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Touchdown

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10.03.2005
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Touchdown

In London landeten wir mit einem platten Reifen und es war meine Schuld.

Ich musste beim Outside Check irgend etwas übersehen haben. Einen Riss, eine Vertiefung, keine Ahnung. Ich war in Eile.
Es macht keinen Spaß, im Nieselregen unter den Tragflächen herumzuklettern, zitternd in die neongelbe Schutzweste gehüllt, während der Kapitän im Cockpit in aller Seelenruhe die Flugroute einprogrammiert und seinen ersten Kaffee trinkt.

Als ich später im Terminal saß und den entsprechenden Papierkram erledigte, rief ich mir den Augenblick erneut ins Gedächtnis. Den Touchdown, das plötzliche Quietschen, den Rauch. Ich glaube, mein Herz setzte kurzzeitig aus, als die Maschine ins Schlingern geriet.
Ich kann die Passagiere beinahe vor mir sehen, wie sie ihre Finger in die Armlehnen krallten. Wie sich die Stewardessen entsetzte Blicke zuwarfen. Zeitungen, die aus den Ablagen rutschten. Blasse Gesichter. Der Geruch von Kerosin und verbranntem Gummi.

Selbst der Kapitän konnte einen entsetzten Aufschrei nicht unterdrücken, gefolgt von einem „Verdammte Scheiße!“
Das alles dauerte nur wenige Sekunden, dann hatten wir die Maschine wieder unter Kontrolle, sicher auf der Landebahn, zurück auf der Mittellinie.

„Lufthansa Two Four Seven“, klang die mahnende Stimme des Fluglotsen aus meinem Kopfhörer. „Do you need assistance?“

“Affirmative”, antwortete ich leicht zitternd. „There seems to be a problem with the gear. We might not be able to taxi.”

“Copy that.”

Kein guter Tag, dachte ich, während ich das Treiben am Flughafen beobachtete, den Kugelschreiber in der rechten Hand, eine Zigarette in der linken.

„So etwas kann immer mal passieren“, hatte der Kapitän zu mir gesagt, als wir beide den ersten Schrecken überwunden hatten. „Davon geht die Welt auch nicht unter.“ Er klopfte mir auf die Schulter. Eine ungewohnt väterliche Geste von einem Mann, der gerade mal fünfzehn Jahre älter war als ich selbst.
„Wahrscheinlich war die Beschädigung des Reifens unsichtbar. Es ist nicht deine Schuld.“
Ich nickte dankbar und lächelte.

Ich wusste es besser. Ich hatte nicht richtig hingesehen.

Er half mir, die wichtigsten Formalitäten zu klären und spendierte mir noch einen Kaffee, bevor er mich allein ließ. Fast kam es mir so vor, als hätte er ein schlechtes Gewissen. Vielleicht, dachte ich, bereute er es, den Outside Check nicht persönlich durchgeführt zu haben.
So teilten wir uns die Verantwortung und einigten uns darauf, die Sache als unabwendbaren Unfall einzustufen. Es war ja nichts geschehen.
Ein Reifen konnte schnell ausgetauscht werden.

Eigentlich, dachte ich, war die Erfahrung gar nicht mal so schlecht gewesen. Dieser plötzliche Schock, die Angst, das Zittern der Hände. Ein Schlag ins Gesicht, wenn man am wenigsten damit rechnet. Ein Kick.

Manchmal erwische ich mich auch jetzt noch dabei, wie ich mich nach einem Unfall sehne. Nicht nur nach einem platten Reifen, sondern nach etwas Großem. Einem brennenden Triebwerk, einem Leck in der Druckkabine, einer Notwasserung. Einer Katastrophe.
Ich wünsche mir dieses Gefühl zurück. Den rasenden Puls, das Adrenalin, die volle Konzentration, die Angst.
Es wäre Mutprobe, Läuterung, Wiedergeburt. Es würde mein Leben verändern. Auf die eine oder andere Art. Es wäre genau das, was ich bräuchte.

Ich schätze, ich werde auch weiterhin nachlässig sein, wenn ich im Regen unter dem Rumpf der 737 herumklettere.
Wer weiß, vielleicht habe ich eines Tages Glück.

 

Hallo Feline,

ich dachte nach dem Lesen an gewisse Feuerwehrleute, die selbst zündeln, um später als Held dazustehen. Oder aus Gier am Löschen. Dein Protagonist hat auch Blut geleckt an Situationen, die uns Menschen schocken, anders denken und handeln lassen.

