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Ukiyo-e: vergängliche, fließende Welt
Ukiyo-e – vergängliche, fließende Welt
Shoozoo klopfte leise mit seinen Farbspateln an die Papierschiebewand am Eingang des Geisha-Hauses. Eine Oshaku, Geisha-Schülerin, öffnete ihm, kniete sich vor ihm auf den Boden und legte den Zeigefinger auf den Mund. Er schlüpfte aus seinen Sandalen und folgte ihr leisen Schrittes die Treppe hoch. Von draußen hörte er im Herbstwind die Silberlaternen helle Glockentöne schlagen. Er betrat das Acht-Matten-Zimmer, wo, mit dem Rücken ihm zugewandt, Sayuri vor dem Schminkkästchen kniete. Der Nackensaum ihres Kimonos war herunter gerutscht und gab die seidige, helle Haut preis, auch ohne die traditionelle Schminke weiß wie kostbarer Marmor. Seidig glänzten auch darüber ihre zum Knoten gebundenen nachtblauen Haare. Im Licht der flackernden Öllampe schien sie fast durchsichtig, von einem goldenen Leuchten umgeben zu sein.
„Bijin“, seufzte Shoozoo leise mit rauer Stimme. Sayuri drehte langsam den Kopf und deutete leicht eine Verbeugung an. An ihrem Finger leuchtete kirschrot die Farbe für ihre Lippen, die sie klein geschürzt bereits zum Kussmund bemalt hatte, der aus der weißen Schminke des Gesichts hervorstach wie ein Schwerthieb in Shoozoos Augen.
„Warum meint Ihr, dass ich eine Bijin, eine Schönheit, sei, Meister Kunisada? Ich bin doch nur eine unbekannte Geisha aus dem Hanamichi, dem Blumenweg in Yoshiwara, dem Vergnügungsviertel. Ich bin Eurer Aufmerksamkeit doch gar nicht würdig“, lächelte sie kokett und öffnete den Knoten in ihrem Haar. Es fiel ihr herunter auf die halb entblößten Schultern, ein blauschwarzer Wasserfall.
„Ihr seid zu schön, zu schön, unsterblich schön!“ stöhnte Shoozoo oder Kunisada, wie er mit seinem Künstlernamen gerufen wurde, kniete sich neben sie, strich eine Welle ihres seidigen Haars zurück und küsste sie heiß auf ihren zarten Nacken. „Genug, Meister, genug,“ wehrte Sayuri ab und schlug spielerisch seine Hand zur Seite. „Ihr seid doch gekommen, um mich zu malen?“
Kunisada rückte auf den Reisstrohmatten von ihr ab, kniete sich in einiger Entfernung hinter sie, entrollte das Papier, stellte seine Farbtöpfchen vor sich auf und bog die Pinsel, um ihre Geschmeidigkeit zu prüfen. „Kniet Euch wieder vor Euer Schminkkästchen, Sayuri, und fahrt fort in Eurem Werk. Beginnt den Nacken zu schminken, steckt Euch die Haare mit den Kämmen hoch – und dann, dann lasst langsam Euren Kimono heruntergleiten, damit ich Euren makellosen Rücken betrachten kann.“
Das Öllämpchen knisterte. Sayuri steckte gehorsam ihre Haarpracht hoch, begann, weiße Schminke auf ihrem Nacken in dem unzweideutigen "Schamlippen"-Muster zu verteilen – und schließlich löste sie den locker gebundenen Gürtel ihres Kimonos und ließ diesen langsam herabgleiten.
Die perfekte Violinform ihres Oberkörpers leuchtete im Halbdunkel des flackernden Öllämpchens. Wie ein Besessener tunkte Kunisada seine Pinsel in die Farben – blau, schwarz, grün und kirschrot – und brachte sein Werk zu Papier.
