- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 15
Toy-Run
„Komm schon, Sabrina, fahr mit!“, fordert Oliver ein letztes Mal, während er in seine Lederkluft steigt. „Ach, deine Ausfahrten gehen mir auf den Geist. Fahr doch alleine mit deinen Kumpels, ich mach mir schon einen schönen Tag...“, weicht sie aus, „...ich leg mich im Freibad in die Sonne und vergesse die Welt um mich, und dich...“, dabei schmiegt sie sich an seinen Körper und grinst ihn an. Ein erstes Wehren unterdrückt sie mit einem ausgiebigen Kuss, dem er nicht widerstehen kann. Schließlich kommt er doch noch los. „Ach komm schon, hör auf, du weißt, dass mir das heute wichtig ist...“ Seine Stimme beginnt, an Willen zu verlieren, während Sabrina von hinten zwischen seinen Beinen nach vorne greift und seine auch durch das Leder deutlich spürbare Männlichkeit befühlt. „Sabrina, hör auf...“, versucht er sich in unglaubwürdigem Tonfall gegen Sabrinas Überfall zu wehren. Er muss sich sehr beherrschen, um sein Vorhaben, das ihm sehr wichtig ist, nicht ins Wasser fallen zu lassen. Seine Freunde hätten ihn auch ausgelacht, wenn er gerade heute aus diesem Grund nicht gekommen wäre. Also nimmt er sie an den Schultern, schiebt sie von sich weg und erklärt: „Wenn du mich davon heute abhältst, bin ich dir ernsthaft böse. Also überleg dir das nochmal, es steht dir frei, mitzukommen, dann musst du dich aber beeilen.“
Das Telefon unterbricht die Situation im richtigen Augenblick. Oliver meldet sich und beendet das Gespräch kurz danach: „Bis gleich!“ Zu Sabrina gewandt fordert er: „Also was ist? Kommst du mit?“
„Na gut, wieder eine dieser sinnlosen Ausfahrten...“, antwortet sie und holt den noch fast neuen Motorradanzug aus dem Schrank.
„Du hast mir scheinbar die letzten Tage überhaupt nicht zugehört, als ich dir erzählt habe, worum es heute geht. Ich habe dir doch gesagt, dass das für die Waisenkinder ist!“, entgegnet Oliver, während er sich den extra gekauften Teddy-Bär vorne in seine Jacke steckt. „Das LEGO kannst du dir einstecken, weil ja jeder Teilnehmer ein Spielzeug mitbringen muß“, setzt er nach und wirft die Packung neben ihrem Rucksack auf den Boden.
„Ich bin schon fertig, komme gleich!“, ruft sie ihm entgegen und erscheint kurz darauf im Vorzimmer, steckt das LEGO in den Rucksack, sowie einen Socken, dessen Ende sie heraushängen läßt, und zieht sich ihre Stiefel an. „Was willst du denn mit dem Socken?“
„Da ist meine Piccolo-Flöte drinnen. Wenn mir fad wird, übe ich ein bisschen.“
Gemeinsam mit hundertsiebenundvierzig anderen Bikern fahren sie Richtung Hinterbrühl. Es beginnt eine gemütliche, kurvige Fahrt durch die hügelige Landschaft Niederösterreichs, wo sich in einem SOS-Kinderdorf schon zahlreiche Kinder auf die Ankunft der Motorradfahrer freuen.
Zwischendurch machen sie für ein geselliges Mittagessen Rast. Während sie auf das Essen warten, nennt der Organisator der Veranstaltung die Summe, die sie am Ziel überreichen werden: "Leute, wir haben 27.000 Schilling an Nenngeldern und Spenden im Gepäck! Damit ist unsere Aktion ein größerer Erfolg, als wir erwartet haben und ich danke euch hiermit für euer Engagement!"
Während sich alle freuen und applaudieren, flüstert Sabrina Oliver ins Ohr: „Es war doch gut, dass du mich überredet hast, mitzukommen!“ Oliver nimmt ihr Gesicht in seine rauhen Hände und bedankt sich mit einem Kuss für diese Einsicht, durch die ihm das letzte Stück der Fahrt noch mehr Spaß macht, als zuvor. Er liebt Sabrina und es machte ihn schon traurig, dass sie in letzter Zeit immer seltener mit ihm mitfuhr. Dabei haben sich die beiden vor zwei Jahren auf einer Ausfahrt kennengelernt. Charly brachte damals seine „kleine“ Schwester mit, die unbedingt einen Biker, wie ihren Bruder, kennenlernen wollte. Zurück fuhr sie dann mit Oliver, dem diese Szenen nun wieder durch den Kopf gehen.
Im Kinderheim angekommen, werden sie schon freudig von den Kleinen erwartet. Die abgestellten Motorräder ergeben ein eindrucksvolles Bild, das sich, durch Kinderaugen betrachtet, sicher noch verstärkt. Der Gabentisch füllt sich zusehends. Nachdem die Geldspende unter tobendem Applaus übergeben wurde, beginnt der eigentliche Spaß für die Kinder: Sie dürfen auf den Sozius-Sitzen der Motorräder eine Runde mitfahren, was ihre Augen zum Leuchten bringt. Da eine Runde nicht genug ist, bei Kindern, die sonst nicht viel haben, werden noch einige mehr gefahren. Während Oliver Kinder chauffiert, sitzt Sabrina auf der Wiese und zaubert Melodien aus ihrer Flöte. Währenddessen wird sie sich bewusst, wie sehr sie ihn bisher verkannt hatte. Diese Seite an ihm war ihr ganz neu.
Es ist Zeit, Schluss zu machen und wieder abzufahren, auch wenn sich niemand wirklich schon trennen will. Die Kinder winken der lauten Motorradmasse nach, die ihnen so viel Freude gebracht hat, bis sie sie nicht mehr sehen. Hören können sie das Dröhnen der Motoren noch länger und so lange bleiben sie auch noch draußen, bevor sie diesen zufriedenen Tag im Heim beenden gehen.
Während der Rückfahrt muss Oliver mehrmals die Hände von Sabrina an eine andere Stelle legen, da er sonst die Fahrsicherheit gefährdet sieht. „Wart nur, wenn wir nach Hause kommen!“, ruft er ihr durch den Helm zu und gibt demonstrativ kurzzeitig mehr Gas.
Vom Abschlussfest verabschieden sie sich bald, zur Verwunderung der befreundeten Biker.
Zu Hause angekommen, sperrt Oliver die Wohnungstür auf, schließt sie hinter Sabrina, nimmt sie in den Arm und meint: „OK, jetzt lasse ich mir alles gefallen, was du willst. Also nochmal, wie war das heute morgen?“
**************************************************************************
Diese Geschichte schrieb ich als Anerkennung für die Toy-Run -Teilnehmer, von deren Aktion ich sehr beeindruckt bin, die sie nun seit 1993 (die Zahlen dieses Jahres nahm ich als Geschichtengrundlage) jährlich veranstalten und zwischendurch auch noch Aktionen setzen. Heuer fuhren bereits 2.804 Bikes mit, dabei wurde die Summe von € 48.411,-- gesammelt. Die in meiner Geschichte handelnden Personen sind jedoch frei erfunden.
Susi P.