Tote Schweizer oder warum Dir ein Porsche den ganzen Tag versauen kann
Als ich den toten Schweizer in meinem Garten fand, musste er wohl schon ein paar Tage da gelegen haben. Sie müssen sich das nicht so vorstellen, dass ich morgens in den Garten ging und nachsah, ob da vielleicht ein toter Schweizer liegt. Es lagen überhaupt verhältnismäßig selten Leichen in meinem Garten, geschweige denn schweizerische Leichen. Jedenfalls war das so, als diese ganze Geschichte anfing.
Das Heimtückische an toten Schweizern ist, dass man sie zunächst überhaupt nicht als Schweizer erkennt. Sicher, käme der Tote aus Ghana oder, sagen wir, Papua-Neuguinea, hätte man eine erste Orientierung. Aber ein Schweizer? Böse Zungen behaupten ja, man könne einen toten Schweizer kaum von einem lebendigen Schweizer unterscheiden, weil sie schon zu Lebzeiten verhältnismäßig ruhig sind. Ich kann das nicht bestätigen. Nach ein paar Tagen jedenfalls ist auch ein Schweizer eindeutig als tot zu identifizieren. Das erste, was mir auffiel, war, dass der Tote - ein vielleicht fünfzigjähriger Mann in gepflegter Kleidung - ganz zufrieden aussah. Ungewöhnlich war das deshalb, weil Menschen mit einem Messer in der Brust normalerweise nicht zufrieden aussehen. Ich mochte vielleicht zehn Minuten oder eine Viertelstunde so dagestanden und den leblosen Körper betrachtet haben, bevor ich einen klaren Gedanken fassen konnte. Mir war klar, dass eine Leiche in meinem Garten vermutlich Ärger bedeutete. Mein Haus lag recht abgelegen und der Garten, obgleich sonnig, war von der Strasse nicht einsehbar. Und so hatte ich meine botanischen Neigungen vor allem auf die Gattung Cannabis sativa konzentriert. Der tote Schweizer lag jedenfalls ausgestreckt und grinsend mitten in einer Gruppe prachtvoller weiblicher Hanfpflanzen.
Ich ging zum Gartentor und sah auf die Strasse. Bis auf den Porsche mit Züricher Kennzeichen war alles wie immer. Ich brühte mir erst einmal einen Kaffee auf und versuchte die Situation nüchtern zu analysieren. Sie war misslich. Als Staatsanwalt können Sie nicht einfach die Polizei anrufen und sagen "Kommen Sie bitte mal vorbei, in meiner Marijuhana-Plantage liegt eine Leiche, die ihren Porsche vor meinem Haus stehen gelassen hat." Also beschloss ich, den Schweizer zu vergraben, wo ich ihn gefunden hatte. Den Porsche stellte ich in meine Garage und nach ein paar Wochen war Gras über die Sache gewachsen.
Meinte ich. Denn eines morgens parkte gleich hinter meinem Wagen ein Jaguar. Lu, also Luzern, stand auf dem Nummernschild. Ich legte meine Aktentasche in mein Auto und ging zurück in den Garten, wo ich erwartungsgemäß eine Leiche fand. Das Opfer war etwa vierzig und war an einem zufriedenen Aussehen durch ein Einschussloch im der Stirn gehindert. Wie Sie sich sicher vorstellen können, war mein Interesse an einer rückhaltlosen Aufklärung der Angelegenheit durch die Polizei seit dem jüngsten Vorfall nicht gerade gewachsen. Ich rief also in der Dienststelle an, gab einen Hexenschuss vor und machte mich an die Arbeit. Als ich die Grassode ordentlich zurückgelegt und den Spaten gereinigt hatte, realisierte ich, dass der Jaguar ein Problem war. In meiner Garage war kein Platz mehr und auf Dauer würde der britische Zwölfzylinder auf der Straße Aufsehen erregen.
Die Lösung des Problems ergab sich schon am nächsten Tag in Gestalt eines ukrainischen Autoschiebers, den die Kriminalpolizei in der Nacht festgenommen hatte. Ein kurzer Besuch in der Untersuchungshaftanstalt konnte die wesentlichen Eckpunkte klären. Jerschenko, so hieß der Schieber, war zunächst mißtrauisch und vermutete eine Finte, aber ich konnte seine Bedenken zerstreuen. Der Rest war ein Kinderspiel. Ich ließ mir die ermittelnden Polizisten kommen und knallte Ihnen die Akte auf den Tisch "Das nennen Sie Ermittlungen? Mit der Beweislage mache ich mich zum Gespött in der Landgerichtskantine! Das ist kein Abschlussbericht, das ist ein Sabotageakt an der Justiz." Wie getretene Hunde verließen die beiden Hauptkomissare mein Büro und ein paar Stunden später war der Haftbefehl gegen Jerschenko aufgehoben. Der Ukrainer erwies sich als sehr verläßlicher Partner. Am nächsten Tag waren die beiden Autos verschwunden und ich konnte mich über einen Briefumschlag mit 20.000 Euro freuen.
Die Dinge entwickelten sich. Die Schweizer kamen regelmäßig und Vitaly - wir waren inzwischen zum vertraulichen Du übergegangen - kümmerte sich um den Verbleib der Autos. Einmal fand ich einen Schweizer in einem schauderhaften Zustand vor. Ich glaube, es war ein Siebener BMW aus Bern. Er, der Schweizer, nicht der Wagen, mußte unter einen Zug geraten sein oder dergleichen. Ich hinterließ, nachdem ich die Sauerei begraben hatte, eine Notiz, dass ich so etwas nicht mehr erleben möchte. Danach fand ich nur noch korrekte Schussverletzungen oder Erdrosselungen. Irgendwann erzählte mir Vitaly, dass er einen jüdischen Schwager habe, der ohne Probleme eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland kriegen würde und der gerne bereit sei, sich um mein Haus zu kümmern. Da ich meiner Tätigkeit als Staatsanwalt ohnehin überdrüssig war, hatte ich keine Einwände. Ich quittierte den Dienst, kaufte mir von meinem inzwischen angesparten kleinen Vermögen ein bescheidenes Weingut in der Toskana. Vitalys Schwager zahlte noch zwei Jahre Miete und kaufte mir das Haus dann ab. Er hat mich neulich besucht. Wir haben viel gelacht. "Die Schweizer" berichtete er "kamen irgendwann nicht mehr". Das sei aber auch in Ordnung gewesen, denn er habe im Garten ohnehin keinen Platz mehr gehabt. Er habe nie erfahren, wer die Toten waren oder warum sie verschwinden mussten. Und dann schwärmte er von den Früchten des Gartens. "Ein würzigeres Gras, mein Lieber" freute er sich, "kriegste nirgends nich."