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Toni & Paulie
Toni & Paulie
»Kacke!«
»Jetzt sind wir echt im Arsch.«, fügte ich hinzu.
Knapp zwölf Stunden zuvor. Neun Uhr morgens.
»Verdammte Scheiße! Du fährst wie der letzte Mensch!«, fluchte Toni, als ich den schwarzen, achtundsechziger Buick Skylark, mit einer kleinen Prise Handbremse, gemächlich in die 53rd Street zirkelte. Tonis rubinrotes Seidenhemd, mit diesen unbeschreiblichen, riesigen Aufschlägen, wurde von fettigen Klecksen Hamburgersauce besprenkelt.
»Schnall dich halt an.«, war die einzige Reaktion, die er mir in diesem Moment abgewinnen konnte. »Schau dir das an, alles voller Zwiebeln.«, wetterte er vor sich hin als er die Burgerreste aus dem Seitenfenster schmiss. »Scheiße, ich brauch ne Zigarette. Kacke, wo hab ich die? Ach Gottverfluchter Mist, hast du ein Taschentuch?«
»Warte.« Ich langte auf den Rücksitz und kramte in meiner neuen Lederjacke herum. Sie war tiefschwarz, auf Taille geschnitten und wenn ich sie anhatte fühlte ich mich wie Shaft, nur um einiges weißer. »Ich denke du rauchst nicht mehr, Toni? Hier, dein Taschentuch.«
»Ach halt doch die Fresse! So ne verkackte Scheiße!« Ohne Zigaretten war Toni nicht zu ertragen. Ein Fluchen jagte das nächste. Wobei es sich überwiegend um Kraftausdrücke handelte, die das Endprodukt jeglicher Verdauung darstellten. Seine Nervosität blieb auf einem gleich bleibend hohen Level, auch ein Grund, weswegen er das Taschentuch fallen ließ. »Kacke verfluchte! Wo isses denn jetzt hingefallen? Mann Paulie, was hast du hier bloß alles unter deinem Sitz? Die Karre sieht innen genauso aus wie außen, unglaublich Junge. Leere Bierbüchsen, alte Pommes, hoppala, das sind ja meine. Uh und ne Kassette von… Dolly Parton?«, grunzte Toni, vorn übergebeugt zu mir herauf. »Hey Mann, die such ich schon seit Wochen. Gib her!«, rief ich.
»Bist du verrückt?!« Und schon flog auch Dolly zum Fenster raus, die reinste Verschwendung.
»Hast du Kaugummi?«
»Schau mal im Handschuhfach nach. Was ist überhaupt los? Wieso müssen wir zu Scaletti?«
»Das wirst du schon früh genug erfahren, ich weiß es selber nicht.«, sagte Toni, während er das Handschuhfach nach etwas Kaubarem durchstöberte. »Mann, nur Stadtpläne und ne Wumme. Du solltest deine Knarre nicht im Auto lassen, Paulie.«, sagte Toni, indem er das Fach zuknallte. »Der Prügel war schon drin als ich die Karre bekommen habe, außerdem ballere ich nicht mit Kleinkram und die Bullen suchen da am wenigsten.«, verteidigte ich und reichte ihm meinen letzten Kaugummi. »Hey, halt mal da vorne am Kiosk, ich brauch jetzt was zu rauchen.«, sagte Toni, schob sich den Minzestreifen in den Mund und fing an zu schmatzen.
Toni und ich gehörten zur Mafia, genauer gesagt zur La Cosa Nostra. Mir machte es nichts aus nur zur Hälfte Italiener zu sein, aber ich konnte mich wohl glücklich schätzen, für die Familie arbeiten zu dürfen. Gut, die Karrierechancen waren trübe bis aussichtslos aber wenigstens hatte ich ein produktives und erfülltes Leben; mein Hobby wurde zum Beruf. Toni, Vollblutitaliener und der Neffe eines Onkels, der wiederum über vier Ecken mit Don Barusso, dem Boss der Cosa Nostra in New York verwandt war, hatte es jedoch nicht einfacher. Ich tröstete mich indem ich mir vor Augen hielt, nie unter Druck arbeiten zu müssen; Toni hingegen musste versuchen es jedem Recht zu machen, in einem Job der ihm vererbt wurde.
