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Tote Leichen in runden Ecken
Kommissar Weiß stand mit seinem Assistenten Huber in einem runden Zimmer des Schlosses derer Von und Zu Schwansteins.
„Wer kommt bloß auf die schwachsinnige Idee, ein Zimmer ohne Ecken zu bauen?“ nuschelte Weiß staunend vor sich hin.
„Glauben Sie mir, Herr Kommissar, das ist nicht das einzigst Merkwürdige an diesem Gebäude.“ Huber flüsterte. Es wäre ihm unangenehm gewesen, wenn der Schlossherr, welcher ganz in der Nähe stand, mitbekommen hätte, dass sich womöglich jemand über das Gemäuer lustig machen könnte.
„Und wo ist nun die Leiche?“ wollte Weiß wissen und sah sich suchend in dem riesigen Zimmer um. Möbel, die mitten im Raum standen, versperrten das Blickfeld.
„Dort hinten, in der Ecke“, gab das Hausmädchen weinend von sich. Sie hatte am frühen Morgen beim sauber machen die Leiche entdeckt.
Irritiert sah Weiß seinen Assistenten an. „Welche Ecke meint sie?“
Huber deutete in eine bestimmte Richtung: „Hinter dem Sofa.“
Weiß näherte sich der Stelle. Eine große Blutlache hatte sich um das Opfer gebildet. „Männlich oder Weiblich?“
„Das konnten wir noch nicht feststellen“, äußerte sich der Hausherr. „Der Kopf fehlt.“
„Und wo ist der Kopf?“
„Wenn wir ihn gefunden hätten, dann wüssten wir bereits, um wen es sich hier handelt.“
„Ist er tot?“ rief der Gärtner, der die ganze Zeit schweigend an der Tür gelauscht hatte, lautstark mit seiner tiefen Stimme. Die Worte hallten durch das Zimmer wie ein Pingpongball.
Alle Augen richteten sich erschrocken auf ihn.
„Woher wissen Sie von der Leiche?“ wollte Weiß wissen.
„Ich habe gelauscht“, antwortete der Gärtner kleinlaut.
„Sie müssen lauter sprechen. Wenn Sie dort hinten stehen, kann ich kein Wort verstehen“, rief Weiß genervt.
„Er sagt, er hat gelauscht“, brüllte Huber, der direkt neben dem Kommissar stand.
„Sind Sie verrückt geworden? Warum schreien sie mich so an?“ Weiß bohrte mit einem Finger im Ohr, um seine Gehörgänge wieder freizubekommen.
„Entschuldigung.“
„Nun gut. Machen wir uns auf die Suche nach dem Kopf“, schlug Weiß vor. „Vielleicht erfahren wir dann mehr über die verstorbene Person.“
Von und Zu Schwanstein führte die Ermittler durchs Schloss. Huber hatte sich zuvor schon umgesehen, und wunderte sich nicht mehr all zu sehr über das Gemäuer.
Zuerst ging es über eine Treppe ohne Stufen ins obere Stockwerk. Weiß hatte Mühe mitzuhalten. In der „besseren Gesellschaft“ fühlte er sich immer unbehaglich. Die Welt der Aristokraten war ihm fremd und unheimlich. Die Wortwahl schien ihm zu aufgesetzt, und das Leben zu spießig. Er war froh, ein einfacher Mensch ohne Adelstitel zu sein.
„Hier wären wir in der Bibliothek“, verkündete Schwanstein, holte ein Buch aus einem der zahlreichen Regale und reichte es dem Kommissar. „In diesem Werk geht es um einen rätselhaften Mord. Meine Gattin und ich gehen davon aus, der Mörder hat genau so gehandelt, wie es hier geschrieben steht.“
Weiß betrachtete den Einband. „Wie ein Buch ohne Seiten“, las er den Titel laut vor. Als er es aufschlug, war er nicht weiter verwundert. Kein einziges Blatt befand sich darin. „Nun ja. Ich gehe davon aus, es wird uns eine große Hilfe bei der Aufklärung der Tat sein. Huber, verwahren sie es als Beweismittel.“
Huber streckte schon seine Hände aus um es entgegenzunehmen, als ihn der Kommissar aufgebracht anfuhr: „Sind Sie wahnsinnig Huber? Sie verwischen mögliche Fingerabdrücke die sich darauf befinden könnten. Was haben Sie in ihrer Ausbildung eigentlich gelernt?“
Demütig fingerte der Assistent klobige Lederhandschuhe aus seiner Jackentasche und streifte sie über. Anschließend zog er einen kleinen, durchsichtigen Plastikbeutel hervor, um das Buch darin verschwinden zu lassen.
