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Trinkfest
Getrieben von der Kälte auf dem Marktplatz, führte der Weg des jungen Studenten in das Wirtshaus an der gegenüberliegenden Straßenseite. "Ahoi, Brüder!" rief er nach Betreten in das Gasthaus hinein. Die darin sitzenden Leute waren größtenteils irgendwelche Seefahrer, die versuchten, einen über den Durst zu trinken, um den androhenden Aufenthalt in ihrem Heimatort mit etwas Gehirnzellenmassaker zu begegnen. Der junge Student, er hiess Gürsel und stammte aus einer wohlhabenden türkischen Familie, immigrierte irgendwann in das schöne Bremen. Er war hierher gekommen um Chemie zu studieren und eine Ausbildung zu genießen, die ihm in seinem Land in der ihm gewünschten Qualität nicht ermöglicht würde. Gerade von der Uni kommend, dachte er sich, er könnte mal eben ein paar Bier mit den Seefahrern trinken und über das Windverhalten auf 1000m Seehöhe philosophieren. Sein Versuch scheiterte, als er sehen musste, dass die ihm umgebenden Bärte tragenden Matrosen schon beinahe unter dem Tisch lagen. Egal, dachte er sich, ich kann mich auch gut mit mir selbst unterhalten. Das verfehlt zwar den eigentlichen Zweck des Aufenthalts, aber auch irgendwie nicht. Also nahm er sich einen Stuhl und setzte sich auf den Tisch, welcher kurz darauf von einem älteren Herren mit Augenklappe besetzt wurde. Der Herr stellte sich mit einem lakonischen "Ich bins, der Maltschik!" bei ihm vor. Die Titten der Kellnerin beugten sich gerade über den Tisch und Maltschik bekam große Augen, die Gürsel kurz an den Wolf aus Rotkäppchen erinnerten.
"Glotz net so, ey! Hier haste dein Bier."
"Is schon gut, hier haste drei Euros...Jetzt verzieh dich, wenn Männer miteinander zu reden haben".
Man merkte ihm seine Erfahrung mit Frauen an, die Phrasen droschen ziemlich routiniert aus ihm heraus.
"Arschloch". Erwiderte ihm die mit roten Haaren bestückte Kellnerin mit einer Stimme, die auf Kettenraucherin schließen lies.
"Mein Junge" röchelte Maltschik zu Gürsel. "Weisste, was das hier für ein Laden ist?" Gürsel blickte ihn etwas verdrossen an und meinte zu ihm "Eine Bierbude?".
"Ha! Da liegst du falsch..."
"Na, was ist es denn dann, alter Mann. Erzähl mir von deinen Geheimnissen!"
Gürsel blickte der vorbeigehenden Kellnerin an den Arsch und merkte, wie ihm ein leichter Schauer über den Rücken lief.
"Dieser Laden, du bist hier falsch gelandet, mein Junge. Du suchst doch nicht nur nach Bier hier, oder?"
Maltschik beugte sich, als er dies sagte, mit einem Auge zugekniffen halb über den Tisch und trommelte mit den Fingern seiner linken Hand rythmisch auf den Tisch.
"Alter Mann, willst du mich verarschen. Was soll ich hier sonst suchen, ausser Bier und belanglosen Gesprächen mit besoffenen Seefahrern?"
Maltschik zuckte auf und fuhr zurück.
"Weisst du, Junge, dieser Laden hier wird von Konterrevulutionären betrieben. Hier ist nichts so, wie es scheint! Und das sind auch keine besoffenen Seefahrer hier...Die liegen unter dem Tisch, weil sie sich tarnen wollen! Sie sind gut getarnt!"
Maltschik fuchtelte mit den Händen in der Luft und brachte es dabei irgendwie fertig der Kellnerin gleichzeitig ein Handzeichen für eine weitere Bestellung zu signalisieren.
"Ich selbst bin ja revolutionär veranlagt. Also passe ich hier wohl ganz gut hin. Die Matrosen und ich, wir bilden dann wohl sowas wie Dialektik! Eine Symbiose aus Gegensätzen. Wunderbar."
Gürsel kratzte sich kurz unter der Achsel.
"Ich sehe, dass du ein schlauer Kerl bist, dem man nichts vormachen kann. Siehst du diese blaue Türe dort neben dem zweiten Fenster von links? Dahinter werden Mittelchen gebraut, die uns dann in den Alkohol geschüttet werden."
"Du spinnst doch!" rief Gürsel leicht genervt.
"Ehrentwort!"
Gürsel begann zu lachen.
Es war nicht so, dass er hier nicht schon des öfteren einen üblen Geschmack im Mund hatte, aber das könnte genausogut der Mensafrass sein, der auf seinen Geschmacksnerven nachwirkte.
"Was sollten sie uns denn hier hineinmischen? Und wieso? Und woher weisst du das überhaupt?"