„Spielt ein kouta, ein Kurzlied, für mich auf der Shamisen“, gitarrenähnliches Instrument mit drei Saiten, bat Shoozoo sie, als sie später nebeneinander auf dem Futon lagen. An seinem Kimonokragen befand sich noch ein Rest von Sayuris Kirschrot und Weiß. Nackt wie sie war, griff sie zur Shamisen und sang eins dieser melancholischen Liebeslieder, in dem erzählt wurde von einem unglücklichen Liebespaar, das am Ende Doppel-Selbstmord beging. Beim letzten Akkord zog er sie an sich. „Wenn du nur meine sein könntest, meine ganz allein“, seufzte er. Sayuris Gesicht verfinsterte sich. „Ihr wisst, dass das unmöglich ist“, zischte sie. „Ich gehöre immer noch meiner haiyuu, meiner Geisha-Herrin, habe immer noch nicht meine Ausbildung bei ihr als Geisha abbezahlt, und außerdem seid Ihr jetzt ein berühmter Künstler, der darf sich nicht mit so einer aus dem „Mizu-shoobai“ ,Wassergeschäft, synonym für Rotlichtmilieu, abgeben.“
„Ich kann Farbholzschnitte von Euch fertigen und sie massenweise an die Buchhändler, Bürger, ja sogar an gierige Samurai verkaufen. Von dem Geld kann ich Euch freikaufen“.
Sie lachte spöttisch auf. „Wer soll das denn kaufen? Genug, geht jetzt, Meister, ich erwarte wichtigen Besuch“, und sie klatschte zwei Mal in die Hände. Die Schiebetür wurde aufgeschoben. Die Oshaku kniete davor und hielt eine Öllampe hoch, in Richtung Treppe weisend. Shoozoo raffte eilig seine Farben, Pinsel und die inzwischen getrocknete Papierrolle zusammen und flüsterte „Itte-kimasu“ , "ich gehe und komme wieder". Sayuri antwortete nicht mit der obligatorischen Antwort „itterasshai“, "geh und komm wieder". Mit finsterer Miene trat Shoozoo in den Regen hinaus. Rasch entfernte er sich von ihrem Haus.
2. Kapitel Meiyo – Ehre
Matsumoto Toshifune war Samurai niederen Ranges am Hof von Edo. Nur ein kleiner Regierungsbeamter, jedoch aus altem Erbadel. Sein Urahn hatte schon Tokugawa Ieyasu gedient und in dieser Bürgerkriegszeit den Titel und das Schloss in der Provinz Kagawa erworben. Doch Toshifune war bereits geboren und aufgewachsen in Edo, was seit zweieinhalb Jahrhunderten Sitz des Shogun, des obersten Feldherrn, war. Es war der eigentliche Regierungssitz. In Kyoto, am Kaiserhof, hielt nur noch ein Schattenregiment Hof.
Als echter „bushi“, als Angehöriger des Kriegeradels, verachtete er die „kuge“, die Hofadligen, die seiner Ansicht nach nur dazu taugten, Gedichte zu verfassen und das hart erarbeitete Geld der Lehensfürsten und der ihnen unterworfenen Landbevölkerung zu verprassen.
Hier in Edo vibrierte mit bald einer Million Einwohnern das städtische Leben, hier gab es Handwerk, moderne Künste wie Buchdruck und Farbholzschnitte, Kabuki-Theater und es gab eine neue, aufstrebende Bevölkerungsgruppe, die shoonin, die bürgerlichen Kaufleute. Er liebte diese Geschäftigkeit, das bunte Treiben der „ukiyo-e“, der vergänglichen, fließenden Welt, die Lebensfreude in den Stadtvierteln bei ihren heimischen Festen, auf dem Fischmarkt – und, da konnte er sich ein Grinsen nicht verkneifen, in Yoshiwara auf dem Hanamichi, dem „Blumenweg“.
Er selbst lebte im Stadtviertel der Samurai, das keiner der anderen Stände betreten durfte, außer um Ware zu liefern und in ihren Wohnsitzen zu dienen. Und er hatte das Recht des Kriegers, zwei Schwerter zu tragen. Seufzend dachte er daran, wie sein Vater ihn stets verächtlicher Blicke strafte, wenn er angetrunken von seinen nächtlichen Streifzügen nach Yoshiwara zurückkehrte. Er wusste ja selbst, Meiyo – Ehre- war eine der sieben Haupttugenden des Samurai. Es gab immer wieder Fälle von Samurai, die ihre Ehre verletzt hatten, indem sie ohne ihre Schwerter bei einer Geisha oder noch schlimmer bei einer der Oiran, der Prostituierten, ertappt wurden. Nicht selten blieb ihnen dann nichts anderes als der Ehrenselbstmord, der seppuku.
