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Und dafür liebe ich dich
Heute ist Freitag, der dritte Fremdgehtag der Woche. Ich stehe in einem Badezimmer, das einem anderen Mann gehört, und richte mich für den bevorstehenden Abend her. Das Handy habe ich vor einer Stunde ausgeschaltet. Mein Mann nimmt an, dass meine Unerreichbarkeit an einem Handyverbot meiner Firma liegt, das neuerdings für bestimmte Termine verhängt wird. Solche Termine gibt es seit etwa drei Wochen öfter, aber Michael fragt nicht weiter nach. Dafür frage ich mich so einiges.
Vielleicht sollte ich mir einfach angewöhnen, zynischer zu sein.
Ich setzte mir die blonde Pagenschnittperücke auf, die ich immer zu diesem Anlass trage. Mein Spiegelbild verändert sich, aber alle anderen Umstände bleiben von meiner Verwandlung unberührt. Sie ist das einzige Zugeständnis an Michael, das ich hier machen kann. Wenn ich schon betrüge, dann wenigstens als eine andere Person. Oh Gott. Wenn dieser Gedanke nicht so verdammt dumm wäre, könnte ich mich fast über meine gedachte Cleverness freuen.
Aber ich stehe hier. Nicht ohne Willen, aber noch immer willenlos genug, um nicht auf der Stelle von hier zu verschwinden. Bei Peter zu sein, dass bedeutet, einem besonderen Magnetismus ausgesetzt zu sein. Wehrlos bin ich nicht, aber erbärmlich schlecht bewaffnet.
Es klopft energisch an der Tür. Meine Körperchemie gerät aus dem Gleichgewicht. „Zwei Minuten“, sage ich.
Ich weiß, warum ich hier bin.
Den Weg zum Wohnzimmer lege ich auf allen Vieren zurück. Ich lasse mir Zeit, weil ich weiß, dass Peter es so mag. „Geschmeidig“, sagt er immer. „Sei geschmeidig.“
Im Wohnzimmer ist es so kühl, wie draußen vor der Tür, aber mein Körper glüht vor Hitze. Peter sitzt in seinem Sessel und wartet. Sein Blick ist so schwarz wie seine Schuhe. Ich krieche, so geschmeidig, wie es mir möglich ist, bis zu seinen Füßen. Zuerst küsse ich seinen linken, dann seinen rechten Schuh. Der Kontakt mit dem polierten Kunstleder hinterlässt einen bitteren Geschmack auf der Zunge. Nach der Begrüßung nehme ich eine aufrechte Haltung ein, bleibe aber auf meinen Knien.
Peter kommt näher. Er hat das Gesicht eines Feldherrn, hartes Kinn, dünne Lippen, nach hinten gekämmtes Haar. Dunkle Augen fixieren mich, treffen meinen einzigen wunden Punkt. Er streichelt mir zärtlich über das Gesicht, spielt mit meinem Haar herum. Es sind Gesten, die nicht wirklich zu ihm passen wollen, aber ihre Wirkung dennoch nicht verfehlen. Seine Finger sind nicht kräftig, sondern für meinen Geschmack widerlich dünn, aber sie haben sehr harte Kuppen. Ich habe das dringende Verlangen, sie mit der Zunge zu berühren und schnappe gedankenlos nach ihnen, als würde ich mit meinem Mund eine Fliege fangen wollen. Ich verfehle mein Ziel nur um wenige Millimeter.
Ich bekomme eine Ohrfeige. Eine Hand packt mich am Hals, kräftig, aber kontrolliert. Mir wird schwindelig. Nicht nur, weil mich das hier unendlich geil macht, sondern weil mir der Gedanke in den Kopf schießt, dass ich das hier verdiene. Jeder Anflug von Schuld ist in dieser Sekunde wie weggewischt. Magnetismus.
„Heute bist du dran“, sagt Peter. Ich glaube in seiner Stimme ein verborgenes Bedauern rauszuhören. Ob er seine Rolle manchmal verflucht?
