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Und das Trockeneis brannte wie Fegefeuer, indes das Blut lachte

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22.11.2005
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Und das Trockeneis brannte wie Fegefeuer, indes das Blut lachte

Mein Hinterkopf schlug ungebremst gegen die Innenseite der Toilettentür. Meine Nase brannte, als würden Ameisen in ihr eine Straße pflastern. Geschmack von Trockeneis in meiner Kehle, den ich nicht schlucken konnte. Riechen? Riechen konnte ich die Überreizung. Spüren? Spüren konnte ich das Feuer lichterloh. Fühlen? Empfinden? Mich selbst in purem Genuss! Sehen? Den Toilettenkasten.
Ich sackte wohlgefällig zusammen, saturiert wie ein in den Trog gefallenes Schwein.
So hatte ich mich der Nacht geopfert, war ihr Sklave, saugte von innen, mit voller Kraft meiner Polypen. Wieder glitt Trockeneis geschmeidig meinen Hals hinab. Was kostet die Welt? Ich hätte gerne zwei!
Ich fiel an die Klinke und zurück in die Nacht. Sie wurde für mich bereitet. Ich war die Nacht, ich war die Party, und bei Gott: Ich war zu Fleisch gewordenes Feuer.
So glitt ich in die Kaschemme, in die Wabe, in der Schnauze der Dunkelheit eine Oase. Nektar für alle! Meine erlesene Tafelrunde war ähnlich motiviert, ausgelassen, frisch verlassen, am verblassen, macht leer die Flaschen! Auch sie hatten sich der Nacht verkauft, der gemeinsamen Achterbahnfahrt hingegeben. Lasst es nur ausarten, Genossen! Disziplin gehört den Soldaten. Am Ende aller Antworten liegt der Exzess oder das Efeu sakraler Hoffnung.
Alex schrie die Bedienung nach Bier an und redete in Wiederholungsschleifen mit gepudertem Fleisch neben ihm. Sie schluckte die Wörter, die dann durch ihren Körper hallten und schien sie wieder auszufurzen.
Jürgen oder „Turbo“, wie er auch genannt wurde, löschte das Höllenfeuer in ihm, während er porös zu werden schien, da der Schweiß aus seiner Stirn perlte. Er und „Rotze“ unterhielten sich in Rauchschwaden und waren einer Meinung, wippten auf ihren Hockern wie Metronome in Rente.
Ich war das Alphatier der Schakale für diese Nacht. Gut: Sie war hässlich wie Kassel selbst, aber wen interessierte das? Wen interessierte das jetzt? Sie schmeckte nach Trockeneis und ich lutschte es. Alle betrunkenen Hunde waren auf der Jagd. Meine Zunge war taub und zu einer blutigen Masse gekaut.
Die Revolution beginnt im Biergarten; lasst uns nach Berlin! Heute Nacht noch! Diese Nacht ist gemacht für einen Putschversuch. Packt das Weibsvolk unter eure starken Arme.
Sex, Drugs and Rock´n Roll.
Zwang, Warsteiner und Rammstein.
Ich schubste einen Schwächeren von der Theke weg, spuckte mein Blut in sein Getränk und beträufelte damit meinen unbändigen Durst.
Lasst uns den Kaiser stürzen! Noch heute Nacht! Diese Nacht ist wie geschaffen dafür! Folgt mir; der Pöbel wartet auf seinen Führer. Gebt dem Weibsvolk den Alkohol zu tragen.
Ich kotzte eine Mischung aus grün schimmernder Magensäure und lachendem Blut, grinste debil in stillstehende Gesichter und musste wohl noch einige Schläge abbekommen haben, bevor ich auf dem Asphalt landete. Trockeneis, aber schnell.

Das Stroboskop flirtete mit meinem Herzschlag. Ich prustete mein brodelndes Blut über die tanzende Masse, reichte Joints, nahm sie entgegen, während mich der Bass monoton in den Magen trat.
Sie war auch da. Natürlich war sie da, denn sie gehörte zur Nacht; die Nacht gehörte zu ihr.
Mit mütterlicher Gunst wischte sie das Blut aus meinen Mundwinkeln, legte ihre Hand zärtlich und kraftvoll auf meine Schulter, ergriff meine harmlose Hand und flocht unsere Finger zusammen. Wir tanzten Tango im Auge des Hurrikans, flanierten, ignorant der Umgebung gegenüber. Sie bettete eine Pille auf meiner Zunge und spuckte mir in den Rachen, bevor wir hysterisch zu zappeln begannen. Dann sprangen wir, uns in den Armen liegend. Mein Blut würde nach Salpeter schmecken, sagte sie. Wie schmeckt Salpeter? Sie schmeckte wie mein Blut. So oder anders, würde ich mich als Planet fühlen, wenn die Discokugel die Sonne wäre, und heulte sie an, gleich Wölfe dem Mond.

