine ist, aber einen perfekt sitzenden Perlenstring trägt. Ich blicke auf das Geschenk und frage mich, ob ich mich darüber freuen, heulen oder ausrasten soll. Ist das der Wink mit dem Zaunpfahl, dass ich mir so einen Scheiß anziehen soll, um noch den Hauch einer Chance zu haben, von meinem eigenen Freund flachgelegt zu werden?

Keine Frau sieht in Wahrheit so aus wie die Photoshop-Karikatur auf dem Bild. Ich gehe ins Bad und ziehe den Perlenstring an, der, im Spiegel betrachtet, optisch unspektakulär ist, für mich zumindest. Er kribbelt ganz nett, weil er sich, wenig überraschend, den Weg des geringsten Widerstands sucht. Am Ziel angekommen wirkt er allerdings recht teilnahmslos und könnte auch fehlen.

Einen klitzekleinen Prosecco später bin ich angefixt und trage das Perlending unter meinem „Ich bin sexy“-Outfit, also kurzer Rock und Bluse, zum Einkaufen. Ich bin hoffnungslos overdressed und nach einer Viertelstunde Regal-Labyrinth rattenscharf. Das verfluchte Teil zieht sich immer weiter rein, reibt mit gönnerhaft großen Perlen an mir und zwingt mich bei der Käsetheke, dem Gewürzregal und der verhassten Fischtheke zu einem interessierten Zwischenstopp.

Mein schweres Atmen veranlasst eine vermutlich nette Dame, mich zu fragen, ob alles in Ordnung sei. Ich nicke, brauche etwas zu lang um „Alles okay“ zu sagen und realisiere, dass ich an eine Tiefkühltruhe gelehnt vor einer fremden Frau auszulaufen drohe. Ich habe die Hälfte des Einkaufszettels abgearbeitet und muss sofort nach Hause.

Nach wiedererlangter Zurechnungsfähigkeit frage ich mich, warum Phil mir so etwas kauft. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ich Ulf damit wenigstens zu einer unspektakulären Nummer animieren könnte. Das entspräche meinem Anliegen aber nicht meiner Vorstellung von einer dauerhaften Lösung. Und wenn Phils Lösung ganz anders aussieht und gar nichts mit Ulf zu tun hat? Ich verwerfe den Gedanken, weil die Vorstellung, damit falsch zu liegen und in diesem Nichts vor ihm zu stehen, schon peinlich genug ist.

Bluse und Minirock empfinde ich als haustauglich, den Perlenstring darunter auch. Als Phil nach Hause kommt, verschwindet er gleich in seinem Zimmer. Ich bin die personifizierte Ungeduld, warte aber, bis er schließlich zum Abendessen erscheint. Er sieht mich kaum an, weil er weiß, dass ich sein Geschenk gefunden habe. Nachdem ich mich dafür bedankt habe, wird er ein bisschen rot, hofft aber ausdrücklich, dass es mir gefällt.
„Und ob. Ich war damit einkaufen.“
Er sieht mich mit großen Augen an, isst aber weiter, weil ich es auch tue.

Mangels Action und Kultur im Fernsehen landen wir mit je einem Buch auf der Couch. Ich habe fast das ganze Buch und das halbe Glas Wein hinter mir, bei Phil ist das umgekehrt. Er geht sein Glas auffüllen, ich verzichte vorerst auf Nachschlag.
„Ich musste nach der Hälfte der Einkaufsliste aufgeben“, knüpfe ich ans Abendessen an.
Ich kichere albern, weniger, weil ich ihm das gesagt habe, eher, weil ich mich daran erinnere.
„Aber ich nehme an, dein Geschenk gilt primär der Verführung deines Vaters.“
„Nein, die Rezensionen klangen, als könntest du damit … es soll sich angeblich ganz nett anfühlen … also … ein bisschen Spaß schadet ja nicht.“
Es kommt mir vor als seien das schon mehr an mich gerichtete Gedanken als Ulf in den letzten zwei Jahren zustande gebracht hat. Auf die Idee, er könnte es genau aus dem Grund und wirklich nur für mich gekauft haben, wäre ich nicht gekommen. Wohl auch, weil ich von Ulf auf Phil schloss.

