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Tränen

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01.03.2008
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Tränen

Sie saß schweigend auf ihrem Stuhl in der Küche. Ein schier unerträglicher Druck lag auf ihrer Brust. Er drohte sie von innen zu erdrücken. Ihre Gedanken kreisten immer um dieselbe Sache.
Da plötzlich spürte sie es. Nass, warm kullerte eine Träne über ihre Wange hinunter. Vorbei an der Nase, über den Mund, das Kinn, löste sich vom Gesicht und landete –platsch- auf dem Küchenboden.
Traurig und zugleich erleichtert betrachtete sie den Wasserfleck, der mit freiem Auge kaum zu erkennen war. Sogleich folgte eine zweite, eine dritte Träne.
Die Tore hatten sich endlich geöffnet und all der Druck schien zu entweichen. Bäche, Flüsse liefen ihr über die Wangen, fielen auf den Boden und vereinigten sich dort zu einem Ganzen.
Jeder einzelne der Tropfen brachte Erleichterung, löste Blockaden, schwemmte den Schmerz aus dem Körper.
In einer kleinen Delle im Boden sammelten sich die Tränen zu einer Wasserlacke. Jetzt für jedermann sichtbar.
Sie konnten nicht mehr aufhören zu weinen, beweinte all ihre letzten Jahre. Schuf einen See zu ihren Füßen.
Die Erleichterung und die gleichzeitige Traurigkeit hatten sie so gefangen, dass sie alles um sich herum vergaß.
Sie rutschte von ihrem Sessel, fiel kopfüber auf den Boden, blieb unbewegt liegen.

Man fand sie am Boden liegend - tot.
Die Obduktion ergab: Tod durch Ertrinken

 

Seltsam!

Hallo Kröte72, Tränen, waren sie der Auslöser? Der Titel sprach mich übrigens an und ich dachte, sieh mal nach. Dankbar war ich über die Textlänge; sie ist ermutigend kurz. Der Inhalt ist brisant; er ist surreal. Ich mag ihn interpretieren:

Sie saß schweigend auf ihrem Stuhl in der Küche.
Du beginnst also mit einer Ortsbeschreibung. Und dem schließt sich die Lebenssituation an. Der Leser bekommt also zu wissen, daß es sich in dieser Geschichte um eine Protagonistin (nicht Protagonisten) handelt. Eine Frau also, die sehr traurig ist und langsam zu weinen beginnt. Worüber bleibt unklar.

Jeder einzelne der Tropfen brachte Erleichterung, löste Blockaden, schwemmte den Schmerz aus dem Körper.

Hier erklärt die Erzählerin aber die Wirkung, die Tränen haben. Sie erleichtern. Psychisch beschreibst du also etwas, was dem Menschen sehr gut tut. Er gesundet im Normalfall daran.

Schuf einen See zu ihren Füßen.
Und die Erzählerin bedient sich zahlreicher Metaphern, wie die oben zitierte. Es gibt der Handlung Bildhaftigkeit. Es macht die Geschichte interessant.

Sie hörte nicht wie das Fenster splitterte, wie sich Schritte näherten, ein Mann hinter sie trat.
Ich fragte mich beim lesen, ob ein eingeschlagenes Fenster wirklich überhört werden kann. Realistischer Weise nur kaum. Also gut, nehme ich an, es geschah der Protagonistin so, dann will ich glauben, daß sie unglaublich traumatisiert war. Ein Mann tritt zu ihr von hinten heran? Sicherlicher eine Bedrohung, die hier geschildert ist, dieses bereits beim Zerschlagen des Fensterglases. Dem Leser wird es ganz spannend.


Sie rutschte von ihrem Sessel ...

Eingang saß sie in der Küche auf einem Stuhl. Die Handlung wirkt hier unglaubwürdig.

Ein dumpfer Schlag, war alles was sie spürte.
Hier erklärt sich seltsames. Normalerweise folgen Tränen einer Verletzung. Man muß eine Beziehungstat vermuten. Grundlos wird der Täter nicht gehandelt haben. Seltsam ist das Motiv zur Tat. Man kann es nur erraten.

