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Tourniquet
Wie immer um kurz vor Mitternacht saß Andra allein auf einem alten Grabstein auf dem West-End Friedhof und hörte dem Wind zu wie er leise durch das Gras und die alten Weiden blies.
Sie seufzte leise und strich sich eine Sträne ihres schwarzen Haares aus dem Gesicht...langsam rollte eine kristallene Träne aus ihren grünen Augen und tropfte auf einen einsamen Grashalm.
"Wieso ich...?" fragte sie leise in die Dunkelheit hinein, doch es kam keine Antwort.
Diese Frage stellte sich Andra in den letzten Tagen oft.
Langsam wandte sie sich zu dem Grab um und las die Inschrift, nun schon zum tausendsten mal, wie es ihr vorkam.
Maria Helbig
* 16.04.1965
† 18.05.2004
Geliebte Tochter, Ehefrau und Mutter
Wir werden Dich nie vergessen...
Es stimmte...niemals würde sie in Vergessenheit geraten, jedenfals nicht bei Andra.
Gerade jetzt erinnerte sie sich an manche Abende mit ihrer Mutter als sie beide ganz allein in dem großen Haus gewesen waren.
Sie hatten dann immer zu zweit im Wohnzimmer gesessen und sich einen Film angesehen, meistens gab es dann noch Popcorn.
Doch...vor ungefähr einer Woche war Andra nach Haus gekommen und hatte ihre Mutter im Badezimmer gefunden, sie lag wie leblos auf dem Boden und der Duschvorhang den sie so liebevoll aufgehängt hatte lag neben ihr, die rechte Hand ihrer Mutter umkrampfte ihn noch an einer Stelle.
Erschrocken hatte sie den Mund aufgerissen um zu schreien, aber es kam kein Wort heraus.
Unter Schock war sie die Treppe hinunter gerannt um den Notarzt zu rufen, doch die Leitung war wie tot.
Tränen hatten sich den Weg in ihr Gesicht gebahnt und versuchten ihr nun die Sicht zu nehmen.
In dem Moment hatte es an der Tür geklingelt.
Sie konnte sich noch daran erinnern dass sie die Tür aufgerissen hatte und den Mann der davor stand um ein Handy angefleht hatte.
Ab diesem Zeitpunkt waren ihre Erinnerungen nur noch verschwommen zu deuten.
Der Mann hatte den Notarzt gerufen und sich auch um alles weiter gekümmert bis ihr Vater gekommen war.
Weinend war sie ihm in den Arm gefallen und zusammen sind sie dann ins Krankenhaus gefahren.
Doch der Arzt konnte nur sagen dass ihre Mutter einen Schlaganfall gehabt hatte und gestorben war.
Und nun stand sie hier, vor dem riesigen Grabstein ihrer Mutter die mit gerade mal 39 Jahren gestorben war.
Andra war jetzt 16 Jahre alt, ihre Mutter hatte sie relativ früh bekommen und dadurch hatten sich die beiden immer wunderbar verstanden...hatten...
Erneut stiegen ihr Tränen in die Augen und wieder wünschte sie sich doch bei ihr sein zu können.
Ein Leben ohne ihre Mutter konnte sie sich nicht vorstellen...gerade jetzt da ihr Vater auch nicht mehr zu Hause war.
Nach dem Tod seiner Frau hatte er sich in seiner Büroarbeit vergraben, und kam erst spät zurück, aber meistens übernachtete er in seinem Büro.
Zu Viel erinnerte an seine geliebte Maria.
Andra's Oma passte tagsüber auf sie auf, doch Abends ging sie meistens wieder weil sie die Trauer des Mädchens nicht ertragen konnte.
Andra ging näher an den Grabstein heran und griff vorsichtig dahinter, so als würde er bei der kleinsten Berührung zerfallen.
Hervor holte sie einen alten Rucksack den sie noch von ihrer Mutter hatte.
Er war schwarz und hatte eine kleine goldene Rose auf der Vorderseite mit der Aufschrift "Für meine Süße".
Sie hatte ihn extra für Andra anfertigen lassen.
Einen Moment lang sah sie sich die Rose an und wieder wurde sie von Erinnerungen durchflutet, doch dann fasste sie sich wieder und zog ihn ganz hinter dem Grabstein hervor.
Langsam öffnete sie ihn und schob ihre Hand hinein, heraus holte sie ein altes Foto auf dem ihre Familie noch vereint gewesen war.
Alle hatten ein Lächeln auf den Lippen und dieser Anblick zauberte auch eins auf Andras Gesicht.
Doch viel zu schnell wurde es von Trauer abgelöst und sie blickte zu Boden.
Andra griff erneut in den Rucksack und diesesmal zog sie ein kleines Taschenmesser heraus und hielt es vor sich um es genauer anzusehen.
Sie klappte es auf und strich mit einem Finger die glatte Klinge entlang, ein Funkeln erschien in ihren Augen.
Ihr schossen alle möglichen Gedanken durch den Kopf, doch nach außen hin wirkte sie vollkommen ruhig.
Sie griff in die Tasche ihres Mantels und zog einen weißen Umschlag heraus. "Für Vati" stand darauf in ihrer sauberen Handschrift geschrieben.
Sie legte ihn auf das Grab ihrer Mutter und sah sich noch ein letztes mal auf der einsamen kleinen Lichtung um.
Es war eine der klarsten Nächte die Andra je erlebt hatte und sie konnte den Mond so groß wie nie erkennen.
Um ihn herum funkelten winzige Sterne die ihr zu zulächeln schienen und auf ihrer Wange funkelte auch etwas, jedoch waren es keine Sterne sondern Tränen.
Es gab kein Zurück mehr, sie wollte auch gar nicht zurück.
Ein aller letztes mal sah sie sich den Friedhof an und die Welt die ihn umgab, dann nahm sie das Messer fester in die Hand.
Entschieden wischte sie sich mit der freien Hand die Tränen aus dem Gesicht und sah auf den Grabstein ihrer Mutter.
Andra nahm das Familienfoto in die Hand und drückte es noch ein letztes mal fest an sich, um noch einmal so etwas wie Liebe zu empfinden.
Ihre letzten Blicke sollten den Sternen und dem Grabstein ihrer Mutter gewidmet sein...
Ihr Griff um das Messer strafft sich....es schlägt Mitternacht....es fällt ins Gras...die blutverschmierte Klinge blitzt im Mondlicht....Andra fällt auf das Grab ihrer Mutter.
Eine letzte Träne so klar und rein wie ein Kristall läuft über ihre Wange und mit tränenerstickter Stimme flüstert sie: "Es tut mir leid Mama...."
Dann wird Alles schwarz um sie herum...
Ende
P.S.: Ich weiß nich ob die Story in das Genre passt, aber ich hoffe es^^