„Warst du in dem Outfit einkaufen?“.
„Japp“, antwortet mein auf dem Rücken durch den Rotwein kraulendes Ego, „plus weiße High Heels. Ein paar Blicke habe ich wohl kassiert.“
„Kein Wunder.“
Ich finde es äußerst unfair, wie zwei einfache Worte auf dem Weg von den Ohren bis zum Bewusstsein den Weg einmal durch den gesamten Körper nehmen, die Durchblutung einzelner Organe regulieren und sich daran festklammern können. Mein Protest wird ignoriert, ist allerdings auch nur halbherzig..
„Die Schuhe sind der Hammer“, stelle ich fest, „aber eine ganz schöne Tortur für die Füße.“
„Kann ich mir vorstellen.“
Na gut, mit neunzehn darf er noch etwas schwer von Begriff sein.
„Ein Gentleman würde einer Dame jetzt anbieten, ihre Füße zu massieren.“
Bevor ich es mir anders überlege, drehe ich mich zu ihm hin, lehne mich an die Seitenlehne und lege ihm meine Füße auf die Oberschenkel. Meine Zehen winken ihm aufmunternd zu. Er streichelt meine Füße mehr als dass er sie massiert, aber irgendwie war das ja auch das Ziel. Nach einer Viertelstunde flüchte ich vor meiner eigenen Fantasie, indem ich ihm mit einem schnellen Kuss eine gute Nacht wünsche. Das war unser erster und ich weiß nicht einmal, wo der Entschluss dazu herkam.

Eine halbe Stunde lang sitze ich auf meinem Bett, starre auf Rock, Bluse und Perlenstring, die am Boden liegen als spielten sie die Zuversicht in einem Theaterstück, das mit Ulf und mir besetzt ist und kein Happyend verspricht. Ich finde nicht, dass ich auf diese Bühne gehöre.
Phils Blick entgeht mir nicht, als ich mit neuem Rotwein ins Wohnzimmer zurückkehre. Er kann kaum meinem Outfit gelten, das aus Jogginghose und Sweatshirt besteht.
„Kann nicht schlafen." Das ist immerhin nicht allzu weit von der halben Wahrheit entfernt.
Er zieht meine Füße wie selbstverständlich auf seinen Schoß, um mich von den Socken zu befreien und die unterbrochene Massage fortzusetzen. Mein Wein verbündet sich mit einer Armee aus Hormonen zu der Ansicht, das sei ein komplett harmloses Unterfangen. Seine Aufmerksamkeit gilt dem Fernseher, für ein paar angestrengte Minuten, dann sieht er auf meine Füße, auf mich, weicht meinem Blick aus und richtet ihn wieder auf die Zehen, die er mit den Fingern umkreist.
Meine Füße entziehen sich ihm, ganz automatisch. Ich setze mich auf seinen Schoß, lege ihm die Hände auf die Schultern und sehe ihm von oben in die Augen. Er legt den Kopf auf dem Polster ab, sieht mich unsicher an und legt noch unsicherer seine Hände auf meine Hüften.
„Was wird das hier?“, frage ich ihn und auch und vor allem mich.
„Was … dürfte es denn werden?“
„Ich bin ein bisschen zu alt, findest du nicht?“
„Vielleicht für eine Schneeballschlacht, aber wohl kaum, um ... geliebt zu werden?“
„Dafür wohl nicht“, sehe ich ein und mache unseren zweiten Kuss aus dieser Gelegenheit. Phil umklammert mich regelrecht mit seinen Armen, fährt mit seinen Händen über meinen Rücken und dann wieder zielstrebig zu meinen Füßen.
„Du bist ein kleiner Fußfetischist.“ Ich lache ihn an und stelle erfreut fest, dass etwas von der Unsicherheit weicht.
Sein Blick hat etwas Genießerisches und den Glanz, den ich an seinem Vater vermisse. Vermisste.
„Ich bin ein kleiner Sophie-Fetischist.“
„Das solltest du unbedingt ausleben!“, motiviere ich ihn, nachdem das Lachen längst einem Strahlen gewichen ist.
Er versucht nicht einmal, mir unter die Klamotten zu gehen und sieht nur nach Phil aus, der eine Frau in seinen Armen hält, die er scheinbar nicht mehr loslassen will. Muss er auch nicht. Ich ziehe mir das Sweatshirt über den Kopf, sehe zu, wie seine Augen größer werden und sein Lächeln weicher. Er ist viel zu aufgeregt, um zu ertragen, wie langsam ich ihn von seinem T-Shirt befreie. Meine Arme liegen um seinen Hals, während er mit mir aufsteht.