Doch Toshifune war jung, voller ungenutzter Kräfte, und die Töchter der anderen Samurai-Familien, die ihm in regelmäßig wiederkehrenden Abständen von seinen Eltern beim „O-miai“ mit Hilfe eines Heiratsvermittlers, vorgestellt wurden, erschienen ihm ebenso langweilig wie reizlos.
Also ließ er auch heute wieder seine Schwerter zu Hause, steckte nur seinen Kurzdolch in die Falten seines Kimono-Ärmels und wanderte den Sumida-Fluss entlang in Richtung Yoshiwara. Die Kapuze seines Überhangs zog er tief ins Gesicht. Es zog ihn heute mal wieder zu den Buch- und Farbdruckhändlern. Seit einiger Zeit hatte er einen bestimmten Maler für sich entdeckt, Kunisada, der vorwiegend Schauspieler des Kabuki-Theaters abbildete, aber neuerdings auch sogenannte „Bijin“, Schönheiten aus den Teehäusern und Geisha-Häusern. Einige von diesen Damen raubten ihm schon in der geschnitzten Druckversion den Atem. Er wollte endlich einmal nicht nur bei einem gemeinsamen Bankett anwesend sein, wo die Geishas vor ihren Gästen sangen und tanzten, Gedichte rezitierten oder eifrig Sake bei geistreicher Konversation nachschenkten, nein, er wollte endlich mit einer von ihnen die Nacht verbringen.
Doch die echten Geishas teilten nicht mit jedermann den Futon, oder, wie man in Japan sagte, das Kopfkissen. Nur einige hochberühmte versteigerten nach dem Abschluss ihrer Ausbildung ihre Jungfräulichkeit in der „mizuage“-Prozedur für horrende Summen. Das konnte er sich nicht leisten. Und andere, erfahrene, berühmte Geishas stiegen zu Konkubinen reicher oder mächtiger Beamter oder sogar Kaufleute auf. Doch das war auf Dauer noch kostspieliger, und mächtig und bedeutend war er nun wirklich nicht.
Bei den Buchhändlern angekommen, erkundigte er sich bei ihnen nach neuen Werken von Kunisada. Der Markt schien überschwemmt von seinen Drucken. Aber keiner konnte Toshifunes Aufmerksamkeit wirklich auf sich ziehen. Ein Händler, Gozo, den er schon namentlich kannte, fragte ihn: „Der Herr suchen wohl ganz etwas Spezielles?“ und er winkte ihn unauffällig in einen bis zur Decke mit Papierrollen, - Blättern und Heften überfüllten Hinterraum, wühlte in einigen Stapeln und schob ihm zwinkernd einige Blättchen zu. Toshifune traute seinen Augen kaum: da waren nackte und halbnackte Oiran und ihre männlichen Kunden in eindeutigen Positionen und Verrenkungen zu sehen, wie er es noch nie zuvor zu Gesicht bekommen hatte. Er errötete, warf sie auf den Boden und griff wutentbrannt nach seinem nicht vorhandenen Schwert. Gozo warf sich vor ihm zu Boden und murmelte „Sumimasen deshita, danna-sama, sumimasen“, "Entschuldigt, Herr", bis Toshifune ihm erschrocken den Mund zuhielt und sich besorgt umsah, ob sie jemand beobachtet hatte. Die Spione des Bakufu, der Regierungsbehörde, waren überall. Er half Gozo, aufzustehen und klopfte sich den Staub vom Kimono.
„Ich war so ein Dummkopf, Herr, verzeiht, ich habe, wonach Ihr sucht, wirklich, dieses Mal von hoher Qualität“, und er überreichte ihm unter dem hochgehaltenen Ärmel einen Farbholzdruck. Im Licht der Ölfunzel hielt sich Toshifune das neuerliche Machwerk unter die Augen. Weiß wie Marmor reckte sich der zart gebogene Nacken einer Geisha einer seidigen, schwarzen Haarpracht entgegen: er hielt den Atem an: tiefer in ihrem Nacken, beginnend unter dem rechten Schulterblatt, wand sich ein leuchtendes Irezumi, eine kunstvolle Tätowierung über ihren perfekt geformten Rücken hinab. Sie stellte in den blau, grün und kirschrot leuchtenden, minutiös abgezirkelten Linien einen Samurai dar, der mit einem Drachen kämpfte. Dieser hob die Spitze seines Schwerts bis fast bis zum linken Haaransatz der Geisha. In fließenden Wellen ergossen sich die Lamellen der Rüstung des Samurai und die Flügel und Klauen des Drachens bis hinab an den Rand des Kimonos auf ihren Hüften.