Die Obduktion ergab: Tod durch Ertrinken
Du schließt mit einer Metapher. Mir erscheint in meinen Vorstellungen beim Lesen eine Wasserlache (du schreibst übrigens Lacke. Ich weiß nicht, was richtiger ist. Ist mir egal. Ich mag sie mit den überzeichneten verkrümmten Uhren von Dali vergleichen. In diesen Wasserlachen lag sie eigentlich. Es ist surrealistisch und erzeugt in mir ein ganz starkes Bild. Außerdem bedeutet all das Geschehene vielleicht auch, das der Mann die seelische Qual nicht ertragen konnte und deshalb das Leiden der Frau beenden wollte. Nicht der Totschlag (Mord?) sondern die seelische Qual brachte den Tod. Der Täter erscheint als Erlöser. Uahhh. - Sage mir, ging dieser Tat eine Trennung voran? Es bleibt offen, es bleibt interpretierbar und es bleibt spannend.

Ich finde diese Geschichte grausam. Aber auch grausame Geschichten haben ihre Berechtigung, weil Grausamkeiten geschehen. Man kann sie nicht leugnen. Deine Protagonistin wird verleugnet und zwar durch den Obduktionsbericht. Ihr unnatürliches Ende sei nicht wahr, will uns diese seltsame Geschichte weismachen. Ihr Tod scheint egal? Ein Tod, der gar keiner war? War das Erlösung? Ich fände es furchtbar.

Weiter will ich nicht gehen. Änderungsvorschläge will ich trotz der Unschlüssigkeiten nicht machen; es liegt an der Kategorie und an der dichterischen Freiheit, die Dir zusteht. Die Verzerrung der Handlung macht die Geschichte außerdem umso seltsamer. Deshalb muß es hier wahrscheinlich so. Diese Geschichte ist sehr gut zu lesen, voller Handlung, und surreal dargeboten, so mein Fazit. In der Kürze lag mir die Würze. Ich habe sie gerne gelesen.

(ps. Du liest auch gerade Frau Jelinek. Ich habe sie kürzlich erst durch. Vielleicht stehen wir beide deshalb unter dem selben Stern und ich sprang sofort an, als ich den Titel las. Irgendwie infiziert Literatur. Ich finde es witzig. SuperPS: Ich las die Klavierspielerin, bin immer noch begeistert und arbeite noch daran. War auch seltsam, dieser unglaubliche Liebesroman)

Liebe Grüße von joasch

 

Hallo Joasch!
Ich danke dir viel viel mals für deine ausführliche Interpretation. Alaso wenn dieser kleine Text dich zu so vielen Gedanken angeregt hat, hat er alles geschafft was er nur sollte und noch vieles mehr.
Für mich begann diese Geschichte ganz banal mit meinem Sohn der meinte:"In einer Wasserlacke kann man nicht ertrinken." Daraus wurde die Frage, die mich Tage quälte "Kann man in Tränen ertrinken?"
Mir hätte schon gereicht, wenn du dir für eine Sekunde lang am Schluss gedanken über diese Frage gestellt hättest-
Aber so - du siehst mich grinsen wie ein Schaukelpferd
Antworten über das "Warum" der Tränen und über den Einbrecher kann ich dir nicht geben, denn das war für mich bei diesem Text nicht relevant.

Schönen Tag noch ( meiner ist ja nun gerettet gg)

kröte

PS: Danke für den Buchtipp -wenn ich mich durch die Jelinek geackert habe, werd ich mir das mal raussuchen.)

 

Hallo,

Und der Pathologe hat die Druckstelle für den Schlag übersehen, oder wie? Also was soll denn der Mann da, der sie schlägt? Das nimmt doch der Geschichte die Kraft, wenn sie jetzt in einer rauschenden Euphorie ertrunken wäre, als Heul-Junkie, weil das die Blockaden löst - okay, das hätte ich nachvollziehen können. Am Berauschen über das eigene Leid ertrunken!
Aber: Daran stirbt sie ja nicht, jemand schlägt sie k.o. und sie hätte dann genau so gut, an ihrer Zunge ersticken können.
Ehm, das mit dem "In einer Pfütze ertirnken" hab ich schon öfter mal gelesen und gesehen, dass das auch die eigenen Tränen sein können - okay.
aber der wichtige ist ja - wie gesagt - der Mann. Ich dachte erst: "Ah, das ist der Grund für ihr Weinen - Liebeskummer", aber nein, das ist einfach nur ein Element von Außen, das in der Geschichte nicht verankert ist und dann dazu kommt.
Mir hätte es wesentlich besser gefallen, wenn die Geschichte surrealer geblieben wäre und wenn sie wirklich an ihren Tränen gestorben wäre und nicht an diesem Schlag.