Er nimmt gelassen die Möglichkeit in Kauf, anderen (bis zum Tod) zu schaden. Krank ist er und bräuchte Unterstützung. Wahrscheinlich fehlt ihm außerhalb seiner Arbeit Wichtiges, das in fordert und auch Menschen, die ihn respektieren.

Inhaltlich kann ich nicht beurteilen, ob du die Check-Situation realistisch abhandelst. Für mich ist das auch sekundär. Die Geschichte ist gut erzählt und bringt mir den Prot nahe. Lediglich die drei Punkte am Ende gefallen mir nicht so, ich hätte einen schlichten Punkt oder ein Fragezeichen gesetzt. Aber das ist eine Kleinigkeit.

Lieber Gruß
bernadette

 

Hi Bernadette!

Deine Kritik hat mich wirklich sehr gefreut! Du schreibst, ich konnte dir den Prot nahe bringen, und deine Interpreation spiegelt das auch wider - das ist ein großes Kompliment für mich.

Jetzt wo du die drei Punkte am Ende ansprichst... Du hast Recht!
Es ist zwar nur ein Detail, aber gerade der Schluss einer Geschichte ist so unendlich wichtig.
Der letzte Satz kann alles zerstören. Wenn er nicht perfekt sitzt, hinterlässt er einen widerlichen Nachgeschmack.
Ich muss das sofort ändern. Jetzt direkt.

Vielen, vielen Dank!

Schöne Grüße,
Feline

 

Hallo Feline,

ich frage mich, wer dein Prot ist. Wer macht denn die Inspektionen an der Maschine?

Vielleicht, dachte ich, bereute er es, den Outside Check nicht persönlich durchgeführt zu haben.
Ich glaube nicht, dass der Kapitän bei einer großen Linie wie der Lufthansa dafür zuständig ist, sondern Techniker, und , wie Crichton sagt, alles, auch jede Schraube, wird als High Tech angesehen.

Insofern weiß ich nicht, ob deine Geschichte technisch funktioniert.(Ich gehöre zu denen, die sich auch in Filmen über technische Fehler aufregen können :shy: , während es meinen Freund völlig kalt lässt.) Die Idee, die Lust an Risiko und Drama zu beschreiben, finde ich aber gut.

Gruß, Elisha

 

Elisha: Captain oder Copilot machen zumindest einen Sichtcheck der Maschine, also passt es schon :)


Zur Geschichte:
Ich hätte die Geschichte fast nicht gelsen, wegen dem englsichen Titel, sowas mag ich ganz und garnicht.

Irgendwie habe ich sie dann doch angeklickt, und sie gefällt mir.

Für den Kick auch andere zu gefährden, das gibt es täglich, bernadette erwähnte den feuerwehrmann, aber auch jeder Raser auf der Autobahn tut das Gleiche. Aber in dieser Story ist es sehr perfide, Fleigen ist etwas das Viele ängstigt und hier wird dann auch noch mit dem Leben der Passagiere gespielt.

Mir gefällt die Geschichte sehr gut - grade weil Piloten doch immer das sind zu denen man als Kind und teilwiese als Erwachsener aufschaut, so wie zu Ärzten, weil es Menschen sind denen man sein leben für eine gewisse zeit anvertraut.

Rein formal gesehen ist mMn der letzte Satz überflüssig. es kommt schon vorher rüber das er von diesem Kick nicht mehr lassen wird .... (irgendwas muss ich immer kritisieren :D)

:)

 

Hi Elisha & Jadzia!

@ Elisha
Jadzia hat es ja schon erwähnt: der Prot ist der Copilot.
Normalerweise ist es der Kapitän persönlich, der vor dem Start einmal um das Flugzeug herumgeht und nach offensichtlichen technischen Mängeln Ausschau hält. Er kann aber die Arbeit delegieren, dann muss der Co raus. Das wird besonders bei Regen so gehandhabt...
Klingt zwar ziemlich rückständig, ist aber wirklich so. :)

Danke fürs Lesen und Kritisieren!

@ Jadzia
Gibt es ein deutsches Wort für Touchdown? *g*
(Das Aufsetzen... klingt irgendwie nicht so prickelnd.)
Aber ich muss zugeben, ich bin schon ein paar mal wegen englischer Titel gerüffelt worden. Ich arbeite dran. Ehrlich.
Ich find's auf jeden Fall ganz toll, dass dir die Geschichte gefallen hat, und vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, ein paar Zeilen dazu zu schreiben.

Schönen Tag euch beiden,
Feline

 

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