„Wer ist diese Bijin? Ich muss sie kennen lernen!“ stöhnte Toshifune erregt. „Nein, Herr, die ist nichts für Euch, glaubt mir!“ winkte Gozo zusammengekrümmt ab, in Erwartung eines Hiebs des Samurai. „Sie war früher eine Oiran, eine Prostituierte, und sie ist stadtbekannt dank der Bilder von Kunisada. Jeder weiß von ihrer niederen Herkunft, auch wenn sie bereits eine nicht unbekannte, anerkannte Geisha war, als Kunisada sie malte“. „Kannst du schweigen?“ drohte Toshifune und hielt ihm einen Sack gefüllt mit Münzen unter die Nase. Gozos Augen leuchteten gierig. Er wollte nach dem Geldsack greifen. „Nicht so eilig!“ stieß Toshifune ihn zurück. „Erst vereinbarst du einen Termin bei ihr für mich und führst mich dann zu ihr hin. Ich warte in dem Teehaus dort drüben auf dich. Nun lauf schon!“ und er schob Gozo aus seinem Laden auf die Straße. Dieser schaute sich noch mehrfach nach ihm um und verschwand in der Menschenmenge.
3. Rei – Höflichkeit und Liebe
Toshifune ließ sich einige Meter weit von der Menschenmenge treiben. An einem Yakitori-Stand blieb er stehen – die gebratenen Hähnchenstücke und Innereien dufteten zu köstlich, er hatte inzwischen Hunger. Also bestellte er ein Schälchen davon und verzehrte es genüsslich im Stehen. Danach betrat er das Teehaus, in dem er sich mit Gozo verabredet hatte. Als er die Schuhe im Eingang abstreifte, begrüßte ihn eine Angestellte freundlich lächelnd „Irrasshaimase“, "Herzlich willkommen", und brachte ihm die warmen, feuchtduftenden Tücher, wie sie den Gästen zu jeder Jahreszeit zur Erfrischung und Reinigung bei der Begrüßung überreicht wurden.
Er kniete sich im Schneidersitz an das niedrige Tischchen und versenkte sein Gesicht wohlig in das warme, feuchte Tuch. Er faltete es auf dem mitgelieferten Brettchen zusammen und empfing den Grüntee „Ocha“, der ihm in einer kleinen, gusseisernen Kanne und dazugehörigen, einfachen Teeschalen angeboten wurde. Im Nebenraum hörte er jemanden leise Shamisen spielen. Eins von diesen melancholischen Kouta, in dem ein Samurai sich in eine Frau niederen Standes verliebte und das tragisch endete. Er ließ seine Gedanken abschweifen zu der Schönheit, die er hoffte, nun bald kennen zu lernen.
Warum war sie damals Oiran, Prostituierte geworden? Kam sie aus so einer armen Familie, dass es für sie kein anderes Schicksal, keine Aussicht auf eine Heirat mit einem anständigen, einfachen Mann gab? Hatten die Eltern kein Geld für die Mitgift? Und wie war es ihr dann dennoch gelungen, als Oshaku, als Geisha-Schülerin, in einem Geisha-Haus Aufnahme zu finden? Und wie war der berühmte Maler Kunisada auf sie aufmerksam geworden? Die Töne der Shamisen nebenan klangen immer heller, durchdringender, steigerten sich dem tragischen Ende zu. Dazu ertönte der Gesang einer rauen Frauenstimme, der den Shamisen-Tönen leicht verzögert folgte.
Kein Applaus erklang im Nebenzimmer. Seltsam. Hatte die Geisha dort nicht vor Publikum gespielt? Auf einmal rutschte die Teehaus-Angestellte auf Knien in seinen Raum und winkte ihm, ihr zu folgen. Er zögerte: hatte man ihn als Samurai entlarvt? War dies eine Falle und warteten im Nebenraum schon die Schergen der Bezirksregierung auf ihn? Doch der soeben verklungene Gesang der Unbekannten hatte ihn neugierig gemacht, und so folgte er der Angestellten.