Und dann ist die Hand plötzlich verschwunden. Mein Hals fühlt sich an, als würde er nicht mehr zum Rest meines Körpers gehören. Peter steht auf und verschwindet aus meinem Blickfeld. Sekundenlanges Warten. Das nächste, was ich mitbekomme, ist, wie mir ein ledernes Halsband angelegt wird. Vielleicht etwas zu fest, aber ich protestiere nicht. Von der Leine merke ich erst etwas, als ein Ruck durch meinen Körper geht, und mich ein Zug am Hals in Bewegung setzt.
Ich bin weit weg von zu Hause.
Irgendwann wache ich auf. Ich muss ziemlich tief geschlafen haben. Desorientiert schaue ich zur Seite. Da liegt Peter. Er schläft. Wie oft wir es heute getrieben haben, weiß ich nicht, aber ich fühle mich leer und ausgebrannt. Von allen Seiten durchgefickt. Mir ist ein wenig übel. Mit leicht benommenem Schädel mühe ich mich hoch und greife nach meiner Zigarettenschachtel, auf dem Nachttisch neben mir. Mein Blick fällt auf den roten Ballknebel, der neben der Leselampe liegt. Ich spüre eine leichte Anspannung in meinem Kiefer und ein gummiartiger Geschmack macht sich in meinem Mund bemerkbar. Habe ich dieses Ding wirklich im Mund gehabt? Ich schaue auf den Radiowecker. Wenigstens ist es noch früh am Nachmittag. Ich frage mich, wie es meiner kleinen Helen jetzt wohl geht, und habe das Verlangen, sofort nach Hause zu fahren.
Peter wacht auf und greift mir in die Haare, zieht mich zu sich heran, zwingt mir einen Kuss auf. Ich spiele mit, aber ich löse mich von ihm, so schnell es geht. Ich sage, dass ich los muss. Er fällt im Halbschlaf zurück ins Kissen.
Nach dem üblichen Duschen rauche ich noch hastig eine Zigarette, bevor ich mich an der Haustür von Peter verabschiede. Natürlich fehlt mir die Kraft, die Affäre hier und jetzt zu beenden, aber ich mache mir daraus keinen Vorwurf. Wozu gibt es schließlich E-Mail?
Peter begleitet mich doch noch bis zu meinem Auto und überreicht mir einen kleinen, braunen Umschlag. „Deine Belohnung“, sagt er. Bevor ich einsteigen kann, gibt er mir noch den Hinweis, den Umschlag erst in aller Ruhe zu öffnen. Wenn ich ihn überhaupt öffne. Mir ist nicht nach Spielchen zumute. Nie wieder.
Als ich zuhause durch die Wohnungstür trete, fühle ich mich, als wäre ich hier fehl am Platz. Alles kommt mir fremd vor. Selbst die Bodenfliesen scheinen mir Vorwürfe zu machen. Dieses Gefühl haftet seit dem Beginn der Affäre wie ein Schatten an mir, aber erst jetzt wird mir deutlich, wie sehr ich es hasse. Oder lasse ich es erst zu? Nicht alles lässt sich runterwaschen.
Nach einem kurzen Besuch bei meiner schlafenden Tochter, finde ich Michael im Wohnzimmer. Wie immer sitzt er vor dem Computer, während nebenbei leise der Fernseher läuft. Es ist mittlerweile viertel nach acht. „Helen ist erkältet“, sagt er und macht den Rechner aus.
„Ist noch was zu essen da? Ich habe riesigen Hunger“, sage ich, doch das ist noch untertrieben.
Keine Stunde später liege ich wieder im Bett, diesmal neben meinem Mann. Ausnahmsweise hat er heute abend einiges zu erzählen. Für meinen müden Kopf ist das viel Input, aber ich schaffe es, nicht einzuschlafen. Er berichtet mir von seinem Ausflug mit Helen in den Tierpark, und das sie im Laufe des Tages Fieber bekommen hat. Und ich habe Peters Schwanz im Arsch gehabt. Als er zu dem Teil mit seiner Arbeit kommt, dämmere ich für eine Sekunde weg, bin aber wieder da, als er mir einen Kuss auf die Stirn gibt. Ich frage ihn, ob wir es tun wollen, aber er lehnt ab. Weil er zu müde ist.