Gürsel verstand es tiefe Löcher in sein Gegenüber zu bohren, in seiner Heimat nannten sie ihn deswegen auch die Boschmaschine der Verbaleskalationen.
"Harusiki Fa Lampare in hochkenzentrierter Form!"
Gürsel brach in schallendes Gelächter aus.
"Alter Mann, ich studiere Chemie und weiß über das Leben und seine Zusammensetzung genaustens bescheid. Dieser Schwachsinn scheint leider in keinem Periodensystem auf! Du bist besoffen, sonst nichts!"
"Harusiki Fa Lampare!" stiess es mit ganzen Atem aus Maltschik hinaus. Dabei tröpfelte bei der Stelle mit "Fa" eine leichte Brise seines Speichels über das Gesicht Gürsels.
"Ey, bist du bescheuert? Gleich verschwinde ich mich hier vom Tisch..."
Maltschik griff sich an die Brust, spitzte seine Lippen und warf der Kellnerin einen Luftkuss zu.
"Hier, dein Bier!"
"Danke, meine Süsse...hier, deine Euros."
"Danke."
Gürsel starrte das Bier an.
"Also, was soll nun dieses Harusiki Fa Lampare sein?"
Maltschik kniff seine Augen zusammen, beugte sich abermals über den Tisch und durchbohrte das Glas beinahe mit seinem Blick. Beide starrten sie nun gebannt auf die Gelbe mit Schaum übergossene Flüssigkeit vor ihnen, die in der Gutgläubigkeit des Otto-Normal-Biertrinkers nichts weiter als eine herkömmliche Verstörung der Sinne bewirken sollte.
"Herrje! Was ist es jetzt?"
Rief Gürsel etwas genervt.
"Nicht so Laut, mein Junge."
Maltschik hob das Glas vom Tisch und erinnerte in seiner Bewegung dabei an Alexander den Grossen, wie er heldenhaft sein Schwert aus der Scheide zieht.
Gürsel war nun doch etwas beunruhigt ob der seltsamen Worte seines Gegenübers.
"Gluck, Gluck" entsprang es Maltschiks Gurgel.
"Alter, du hast mich verarscht. Gratuliere dir." Gürsel setzte ein verschmitztes Lächeln auf.
Maltschik stand nun auf und verliess das Wirtshaus durch die Türe, ohne ein Wort zu sagen.
Gürsel sah ihm etwas verwundert hinterher und rief noch ein "Hey, wo willst du denn jetzt hin? Könntest mich zur Entschädigung ja auf ein kleines Bierchen einladen...." hinterher.
Doch der Alte verschwand aus der Türe.
Gürsels Skepsis wich jetzt einem erhellenden Moment der Einsicht in den Humor älterer, gelangweilter Männer. Er hatte erst ein Bier getrunken und musste den heutigen Abend noch mit Vorbereitungen für eine morgen anstehende Klausur verbringen. Irgendjemand meinte mal zu ihm, als er sagte, dass er mit Bier im Blut besser lernen könne, dass das wohl auf einen genetischen Defekt zurückzuführen sei.
Gürsel fühlte sich deswegen manchmal wie ein Auserwählter, dessen Leistungsfähigkeit bis zu einer gewissen, kleinen, aber immerhin vorhandenen Grenze, proportional mit dem Bierkonsum stieg.
"Ein Bierchen, bitte!" rief er der Kellnerin zu.
Die kam prompt und platzierte die golden glänzende Flüssigkeit vor ihm auf den Tisch.
"3 Euros!"
"Hier, bitte, der Rest ist für dich."
Die Kellnerin zog freundlich lächelnd davon.
Mit einem Ruck zog er das Bier nun runter, weil es ihm ja doch so durstete nach den trocken langweiligen Lehrveranstaltungen. Gesättigt durch die Biermahlzeit entliess er von den umliegenden Leuten unbemerkt ein dezentes Magengeräusch in den Raum.
Gürsel dachte nach dem Stillen seines Verlangen an die Fusion von Natrium und Chlorid. Getrennt voneinander waren sie nur unscheinbare Substanzen, aber zusammen ergaben sie ein tolles Mischwerk aus chemischen Substanzen, die offenkundig ihre Bestimmung füreinander hatten. Der Durst und das Bier. So gut ergänzte er sich zuletzt mit Esra.
Irgendjemand schritt gerade lauthals durch die Eingangstüre. Gürsel war etwas unwohl und richtete seinen Blick auf die Gestalt mit dunklen Haaren. Er stand auf, ging zur Garderobe, um seine Jacke zu holen, doch die war nicht da. Hatte er sie auf dem Tisch vergessen? Wo war sie hin?
Er begann sich zu ärgern, ging zurück zu seinem Platz und sah dort einen jungen Mann sitzen. "Ich bins, der Maltschik!".