Dort kniete, sich vor ihm verbeugend, noch mit der Shamisen in der Hand, die Geisha. Sie war vollständig geschminkt, trug eine kunstvolle Perücke mit Kämmchen darin, jedoch keinen Tageskimono oder Festkimono mit aufwändigen Seidenstickereien, wie es üblich gewesen wäre, sondern eine Yukata, den Schlafkimono, den man nur zuhause im Kreis der Familie zum Schlafen anlegte. Er war aus weiß-blauem Baumwollstoff und hatte, wie Toshifune auffiel, das sogenannte „Haifisch-Flossenmuster“, in dem sich dreieckige Zacken in weiß und blau übereinander schoben. Dieses Muster war besonders in seiner Heimat-Region, in Kagawa, sehr beliebt. Jetzt erst hob die Geisha ihr Gesicht und schaute ihn unverwandt an.
Es durchfuhr ihn wie ein Schwerthieb: sie war die „Bijin“ von Kunisadas Holzdruck, nach der er Gozo geschickt hatte. Aber wieso war sie in diesem Teehaus? War das Zufall, oder hatte Gozo da seine Finger im Spiel?
Er verbeugte sich bis auf seine Hände, wie es normalerweise die Höflichkeit nur gegenüber einer Dame desselben Standes gebot. Doch er wollte ihr zeigen, welch großen Respekt er für sie und ihre unsterbliche Schönheit empfand.
Sie blieb ruhig vor ihm knien. „Euer Gesang eben war wunderschön, doch er ließ mich noch nichts von der Schönheit seiner Sängerin ahnen“, eröffnete Toshifune das Gespräch. Sie winkte bescheiden ab. „Ich habe nur ein wenig geübt, und verzeiht, wenn ich Eure Ohren mit solch einfachen Klängen beleidigt haben sollte.“
„Ihr wisst doch, in der Einfachheit liegt der wahre Glanz“, erwiderte er geschmeidig. „Sabi und Wabi – das sind die Geheimnisse der japanischen Schönheit und Eleganz.“ „Wie gut Ihr kundig seid in den Künsten, und das, obwohl Ihr wohl nicht in der Welt des Hanamichi zuhause seid, in der Welt der Geishas?“ scherzte sie und verzog ihr Gesicht zu einem süßen Lächeln.
Er legte lächelnd seinen Zeigefinger auf ihre kirschroten Lippen. „Das braucht doch nicht jeder zu wissen“, drohte er scherzhaft und erwiderte damit ihre Anspielung, dass er ein Samurai sei. „Ihr habt Eure zwei Schwerter wohl heute zuhause gelassen?“ provozierte sie ihn weiter. „Oh, glaubt mir, ich habe ein viel stärkeres Schwert mitgebracht, das Euch wahre Schreie entlocken wird“, lachte er und schob den Nackensaum ihrer Yukata herunter. Sie griff nach seiner Hand – und führte diese in den Ausschnitt unter ihrem Hals. Die Zartheit, die er dort vorfand, raubte ihm den Atem. Er begann, sie zu massieren und zu liebkosen. Sie stieß leise Seufzer aus. „Dreht Euch mir mit dem Rücken zu“, stieß er mit rauer Stimme hervor. Sie tat, wie ihr geheißen, und ließ den Rest ihres Yukata auf die Hüften herabgleiten.
Andächtig folgte er mit seinen Fingerkuppen den Irezumi-Figuren auf ihrem makellosen Rücken. Er hob ihr die Perücke vom Kopf, löste den Knoten ihrer Haare, und diese fielen in einem seidigen, glänzenden Wasserfall herab. Er steckte seine Nase, seine Hände in ihr duftendes Haar, kniete sich hinter sie, umfasste von hinten ihre Brüste, öffnete seinen Kimono und drang schließlich im Knien in sie ein. Ihr entwich ein starker Seufzer, als er begann, sie rhythmisch auf seinem Schoss zu bewegen. Er legte ihr seine Hand auf den Mund, die andere auf ihre Brust, sie griff in Ekstase danach, krallte sich mit ihren langen, scharfen Fingernägeln hinein, bis winzige Blutstropfen hervortraten.