Jogginghose, Jeans und Shorts treten dem Ensemble einer Aufführung bei, deren Regisseurin gerade beschlossen hat, dass man sich einen Auftritt darin verdienen muss. Phils Vorhang fällt so früh wie erwartet, ist aber nicht sein letzter. Wir verstecken uns unter der Bettdecke, weil die Welt darunter groß genug ist, für alles, was sie beinhalten muss. Ich atme den unnachahmlichen Duft einer Welt, die gerade im Entstehen ist. Diese Mischung aus Weinen und Lachen, die sich ständig in die richtige Richtung neigt und einen plötzlich mitreißt auf eine rasante Wildwasserbahn rund um sich selbst, auf Tränen, die endlich den richtigen Grund haben. Wie konnte ich so lange darauf verzichten? Zu alt für eine Schneeballschlacht. Von wegen!

 
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Hallo Joycec

Vielleicht bin ich wirklich allein mit dieser Meinung, aber aus meiner Sicht ist ein (noch so absurder) Charakter erst mal gesetzt. Den hat sich jemand ausgedacht, also gibt es den so. Man lernt ja Menschen kennen (oder vermeidet das), die noch viel abgefahrener sind. Deshalb finde ich solche Anmerkungen zwar interessant, weil sie in gewisser Weise dein Menschenbild wiedergeben, ich würde sie aber nicht wirklich als Textkritik auffassen. Anderes, viel zu langes Thema.
Aber doch noch ergänzend: Ich lese gerade wieder Borowiak. Ich liebe ihn! Aber da kommen immer(!) Charaktere vor, wo du denkst "Der [Autor] hat sie doch nicht alle." Großartig! Sein gutes Recht. Der hatte Bock auf so eine Figur. Zack! Ist sie da. Ich teile diese Obsession.

Sorry, wenn ich mich einmische, aber ich finde das ziemlich spannend. Ich sah und sehe mich auch hin und wieder dem Vorwurf ausgesetzt, dass das Handeln meiner Protagonisten nicht nachvollziehbar ist, deshalb interessiert mich die Frage sehr. Allerdings, das wird dir nicht gefallen, komme ich dieses Mal von der anderen Seite her.
Was du hier schreibst, ist ein absolutes Totschlagargument. Kritik an der Figurenzeichnung sei keine Textkritik. Sie verrate bloss das Menschenbild des Kritikers. Das finde ich ziemlich frech, ehrlich gesagt. Und dann noch der Verweis auf einen grossen Schriftsteller. Na ja.

Kommen wir aber weg von der Metaebene zum Inhaltlichen. Ich gebe dir grundsätzlich Recht: Absurde / abgefahrene Charaktere dürfen sein, machen viele Geschichten überhaupt erst interessant. Nur ist deine Figur weder absurd noch abgefahren. Zumindest habe ich das nicht gedacht, als ich zu dieser Stelle kam. Ich hab zwei Dinge gedacht. Erstens: Wie dämlich! Zweitens: Diesen Dialog lese ich jetzt nur, weil das Thema möglichst schnell aufs Tapet kommen soll, weil sich nämlich der Autor/die Autorin keine Mühe gemacht hat, die Erotik zwischen den beiden aufzubauen, anzubahnen. Das heisst, die offenkundig unplausible Tatsache, dass die Prota mit ihrem Stiefsohn aus dem Nichts über Eheprobleme und Sex und Begehren redet, ist nicht dem angeblich abgefahrenen Charakter der Prota geschuldet - davon habe ich als Leser nämlich bisher überhaupt nichts mitbekommen - sondern dem Plot und dem Vorhaben des Autors, die beiden später Sex haben zu lassen.
Tatsächlich habe ich die Lektüre - das war kurz nachdem du den Text eingestellt hast - an dieser Stelle plus/minus abgebrochen.
Es gibt dieses Bonmot, das besagt, dass Figuren alles sein dürfen, nur nicht langweilig. Nun kann man deine Figur nicht direkt langweilig nennen, aber eben flach, sie sagt sogar von sich selbst, sie sei ein "unreflektierter Haufen Elend". Da habe ich schon geahnt, dass ich diese Figur nicht interessant finden werde. Ich könnte, falls ich die Neigung dazu hätte, eine voyeuristische Haltung einnehmen, so wie Menschen, die sich Realityshows über Leute im Elend anschauen. Die Neigung hab ich aber nicht. Auf alle Fälle: Abgefahren ist eines der letzten Prädiakte, das ich wählen würde, um deine Prota zu charakterisieren.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 
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Hallo Joyec,
ich zitiere Peeperkorn, weil der genau das ausdrückt, was ich eigentlich meinte und was wohl leider nicht als Argument bei dir angekommen war.