Gruß
Quinn

 
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Hallo Quinn!
Sie ist nicht an dem Schlag gestorben, der hat sie nur bewusstlos gemacht- gestorben ist sie in ihren Tränen.
Der Schlag wurde nicht übersehen, er war nur nicht die Todesursache.

Ich brauchte den Mann nicht für mehr, er ist nur ein einfacher Einbrecher, nicht merh und nicht weniger. Ein Mann zur falschen Zit am falschen Ort(oder auch nicht?)nmächtig werden lassen können aus Kraftlosigkeit, aber ich wollte Einwirkung von Aussen haben, wie es so oft im Leben auch ist.
Genau diesen übertragenen Sinn des "Ertrinken in ihren Tränen" (am eigenen Leid ertrunken) wollte ich nämlich nicht haben. Ein möglichst einfaches, alltägliches, reales Ertrinken habe ich gesucht.

liebe Grüße

kröte

 

Ein möglichst einfaches, alltägliches, reales Ertrinken habe ich gesucht.
Hä? Und dann kommt da ein nebulöser Typ einfach in ihre Wohnung, schlägt sie von hinten bewusstlos (völlig motivationslos) und in ihrem Fußboden ist dann genau so eine Stelle, damit sich da ein Pfütze bilden kann, in der sie ertrinkt?
Also als "reale" Geschichte funktioniert das überhaupt nicht. Geh doch mal her, fülle ein Glas Wasser und kipp ihn über den Fußboden, das verläuft sich sofort, wenn da nicht gerade eine Unebenheit im Boden ist.
Die Geschichte funktioniert überhaupt nur surreal, wenn sie soviel heult, dass der Wasserpegel des Zimmers wirklich ansteigt.

Gruß
Quinn

 
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hallo quinn!
ok da hab ich mich viellciht ein wenig missverständlich ausgedrückt.
Aber es sollte nicht "das ertrinken " im übertragenen sinn sein;
leider kann ich es dir nicht besser erklären, was ich meine--schade "du verstehst mi ned, du verstehst mi ned,............" sing sing

Schade, dass der Text bei dir nicht errichen konnte was er sollte.

baba kröte

Ps: was ich nicht verstehe ist, warum es für jede handlung eine erklärung der motivation geben muss- jeden tag brechen menschen in häuser ein, oder schlagen sich aus nichtigen gründen? die motivation des mannes ist für mich einfach nicht wichtig - er ist einfach da - warum ist vielleicht eine andere geschichte
mhhhhhh --grübel

 

Hallo kröte,

es muss nicht alles erklärt und eingeführt werden, sonst hätte die Gattung Kurzgeschichte keinen Platz in der Literatur.
Allerdings finde ich Deinen offenbar Einbrecher der in zwei Sätzen auftritt, zuschlägt, verschwindet und dessen Spuren von Einbruch und von Hals-Schädelfrakturen bei der Obduktion nicht in Erscheinung treten unlogisch und für den Grundgedanken (ertrinken in den eigenen Tränen) unnötig bis störend.
Weil, Du brichst damit in das Surreale ein, bringst ein konkretes Moment durch den Mann von hinten, um dann aus dem Konkreten wieder ins Surreale zu wechseln. Dieser Schlenker leistet dem Text und seinem Timbre einen Bärendienst.

Ohne fände ich es runder :

Die Erleichterung und die gleichzeitige Traurigkeit hatten sie so gefangen, dass sie alles um sich herum vergaß.

Das Letzte was sie wahrnahm, war Salz auf ihren Lippen. Dann umfing sie eine Dunkelheit, die sie nicht mehr freigab.