Das Saxophon aus den Boxen trällerte uns in eine hingebungsvolle Stimmung.
Sie wohnte im Dachstuhl, der sich mit seinen Schrägen zu einem Sarg formte. Der Absinth glitzerte durch die Wunden in meinem Mund. Als ich ihr sagen wollte, wie wunderschön sie sei, lief das Blut aus meinem Mund und sie hielt ihren Finger vor meine Lippen, formte ihre zu einem Schmollmund, stolzierte durch den Sarg, holte einen Schuhkarton und präsentierte ihre Dildo-Sammlung. Ihr Körper hatte die Farbe von Trockeneis, dampfte auch so, und ich stand nackt im Schneesturm. In ihrem Schneesturm. Was sie dann mit mir machte, ist Legende für mich. Sie war die Göttin der Nymphomaninnen, die Herrscherin der Venus. Der Whiskey ging uns aus, und sie tat Dinge mit mir, bei denen ich mir nicht sicher war, ob sie mir gefielen: Ihre Dildos dienten ihr um mich zu penetrieren, wurden mir ins erstaunte Gesicht geschlagen. Das Saxophon wurde durch kreischende Gitarren ersetzt, indes sie mich durch die schwarzen Rosen in ihrem Bett wälzte. Ich schrie und sah meine Zunge in ihr Gesicht klatschen. Sie lachte vergnügt. „Du schaffst das schon“, sagte sie mit einer beruhigenden Stimme wie eine Mutter über dem Sterbebett ihres Kindes, kettete mich am Bett fest und legte mir Zügel an. Das Wort „multiorgastisch“ fiel einige Male. Ich war ein Stück Fleisch, das nun komplett rasiert wurde, während dubiose Zauberformeln genuschelt wurden. Dann stand die Zeit still, denn ich empfand den deftigsten und unterkühltesten Schmerz, den ich überhaupt im Stande war zu empfinden. Mein eigener Schwanz wurde abgeschnitten und mir in den Mund gestopft! Als sie dann Nadel und Faden zückte, hatte ich genug und wurde ohnmächtig.

Verschwommen sah ich Plüsch-Teddybären und Diddl-Mäuse, mein Schädel brummte wie ein Hubschrauber. Alles so zärtlich pink. Lena hieß sie. Sie heißen alle Lena! Und ich war immer noch angekettet, mein Kopf arretiert und mit einer Scheuklappe versehen, so dass ich nicht an mir herunterblicken konnte, um festzustellen was da so schmerzte. Ich wünschte, ich wäre tot. Was ist ein Leben ohne Schwanz schon wert? Und überhaupt: „Ahhhhhhhhhhhh!“ Ach ja: Was ist ein Leben ohne Schwanz und Zunge schon Wert? Lena trat gelassen aus ihrem Badezimmer, trug einen Bademantel, war wunderschön, setzte sich wortlos neben mich ans Bett und trocknete ihre sexy schwarzen Haare. Dann streichelte sie mir über die Brust und sagte: „Es tut mir sehr Leid, dass diese Maßnahmen notwendig sind. Aber ich will für immer mit dir zusammen sein!“ So langsam dämmerte mir, was hier überhaupt los war. „Ich arbeite als Arzthelferin, mach dir über die Naht also keine Gedanken", sagte sie weiter als würde sie es irgendwo ablesen. „Ich muss halt vermeiden, dass du mich betrügst. Vielleicht ist es etwas überzogen, aber ich hoffe, dass du es mir eines Tages danken wirst, wenn wir erst mal eine richtige Familie sind.“ Ich wollte sterben. Ja verdammt noch mal: Ich hätte mich sofort umgebracht, hätte sich mir die Möglichkeit dazu geboten.
„Mein Vater wird dir alles Weitere erklären“, sagte sie als hätte sie Mitleid mit mir.
Es klopfte und ein schmales Zwitterwesen trat ins Zimmer. Ein Transvestit; groß und muskulös, aber schüchtern. „Hast du es ihm schon gezeigt, mein Schatz?“, fragte er mit seiner weiblichen Stimme. Lena schüttelte verlegen den Kopf. Dann nahm er mir die Scheuklappen vom Kopf. Wieder wollte ich nur noch sterben; denn da, wo einst mein Schwanz hang, war nicht mehr als eine Narbe. „Gute Naht!", lobte der Transvestit Lena und streichelte ihr über den Kopf. Lena grinste. Der dann folgende Monolog beinhaltete Themen wie „wie du nun Wasser lassen kannst“ und „das Erlernen der Gebärdensprache gehört von nun an für dich zur Tagesordnung“. „Nein, da sterbe ich lieber“, war ich mir noch immer sicher. Lena schmiegte sich an meine Seite und Martina, wie das Mischlingswesen zu heißen schien, machte ein Foto. „Ihr seid ein tolles Paar“.