Unsere Aufträge waren meistens einfacher Natur, ein bisschen Geld eintreiben hier, ein wenig Schulden zurückzahlen dort, ein paar Tage untertauchen, auch mal eingebuchtet werden, das Übliche eben.
Es war an einem Freitag, irgendwann im Juli, Ende der Siebziger. Hitze überzog die Stadt wie ein Schleier, erdrückende Schwüle klebte in jeder Gasse. Es war so unerträglich brütend, dass es nur so schmatzte, wenn das Hemd, vom lederbezogenen Sitz des Wagens, zurück auf den Rücken klatschte. Jedwedes Lebewesen in diesem Stadtsumpf suchte den Schatten. Ich setzte meine Sonnenbrille auf, tauchte die Stadt in einen seichten, orangefarbenen Schein und alles wirkte cool, war es aber nicht.
»Diese Penner hatten keine Luckies, stell dir das mal bitte vor, jetzt muss ich diese Scheiße hier rauchen.« Toni deutete auf eine Packung Marlboros, suchte derweil in sämtlichen Taschen nach einem Feuerzeug, warf das Päckchen aufs Armaturenbrett und zündete sich nach erfolgreicher Suche einen Glimmstängel an. Ich betrachtete ihn wie er tief einatmete und den Rauch in einem langen Seufzer an die Windschutzscheibe katapultierte. Es schien, als ob sich sämtliche Muskeln in seinem Körper entspannten. Womöglich war das die Erklärung für den beißenden, fauligen Gestank der von Toni ausging. Er hatte doch tatsächlich gefurzt. »Was ist, willst du mir nen Antrag machen oder warum starrst du mich so an? Fahr weiter, wir ham nich den ganzen Tach zeit, verfluchte Kacke.«
Er hustete wie am Spieß. Marlboro war wirklich nicht seine Marke.
Ich drehte den Schlüssel und lenkte den Wagen vom Bordstein in das morgendliche Chaos auf den Straßen New Yorks. Eine nicht enden wollende Schlange aus Stahl und Blech durchschlängelte die Gassen und wir waren ein Teil davon.
Ich navigierte den Skylark nach Little Italy.
An fast jeder Ecke fanden sich Zeitungsbuden, Klamottenläden die billige Mode feilboten, kleine italienische Restaurants, deren Besitzer die Bürgersteige mit Tischen und Sonnenschirmen zustellten und es lag eine merkwürdige Mischung aus Gebackenem, Abgasen und menschlichen Ausdünstungen diversester Art in der Luft. Die Sicht verschwamm nach einigen Metern flimmernd; die Sonne knallte erbarmungslos vom Himmel herab obwohl es erst halb zehn war. Kinder, die wahrscheinlich die Schule schwänzten, hatten es irgendwie geschafft einen Hydranten in einer Seitengasse zu öffnen und sprangen durch die sprudelnde Wasserfontäne. Dieser Anblick erschien mir wie in Zeitlupe und alle Geräusche um mich herum verschwanden in einem dumpfen, breiigen, leisen Wummern. Toni holte mich mit fäkaler Einzigartigkeit in die Wirklichkeit zurück. »Mensch kack die Wand an, da vorne isses, wir sind da.« Nach kurzer Suche fand ich eine Lücke am Straßenrand in der Nähe unseres Ziels. Es lag am Ende eines backsteinfarbenen Wohnblocks, eingezwängt zwischen einer Bäckerei und einem kleinen Blumenladen der nur Rosen im Angebot zu haben schien. ‚Francesco’ s - hausgemachte Pasta’, der Ort an dem wir unseren Auftrag erhielten.
»Erstmal nen Kaffee und was zwischen die Zähne, ich hatte heute Morgen nur Rita.«, bemerkte ich freudestrahlend. »Wie sieht’s mit dir aus?«, fragte ich Toni, klaute mir eine Rose, deutete damit auf die fettigen Flecke auf seinem Hemd und bekam ein heiteres »Ja ja, verflucht« als Antwort.
»Rita also.«, fügte er hämisch hinzu. »Da kannste ja gleich schwul werden.«, platzte es aus ihm heraus und er schüttelte sich vor Lachen und klopfte mir dabei auf den Rücken, wobei das Hemd in Form eines Handabdrucks kleben blieb. »War nur Spaß, Kumpel. Nee, wirklich.« Er wischte sich die Tränen aus den Augen.