Zumindest habe ich das nicht gedacht, als ich zu dieser Stelle kam. Ich hab zwei Dinge gedacht. Erstens: Wie dämlich! Zweitens: Diesen Dialog lese ich jetzt nur, weil das Thema möglichst schnell aufs Tapet kommen soll, weil sich nämlich der Autor/die Autorin keine Mühe gemacht hat, die Erotik zwischen den beiden aufzubauen, anzubahnen. Das heisst, die offenkundig unplausible Tatsache, dass die Prota mit ihrem Stiefsohn aus dem Nichts über Eheprobleme und Sex und Begehren redet, ist nicht dem angeblich abgefahrenen Charakter der Prota geschuldet - davon habe ich als Leser nämlich bisher überhaupt nichts mitbekommen - sondern dem Plot und dem Vorhaben des Autors, die beiden später Sex haben zu lassen.

Abgefahrene Charaktere sind super. Ich liebe die, aber du musst sie auch in Szene setzen, sie entwickeln. So, dass die Leser (oder jedenfalls viele) denken, das Abgefahrene ist tatsächlich Teil dieser Persönlichkeit.
Das jedenfalls meinte ich mit diesem Satz hier:
Oder noch stärker, es wirkt fürchterlich unerwachsen, sehr kindisch, ohne, dass du diese Facette ihrer Person herausgearbeitet hättest. Es gibt ja so Kindfrauen, die sich bei allen Trost suchen. Aber wenn man das nicht herausarbeitet, wirkt es halt dadurch auch nicht glaubwürdig.
Irgendwie haben sehr viele dasselbe Problem gehabt, da würde mir das schon zu denken geben.
Der Verweis auf Erdbeerschorsch sollte genau das bezwecken, darauf hinweisen, dass sehr viele Kommentatoren darauf hinweisen, dass du die möglichen Konfliktfelder säuberlich beiseite legst, die Charaktere nicht aufbaust und als vielschichtige entwickelst, um eben die erotische Anekdote schreiben zu können.


Und dann wollte ich noch sagen, dass der arme Meridian jetzt ganz viele meiner Zitate im Munde führt. Mir ist das wurscht, brauchst also von mir aus nichts ändern. Aber ich wollte es jedenfalls mal sagen. Vielleicht findet der Meridian meine Aussagen ja scheiße und möchte sie nicht auf sich sitzen lassen. :)
Jedenfalls habe ich ihn mal ins Mention gesetzt, da weiß er Bescheid.

 

Hallo Peeperkorn,

Was du hier schreibst, ist ein absolutes Totschlagargument. Kritik an der Figurenzeichnung sei keine Textkritik.
Das habe ich so nicht gemeint. Wenn die Figur schlecht gezeichnet ist, ist das natürlich(!) Textkritik. Mein Einwand galt ausschließlich dem Hinweis, die Figur sei in ihrem Verhalten "untypisch" oder "unwahrscheinlich". Damit kann ich nichts anfangen. Ich finde die Figur in diesem Text auch nicht abgefahren, das trifft eher auf Charaktere anderer Texte zu. Habe ich missverständlich ausgedrückt.