„Dies hier ist das Schlafgemach meiner Gemahlin“, erklärte Schwanstein im nächsten Zimmer.
„Sie sind verheiratet und schlafen in getrennten Zimmern?“ stellte Weiß verblüfft fest.
„Nun“, gab Von und Zu Schwanstein zu bedenken, „es handelt sich hierbei um eine familiäre Angelegenheit. Ich sehe keinen Grund eine Erklärung meiner Privatsphäre zu erörtern, da es in keinem Zusammenhang zu der Tat steht.“
„Was sagt er?“ flüsterte Weiß seinem Assistenten ins Ohr.
„Seine Frau und er, nun ja, sie haben momentan einige Meinungsverschiedenheiten“, versuchte Huber zu erklären.
„Aha!“ jauchzte Weiß entschlossen. „Herr Schwanstein“.
Huber unterbrach ihn energisch, indem er seinen Ellbogen unauffällig in Weiß` Arm rammte.
„Aua! Was soll das Huber?“ brüllte Weiß gepeinigt.
„Herr Kommissar“, raunte Huber ihm ins Ohr, „es wäre angebracht, wenn sie den Schlossherrn mit ganzem Titel ansprechen.“
„Aha!“ wiederholte Weiß. „Nun gut. Also Herr Von und Ganz Schwein ... äh ... Schwanstein“, setzte Weiß fort, während er dachte: „Diese dämlichen Aristokraten.“
Der Koch stürmte ins Zimmer, und unterbrach die angeregte Diskussion. „Wir haben ihn gefunden“, rief er gelangweilt.
„Was haben Sie gefunden?“ wollte Weiß wissen.
„Na den Kopf. Was denn sonst.“
„Ja und weiter? Wo ist er? Lassen Sie sich doch nicht alles aus dem Af.... äh ... der Nase ziehen“, wetterte Weiß aufgebracht.
„Oh je“, dachte sich Huber. „So schlimm stand es um den Kommissar noch nie.“
Dramatisch begann der Koch zu berichten. „Den Truthahn wollte ich für die werten Herrschaften zubereiten. Eben gerade. Und dazu musste ich in die Gefrierkammer. Sie glauben nicht, was ich dort vorgefunden habe.“
„Den Kopf“, rief Huber enthusiastisch, als hätte er des Rätsels Lösung gefunden, dazwischen.
Der Koch schaute ihn an, als hätte er es mit einem Spinner zu tun. „Meine Güte, lassen Sie mich doch erst mal ausreden. Ich fand ein offenes Fenster vor.“
„Ein offenes Fenster? Im Kühlraum?“ Schwansteins Blick war mehr als erbost. „Wenn so etwas noch einmal vorkommt, werden Köpfe rollen. Wissen Sie eigentlich wie teuer der Stromverbrauch ist, wenn in diesem Raum ein Fenster offen steht?“
„Aha!“ warf Weiß ein. „Es werden also Köpfe rollen. Schwanstein, wo ist ihre Frau?“
„Von und Zu“, flüsterte Hubert.
„Lassen Sie mich doch endlich mal in Ruhe meine Arbeit erledigen, Huber.“
„Meine Gemahlin befindet sich in ihrem momentanen Zustand auf unserem Gut an der Nordsee“, gab Schwanstein bereitwillig Auskunft.
„So so, an der Nordsee“, wiederholte Weiß mit einem ironischen Lächeln. „Dann ist sie doch bestimmt telefonisch erreichbar, oder?“ Das letzte Wort zog er extra in die Länge, um seiner Vermutung einen besonderen Ausdruck zu verleihen.
„Entschuldigung“, mischte sich der Koch ein. „Wollen Sie nicht wissen was ich gefunden habe?“
„Das hatten wir doch schon geklärt“, erwiderte Schwanstein. „Sie haben das geöffnete Fenster entdeckt. Und nun dürfen Sie sich entfernen.“
„Da war aber noch was“, gab der Koch forsch zurück.
„Ich sagte, Sie dürfen sich entfernen. Oder muss ich ihnen erst eine Kündigung aussprechen?“
„Lassen Sie den guten Mann doch erst einmal zu Wort kommen“, warf Weiß ein. „Kündigen können sie ihm anschließend immer noch.“
„Danke“, erwiderte der Koch und fuhr fort.
„Warum haben Sie ihn einfach so gehen lassen?“ wollte Huber vom Kommissar wissen.
„Was hätte ich tun sollen? So schnell wie der in seinem Auto verschwunden war. Sehen sie mich an, Huber. Hat mir die Natur einen sportlich, durchtrainierten Körper geschenkt? Nein! Lassen Sie uns also weiter nach dem Kopf suchen.“
„Dies ist der ganze Stolz unseres Anwesens“, teilte Schwanstein mit, als sie in einen Raum mit Aquarien kamen.