Vor Francescos Laden standen keine Tische mit Schirmen, aber die rot-weiß gestreifte Markise war ausgefahren und spendete etwas Schatten, als wir vor der Tür warteten. »Mir läuft der Schweiß in Bächen den Rücken runter. So eine eklige Scheiße, verdammt noch mal.« Toni hob sein Hemd hoch und kramte mit den Händen in seiner Hose herum. Ein kurzes Ächzen und er hielt mir grinsend, zwei völlig durchgeweichte Papiertaschentücher vor die Nase; Zellstoff, das den Schweiß aufzufangen wusste. Meinen Körper durchzuckte es, wie ein Feuerstrahl der durch die Blutbahnen ballerte, den Magen verdrehte und im Gehirn explodierte. Ein Aspekt, der sich mir seither bei jedem Schnupfen schaudernd ins Bewusstsein schlich. »Du bist echt ekelhaft, weißt du das?!«, bemerkte ich und hielt die rechte Hand angewidert, schützend vor meine Augen. Ich bildete es mir bestimmt nur ein, aber bei diesem Anblick war es, als ob reines Ammoniak in meine Nase stach.
Das Schloss knackte, die Glöckchen über dem Eingang schellten in einer unübertroffenen blechernen Kakophonie und wir traten ein. Johnnie der Zahnstocher machte uns die Tür auf. Johnnie war vermutlich der dünnste Mensch der jemals für die Mafia gearbeitet hatte und sein Hemd ließ immer einen großzügigen Blick auf seine wuchernde Brustbehaarung zu. Als ich ihn das erste Mal traf war mir nicht bewusst, dass sogar Brusthaare fetten können. »Da kriegt sogar dein Unterhemd Fettflecken, wen-nde n-n-nich aufpasst.«, hatte er mir damals mahnend versichert.
»Hey Johnnie, wie geht’s?«, wollte ich im Vorbeigehen wissen, wobei ich es vermied auf sein Revers zu blicken.
»G-g-gu-t, da-da-d-dank-ke.« Ach ja, er stotterte, weswegen die Goldkettchen um seinen Hals im Takt klimperten.
Die Luft war unheimlich stickig, der ganze Raum war von Zigarrendunst durchsetzt und aufgrund der Markise drang nur spärlich Licht ins Innere. Obwohl die Ventilatoren an der Decke liefen, vernahm ich keinerlei Luftzug. Dafür war es recht frisch, was ich allein auf Mr. Scalettis Anwesenheit zurückführte. Mein Blick schweifte durch den Raum, unfähig Genaueres zu erkennen. Die Augen hatten sich den Lichtverhältnissen noch nicht angepasst und suchten Scaletti vergebens.
»Setzt euch.«, drang die tiefe, raue Stimme von ihm durch den Dunst. Wir nahmen an einem Tisch in der Nähe der Küche, ihm gegenüber Platz. »Habt ihr Hunger? Hey Francesco, mach den beiden ein paar Pfannkuchen und Toast!«, brüllte er in Richtung Küche. »Ihr mögt doch Pfannkuchen oder?«
»Scheiße, ja.«, erwiderte Toni, ich nickte.
Hinter Scaletti saß Donnie der speckige Schwachkopf und knabberte an einem Sandwich herum. Donnie war so dermaßen bekloppt, der hätte schon längst mit Betonschuhen baden müssen, wäre sein Vater nicht für den Don in den Knast gegangen. Er hob nur kurz die Hand zur Begrüßung, um sie gleich darauf wieder für die Nahrungsaufnahme zu verwenden. Der war permanent am Fressen. Zahnstocher ging derweil hinter die Bar und machte uns einen Kaffee. »Mit viel Milch und Zucker, du Gerippe.«, bat ihn Toni.
Scaletti grunzte, er legte die vernarbte Stirn in Falten, lehnte sich vor und ließ etwas Asche seiner Zigarre in einen kristallenen Aschenbecher fallen. Langsam massierte er sein Kinn mit der linken Hand, wobei Kratzgeräusche eine unsauber durchgeführte Rasur verrieten. »Wir haben ein Problem Jungs.«, sagte er und lehnte sich zurück. Er zog kräftig an der Havanna und pustete den Qualm in die Richtung eines Ventilators über ihm, als ob das was nützte. Johnnie schenkte derweil allen Kaffee ein.