Man fand sie am Boden liegend – tot.
Die Obduktion ergab: Tod durch Ertrinken

wobei ich den kursiven Part auch rausnehmen würde, auf jeden Fall aber den Einschub mit dem Mann am Fenster

In einer kleinen Delle im Boden sammelten sich die Tränen zu einer Lacke.
es ist eine Wasserlache, nicht die BASF :)

Grüße
C. Seltsem

 
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Hallo Seltsem!
Danke, hab mal rausgenommen was du vorgeschlagen hast.
Jetzt is a bissl arg kurz --grinst.
Also weniger ist hier mehr. Werd mir versuchen zu merken :surreales- konkretes- surreales: Vorsicht!!!!!!

bei uns in österreich gibt es die" Lacke, Wasserlacke" - Lache ist eher ungebräuchlich bei uns

danke schönen Nachmi
Kröte

PS: Ich denke, dass war auch was Quinn mir vermitteln wollte.
"Jetzt versteh ich euch, jetzt versteh ich euch,....." sing sing

 

Eine Sequenz ...

Hallo Kröte!
Ich habe die Kommentare und die Geschichte eben noch einmal gelesen und nach den Korrekturen, die Du vorgenommen hast, meine ich, daß Deine Geschichte gewonnen hat. Durch die Hinfortnahme der Tatbeschreibung des Gewalttäters wird die Geschichte glaubhafter. Der Schlag auf den Kopf hatte auf mich, dem Leser, die Wirkung, es handelt sich um einen Slapstick, der hier mit eingebaut war. Er war mir zu derb. Methamaphorisch gab er allerdings der Geschichte einen anderen Sinn, den ich für unglaublich hielt: Es bedeutete, einer tief trauernden Person zusätzlich zuzusetzen und sie sogar ganz derb totzuschlagen. Der Sinn wäre dann, daß dem einen Unglück prompt das andere folgt. Die Moral der Geschichte: Wer heult, bekommt voll auf´s Maul. Auf dem Fußballplatz käme es übrigens einem Nachtreten gleich. Dafür sieht man "Rot". So gesehen hatte diese Szene dramaturgisch ihre Berechtigung gehabt, wie ich meine. Ihre Wirkung auf den Leser war mir allerdings zu stark.

und all der Druck schien aus ihr rauszurinnen.

Ich persönlich hätte hier eine vornehmere Wortwahl vorgenommen und anstatt rauszurinnen herauszurinnen gesagt. Ich selbst mußte mich allerdings auch korrigieren, was die Lache anbelangt. Deine Wortwahl "Lake" ist vielleicht richtiger. Ich habe es nachgesehen und es bedeutet dann soviel wie Lauge, Beize, Salzlösung, was treffender ist.

So, ich will nicht mäkeln. Ist diese Geschichte noch sureal, habe ich mich abschließend gefragt. Ich meine, Ja. Sie taugt in einer Romanhandlung als Sequenz, versetzt den Leser in Stimmung und gibt zu denken. Soviel als Feetback von mir.

Liebe Grüße, joasch

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Joasch!

Danke nochmals für dein ausführliches Kommentar!
ich denke du hast es gut unterschieden, es hat jetzt natürlich einen ganz anderen Sinn. Jetzt ertrinkt sie absolut surreal an ihren Tränen.
Da es in meinem Kopf entstanden und dort auch als Bild vorhanden ist, habe ich natürlich auch kein Problem mit dem Einbrecher, verstehe aber auch, dass es für den Leser eigenartig und nicht nachvollziehbar ist.

Ach ja - nicht "Lake" einfach nur "Lacke" (in Österreich) so wie "Schnaken" bei uns "Gelsen" heißen --grinst

babatschi

kröte
PS: was hältst du von: all der druck schien zu entweichen????

 

Was ich von "all der Druck schien zu entweichen" halte? Es ist Redewenung, die mir aber besser gefällt als "rauszurinnen". Der Text bleibt an dieser Stelle in seiner Aussage neutraler und eben nicht brutal. Rein, Raus. Der Duden meinte übrigens, Neudeutsch ginge es nur noch so. Mir ist es zu gewalttätig. Ich weiche auch manchmal lieber aus.

Gruß, joasch

 

Hallo joasch!!
Danke - dann lass ma das mal so stehen --lächelt

babatschi
kröte

 

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