Es gibt dieses Bonmot, das besagt, dass Figuren alles sein dürfen, nur nicht langweilig. [...] Ich könnte, falls ich die Neigung dazu hätte, eine voyeuristische Haltung einnehmen [...]
Das ist eine relativ gute Beschreibung der ursprünglichen Zielgruppe. :lol:
Ich habe der Geschichte - wohl dosiert - etwas Gefühl hinzugefügt. Das darf (sollte) offenbar mehr sein. Ich wollte vermeiden, dass es kitschig wird (mein erster Gedanke bei dieser Fassung war Rosamunde Pilcher), aber das ist ja mal eine Herausforderung, genau das zu vermeiden und trotzdem näher an die Prota zu rücken.

Danke für deine sehr willkommene Einmischung!

Liebe Grüße

Joyce

 

Also bin ich hier, um anderen Maler*innen über die Schulter zu sehen und mir ein paar Anregungen zu holen, wie ich es besser machen kann.

wäre vielleicht keine schlechte Idee, wenn du aktiv wirst, dich mit den Texten anderer beschäftigst, sie kommentierst, dich an ihnen reibst oder satt isst, lernt man ne Menge bei. Selbstreferentielle Eigene-Texte-Bespiegelung ermöglicht wenig Entwicklung, meine ich.

viele Grüße
Isegrims

 

Hallo Novak,

Abgefahrene Charaktere sind super. Ich liebe die, aber du musst sie auch in Szene setzen, sie entwickeln. So, dass die Leser (oder jedenfalls viele) denken, das Abgefahrene ist tatsächlich Teil dieser Persönlichkeit.
Ja, kapiert. Ich meinte auch nicht die Prota dieser Geschichte mit "abgefahren". Siehe meine Antwort an Peeperkorn.

Der Verweis auf Erdbeerschorsch sollte genau das bezwecken, darauf hinweisen, dass sehr viele Kommentatoren darauf hinweisen, dass du die möglichen Konfliktfelder säuberlich beiseite legst, die Charaktere nicht aufbaust und als vielschichtige entwickelst, um eben die erotische Anekdote schreiben zu können.
Ist angekommen und der ursprünglichen Zielgruppe sowie der Zurückhaltung beim Umschreiben geschuldet. In den einschlägigen Foren bekommst du so eine Geschichte um die Ohren gehauen, wenn auch nur der geringste Konflikt darin steckt. Da muss ich wohl etwas mutiger werden.

Und dann wollte ich noch sagen, dass der arme Meridian jetzt ganz viele meiner Zitate im Munde führt. Mir ist das wurscht, brauchst also von mir aus nichts ändern. Aber ich wollte es jedenfalls mal sagen. Vielleicht findet der Meridian meine Aussagen ja scheiße und möchte sie nicht auf sich sitzen lassen. :)
Jedenfalls habe ich ihn mal ins Mention gesetzt, da weiß er Bescheid.
Mist! Das kann ich so gut! Sorry, werde ich ändern.

Danke für deine Anmerkungen und sieh dir dazu bitte auch meine Antwort an Peeperkorn an.

Liebe Grüße
Joyce

 

Hallo Isegrims,

wäre vielleicht keine schlechte Idee, wenn du aktiv wirst, dich mit den Texten anderer beschäftigst, sie kommentierst, dich an ihnen reibst oder satt isst, lernt man ne Menge bei. Selbstreferentielle Eigene-Texte-Bespiegelung ermöglicht wenig Entwicklung, meine ich.

viele Grüße
Isegrims


Mache ich. Es rächt sich, wenn man gleich in mehreren (sehr) aktiven Foren unterwegs ist. Ich habe gerade wieder angefangen, mich hier mit Texten anderer Mitglieder zu beschäftigen. Das stimmt, das hilft, weil man "Fehler" anderer ja bereitwilliger entdeckt als die eigenen :Pfeif: und weil man viel besser feststellen kann, was funktioniert und was nicht. Als Autor hast du ja Geheimwissen und neigst dazu, es dem Leser zu unterstellen. Das fällt nur bei Texten aus fremder Feder auf.

Danke für den Hinweis und liebe Grüße
Joyce

 

Hi joycec,

Mensch, hier geht’s ja rund unter deiner Geschichte. Da kann man auch als Mitleser was lernen.