»Don Barusso sucht seine Bibel.«, fuhr Scaletti fort.
Toni und ich sahen uns an und brachen in schallendes Gelächter aus. »Dann soll er im Plaza einchecken, da hat’s in jedem Zimmer ne verfluchte Bibel.«, verriet Toni und wir lachten noch viel lauter. Ich schlug mit der flachen Hand auf den Tisch sodass die Tassen klirrten und der Salzstreuer bedrohlich kippelte. Scaletti stand auf und seine beachtliche Größe, gepaart mit der beeindruckenden Korpulenz, ließ uns augenblicklich verstummen.
Er griff über den Tisch, packte uns am Kragen und zog uns zu sich herüber. Die Tassen hielt es nicht mehr auf den Tellern und ich merkte wie heißer Kaffee mein rechtes Hosenbein herunter lief. Es fühlte sich an, als hätte ich mir in die Hosen gepisst - nur unwesentlich heißer. Leicht erschrocken verlor ich das Gleichgewicht, suchte nach Halt und fand ihn an Scalettis Arm, dem es scheinbar egal war, dass ich mich daran festhielt.
»So Freunde, jetzt hört ihr mir mal gut zu! Don Barussos Bibel, eine ganz bestimmte Bibel, enthält das verdammte Hochzeitsversprechen welches er einst seiner verdammt netten Gattin gab. Da die auf die verdammt dämliche Idee gekommen ist, sich zum dreißigsten Hochzeitstag ein verdammtes, weiteres Mal die Treue zu schwören, ist dieser verfickte Schriebs von bedeutender Wichtigkeit für den Don. Kapiert?«
»Ah-hm«, würgten wir gleichzeitig hervor, während der warme Strom Kaffee langsam meinen Schuh erreichte. Währenddem war ich mir nicht mehr so sicher ob es nur der Kaffee war. Scaletti ließ uns los und wir sackten auf unsere Stühle. Johnnie grinste und brachte neuen Kaffee.
Ich versuchte indes, meine Hose mit einem Batzen Servietten zu trocknen, derweil erklärte Scaletti was wir zu tun hatten.
»Die Wohnung von Pater Mulchay ist heute Abend, ab sechs Uhr sauber.«
Sauber bedeutete natürlich, dass niemand zugegen war wenn wir kriminelle Aufgaben zu erledigen hatten. Das war hilfreich, denn andererseits mussten wir den unerwarteten Besuch und danach den Tatort säubern, das war immer mit Unmengen Löschkalk verbunden. Außerdem kann ich das knorpelig, schreddernde Geräusch nicht ertragen, wenn ich die Leichen zersägen muss. Löcher buddeln und schwere Säcke voller Menschenreste, irgendwo außerhalb der Stadt aus Kofferräumen wuchten, ist auch nicht unbedingt mein Fall.
Scaletti fuhr fort. »Ihr habt maximal drei Stunden für eure Suche. Stellt die Bude auf den Kopf, durchsucht jeden Winkel. Die Bibel ist vermutlich in der Bibliothek zu finden.«
Ich hatte gerade das Hosenbein hochgekrempelt und wrang meine Socke aus, als Toni eine begründete Frage äußerte. Er hatte sich wieder eine Marlboro angezündet und hustete. »Warum können wir den Pater nicht einfach bitten, uns die Bibliothek durchsuchen zu lassen und wieso denkt der Don, die Bibel sei bei Mulchay, verflucht noch mal?« Der Schuh hatte eine beachtliche Menge Kaffee aufgenommen, suchend sah ich mich nach mehr Servietten um – vergeblich; ich kippte den Schuh aus.
»Der Don weiß nicht genau ob das Buch dort ist, aber es trifft sich gut, da ihr noch eine Brandbombe installieren müsst.«, Scaletti lachte und sein gewaltiger Wanst ließ den Tisch wackeln. Donnie und Zahnstocher stimmten mit ein und dem einen schossen Teile von halb gekautem Sandwich aus dem Mund, während es beim anderen um den Hals klimperte. Ich wusste nicht was mich mehr beunruhigte, die immense Menge Kaffee in meiner Kleidung oder dieser grauenhafte Anblick von Brustbehaarung, Fettheit und fehlender Intelligenz.