„Ich werde meinem Vater erzählen, ich hätte beim Baden im Meer mit einem Haifisch gekämpft“, lachte er, als sie danach auf ihm lag und leise ihre Hüften bewegte. Schließlich setzte sie sich auf und kreiste wild und rhythmisch mit ihrem Körper auf ihm. Er verlor das Bewusstsein vor lauter Erregung. Nur noch das finale Zucken seines Schoßes erlebte er in einem ihm unbekannten Rausch der Gefühle.
4. Chuugi – Treue und Loyalität
„Sayuri-san, wie kam es eigentlich, dass Ihr den Weg der Oiran gewählt habt, bevor Ihr Geisha wurdet?“ fragte Toshifune sie, als sie nebeneinander geschmiegt auf dem Futon lagen und er in ihren Haaren spielte. Sie presste die Lippen aufeinander. Nippte gedankenverloren an dem Schälchen Sake, das er ihr einschenkte.
„Ich komme aus der Provinz Kagawa. Mein Vater war ein Samurai im Dienst des damaligen Lehensfürsten. Als dieser jedoch wegen einer Unehrenhaftigkeit und Verschwörung gegenüber dem Shogun in Ungnade fiel, Harakiri beging und seines Landes und seiner Burg beraubt wurde, wurde mein Vater ein Roonin, ein herrrenloser Samurai, meine Mutter eine arme Wanderarbeiterin, die sich für ein paar Münzen und eine Schale Reis und Suppe bei den Reisbauern verdingte. Als junges Mädchen musste ich ständig Hunger und Entbehrung leiden, merkte jedoch, als ich älter wurde, dass ich die Blicke der Männer auf mich zog. Eines Tages kam eine Wander-Theatergruppe in unser Dorf, und ich schaute mir jeden Abend heimlich durch einen Spalt in der Abzäunung ihre Aufführung an. Eines Tages erwischte mich ihr Anführer und zwang mich, mit zu den Wagen der Schauspieler zu kommen. Er ließ mich vor ihnen tanzen, sie klatschten und johlten, waren ganz begeistert von meinem Tanz und meiner Anmut. Sie nahmen mich in ihre Truppe auf, und ich zog mit ihnen durchs ganze Land. Es war ein leichtes, das dürftige Eintrittsgeld durch „Gefälligkeiten“ gegenüber den Ortsansässigen aufzubessern, und so wurde ich nicht nur zur Wanderschauspielerin, sondern auch zur Wanderhure...“ ihr traten bei diesen Worten, die sie zunächst ungerührt erzählt hatte, die Tränen in die Augen.
„Schweig, kleine Schwester aus Kagawa“, flüsterte ihr Toshifune ins Ohr und küsste sie auf die Wange. „Auch ich komme aus Kagawa, doch mein Vater blieb zum Glück von der Säuberung verschont, weil er sich schon vorher von dem korrupten Lehensfürsten losgesagt hatte und hier in Edo beim Shogun diente als treuer Vasall.“ Sie blickte ihn erstaunt an. „Doch wie kamt Ihr nach Edo, und wie seid Ihr Geisha geworden?“ wollte er nun wissen.
„Eines Tages gastierten wir hier in Yoshiwara bei einem großen Bankett, das ein reicher Kaufmann ausgerichtet hatte. Es fand in einem der berühmten Geisha-Häuser statt. Nachdem die Gäste alle angetrunken waren, suchten sie nach willigen Gespielinnen, da die Geishas sich nicht so billig verkauften. Und da wurde ich zu dem Kaufmann gerufen. Er war so zufrieden mit mir, dass er die Haiyuu überredete, mich bei ihr in Ausbildung zu nehmen. Er muss seinen Überredungskünsten wohl noch etwas Geld hinzu gefügt haben, denn eigentlich war ich mit 16 Jahren schon viel zu alt, um als Oshaku die Ausbildung zu beginnen. Ich war jedoch besonders begabt und durch den Kaufmann protegiert, deshalb konnte ich die Ausbildung schon nach vier Jahren abschließen. Leider konnte ich ja kein „mizuage“ mehr erzielen, weil ich längst nicht mehr jungfräulich war. Deshalb bin ich nach wie vor bei der haiyuu verschuldet. Und dem Kaufmann ist das recht, weil er deshalb weiter über mich verfügen kann, wann er will.“
In ihren großen, dunklen Augen glitzterten die Tränen. Eine fand ihren Weg durch ihre dichten, dunkel getuschten Wimpern und malte ein kleines, dunkles Rinnsal auf ihre weißen Wangen. Toshifune leckte es mit der Zunge weg und presste sie an sich. „Anata ga aishite imasu", "ich liebe dich“, murmelte er kaum hörbar. „Suki desu“, erwiderte Sayuri atemlos. Sie war tief bewegt. Diese ausdrückliche Liebeserklärung bekam sie sonst nie von einem Mann zu hören. Sie war äußerst unüblich gegenüber Frauen, selbst gegenüber ehrenhaften, soweit sie gehört hatte. Besonders aus dem Mund eines Samurais, der doch stets Stoizismus praktizierte und vermied, Gefühle zu zeigen. „Ich gehöre Euch“, flüsterte sie und verbeugte sich tief vor ihm.