Dieser Umstand kommt mir sehr entgegen.
Er hat absolut keinen Schimmer. Wie auch? Ich versuche, seine Nähe zu genießen, aber ich merke, wie mir seine Ahnungslosigkeit nur noch mehr auf das Gewissen drückt. Sie tut mir richtig weh. Da liegt er. Schlafend. Ein Mann, der sich für seine Familie zerreist und nur einen einzigen Fehler hat. Er sollte derjenige sein, der mich bestraft und wie ein Hure fickt.
Wenigstens ist morgen Samstag.
Ich muss an Peter und den heutigen Nachmittag denken. Wieder habe ich das Gefühl, dass sich mir der Magen umdreht. Ich greife zu meiner Zigarettenschachtel, werfe mir meinen Bademantel über und gehe leise aus dem Schlafzimmer.
Die Zigarette rauche ich auf dem Balkon, weil ich das dringende Bedürfnis nach frischer Luft habe. Danach gehe ich runter ins Wohnzimmer und schalte den Rechner an. Die helle Mattscheibe des Monitors verursacht ein Ziehen in den Augen. Ich bin allein.
Bevor ich anfangen kann, meine Abschiedsmail an Peter zu schreiben, fällt mir der kleine Umschlag wieder ein. Ich habe den Verdacht, dass sich darin nur wieder einer von Peters Spielanweisungen befindet, so, wie in den letzten Umschlägen auch. Meine Lust, mir jetzt so einen Mist anzutun, ist mindestens genauso hoch, wie die, auf Sex. Trotzdem schleiche ich mich in die Diele.
In dem Umschlag finde ich ein gutes Dutzend gestochen scharfer Fotos. Darauf erkenne ich mich und Peter. Er und ich. Zusammen im Schlafzimmer. Ich knie vor Peter und blase ihm einen. Meine Hände sind mir auf den Rücken gefesselt. Peter nimmt mich von hinten, die Zügel fest in den Händen. Ich reite Peter. Peter führt mich im Wohnzimmer an der Leine Gassi. Ich, mit dem Gummiknebel im Mund. Mein Gesicht. Trotz Perücke einwandfrei zu erkennen.
Heilige Scheiße.
Sofort zieht sich mein Magen zusammen, während mein Kopf von einem Schwarm feiner Nadeln durchsiebt wird. Ohrfeigen mal anders. Schrecken und Scham vermischen sich zu einer lähmenden Ohnmacht. Das Abendessen macht sich auf den Weg nach oben, und ich muss alles an Kräften aufbieten, um den Brechreiz zu unterdrücken. Bei den Tränen, die nun dazu kommen, habe ich allerdings nicht soviel Glück.
Ich brauche ein paar Minuten, um zu begreifen, was ich da überhaupt in den Händen halte. Der Flur verhält sich wie mein Magen, aber alles andere bewegt sich von mir weg. Ich komme mir vor, wie ausgeschnitten. Ich gehöre nicht hierher. In meinem Mund herrscht Trockenheit.
Im Badezimmer klatsche ich mir kaltes Wasser ins Gesicht. Herz und Magen pochen hart im Gleichschritt. Immerhin lässt sich das leichter ignorieren, als Pappmache in den Beinen. Im Spiegel sehe ich ein aufgeweichtes Gesicht; verheult, schuldig, und ich frage mich, ob die Person, die ich dort sehe, auch wirklich ich bin. Allmählich reagiere ich auf mich selbst allergisch.
Ich habe die Fotos nicht beseitigt. Keine Ahnung, ob es Erleichterung ist, die ich fühle, als ich mich mit den Beweisstücken auf den Weg ins Schlafzimmer mache, wo Michael schläft. Wenn ich ihn wecke, wird er denken, dass alles in Ordnung ist. Er wird verschlafen fragen, was los sei, und seine Hand ausstrecken, um mich zu berühren. Zum ersten mal in meinem Leben habe ich Angst vor diesem Moment. Aber ich laufe nicht mehr davon.
Und dafür liebe ich euch.