Zuerst dachte ich, der Don hatte in Pater Mulchay einen neuen Feind und ihn zu beseitigen fiel uns zu, dem mit Abstand unzuverlässigsten Duo für solch eine heikle Angelegenheit. Und da glaubt man jahrelang, die Cosa Nostra sei tief gläubig und hätte größten Respekt vor Gottes Vertretungen auf dem Erdball. »Müssen wir den Pater löschen, falls er lichterloh brennend aus dem Haus stürzt?«, wollte ich wissen, während ich die feuchte Socke über meinen Fuß streifte. Scaletti grinste und schüttelte den Kopf. »Das wird nicht passieren, denn der Pater kommt erst wieder zurück, wenn die Hütte in Flammen steht.«
»Ja fick die Katze!«, entfuhr es Toni in einer neuen Art der obszönen Sprache. »Den Pater nicht um die Ecke bringen?«
Der fette Scaletti fuhr sich mit der Hand über seinen kahlen Schädel, der um einiges besser rasiert war als sein Bart. »Der Pater will die Versicherung für das Haus und eventuell die Kirche einkassieren. Er hat Don Barusso doch erst auf die Idee gebracht.«
»Und warum?«
»Hast du dich jemals um solche Dinge gekümmert, Toni?«, fragte Scaletti.
»Verflucht nein!«
»Siehst du. Wo liegt dann das Problem?«
»Ich hab jetzt richtig Hunger bekommen.«
»Francesco, wo bleiben die Pfannkuchen?«
Kurz vor sechs Uhr. Vor Pater Mulchays Haus.
Wir saßen im Auto, stopften uns ein paar Doughnuts rein und tranken dazu einen späten Kaffee, während wir versuchten die Langeweile mit sinnlosen Gesprächen über Baseballergebnisse und Zigarettenmarken zu vertreiben. Auf dem Armaturenbrett ging die Post ab, mittlerweile sah es genauso aus wie unter den Sitzen. Überall offene Schachteln und Papierservietten diverser Fastfoodrestaurants, jede Menge Krümel und angetrocknete Saucenreste, der Aschenbecher war bis zum Anschlag mit Tonis Kippen voll gestopft. So wie der Wagen aussah, so roch er auch. Der Zigarettenqualm vermischte den Geruch von gammeligen Lebensmittelresten, feuchten Fußmatten und den diversen Duftbäumen am Innenspiegel, zu einer Müllkippe für die Nase; nichts für schwache Gemüter, ideal für Ratten.
»Du bist ne richtige Schlampe, weißt du das.«, bemerkte Toni, während wir darauf warteten, dass der Pater das Haus oder die Kirche verließ (Haus und Kirche bildeten übrigens eine Einheit. Ich fragte mich wie es sein mochte wenn der Pater Gäste im Haus hatte. Ob er dann so was sagte wie: »Das Bier steht hinten in der Kirche, ich geh´s gleich mal holen.« oder »Bevor wir anfangen zu essen möchten wir beten. Gehen wir doch dazu nach hinten in die Kirche, Freunde.«).
Inzwischen hatte es sich ein wenig abgekühlt, es kam auch etwas Wind auf und verscheuchte die drückende Schwüle. Auf der Suche nach Abkühlung ließ ich meinen linken Arm aus dem Fenster baumeln und spürte, wie sich die Haare dem Takt der Brise hingaben. Zurückgelehnt lauschte ich dem leisesten Luftzug.
