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Touchdown
In London landeten wir mit einem platten Reifen und es war meine Schuld.
Ich musste beim Outside Check irgend etwas übersehen haben. Einen Riss, eine Vertiefung, keine Ahnung. Ich war in Eile.
Es macht keinen Spaß, im Nieselregen unter den Tragflächen herumzuklettern, zitternd in die neongelbe Schutzweste gehüllt, während der Kapitän im Cockpit in aller Seelenruhe die Flugroute einprogrammiert und seinen ersten Kaffee trinkt.
Als ich später im Terminal saß und den entsprechenden Papierkram erledigte, rief ich mir den Augenblick erneut ins Gedächtnis. Den Touchdown, das plötzliche Quietschen, den Rauch. Ich glaube, mein Herz setzte kurzzeitig aus, als die Maschine ins Schlingern geriet.
Ich kann die Passagiere beinahe vor mir sehen, wie sie ihre Finger in die Armlehnen krallten. Wie sich die Stewardessen entsetzte Blicke zuwarfen. Zeitungen, die aus den Ablagen rutschten. Blasse Gesichter. Der Geruch von Kerosin und verbranntem Gummi.
Selbst der Kapitän konnte einen entsetzten Aufschrei nicht unterdrücken, gefolgt von einem „Verdammte Scheiße!“
Das alles dauerte nur wenige Sekunden, dann hatten wir die Maschine wieder unter Kontrolle, sicher auf der Landebahn, zurück auf der Mittellinie.
„Lufthansa Two Four Seven“, klang die mahnende Stimme des Fluglotsen aus meinem Kopfhörer. „Do you need assistance?“
“Affirmative”, antwortete ich leicht zitternd. „There seems to be a problem with the gear. We might not be able to taxi.”
“Copy that.”
Kein guter Tag, dachte ich, während ich das Treiben am Flughafen beobachtete, den Kugelschreiber in der rechten Hand, eine Zigarette in der linken.
„So etwas kann immer mal passieren“, hatte der Kapitän zu mir gesagt, als wir beide den ersten Schrecken überwunden hatten. „Davon geht die Welt auch nicht unter.“ Er klopfte mir auf die Schulter. Eine ungewohnt väterliche Geste von einem Mann, der gerade mal fünfzehn Jahre älter war als ich selbst.
„Wahrscheinlich war die Beschädigung des Reifens unsichtbar. Es ist nicht deine Schuld.“
Ich nickte dankbar und lächelte.
Ich wusste es besser. Ich hatte nicht richtig hingesehen.
Er half mir, die wichtigsten Formalitäten zu klären und spendierte mir noch einen Kaffee, bevor er mich allein ließ. Fast kam es mir so vor, als hätte er ein schlechtes Gewissen. Vielleicht, dachte ich, bereute er es, den Outside Check nicht persönlich durchgeführt zu haben.
So teilten wir uns die Verantwortung und einigten uns darauf, die Sache als unabwendbaren Unfall einzustufen. Es war ja nichts geschehen.
Ein Reifen konnte schnell ausgetauscht werden.
Eigentlich, dachte ich, war die Erfahrung gar nicht mal so schlecht gewesen. Dieser plötzliche Schock, die Angst, das Zittern der Hände. Ein Schlag ins Gesicht, wenn man am wenigsten damit rechnet. Ein Kick.
Manchmal erwische ich mich auch jetzt noch dabei, wie ich mich nach einem Unfall sehne. Nicht nur nach einem platten Reifen, sondern nach etwas Großem. Einem brennenden Triebwerk, einem Leck in der Druckkabine, einer Notwasserung. Einer Katastrophe.
Ich wünsche mir dieses Gefühl zurück. Den rasenden Puls, das Adrenalin, die volle Konzentration, die Angst.
Es wäre Mutprobe, Läuterung, Wiedergeburt. Es würde mein Leben verändern. Auf die eine oder andere Art. Es wäre genau das, was ich bräuchte.
Ich schätze, ich werde auch weiterhin nachlässig sein, wenn ich im Regen unter dem Rumpf der 737 herumklettere.
Wer weiß, vielleicht habe ich eines Tages Glück.