In den darauf folgenden Tagen lernte ich den Umgang mit einem Katheter, die angesprochene Gebärdensprache und nahm Flüssignahrung zu mir. Lenas Familie kannte sehr viele Suppengerichte. Sie schienen vorbereitet. Außerdem verabreichten sie mir hohe Dosen Schmerz- und Beruhigungsmittel, die auch von Nöten waren, denn ich hätte bei erster Gelegenheit das Weite gesucht, wäre ich durch die Medikamente nicht zu schwach dazu gewesen. Als ich anfing meine Nahrung absichtlich wieder auszukotzen, ernährten sie mich intravenös.
Ab und zu kamen Freundinnen von Lena zu Besuch, aßen Bienenstich und beglückwünschten sie zu ihrem „Fang“. Manchmal brachten auch sie ihre „Fänge“ mit, die sie angekettet hinter sich her zogen. Manni und Albert saßen dann neben mir und wir gestikulierten über Fußballergebnisse, bis unsere Herrinnen mit der Peitsche andeuteten, dass solche Gespräche nicht geduldet waren.
Meine Leidensgenossen hatten sehr feminine Bierbäuche; so straff und prall. Bis mir nach mehreren Wochen auch so ein Bauch wuchs, hielt ich die Beiden schlicht für fett. Aber woher? Wir ernährten uns ja ausschließlich von Suppen. Wenn wir etwas gut gemacht hatten, bekamen wir als Belohnung schon mal ein Bier. Aber davon bekam niemand so schnell einen so formschönen Bierbauch.
Einmal in der Woche machten Lena, ihr Vater und ich einen Ausflug nach Polen, wo in einem Hinterhof Ultraschallbilder von meinem Bauch gemacht wurden.
Es war ein Mädchen. Lena freute sich. Ich hatte mir so sehr einen Jungen gewünscht. Wie das Alles möglich war? Ich weiß es nicht und möchte es auch gar nicht wissen. Wie ihr schon merkt, hatte ich mich gefügt. Sie hatten mir Fäustlinge um die Hände gebunden und erhöhten täglich meine Dosis an Beruhigungsmitteln. Sobald ich die Kraft dazu besaß, ließ ich mich immer noch ungebremst aufs Parkett fallen. Aber Lena nähte alle Wunden. Sie wurde immer besser.

Mittlerweile ist unsere Tochter geboren. Das waren Torturen, will ich euch sagen! Ich wünsche das nicht mal meinen schlimmsten Feinden! Hoffentlich möchte Lena nicht noch ein Kind. Geheiratet hatten wir inzwischen natürlich auch. Mehrere Verwandte von Lena mussten mich festhalten und meinen Kopf zum Nicken bringen. Linda hieß unser Kind, war zu meinem eigenen Erstaunen kerngesund. Ja, ein wenig stolz war ich schon.

Heute leben Lena, Linda, Rupert, Lena 2, Leonora, Roland und ich auf einer Insel nahe den Philippinen und warten zusammen mit den anderen Familien auf die Stunde Null und die absolute Verbreitung unserer Rasse. Ich freue mich schon. Wir haben hier sogar Satellitenanschluss und ich darf jeden Samstag die Sportschau sehen. Lena ist so gnädig.
Die ärztliche Versorgung hier ist echt gut und meine Lena übernimmt das Finanzielle. Sie ist so fürsorglich. Auch meine Selbstmordgedanken sind wie weggeblasen, denn ich habe größere Pläne:
Ihr solltet mir die Daumen drücken, dass meine Bombe aus den alten Schiffsresten funktioniert und ausreichend für die gesamte Insel ist. Solange solltet ihr euch von allen Lenas fernhalten. So perfekt wie sie konnte einfach keine Frau sein.


Diese Geschichte ist Lena gewidmet.

 

Hallo Aris,

Empfehlung vom krilliam, ja?
Yessir :D

Licht gibt es da auch. So lustig wie anderswo auch.

Das mit dem sehr lustigen Licht war mal Mitter der 90er ein Werbeslogan für das Aufschwung Ost, für mich das Beste an Kassel (der Spruch, nicht das AO)

wenn ich eine thematisch festgelegte Geschichte lese, kann ich mir manchmal vieles schon denken, hier muss man mit allem rechnen.

hey, Du weißt, wie Du mir eine neue Rubrik schmackhaft machst :) Ich werde diese Hinweise gerne aufnehmen und hier mal ein bisken intensiver rumlesen, mit allem rechnen zu müssen kann spannende Ergebnisse bringen.

Danke und Grüße,
Chaos Seltsem

 

hallo Chaos

Freut mich. jaja. hier in sonstige gibts ne menge spaß. Rick hat mir mal diese Rubrik schmackhaft gemacht. und er hat recht gehabt.


besten Gruß

 

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