»Da isser.«, sagte Toni und riss mich unsanft aus meiner Lethargie. »Der steigt in seinen Wagen, dann können wir gleich loslegen.« Er kramte einen Flachmann aus seiner Jacke. Unmittelbar bevor wir einen Auftrag zu erledigen hatten, halfen wir uns immer ein weinig Whiskey rein, eine Tradition die uns bisher immer Glück gebracht hatte oder einfach nur lockerer machte. »Hier.« Toni reichte mir das Silberding und ich nahm einen kräftigen Schluck. Zuerst wurde die Zunge betäubt und nachdem ich dieses brennende, fast zähflüssige Gesöff heruntergeschluckt hatte, waren die Speiseröhre und schließlich der Magen an der Reihe. Der stumpfe Nachgeschmack löschte jegliche Erinnerung an die Krapfen und den Kaffee und sogar die Geruchskulisse verschwand aus der Wahrnehmung. Ein warmes Kribbeln durchfloss meinen Körper und alles wurde cool. Ich setzte meine Sonnenbrille auf. »Ich bin klar Toni.« Auch er nahm einen großen Schluck, wischte sich mit dem Ärmel den Mund, warf den Flachmann auf den Rücksitz und nahm die Brandbombe. »Okay, dann wolln wir mal die Bibel suchen gehen und ein bisschen zündeln.« Beim aussteigen schlug Toni ein Lied an. »And it burns, burns, burns, dummdumm didummdumm…«
Wir hielten uns nicht lange mit der Tür auf, die Hütte sollte ja eh dem Erdboden gleich gemacht werden. Außerdem war die dicke Eichentür nur schwer zu knacken, also suchte ich nach einem geeigneten Gegenstand um das Fenster zu öffnen – erfolglos. Notgedrungen nahm ich einen Stuhl der auf der Veranda stand und schlug das Fenster ein. Ich stieg hindurch und öffnete die Tür von innen. Als wir durch den Salon in das Büro des Geistlichen gelangten, standen wir vor dem Eingang zur Bibliothek. »Boah, was hastn du heut gefressen, sag mal?«
»Na die Pfannkuchen und die Doughnuts, das gleiche wie du.«
»Du musst von Pfannkuchen und Krapfen furzen?«
»Was isn das für ne Frage?«
»Hier stinkt’s wie sau!«
Nun bemerkte auch ich es, fauliger Geruch, richtiggehend gammelig. Es machte sich ein leichter Brechreiz bemerkbar und ich stieß etwas Magensäure und Whiskey auf.
Die Tür zur Bibliothek war abgeschlossen und mindestens genauso dick wie die Eingangstür; ein fehlendes Fenster behinderte unser Eindringen erheblich. »Geh du die Bombe platzieren, ich kümmere mich um das hier.«, sagte ich zu Toni und zog die Pumpgun unter meiner tollen Lederjacke hervor. Ich ballerte drei Mal auf das Schloss und Splitter explodierten aus dem Holz; erst der dritte Schuss ließ die Tür aufspringen. »Ach du scheiße!«, entfuhr es mir. »Was isn?«, fragte Toni, der bereits aus dem Schlafzimmer zurückgekehrt war.
Der Raum war gefüllt mit Büchern, so wie es sich für eine Bibliothek gehört, aber es gab auch tote Menschen, viele tote Menschen, so ungefähr zwanzig. »Uh, Leichen. Müssen die nicht aufn Friedhof? Da hat der Pater ja echt noch Arbeit zu liegen.«
»Das ist keine Arbeit Toni, das scheint mir ein Hobby.«
»Nicht ganz richtig, Paulie. Es ist eher eine Passion, sozusagen die Suche nach Erfüllung im Leben.«
Der Pater hielt uns den Lauf einer Schrotflinte vor die Nase; er grinste. Ich versuchte meine Waffe hochzuziehen aber Mulchay schüttelte nur mit dem Kopf.
»Lass es bleiben Junge, ich werde schneller sein.« Ich ließ die Pumgun fallen.
»Kacke!«
»Jetzt sind wir echt im Arsch«, fügte ich hinzu.
»Ja, so würde ich das auch sehen. Ich schätze, ihr werdet euch jetzt zu den anderen gesellen müssen. Der Tod ist erbarmungslos, jedenfalls wenn ich ihn bringe. Haha!«
Wir waren an einen verrückten Pater geraten der unschuldige Mafiamitglieder bei der Ausübung ihrer Arbeit hindern wollte. Verfluchte Kirchliche.
»Bevor Sie uns jetzt über den Leichenhaufen ballern, wollen sie uns nicht verraten warum sie tote Menschen in ihrer Bibliothek horten und wo die Bibel von Don Barusso ist?«, fragte ich, die Arme soweit erhoben wie es mir möglich war. »Ja echt hey. Was solln das?«, fügte Toni hinzu.