„Shoozoo-san!“ gellte da schrill ein Schrei der Angestellten aus dem Treppenhaus. Panisch warf sich Sayuri den Yukata über, warf Toshifune seinen Kimono zu und drängte ihn in Richtung Wandschrank. „Schnell, schnell, versteckt Euch!“ wisperte sie. Toshifune aber zog sich ruhig den Kimono an und blieb neben ihr mit verschränkten Armen auf dem Boden sitzen. In seinem Ärmel tastete er nach dem Dolch.
Mit lautem Getöse nahten Schritte und wurde die Schiebetür aufgerissen. „Sayuri, du Ungetreue, du Hure!“ schrie ein Mann mit gerötetem Gesicht, ungepflegtem Bart und wilder Haarmähne, als er herein stürmte. „Kunisada, was fällt Euch ein! Seht Ihr nicht, dass ein HERR anwesend ist?“ wies ihn Sayuri mit schneidender Stimme zurecht. Kunisada blieb überrascht stehen und gaffte Toshifune an.
„Ein HERR? Ein Samurai also? Dafür wird sich sicher das Bakufu interessieren!“ brüllte Kunisada wütend und stieß Toshifune zu Boden. Dieser drehte sich blitzschnell herum, verdrehte Kunisadas Arme auf dem Rücken und zischte: „Du Wurm, glaubst du wirklich, du könntest mir drohen?“ Und schon stieß er ihm den Dolch zwischen die Rippen. Auf Kunisadas entblößter Brust bildete sich ein dickes, kirschrotes Rinnsal unterhalb der klaffenden Wunde. Röchelnd kippte er zu Boden.
Inzwischen waren lautes Getrampel und Befehle aus dem Hof und von der Treppe zu hören.
Toshifune zog den Dolch aus Kunisadas Leib, wischte ihn mit weißem Papier ab, kniete sich gegenüber der schluchzenden Sayuri auf den Boden, vollzog einige rituelle Bewegungen, blickte ihr schmerzerfüllt in die Augen und stieß sich den Dolch in den Unterbauch, wobei er ihn mehrfach hin und her drehte. Blutige Bläschen traten aus seinem Mund hervor, ein leiser Ton entwich ihm und er kippte vornüber.
Sayuri, die die Schritte der Beamten auf der Treppe nahen hörte, kniete sich nun ebenfalls auf ihre Unterschenkel, griff in ihr Schmuckkästchen, zog einen Damendolch heraus und rammte ihn sich in der Sekunde in den Bauch, als die Beamten die Tür aufrissen. Sie blickten einen Moment lang fassungslos in ihre brechenden Augen, bevor auch sie zusammensank. Ihr Blut färbte ihren marmorweißen Teint und die Yukata mit dem Haifischmuster kirschrot.
„Sonna bijinwa, zannen da ne!“ meinte einer der erschrockenen Beamten "so eine Schönheit, das ist eine Schande". „Shikata ga nai“ , "da kann man nichts machen", meinte achselzuckend der andere und drehte das Gesicht von Toshifune ins Licht. „Irgendwo habe ich den doch schon mal gesehen?“ rieb er sich nachdenklich das Kinn. „Ja, jedenfalls hat sie ihm bis zum Tod die Treue gehalten“, meinte der erste. „Wo gibt es das denn heute noch?“