„Da sind ja nur Fische drin“, stellte Weiß gelangweilt fest.
„Und die sind tot“, erkannte Huber.
„Nein, die sind nicht tot“, erklärte Schwanstein.
„In den Behältern ist kein Wasser. Die Fische liegen bewegungslos auf dem trockenen Grund. Was ist ihrer Meinung nach das Gegenteil von tot?“
„Huber, seien Sie nicht immer so ein Klugscheißer. Wenn der Mann sagt die Fische sind nicht tot, dann wiedersprechen Sie ihm nicht.“ Weiß war stolz auf sich, dass er endlich die Lebensweise der Aristokraten verstanden hatte.
„Wie ein Fisch ohne Wasser, wie ein Buch ohne Seiten, wie eine Ecke ohne Kanten“, fing Schwanstein an zu philosophieren, als wäre er urplötzlich in eine andere Welt abgetaucht.
„So so, und wie eine tote Leiche ohne Kopf“, unterbrach ihn Weiß. „Huber, nehmen Sie diesen Mann fest. Alle Indizien sprechen gegen ihn.“
„Für ihn?“ fragte Huber vorsichtig nach.
„Wie?“
„Ach nichts. Ich meinte nur, ob wir nicht erst mal den Kopf finden sollten.“
„Natürlich, der Kopf. Ganz und Gar vom Schwanstein, wo ist der Kopf?“
„Woher soll ich das erahnen?“
„Huber, woher soll der Schwan erahnen, wo der Kopf ist?“
Jetzt dreht er langsam völlig durch, dachte Huber. „Kommissar, wir sollten uns mal in der Küche und im Kühlraum umsehen“, schlug er vor.
„Zur Küche geht es hier entlang“, meldete sich der Hausherr. „Wenn sie mir bitte folgen würden.“
„Was riecht denn hier so lecker?“ wollte Weiß wissen.
„Gefüllter Truthahn“, gab die Küchenhilfe bereitwillig Auskunft.
„Und wo ist der Koch?“ erkundigt sich Schwanstein.
„Der ist doch fort gefahren, weil Sie ihn nicht haben zu Wort kommen lassen“, erinnerte Huber.
„Mit dem neuen Benz?“ fragte Schwanstein erschrocken.
„Nein, mit dem Audi, den Sie ihm letzten Monat geschenkt haben“, erwiderte der Lehrling.
„Dann ist ja gut“, gab der Hausherr erleichtert von sich.
„Und wo ist der Kopf?“ fragte Weiß.
„Wo soll er schon sein? Im Ofen natürlich“, antwortete die Küchenhilfe.
Weiß riss die Backofentür auf, zerrte den Truthahn heraus, und wurde sofort von der dicken Küchenmagd angegriffen. „Was erlauben Sie sich eigentlich? Nehmen Sie ihre dreckigen Finger vom Geflügel, und zwar sofort.“
Mit einer, nicht ernst gemeinten Entschuldigung, ließ Weiß den Truthahn los und brüllte: „Verdammte Scheiße, ist das heiß.“
"Die ganze Arbeit umsonst. Jetzt dürfen wir noch mal von vorne anfangen", ärgerte sich die dicke Magd. Sie war außer sich vor Wut. Und schon sauste eine gusseiserne Pompfe, auch Bratpfranne genannt, auf den Schädel des Kommissars nieder.
Weiß erwachte, mit einem dicken Verband um den Kopf, im Krankenhaus. Huber stand an seinem Bett und versuchte ihm zu erklären was passiert war. „Die dicke Küchenmagd, mit der Sie ....“
„Ersparen Sie mir die Details, Huber“, wimmerte Weiß.
Huber suchte nach den richtigen Worten. „Nachdem Sie zu Boden gegangen waren .... „
„Huber!“
„Der Kopf lag in einem Kochtopf in der Küche. Die Schlossherrin war die Mörderin, und das Opfer ihre eigene Schwester.“
„Und warum?“ wollte Weiß wissen.
„Sie dachte, ihr Gemahl hätte eine Affäre mit der Schwester.“
„Können Sie nicht ganz normale Worte finden und einfach nur sagen, der Schweinstein hat seine Schwägerin gepoppt, die Frau hat es rausgefunden und die Rivalin gelyncht?“
„Wenn man in runden Ecken eine tote Leiche finden soll, Herr Kommissar, dann muss man mit seinen Worten vorsichtig umgehen.“
Weiß drehte sich genervt zur Seite, schlief ein, und träumte von dicken Küchenmägden, die Glühbirnen ohne Strom an eine nicht vorhandene Decke hängten.