»Mein ganzes Leben habe ich nach Erfüllung und Frieden gesucht und sie scheinbar im Glauben gefunden. Versteht mich nicht falsch, ich bin leidenschaftlich gern Pater und ich liebe meine Gemeinde. Auch die Mafia ist mir nie unangenehm gewesen, immerhin konnte ich mir durch sie den Porsche leisten. Nur irgendwann fängt man an sich zu fragen, ob diese Gratwanderung zwischen Helfen, Trösten und skrupellosem Abkassieren, der richtige Weg ist.« Der Pater legte die Schrotflinte in seine Arme und blickte verträumt zur Decke empor. Grundsätzlich war das die ideale Gelegenheit die Flucht zu ergreifen, aber Toni ging es wohl genau wie mir, denn ich konnte mich nicht rühren, so sehr war ich durch diese bizarre Situation gelähmt. Der Gestank der verwesenden Körper drehte mir den Magen um und ich war kurz davor mich zu übergeben. Bevor ich jedoch weitere Gedanken an meine Übelkeit verschwenden konnte, fuhr der Pater, die Waffe wieder auf unsere Köpfe gerichtet, fort. »Als ich aber vor einigen Wochen meinen Messdiener Dennis, die Augen mit einer Kerze ausgestochen hatte, erkannte ich meine Bestimmung. Gott hatte Unrecht, töten fetzt, er macht’s ja selber, die Sau die. Ich war vollkommen befreit Freunde, ich konnte töten ohne rot zu werden, endlich mit Frauen rummachen ohne rot zu werden, alles und jeden in die ewigen Jagdgründe schicken und nebenbei mit der Mafia Geschäfte machen.« »Ohne rot zu werden«, stimmten Toni und ich ein.
»Verfluchte Scheiße, wieso müssen Sie uns denn jetzt auch noch umbringen? Wir sind doch Mitglieder im Club der Bösewichter.«, brachte Toni an. Grundsätzlich hatte er ja Recht aber irgendwie hatte ich das dumpfe Gefühl, der Pater wollte davon nichts wissen. »Ihr seid Dreck, Dreck, der weggeputzt werden muss.« Der Pater kicherte. »Hach, manchmal bin ich ein richtiger kleiner Witzbold. Die Bibel steht übrigens im Regal, links neben euch.« Er deutete auf ein goldenes Exemplar.
Ich suchte derweil nach einem Ausweg aus dieser Misere, mein Herz pochte wie ein Dampfhammer und mir war als ob mein Kopf glühte. Gerade wollte ich was von wegen Nächstenliebe und so weiter, vom Stapel lassen, da sah mich Mulchay mit weit geöffneten Augen an, Blut quoll aus seinem Mund und kurz darauf explodierte der Schädel. Gehirn und Knochen pfefferten mir ins Gesicht und der Rest vom Pater sackte in sich zusammen. »Der is im Arsch.«, meinte Toni.
Ich suchte vergeblich nach meiner Selbstkontrolle und so ließ ich es einfach laufen. Das zweite Mal an diesem Tag, dass meine Kleidung nass wurde.
Unsere Rettung waren der dumme Donnie und Zahnstocher. Johnnie hatte dem Pater ein wirklich schickes Stilett in die Leber gerammt und Donnie schoss dem Pater die Birne weg. Dünn und doof bei der Arbeit.
»Ihr Wichser, den hätten wir doch selber alle machen können. Verfluchter Mist, ich hatte den Pater schon fast so weit. Ihr gönnt einem auch gar keinen Spaß«, tönte Toni und schubste die beiden aus dem Weg.
»Was macht ihr hier?«, wollte ich erfahren.
»Scaletti hat uns geschickt. Er wollte wissen, ob ihr den Job auch zur Zufriedenheit erledigen könnt. Der Don wollte euch beiden die Chance geben, in sein neues Leibwächterteam aufgenommen zu werden, er suchte neue Leute. Außerdem wollte er den Pater loswerden, er war nicht mehr berechenbar. Tja, das habt ihr wohl total vergeigt.«
Ich überlegte kurz, nahm die goldene Bibel aus dem Regal, schnappte mir die Flinte aus den Händen des Paters, lud durch, öffnete Johnnies Brustkorb und füllte das Vakuum in Donnies Kopf. »Tja Jungs, ich schätze Scaletti sucht jetzt auch neue Leute.«