Zu deinen Charakteren wurde eigentlich alles gesagt, deswegen gehe ich mal durch den Text und schaue was ich noch so finde.

Phil war pubertierende fünfzehn als sein Vater mich ihm vorstellte. Seine Mutter war gestorben als Phil neun war. Ich war das Schlimmste, das er sich vorstellen konnte.
Den Einstieg finde ich echt schwierig. Drei Sätze und 4 Leute. Da musste ich kurz sortieren.

Mindestens eine davon halte ich als Illusion mühsam am Leben.
Wieso als Illusion? Tut sie nur so als ob sie Gemeinsamkeiten hätten, um die Beziehung zu verbessern?

Zehn Zehen, Keine Alien-Bewegungen unter der Haut. Alles paletti.
:D
keine klein

ist allerdings auch nur halbherzig..
Punkt zu viel

Ich mag deinen Schreibstil, er ist locker leicht und man kommt ohne Schwierigkeiten durch die Geschichte. Dass der Inhalt jetzt nicht der Oberknaller ist, wurde bereits bemerkt. Du hast geschrieben, dass dies eigentlich ein Porno und ich finde das merkt man noch. Ich warte eigentlich darauf, dass sie im Supermarkt direkt kommt. Oder dass es dann wenigstens zuhause eine schöne Selbstbefriedigungsszene gibt. Naja, du wolltest hier eine andere Geschichte erzählen, aber so ganz geglückt ist dir das meiner Meinung nach nicht. Es wirkt ein bisschen wie diese Softpornos, die Abends im Fernsehen laufen.

Das war zuvor ein Porno, den ich umgeschrieben habe, weil ich mal sehen wollte, welche Story überhaupt darin steckt. Also Sex raus, Stimmung rein. Das hat mehr Spaß gemacht, hielt aber am Set fest.
Und genau diese Story wird leider nur angekratzt. Der Porno schwebt noch über allem und überdeckt die Geschichte dahinter. Vielleicht müssten andere Szenen her. Alltagsszenen zwischen Phil und ihr oder Ulf und ihr, Szenen in denen es nicht um Sex geht oder man auf der Couch sitzt. Szenen, die die Beziehung der Personen beleuchten.

Ist nur so eine Idee. Es geht ja auch immer darum, was für eine Geschichte du erzählen willst. :)

Ich brauche auch nicht immer die hochtrabenden Gefühle oder bewegende Hintergründe in Geschichten. Manchmal reicht auch etwas Unterhaltung für zwischendurch und das ist dir auf jeden Fall gelungen.

Liebe Grüße,
Nichtgeburtstagskind

 

Hi Nichtgeburtstagskind,

bei mir geht es immer rund ;)

Den Einstieg finde ich echt schwierig. Drei Sätze und 4 Leute. Da musste ich kurz sortieren.
Eigentlich ganz easy, aus der Leser-Perspektive. Es gibt Phil ud die Ich-Erzählerin. Zumindest lese ich so. Die tote Mutter nehme ich zur Kenntnis. Sollte der Vater von Belang sein, gib ihm einen Namen, damit ich mich an ihn erinnere. Später passiert das auch. Bis dahin sind sie egal.

Wieso als Illusion? Tut sie nur so als ob sie Gemeinsamkeiten hätten, um die Beziehung zu verbessern?
Die Actionfilme sind die Illusion.

keine klein
japp, danke!

Punkt zu viel
nochmals danke!

Ich mag deinen Schreibstil, er ist locker leicht und man kommt ohne Schwierigkeiten durch die Geschichte.
danke!

Der Porno schwebt noch über allem und überdeckt die Geschichte dahinter.
als Idee, ja, sprachlich hoffentlich nicht mehr.

Manchmal reicht auch etwas Unterhaltung für zwischendurch und das ist dir auf jeden Fall gelungen.
Na, immerhin ;) Für einen ehemaligen Porno empfinde ich das als Kompliment. Die fehlende Spannung wird es andernorts geben. Im Endeffet war es eine Abfolge von Schreibübungen.

Danke dir, für deinen Kommentar und Liebe Grüße
Joyce

 

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